Modesty ist jung, sexy, clever und hat es als Kopf der Verbrecherorganisation "Das Netz" zu Reichtum gebracht. Seit ihrem Rückzug aus der Unterwelt lebt sie in einem schicken Londoner Penthouse. Trotz Ruhestand geraten sie und ihr treuer Gefährte Willie Garvin immer wieder Hals über Kopf in die wildesten Abenteuer, die sie nur durch überragende Kampftechnik, geniales Improvisationstalent und nicht selten eine gehörige Portion Glück überleben.
Auf einem Segeltörn in der Tasmanischen See rettet Modesty einen Schiffbrüchigen, der sich als der berühmte, seit zwei Jahren verschollene Maler Lucian Fletcher entpuppt. Seltsam nur, dass diesem jegliche Erinnerung an den fraglichen Zeitraum fehlt. Modesty will mit der ganzen Sache nichts zu tun haben - bis sie und ihr Partner Willie Garvin von Unbekannten zu einem dreisten Kunstraub gezwungen werden. Als Widersacher treten der veilchenäugige Orchideenzüchter Beauregard, der schießwütige falsche Priester Uriah und die üppige Nymphomanin Clarissa auf. Ihren wahren Gegner lernen Modesty und Willie allerdings erst auf der Dracheninsel kennen.
Auf einem Segeltörn in der Tasmanischen See rettet Modesty einen Schiffbrüchigen, der sich als der berühmte, seit zwei Jahren verschollene Maler Lucian Fletcher entpuppt. Seltsam nur, dass diesem jegliche Erinnerung an den fraglichen Zeitraum fehlt. Modesty will mit der ganzen Sache nichts zu tun haben - bis sie und ihr Partner Willie Garvin von Unbekannten zu einem dreisten Kunstraub gezwungen werden. Als Widersacher treten der veilchenäugige Orchideenzüchter Beauregard, der schießwütige falsche Priester Uriah und die üppige Nymphomanin Clarissa auf. Ihren wahren Gegner lernen Modesty und Willie allerdings erst auf der Dracheninsel kennen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.05.2005Die letzte Amazone
Endlich! Die Modesty-Blaise-Romane kommen wieder / Von Michael Kleeberg
In die Wonnen der Trivialität einzutauchen, indem ich mich mit Modesty Blaise beschäftige? Halb neidvoll, halb abfällig wurde mir das prophezeit, aber offengestanden weiß ich nicht, was damit gemeint sein soll. Ich habe Bücher immer nur in gut oder schlecht geschriebene unterteilt, und Trivialität ist für mich einfach ein Synonym für lausiges Handwerk: Fadenscheinig gestrickte Plots, uninteressante und unglaubwürdige Personen, schales Gefühl vertaner Zeit nach der Lektüre.
Aber doch nicht bei Modesty Blaise! Oh, Modesty Blaise, ach Modesty Blaise! Dein Name, anhebend mit einem genießerischen Summton, als rieche man feinste Bitterschokolade oder alten Cognac oder die Haut der Geliebten, dann öffnet die Kehle sich zu einem Knurren, die Zunge kappt schnippisch den Genuß, worauf ein kurzer, warnender Schlag mit der Peitsche verhindert, daß man sich Schwachheiten einbildet. Und die Vokale deines Nachnamens (sie hat sich ihn ja selbst gegeben, Flüchtlingskind ohne Erinnerung an ihre Herkunft, das sie war), je nach Gusto blasiert französisch aussprechbar, in die Länge gezogen wie ein lustvolles Stöhnen, oder genießerisch zähnefletschend auf englisch: Please Blaise me.
Nein, das Wort Trivialität ist hier vollkommen fehl am Platze. Besser paßt der schöne Ausdruck "craftsmanship". Gediegenstes, solides, brillantes Handwerk. Wenn letztlich, wie Thomas Mann einmal sagte, alles davon abhängt, ob ein Buch "wahre Lesehingabe erzwingen" kann, dann sind die Abenteuer der ehemaligen Gangsterin, Gentleman-Agentin und modernen Amazone eine Sucht, wie ich sie in all den Jahren eigentlich nur bei zwei anderen Reihen um ein und denselben Helden genießen durfte, nämlich bei Dumas' Romanen über den Musketier d'Artagnan und bei der Initiationsgeschichte des englischen Zauberlehrlings Harry Potter.
Es ist ja eines der großen Geheimnisse der Literatur, daß es viele Wege zum Herzen des Lesers gibt, daß große Kunst sie nicht immer findet und manch einer, der nur Unterhaltung schenken will, viel mehr erreicht. Man muß die Romanwelt glauben können, die sich da auftut, und wenn die ersten Zeilen eines Buches mich dazu bringen, es ernst zu nehmen, dann gehe ich bereitwillig mit auf die Reise. Läßt der Autor durchblicken, er meine es gar nicht so, und erlaubt sich irgendwelchen Unsinn, dann platzt die Blase der Illusion und der Glaubwürdigkeit, und man kann das Buch wegwerfen.
Die Lady als Kampfsportlerin
Begonnen hat diese Liebe im Sommerurlaub 1970, wo ich als Elfjähriger am Strand den Vorabdruck von "A taste for death" verschlang, der, mit poppigen Zeichnungen illustriert, Woche für Woche im "Stern" erschien, bevor er dann, wie die übrigen Romane, zunächst bei Zsolnay, später bei Rowohlt als Buch zu erwerben war. Geendet hat sie nie, ich habe jeden dieser Krimis mehrmals gelesen, immer von mehrjährigen Pausen unterbrochen, aber dann meistens alle hintereinander weg, habe nie genug kriegen können, wie die Naschkatze, die sich schwört, nur einmal mit dem Finger durchs Honigglas zu fahren, und dann, wie in Trance, die Geste so lange wiederholt, bis es leer ist.
Lange sind diese Ausgaben vergriffen, aber da ich nicht der einzige Fan zu sein scheine, macht sich der Unionsverlag jetzt ganz vorsichtig daran, mit zunächst einem der mittleren Romane, "Die Klaue des Drachens", zu testen, ob nicht der Moment für ein Modesty-Blaise-Revival in Deutschland gekommen sei. Möge das doch der Fall sein, und sei es nur, damit ich endlich einmal kompetente Gesprächspartner für meine Schwärmerei finde!
Genug aber vorerst derselben, es ist höchste Zeit, mit ein paar Fakten herauszurücken und dem geneigten, aber nicht initiierten Leser in kurzen Worten zu erklären, wer Modesty Blaise eigentlich ist und was es mit den Büchern um sie auf sich hat. Modesty Blaise war ursprünglich ein Zeitungsstrip, der das Licht der Welt im Jahre 1963 im Londoner "Evening Standard" erblickte und dort fast vierzig Jahre lang, mit wechselnden Zeichnern, ein erfolgreiches Leben führte. So erfolgreich, daß sein Schöpfer Peter O'Donnell zwei Jahre später den ersten von schließlich elf Romanen um seine atemberaubend attraktive und fähige Heldin veröffentlichte. Ich gestehe, ich habe mich, obwohl Comicliebhaber, für den Strip ebensowenig interessiert wie für die Verfilmung aus den sechziger Jahren, bei der immerhin Joseph Losey Regie führte und die mit Monica Vitti in der Titelrolle, Terence Stamp und Dirk Bogarde hervorragend besetzt war. Doch krankte der Film daran, seinen Stoff nicht ernst zu nehmen und zu glauben, hier könne nur mit Satire und Parodie gearbeitet werden, wohingegen ich die Comics nicht anschauen wollte, um mir kein Bild zu machen. Oder besser, um keine Bilder vorgesetzt zu bekommen von den Helden und Schurken dieser Reihe, sondern sie mit all der vagen Konkretheit meiner eigenen Phantasie beleben zu können.
Die Frau als Pygmalion
Modestys Vergangenheit liegt im dunkeln. Wir wissen nur, daß sie, ein kleines Mädchen im Krieg, vor dem Vormarsch der Deutschen flüchtete, vielleicht aus Ungarn über den Balkan bis auf die arabische Halbinsel, daß sie sich alleine durchschlagen mußte, vergewaltigt wurde, ihren Peiniger umbrachte, in einem Lager für "displaced persons" einen ungarischen Professor kennenlernte, der sie erzog, wofür sie ihm auf ihren Wegen vom Kaukasus bis nach Tanger überleben half. Siebzehnjährig in Marokko angekommen, übernimmt sie eine kleine Bande, baut sie aus, leitet sie erfolgreich, ohne je mit unmoralischen Verbrechen (Drogen, Mädchenhandel) Geschäfte zu machen, wird zur Multimillionärin, löst "Das Netz" auf und zieht sich, noch keine Dreißig, nach England ins Privatleben zurück. Aber trotz ihrer Fähigkeit (und ihrer finanziellen Mittel), jeden Moment des Alltags zu genießen, ist so ein Pensionärsdasein für eine aktive junge Frau auf die Dauer nicht das rechte. Und so läßt sie sich, manchmal freiwillig, manchmal nicht so ganz, auf neue Abenteuer und neue Nervenkitzel ein, um das Leben weiterhin bis zur Neige, bis zur Todesgefahr auskosten zu können. Von diesen Konfrontationen mit Verbrecherbanden jeglicher Couleur erzählen die Romane.
Viel zu lange schon spreche ich von Modesty Blaise, ohne Willie Garvin zu erwähnen, und das ist, als redete ich von Eva und verschwiege Adam. Am besten illustriere ich Willie Garvins Bedeutung mit einem Zitat . . . Vierundzwanzig Stunden später. Ich habe einen der Romane aufgeschlagen, auf der Suche nach diesem Zitat, und mich festgelesen, bis ich das Buch durchhatte. So geht es immer! Ich bitte also, neu ansetzen zu dürfen: Willie Garvin, Ex-Legionär, Ex-Sträfling, weltbester Messerwerfer, der den Psalter auswendig kann, unter anderem Spezialist im Igelbraten, Perlentauchen, Drachenfliegen und Edelsteinschleifen, den sie in ihre Bande aufnahm und zu einem neuen Menschen formte, dem einzigen, der ihr in allem ebenbürtig ist, wird auf den Umschlagseiten der Bücher gerne als "ihr treuer Weggefährte" bezeichnet, im Original "her sidekick" oder gar "ihr Rammbock". Letzteres ist nicht falsch zu verstehen, die Beziehung der beiden ist seit jeher und auf harmonischste Weise platonisch, aber Willie ist viel mehr als das. Er ist im Grunde Modestys Bruder, Vater und einziger Geliebter, und wenn sie sein Pygmalion ist, dann ist er ihre Seele, vielleicht sogar die Seele der ganzen Reihe.
Daß die beiden Kampfsportler von höchsten Graden sind, versteht sich ja in einer Krimi- und Thrillerreihe von selbst, auch, daß diese Talente ausgenutzt werden wollen. So mußte O'Donnell eine phantastische Galerie von Gegnern erfinden, deren Fähigkeiten die unserer Helden womöglich noch übertreffen, um in jedem Roman unvergeßliche Zweikämpfe plazieren zu können. Ich denke natürlich an Willies homerische Auseinandersetzung mit Simon Delicata ("Man sagt, ein Gorilla sei fünfzehnmal so stark wie ein Mann, ich würde Delicata auf halber Strecke zwischen beiden einordnen") in der Sahara oder an seinen heroischen Fight mit den "Polnischen Zwillingen" samt Verbaggerung der Leichen in den Londoner Docklands, oder natürlich an Modestys, mit Hilfe eines Flaschenzugs zum guten Ende gebrachtes Duell mit dem Hermaphroditen Mrs. Fothergill oder ihre, in einer südfranzösischen Höhle von Sir Gerald Tarrant, dem Chef des englischen Geheimdienstes, beobachtete Schlacht mit der tödlichen Kampfmaschine Sexton, in die sie ("Wollen Sie mich verführen, Miß Blaise?") völlig nackt und vom Kopf bis zu den Zehen eingecremt mit Wagenschmiere geht. Dieser nackte glänzende Körper hat durchaus noch einen anderen Sinn, als den Leser zu betören, und mehr als alle ihre Kampffähigkeiten ist es denn auch ihre Intelligenz, die den beiden hilft, zu siegen und zu überleben. Die Intelligenz, die sie zur Unorthodoxie befähigt, wann immer es anders nicht geht, was man am besten an dem mörderischen Fechtkünstler Wenczel illustrieren kann, gegen den Modesty, den Degen in der Hand, anzutreten hat. Er sei vielleicht der größte Meister seines Fachs auf der Welt, warnt Willie sie. Ja, bekommt er zur Antwort, aber denk doch mal, was für Grenzen ihm das setzt.
Ebensowenig wie die Bösewichte in diesen Romanen größenwahnsinnige Welteroberer à la Blofeld sind, sondern Verbrecher, die es in erster Linie aufs Geld abgesehen haben und dabei über Leichen gehen, ebensowenig ist Modesty Blaise je ein weiblicher James Bond gewesen. Auch hat sie nie gegen die Russen oder die gelbe Gefahr gekämpft, sondern eigentlich immer nur für ihre Freunde. Wohl aber kann man sagen, daß diese Selfmade-Frau, den Männern in allen Bereichen überlegen, in den sechziger Jahren ihrer Pallas-Athene-Geburt aus O'Donnells Kopf das Zeug zu einer Ikone der Emanzipation gehabt hätte, zu der sie es zumindest hierzulande aber nie brachte. Vielleicht, weil sie aus ihrer ironischen Zuneigung für das realiter schwächere Geschlecht ebensowenig ein Hehl machte wie aus ihrer spezifisch weiblichen Lust am Schönsein und schönen Dingen. Daß Modesty, wenn die Leichen der Gegner auf der Walstatt liegen, sich kurz an Willies Schulter ausweinen muß, um ihren Gefühlshaushalt ins reine zu bringen, wurde ihr dann von teutonischen Emanzen gewiß auch als Inkonsequenz ausgelegt. Die Zielgruppe dieser Romane ist eher in den letzten Reservaten eines romantischen Machotums zu suchen, das längst Abschied vom Glauben genommen hat, den Frauen das Wasser reichen zu können, aber sich ihnen gegenüber trotzdem gerne noch so ritterlich und galant zeigt wie in den guten alten Zeiten.
Der Leser als Süchtiger
Die Romane um Modesty Blaise sind, gestehen wir das ruhig und besten Gewissens, zutiefst moralische Geschichten. Für heutige Verhältnisse politisch unkorrekt insofern, als sie dem Bösen nicht mit heimlicher Faszination gegenüberstehen und das Gute im Grunde für langweilig erachten. Nein, Modesty und Willie haben eine ebenso nüchterne wie alttestamentarische Moral und lassen für den Verbrecher keine mildernden Umstände gelten. "Paxero müßte verrückt sein, um solche Dinge tun zu können . . . Nein, nicht verrückt, nur vollkommen ruchlos."
Von Berufs wegen gezwungen, immer genau zu verstehen, warum etwas mich fasziniert, grüble ich nun schon seit Tagen, was ich eigentlich so liebe an diesen Büchern. Gewiß ist O'Donnell ein unübertroffener Meister des "Wie sollen sie hier um Himmels willen wieder rauskommen?", seine Plots halten einen in Atem, seine Dialoge haben Witz, die Nebenfiguren sind lebendig und glaubwürdig. Aber all das gibt es auch anderswo. Ich glaube, das Besondere ist eine Art Pippi-Langstrumpf-Syndrom. Modesty und Willy sind Leute, die man gerne zu Freunden hätte. Nicht, weil sie ein Pferd hochstemmen können, sondern weil sie zu leben wissen, weil ihre Tage erfüllt sind, weil sie frei sind und ihre Freiheit sinnvoll nutzen, weil sie alle die Dinge beherrschen, die man wirklich brauchen kann im Leben, weil es mit ihnen nie langweilig wird, höchstens einmal lebensgefährlich, weil sie in jeder Lebenslage für ihre Freunde da sind, weil ihre Beziehung die Quadratur des Geschlechterkampf-Kreises ist und weil sie in ihrer moralischen Integrität unsere eigenen besseren Eigenschaften stärken. Und schließlich stehen einige gute Überlebenstips in diesen Büchern: Ähnlich wie Frank Schätzings Roman "Der Schwarm" manche seiner Leser vor dem Tsunami gerettet hat, rechne ich mir dank der Lektüre der Modesty-Blaise-Bücher gute Chancen aus, im Falle eines Falles in der Wüste überleben zu können, vorausgesetzt, ich habe, wie Willie Garvin, eine Keksdose und eine Plastikfolie zur Hand.
Mit "Modesty Blaise - Die Klaue des Drachens" (272 Seiten, 9,90 Euro) beginnt der Unionsverlag Zürich die Neuausgabe von Peter O'Donnells Romanen in überarbeiteten Übersetzungen. Von Michael Kleeberg erschien zuletzt das Reisetagebuch "Das Tier, das weint" (DVA).
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Endlich! Die Modesty-Blaise-Romane kommen wieder / Von Michael Kleeberg
In die Wonnen der Trivialität einzutauchen, indem ich mich mit Modesty Blaise beschäftige? Halb neidvoll, halb abfällig wurde mir das prophezeit, aber offengestanden weiß ich nicht, was damit gemeint sein soll. Ich habe Bücher immer nur in gut oder schlecht geschriebene unterteilt, und Trivialität ist für mich einfach ein Synonym für lausiges Handwerk: Fadenscheinig gestrickte Plots, uninteressante und unglaubwürdige Personen, schales Gefühl vertaner Zeit nach der Lektüre.
Aber doch nicht bei Modesty Blaise! Oh, Modesty Blaise, ach Modesty Blaise! Dein Name, anhebend mit einem genießerischen Summton, als rieche man feinste Bitterschokolade oder alten Cognac oder die Haut der Geliebten, dann öffnet die Kehle sich zu einem Knurren, die Zunge kappt schnippisch den Genuß, worauf ein kurzer, warnender Schlag mit der Peitsche verhindert, daß man sich Schwachheiten einbildet. Und die Vokale deines Nachnamens (sie hat sich ihn ja selbst gegeben, Flüchtlingskind ohne Erinnerung an ihre Herkunft, das sie war), je nach Gusto blasiert französisch aussprechbar, in die Länge gezogen wie ein lustvolles Stöhnen, oder genießerisch zähnefletschend auf englisch: Please Blaise me.
Nein, das Wort Trivialität ist hier vollkommen fehl am Platze. Besser paßt der schöne Ausdruck "craftsmanship". Gediegenstes, solides, brillantes Handwerk. Wenn letztlich, wie Thomas Mann einmal sagte, alles davon abhängt, ob ein Buch "wahre Lesehingabe erzwingen" kann, dann sind die Abenteuer der ehemaligen Gangsterin, Gentleman-Agentin und modernen Amazone eine Sucht, wie ich sie in all den Jahren eigentlich nur bei zwei anderen Reihen um ein und denselben Helden genießen durfte, nämlich bei Dumas' Romanen über den Musketier d'Artagnan und bei der Initiationsgeschichte des englischen Zauberlehrlings Harry Potter.
Es ist ja eines der großen Geheimnisse der Literatur, daß es viele Wege zum Herzen des Lesers gibt, daß große Kunst sie nicht immer findet und manch einer, der nur Unterhaltung schenken will, viel mehr erreicht. Man muß die Romanwelt glauben können, die sich da auftut, und wenn die ersten Zeilen eines Buches mich dazu bringen, es ernst zu nehmen, dann gehe ich bereitwillig mit auf die Reise. Läßt der Autor durchblicken, er meine es gar nicht so, und erlaubt sich irgendwelchen Unsinn, dann platzt die Blase der Illusion und der Glaubwürdigkeit, und man kann das Buch wegwerfen.
Die Lady als Kampfsportlerin
Begonnen hat diese Liebe im Sommerurlaub 1970, wo ich als Elfjähriger am Strand den Vorabdruck von "A taste for death" verschlang, der, mit poppigen Zeichnungen illustriert, Woche für Woche im "Stern" erschien, bevor er dann, wie die übrigen Romane, zunächst bei Zsolnay, später bei Rowohlt als Buch zu erwerben war. Geendet hat sie nie, ich habe jeden dieser Krimis mehrmals gelesen, immer von mehrjährigen Pausen unterbrochen, aber dann meistens alle hintereinander weg, habe nie genug kriegen können, wie die Naschkatze, die sich schwört, nur einmal mit dem Finger durchs Honigglas zu fahren, und dann, wie in Trance, die Geste so lange wiederholt, bis es leer ist.
Lange sind diese Ausgaben vergriffen, aber da ich nicht der einzige Fan zu sein scheine, macht sich der Unionsverlag jetzt ganz vorsichtig daran, mit zunächst einem der mittleren Romane, "Die Klaue des Drachens", zu testen, ob nicht der Moment für ein Modesty-Blaise-Revival in Deutschland gekommen sei. Möge das doch der Fall sein, und sei es nur, damit ich endlich einmal kompetente Gesprächspartner für meine Schwärmerei finde!
Genug aber vorerst derselben, es ist höchste Zeit, mit ein paar Fakten herauszurücken und dem geneigten, aber nicht initiierten Leser in kurzen Worten zu erklären, wer Modesty Blaise eigentlich ist und was es mit den Büchern um sie auf sich hat. Modesty Blaise war ursprünglich ein Zeitungsstrip, der das Licht der Welt im Jahre 1963 im Londoner "Evening Standard" erblickte und dort fast vierzig Jahre lang, mit wechselnden Zeichnern, ein erfolgreiches Leben führte. So erfolgreich, daß sein Schöpfer Peter O'Donnell zwei Jahre später den ersten von schließlich elf Romanen um seine atemberaubend attraktive und fähige Heldin veröffentlichte. Ich gestehe, ich habe mich, obwohl Comicliebhaber, für den Strip ebensowenig interessiert wie für die Verfilmung aus den sechziger Jahren, bei der immerhin Joseph Losey Regie führte und die mit Monica Vitti in der Titelrolle, Terence Stamp und Dirk Bogarde hervorragend besetzt war. Doch krankte der Film daran, seinen Stoff nicht ernst zu nehmen und zu glauben, hier könne nur mit Satire und Parodie gearbeitet werden, wohingegen ich die Comics nicht anschauen wollte, um mir kein Bild zu machen. Oder besser, um keine Bilder vorgesetzt zu bekommen von den Helden und Schurken dieser Reihe, sondern sie mit all der vagen Konkretheit meiner eigenen Phantasie beleben zu können.
Die Frau als Pygmalion
Modestys Vergangenheit liegt im dunkeln. Wir wissen nur, daß sie, ein kleines Mädchen im Krieg, vor dem Vormarsch der Deutschen flüchtete, vielleicht aus Ungarn über den Balkan bis auf die arabische Halbinsel, daß sie sich alleine durchschlagen mußte, vergewaltigt wurde, ihren Peiniger umbrachte, in einem Lager für "displaced persons" einen ungarischen Professor kennenlernte, der sie erzog, wofür sie ihm auf ihren Wegen vom Kaukasus bis nach Tanger überleben half. Siebzehnjährig in Marokko angekommen, übernimmt sie eine kleine Bande, baut sie aus, leitet sie erfolgreich, ohne je mit unmoralischen Verbrechen (Drogen, Mädchenhandel) Geschäfte zu machen, wird zur Multimillionärin, löst "Das Netz" auf und zieht sich, noch keine Dreißig, nach England ins Privatleben zurück. Aber trotz ihrer Fähigkeit (und ihrer finanziellen Mittel), jeden Moment des Alltags zu genießen, ist so ein Pensionärsdasein für eine aktive junge Frau auf die Dauer nicht das rechte. Und so läßt sie sich, manchmal freiwillig, manchmal nicht so ganz, auf neue Abenteuer und neue Nervenkitzel ein, um das Leben weiterhin bis zur Neige, bis zur Todesgefahr auskosten zu können. Von diesen Konfrontationen mit Verbrecherbanden jeglicher Couleur erzählen die Romane.
Viel zu lange schon spreche ich von Modesty Blaise, ohne Willie Garvin zu erwähnen, und das ist, als redete ich von Eva und verschwiege Adam. Am besten illustriere ich Willie Garvins Bedeutung mit einem Zitat . . . Vierundzwanzig Stunden später. Ich habe einen der Romane aufgeschlagen, auf der Suche nach diesem Zitat, und mich festgelesen, bis ich das Buch durchhatte. So geht es immer! Ich bitte also, neu ansetzen zu dürfen: Willie Garvin, Ex-Legionär, Ex-Sträfling, weltbester Messerwerfer, der den Psalter auswendig kann, unter anderem Spezialist im Igelbraten, Perlentauchen, Drachenfliegen und Edelsteinschleifen, den sie in ihre Bande aufnahm und zu einem neuen Menschen formte, dem einzigen, der ihr in allem ebenbürtig ist, wird auf den Umschlagseiten der Bücher gerne als "ihr treuer Weggefährte" bezeichnet, im Original "her sidekick" oder gar "ihr Rammbock". Letzteres ist nicht falsch zu verstehen, die Beziehung der beiden ist seit jeher und auf harmonischste Weise platonisch, aber Willie ist viel mehr als das. Er ist im Grunde Modestys Bruder, Vater und einziger Geliebter, und wenn sie sein Pygmalion ist, dann ist er ihre Seele, vielleicht sogar die Seele der ganzen Reihe.
Daß die beiden Kampfsportler von höchsten Graden sind, versteht sich ja in einer Krimi- und Thrillerreihe von selbst, auch, daß diese Talente ausgenutzt werden wollen. So mußte O'Donnell eine phantastische Galerie von Gegnern erfinden, deren Fähigkeiten die unserer Helden womöglich noch übertreffen, um in jedem Roman unvergeßliche Zweikämpfe plazieren zu können. Ich denke natürlich an Willies homerische Auseinandersetzung mit Simon Delicata ("Man sagt, ein Gorilla sei fünfzehnmal so stark wie ein Mann, ich würde Delicata auf halber Strecke zwischen beiden einordnen") in der Sahara oder an seinen heroischen Fight mit den "Polnischen Zwillingen" samt Verbaggerung der Leichen in den Londoner Docklands, oder natürlich an Modestys, mit Hilfe eines Flaschenzugs zum guten Ende gebrachtes Duell mit dem Hermaphroditen Mrs. Fothergill oder ihre, in einer südfranzösischen Höhle von Sir Gerald Tarrant, dem Chef des englischen Geheimdienstes, beobachtete Schlacht mit der tödlichen Kampfmaschine Sexton, in die sie ("Wollen Sie mich verführen, Miß Blaise?") völlig nackt und vom Kopf bis zu den Zehen eingecremt mit Wagenschmiere geht. Dieser nackte glänzende Körper hat durchaus noch einen anderen Sinn, als den Leser zu betören, und mehr als alle ihre Kampffähigkeiten ist es denn auch ihre Intelligenz, die den beiden hilft, zu siegen und zu überleben. Die Intelligenz, die sie zur Unorthodoxie befähigt, wann immer es anders nicht geht, was man am besten an dem mörderischen Fechtkünstler Wenczel illustrieren kann, gegen den Modesty, den Degen in der Hand, anzutreten hat. Er sei vielleicht der größte Meister seines Fachs auf der Welt, warnt Willie sie. Ja, bekommt er zur Antwort, aber denk doch mal, was für Grenzen ihm das setzt.
Ebensowenig wie die Bösewichte in diesen Romanen größenwahnsinnige Welteroberer à la Blofeld sind, sondern Verbrecher, die es in erster Linie aufs Geld abgesehen haben und dabei über Leichen gehen, ebensowenig ist Modesty Blaise je ein weiblicher James Bond gewesen. Auch hat sie nie gegen die Russen oder die gelbe Gefahr gekämpft, sondern eigentlich immer nur für ihre Freunde. Wohl aber kann man sagen, daß diese Selfmade-Frau, den Männern in allen Bereichen überlegen, in den sechziger Jahren ihrer Pallas-Athene-Geburt aus O'Donnells Kopf das Zeug zu einer Ikone der Emanzipation gehabt hätte, zu der sie es zumindest hierzulande aber nie brachte. Vielleicht, weil sie aus ihrer ironischen Zuneigung für das realiter schwächere Geschlecht ebensowenig ein Hehl machte wie aus ihrer spezifisch weiblichen Lust am Schönsein und schönen Dingen. Daß Modesty, wenn die Leichen der Gegner auf der Walstatt liegen, sich kurz an Willies Schulter ausweinen muß, um ihren Gefühlshaushalt ins reine zu bringen, wurde ihr dann von teutonischen Emanzen gewiß auch als Inkonsequenz ausgelegt. Die Zielgruppe dieser Romane ist eher in den letzten Reservaten eines romantischen Machotums zu suchen, das längst Abschied vom Glauben genommen hat, den Frauen das Wasser reichen zu können, aber sich ihnen gegenüber trotzdem gerne noch so ritterlich und galant zeigt wie in den guten alten Zeiten.
Der Leser als Süchtiger
Die Romane um Modesty Blaise sind, gestehen wir das ruhig und besten Gewissens, zutiefst moralische Geschichten. Für heutige Verhältnisse politisch unkorrekt insofern, als sie dem Bösen nicht mit heimlicher Faszination gegenüberstehen und das Gute im Grunde für langweilig erachten. Nein, Modesty und Willie haben eine ebenso nüchterne wie alttestamentarische Moral und lassen für den Verbrecher keine mildernden Umstände gelten. "Paxero müßte verrückt sein, um solche Dinge tun zu können . . . Nein, nicht verrückt, nur vollkommen ruchlos."
Von Berufs wegen gezwungen, immer genau zu verstehen, warum etwas mich fasziniert, grüble ich nun schon seit Tagen, was ich eigentlich so liebe an diesen Büchern. Gewiß ist O'Donnell ein unübertroffener Meister des "Wie sollen sie hier um Himmels willen wieder rauskommen?", seine Plots halten einen in Atem, seine Dialoge haben Witz, die Nebenfiguren sind lebendig und glaubwürdig. Aber all das gibt es auch anderswo. Ich glaube, das Besondere ist eine Art Pippi-Langstrumpf-Syndrom. Modesty und Willy sind Leute, die man gerne zu Freunden hätte. Nicht, weil sie ein Pferd hochstemmen können, sondern weil sie zu leben wissen, weil ihre Tage erfüllt sind, weil sie frei sind und ihre Freiheit sinnvoll nutzen, weil sie alle die Dinge beherrschen, die man wirklich brauchen kann im Leben, weil es mit ihnen nie langweilig wird, höchstens einmal lebensgefährlich, weil sie in jeder Lebenslage für ihre Freunde da sind, weil ihre Beziehung die Quadratur des Geschlechterkampf-Kreises ist und weil sie in ihrer moralischen Integrität unsere eigenen besseren Eigenschaften stärken. Und schließlich stehen einige gute Überlebenstips in diesen Büchern: Ähnlich wie Frank Schätzings Roman "Der Schwarm" manche seiner Leser vor dem Tsunami gerettet hat, rechne ich mir dank der Lektüre der Modesty-Blaise-Bücher gute Chancen aus, im Falle eines Falles in der Wüste überleben zu können, vorausgesetzt, ich habe, wie Willie Garvin, eine Keksdose und eine Plastikfolie zur Hand.
Mit "Modesty Blaise - Die Klaue des Drachens" (272 Seiten, 9,90 Euro) beginnt der Unionsverlag Zürich die Neuausgabe von Peter O'Donnells Romanen in überarbeiteten Übersetzungen. Von Michael Kleeberg erschien zuletzt das Reisetagebuch "Das Tier, das weint" (DVA).
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
"Kult, purer Kult" seien die zwischen 1963 und 2001 als Comic erschienenen Heldentaten von Modesty Blaise, die außerdem zu elf Romanen angeregt haben, informiert uns Tobias Gohlis. Nun freut er sich maßlos über deren Neuausgabe durch den Zürcher Unionsverlag, habe die schlagkräftige und -fertige, Schurken besiegende und danch ihre Liebhaber bekochende "stahlzarte" Heldin doch "quasi polare Bedeutung" für die Entwicklung seiner "Jungmännerträume" gehabt, wie der Rezensent zugibt. Modesty setzt ihre Fähigkeiten im ersten Band der neuen Edition gegen einen irren Priester ein, ist zu erfahren, aber der Plot scheint angesichts der Verzückung des Rezensenten über die Protagonistin nebensächlich zu sein. Gohlis verwendet lieber noch ein paar Zeilen seines knapp bemessenen Platzes, um Ex-Gesundheitsministerin Andrea Fischer zu zitieren, die Modesty Blaise zur Postfeministin avant la lettre bestellt sieht.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH