Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.06.2000Wo trinkt die "cash cow"?
Eine Streitschrift wider das Wuchern der Anglizismen in der deutschen Sprache
Walter Krämer: Modern Talking auf Deutsch. Ein populäres Lexikon. Piper Verlag, München 2000. 262 Seiten, 29,80 Mark.
Der Rundfunksender, der sich "Klassik-Radio" nennt, befindet sich zwar in Deutschland, überträgt aber "first class music", wie er unablässig verkündet.
Englisch ist "in". Überall dringt es vor. Das regt manche Leute auf. Einer von ihnen ist Walter Krämer, Professor für Wirtschafts- und Sozialstatistik an der Universität Dortmund und nebenbei Vorsitzender eines Vereins zur Wahrung der deutschen Sprache. Um zu zeigen, welches Ausmaß die Überflutung des Deutschen mit Vokabeln aus dem anglo-amerikanischen Sprachraum inzwischen angenommen hat, stellt er in einem so genannten "populären Lexikon" in alphabetischer Reihenfolge alles vor, was zur Zeit unter "Denglisch"-Sprechern in Mode ist.
Jedem Stichwort ist ein mehr oder weniger geistreicher Kommentar in wechselndem Tonfall beigegeben. Mal begnügt sich der Autor mit Ironie, mal versucht er sich in gewagten Wortspielen, mal gibt er sich spürbar ungehalten. Im Nachwort lässt er seinem Zorn freien Lauf. Er findet es nicht nur "affig, peinlich oder dumm", wie sich Zeitgenossen benehmen, die Tanzvergnügen als "event" bezeichnen, die meinen, ohne "fun" oder "emotions" nicht auskommen zu können, sondern auch "in hohem Maße lächerlich". Doch muss man deswegen gleich von einer "republikweiten Flucht aus der deutschen Sprache" sprechen?
"Deutsch zu sprechen ist vielen Deutschen offensichtlich lästig und peinlich", behauptet Krämer. Ist es wirklich so schlimm? Selbst wenn man Krämers Meinung teilen würde, "kein Konzert des Kirchenchores" fände heute "ohne den obligaten Diener über den Atlantik" statt, so ist das doch noch lange nicht gleichbedeutend mit der "Verleugnung der eigenen Sprache und Kultur". Macht sich mit solchen Übertreibungen nicht auch der Verfasser solcher Sätze lächerlich? "Würdelos und peinlich" nennt Krämer die "sprachliche Unterwürfigkeit" vieler Deutscher. Dabei plappern viele Zeitgenossen manchen überflüssigen Anglizismus nur gedankenlos nach.
Es stimmt auch nicht, dass in Krämers Lexikon lauter "Sprachscheußlichkeiten" versammelt sind. Im Englischen sind die meisten Wörter, die in dem Buch verzeichnet sind, keineswegs scheußlich. Wahr ist dagegen, dass viele Deutsche Worte aus einer fremden Sprache auch dann verwenden, wenn es nicht unbedingt nötig wäre. Warum müssen sie "highlight" sagen, wenn es "Höhepunkt" auch tun würde? Was aber macht der sprachbewusste Zeitgenosse, wenn er rasch keinen angemessenen deutschen Ausdruck für ein englisches Wort findet? Da bleibt Krämer eine Antwort oft schuldig. Sein Kommentar zu "cruise missile" ("Marschflugkörper") zum Beispiel lautet: "Gesprochen ,Gruß Missail'. Saloppe Kurzform für ,Sei gegrüßt, Rakete.'" Was soll der Leser damit anfangen? Alberne "Übersetzungen" dieser und ähnlich neckischer Art finden sich mehrere in dem "Lexikon". Gutes Kabarett zu machen bedarf es großer Kunst. Krämer gelingt ab und zu ein hübscher "Gag" (ein Wort, das in seinem Buch überraschenderweise nicht vorkommt), aber ein guter Kabarettist ist er nicht. Zum Beispiel "Cash flow: Der Geldfluss. Wo trinkt die cash cow? Am cash flow." Toll? Na ja. Oder "business class: Die Klasse der Kapitaleigner und Arbeitgeber. Geht nach Marx dem Untergang entgegen." Auch nicht weltbewegend. Es gibt allerdings auch ernste Kommentare, denen man uneingeschränkt zustimmen kann. Nur heben sie sich in ihrem Stil merkwürdig ab von den vielen anderen, in spöttischem Ton gehaltenen Anmerkungen des Autors.
Die tägliche Sprachschluderei in Deutschland hat viele Seiten. Der übermäßige Gebrauch englischer Lehnwörter ist dabei nur ein Übel neben vielen anderen und beileibe nicht das schlimmste. Viel bedenklicher ist die zunehmende Zahl der Grammatikfehler, sind die vielen falschen Beifügungen in den Texten der Nachrichtenagenturen, sind falsche "würde-Konjunktive" und falsche Zeitfolgen. Noch ärgerlicher ist das offenbar unaufhaltsame Zusammenschrumpfen des deutschen Wortschatzes, von der Verwendung abgegriffener Bilder zu schweigen. Das macht die Sprache arm und schadet ihr womöglich auf die Dauer viel mehr als das unschöne, aber vielleicht schon bald wieder aus der Mode kommende "modern talking".
KLAUS NATORP
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Eine Streitschrift wider das Wuchern der Anglizismen in der deutschen Sprache
Walter Krämer: Modern Talking auf Deutsch. Ein populäres Lexikon. Piper Verlag, München 2000. 262 Seiten, 29,80 Mark.
Der Rundfunksender, der sich "Klassik-Radio" nennt, befindet sich zwar in Deutschland, überträgt aber "first class music", wie er unablässig verkündet.
Englisch ist "in". Überall dringt es vor. Das regt manche Leute auf. Einer von ihnen ist Walter Krämer, Professor für Wirtschafts- und Sozialstatistik an der Universität Dortmund und nebenbei Vorsitzender eines Vereins zur Wahrung der deutschen Sprache. Um zu zeigen, welches Ausmaß die Überflutung des Deutschen mit Vokabeln aus dem anglo-amerikanischen Sprachraum inzwischen angenommen hat, stellt er in einem so genannten "populären Lexikon" in alphabetischer Reihenfolge alles vor, was zur Zeit unter "Denglisch"-Sprechern in Mode ist.
Jedem Stichwort ist ein mehr oder weniger geistreicher Kommentar in wechselndem Tonfall beigegeben. Mal begnügt sich der Autor mit Ironie, mal versucht er sich in gewagten Wortspielen, mal gibt er sich spürbar ungehalten. Im Nachwort lässt er seinem Zorn freien Lauf. Er findet es nicht nur "affig, peinlich oder dumm", wie sich Zeitgenossen benehmen, die Tanzvergnügen als "event" bezeichnen, die meinen, ohne "fun" oder "emotions" nicht auskommen zu können, sondern auch "in hohem Maße lächerlich". Doch muss man deswegen gleich von einer "republikweiten Flucht aus der deutschen Sprache" sprechen?
"Deutsch zu sprechen ist vielen Deutschen offensichtlich lästig und peinlich", behauptet Krämer. Ist es wirklich so schlimm? Selbst wenn man Krämers Meinung teilen würde, "kein Konzert des Kirchenchores" fände heute "ohne den obligaten Diener über den Atlantik" statt, so ist das doch noch lange nicht gleichbedeutend mit der "Verleugnung der eigenen Sprache und Kultur". Macht sich mit solchen Übertreibungen nicht auch der Verfasser solcher Sätze lächerlich? "Würdelos und peinlich" nennt Krämer die "sprachliche Unterwürfigkeit" vieler Deutscher. Dabei plappern viele Zeitgenossen manchen überflüssigen Anglizismus nur gedankenlos nach.
Es stimmt auch nicht, dass in Krämers Lexikon lauter "Sprachscheußlichkeiten" versammelt sind. Im Englischen sind die meisten Wörter, die in dem Buch verzeichnet sind, keineswegs scheußlich. Wahr ist dagegen, dass viele Deutsche Worte aus einer fremden Sprache auch dann verwenden, wenn es nicht unbedingt nötig wäre. Warum müssen sie "highlight" sagen, wenn es "Höhepunkt" auch tun würde? Was aber macht der sprachbewusste Zeitgenosse, wenn er rasch keinen angemessenen deutschen Ausdruck für ein englisches Wort findet? Da bleibt Krämer eine Antwort oft schuldig. Sein Kommentar zu "cruise missile" ("Marschflugkörper") zum Beispiel lautet: "Gesprochen ,Gruß Missail'. Saloppe Kurzform für ,Sei gegrüßt, Rakete.'" Was soll der Leser damit anfangen? Alberne "Übersetzungen" dieser und ähnlich neckischer Art finden sich mehrere in dem "Lexikon". Gutes Kabarett zu machen bedarf es großer Kunst. Krämer gelingt ab und zu ein hübscher "Gag" (ein Wort, das in seinem Buch überraschenderweise nicht vorkommt), aber ein guter Kabarettist ist er nicht. Zum Beispiel "Cash flow: Der Geldfluss. Wo trinkt die cash cow? Am cash flow." Toll? Na ja. Oder "business class: Die Klasse der Kapitaleigner und Arbeitgeber. Geht nach Marx dem Untergang entgegen." Auch nicht weltbewegend. Es gibt allerdings auch ernste Kommentare, denen man uneingeschränkt zustimmen kann. Nur heben sie sich in ihrem Stil merkwürdig ab von den vielen anderen, in spöttischem Ton gehaltenen Anmerkungen des Autors.
Die tägliche Sprachschluderei in Deutschland hat viele Seiten. Der übermäßige Gebrauch englischer Lehnwörter ist dabei nur ein Übel neben vielen anderen und beileibe nicht das schlimmste. Viel bedenklicher ist die zunehmende Zahl der Grammatikfehler, sind die vielen falschen Beifügungen in den Texten der Nachrichtenagenturen, sind falsche "würde-Konjunktive" und falsche Zeitfolgen. Noch ärgerlicher ist das offenbar unaufhaltsame Zusammenschrumpfen des deutschen Wortschatzes, von der Verwendung abgegriffener Bilder zu schweigen. Das macht die Sprache arm und schadet ihr womöglich auf die Dauer viel mehr als das unschöne, aber vielleicht schon bald wieder aus der Mode kommende "modern talking".
KLAUS NATORP
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