Bachmannpreisträgerin Nora Gomringer vollendet nach "Monster Poems" und "Morbus" mit "Moden" ihre "Trilogie der Oberflächen und Unsichtbarkeiten". Wieder befragt sie mit Blick auf das Detail das große Ganze. Gomringers neue Gedichte sind nicht nur Überlegungen zur "Einpellung" (Joachim Ringelnatz), sondern auch zu Tradition und Vergänglichkeit.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.06.2017Fadenscheinig: Nora Gomringers neue Gedichte
Bei Nora Gomringer hat man die Qual der Wahl. Denn wer die trimedialen Bücher der Lyrikerin zur Hand nimmt, muss sich entscheiden. So auch in ihrem neuen Gedichtband "Moden", mit dem sie ihren Reigen der Oberflächen und Unsichtbarkeiten beschließt: Soll man die Gedichte leise für sich lesen oder sich lieber dem Vortrag der Autorin überlassen? All ihren Bänden liegt eine CD mit ihren Rezitationen bei. Oder lässt man den Blick zunächst über die seltsam-schwerelosen Illustrationen von Reimar Limmer schweifen, dem Illustrator, mit dem die Poetin schon lange zusammenarbeitet?
So oder so begegnet man einer Großmeisterin der kleinen Form. So gewitzt und dabei makellos dichtet die Bachmannpreisträgerin über das Sein und den Schein, über den Schauder des Alltäglichen und die Schönheit im Schrecklichen. Den Auftakt ihrer Trilogie bildeten 2013 die "Monster Poems", eine Spurensuche der Angst und für die Akademie für Sprache und Dichtung eins der besten Lyrikbücher des Jahres. 2015 folge der Band "Morbus" über Krankheiten und Infektionen, in dem Viren zu Wort kommen und ein "Herpeswaltz" die Liebe im Keim erstickt.
In "Moden" erforscht die Tochter Eugen Gomringers, des Begründers der Konkreten Poesie, nunmehr die Kunst der Verhüllung, ob in Seide, Lack oder Leder. Nach einem Schnittmusterauftakt steigt die Temperatur der Haute-Couture-Herzen aber nur für einen Augenblick. Denn zwar stimmt "Karl. Vivienne. Marc" das Hohelied der Stoffe an, doch ebenso klar ist, dass die Saisons, wie in der Modewelt die Jahreszeiten heißen, "immer Nadelkissen voller Eitelkeiten" sind. Ob der Chic von Oligarchenfrauen oder die gebrochenen Lotosfüße im chinesischen Kaiserreich, ob die unergründliche "Clutch" oder eine Familienaufstellung im Handschuhformat - immer holt Nora Gomringer weit aus in ihrer Vermessung der Stoffe, folgt dem Ariadnefaden in die Antike oder dem blutigen Schuh der Grimms. Das vieldeutige "fadenscheinig" wird zum Leitmotiv des Bands, die Themen reichen vom Verstecken über die Täuschung bis zum Schmerz. "Denn wer sich ständig häutet, der ist ein wundes Tier", heißt es einmal. Ihren schalkhaften Humor behält die Autorin gleichwohl bei, die ein Kleid zum Zirkuszelt verwandelt. Da wird der Rock dann zur Manege, der Hut zum Dach - und der Knopf zum "alten Groschen für den Einlass".
SANDRA KEGEL
Nora Gomringer: "Moden". Mit Illustrationen von Reimar Limmer. Verlag Voland & Quist, Dresden und Leipzig 2017. 64 S., br., 1 CD, 18,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Bei Nora Gomringer hat man die Qual der Wahl. Denn wer die trimedialen Bücher der Lyrikerin zur Hand nimmt, muss sich entscheiden. So auch in ihrem neuen Gedichtband "Moden", mit dem sie ihren Reigen der Oberflächen und Unsichtbarkeiten beschließt: Soll man die Gedichte leise für sich lesen oder sich lieber dem Vortrag der Autorin überlassen? All ihren Bänden liegt eine CD mit ihren Rezitationen bei. Oder lässt man den Blick zunächst über die seltsam-schwerelosen Illustrationen von Reimar Limmer schweifen, dem Illustrator, mit dem die Poetin schon lange zusammenarbeitet?
So oder so begegnet man einer Großmeisterin der kleinen Form. So gewitzt und dabei makellos dichtet die Bachmannpreisträgerin über das Sein und den Schein, über den Schauder des Alltäglichen und die Schönheit im Schrecklichen. Den Auftakt ihrer Trilogie bildeten 2013 die "Monster Poems", eine Spurensuche der Angst und für die Akademie für Sprache und Dichtung eins der besten Lyrikbücher des Jahres. 2015 folge der Band "Morbus" über Krankheiten und Infektionen, in dem Viren zu Wort kommen und ein "Herpeswaltz" die Liebe im Keim erstickt.
In "Moden" erforscht die Tochter Eugen Gomringers, des Begründers der Konkreten Poesie, nunmehr die Kunst der Verhüllung, ob in Seide, Lack oder Leder. Nach einem Schnittmusterauftakt steigt die Temperatur der Haute-Couture-Herzen aber nur für einen Augenblick. Denn zwar stimmt "Karl. Vivienne. Marc" das Hohelied der Stoffe an, doch ebenso klar ist, dass die Saisons, wie in der Modewelt die Jahreszeiten heißen, "immer Nadelkissen voller Eitelkeiten" sind. Ob der Chic von Oligarchenfrauen oder die gebrochenen Lotosfüße im chinesischen Kaiserreich, ob die unergründliche "Clutch" oder eine Familienaufstellung im Handschuhformat - immer holt Nora Gomringer weit aus in ihrer Vermessung der Stoffe, folgt dem Ariadnefaden in die Antike oder dem blutigen Schuh der Grimms. Das vieldeutige "fadenscheinig" wird zum Leitmotiv des Bands, die Themen reichen vom Verstecken über die Täuschung bis zum Schmerz. "Denn wer sich ständig häutet, der ist ein wundes Tier", heißt es einmal. Ihren schalkhaften Humor behält die Autorin gleichwohl bei, die ein Kleid zum Zirkuszelt verwandelt. Da wird der Rock dann zur Manege, der Hut zum Dach - und der Knopf zum "alten Groschen für den Einlass".
SANDRA KEGEL
Nora Gomringer: "Moden". Mit Illustrationen von Reimar Limmer. Verlag Voland & Quist, Dresden und Leipzig 2017. 64 S., br., 1 CD, 18,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"... gewitzt und dabei makellos dichtet die Bachmannpreisträgerin über das Sein und den Schein, über den Schauder des Alltäglichen und die Schönheit im Schrecklichen."
Sandra Kegel, Frankfurter Allgemeine Zeitung
"Greller, schärfer, aber auch sanfter und tiefgründiger kann man sich kaum diesem Thema widmen, in dem Schein und Sein untrennbar zusammengehören. Gomringers Gedichte zeigen: 'Mode' ist ein ganz und gar nicht oberflächliches Thema."
Renate Naber, WDR5
"Gomringers Gedichte schaffen den schwierigen Spagat zwischen Geheimnis und Begreifen, zwischen Poesie und Pointe. Ihre Gedichte schließen nicht aus, sondern nehmen ein."
Dirk Kruse, BR
"Visuell und poetisch ist das Buch mutig. Es überrascht und verstört. Aber das nicht laut herausgeschrien, sondern eher leise, besonnen, pointiert. Das passt zur zarten Bissigkeit in Gomringers Sprache. "
Juliane Bergmann, NDR Kultur
"Zeitgeschichte, Kolonialismus, Schönheitsideale, Film, Mythologie, Emanzipation, Torheit, Erotik und als Kernthema die Mode samt ihren Auswüchsen und Wirkungen ziehen ihre Spuren durch diesen in jeglicher Hinsicht brillanten Band, der nicht nur die Trilogie abschließt, sondern dem uvre Nora Gomringers ein weiteres Glanzlicht hinzufügt. Für die Musenblätter das Buch des Monats und mit unserem Prädikat, dem Musenkuß ausgezeichnet."
Franz Becker, Musenblätter
Sandra Kegel, Frankfurter Allgemeine Zeitung
"Greller, schärfer, aber auch sanfter und tiefgründiger kann man sich kaum diesem Thema widmen, in dem Schein und Sein untrennbar zusammengehören. Gomringers Gedichte zeigen: 'Mode' ist ein ganz und gar nicht oberflächliches Thema."
Renate Naber, WDR5
"Gomringers Gedichte schaffen den schwierigen Spagat zwischen Geheimnis und Begreifen, zwischen Poesie und Pointe. Ihre Gedichte schließen nicht aus, sondern nehmen ein."
Dirk Kruse, BR
"Visuell und poetisch ist das Buch mutig. Es überrascht und verstört. Aber das nicht laut herausgeschrien, sondern eher leise, besonnen, pointiert. Das passt zur zarten Bissigkeit in Gomringers Sprache. "
Juliane Bergmann, NDR Kultur
"Zeitgeschichte, Kolonialismus, Schönheitsideale, Film, Mythologie, Emanzipation, Torheit, Erotik und als Kernthema die Mode samt ihren Auswüchsen und Wirkungen ziehen ihre Spuren durch diesen in jeglicher Hinsicht brillanten Band, der nicht nur die Trilogie abschließt, sondern dem uvre Nora Gomringers ein weiteres Glanzlicht hinzufügt. Für die Musenblätter das Buch des Monats und mit unserem Prädikat, dem Musenkuß ausgezeichnet."
Franz Becker, Musenblätter