Klaus Bittermann hat ein Faible für Randfiguren. Sehr trocken und nicht ohne Witz beschreibt er kleine Alltagsszenarien aus seinem Viertel, in dem Touristen, Vandalen, Zopfträger, Alteingesessene, Eigenbrötler, Backfische, Rucksack- und Fahrradhelmträger wild durcheinanderlaufen, und das auch noch völlig ohne Plan.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.11.201111. Letzter Hort des Widerstands
Ehrlich gesagt ist der Titel das Beste: "Möbel zu Hause, aber kein Geld für Alkohol" - darin steckt so viel schlecht gelauntes, aufrichtig empörtes Unverständnis gegenüber Leuten, denen Lifestyle über Haltlosigkeit, ein gepflegtes Ambiente über gepflegtes Trinkertum geht, dass man es ganz einfach auch "Humanität" nennen könnte, vielleicht sogar in dem Sinne, den aber Klaus Bittermann kaum gemeint haben dürfte, dass, wer sich verliert, sich bewahren wird, wer sich aber zu bewahren trachtet, sich verlieren wird oder so. Und Bittermann ist sogar so ehrlich und gibt gleich auf der zweiten Seite zu, dass die Idee dazu nicht von ihm stammt, sondern von einem Mitglied der RAF - der "Rest-Alkohol-Fraktion", jenem letzten Hort des Widerstands in Berlin-Kreuzberg, wo Bittermann seine Runden dreht und aufschreibt, was ihm auffällt. Es ist eine Menge, aber nicht alles ist mitteilenswert, und vor allem hat nicht jede dieser ein- bis dreiseitigen, alltäglichen Episoden eine Pointe. Genau genommen hat nicht eine einzige eine; es muss sich dabei wohl um ein Stilprinzip handeln: Der Flaneur beendet, den Kragen seines schmuddeligen Mantels hochschlagend, eine Zigarette anzündend oder verächtlich wegwerfend, seine Durchsage an den Leser in dem Bewusstsein, dass das Leben selbst ja auch keine Pointen hat.
Sobald man sich daran gewöhnt hat, beginnt auch dieses Tiamat-Buch Freude zu machen. Im Prinzip funktioniert es wie die Sendung "Dittsche", nur dass Bittermann frei herumläuft und nicht nur auf einen Imbissbudenbesitzer und -besucher einredet. Wenn es auch nicht mehr originell ist, sich unbedingt von den sich für was Besseres haltenden Kreisen abheben zu wollen, die Berlin in den vergangenen zwanzig Jahren umgekrempelt haben, so ist diese spezielle, vorsätzlich anmutende Heruntergekommenheit, die Bittermann ausstellt, diese Instinktsicherheit, mit der er die schäbigsten Lokale anläuft, ausgesprochen herzerwärmend. Sicherlich gibt es aufregendere Bücher in der Edition; aber wenn einer das Recht hat, den Ball auch mal flach zu halten, dann ist es ja wohl deren Verleger.
Edo Reents
Klaus Bittermann: "Möbel zu Hause, aber kein Geld für Alkohol. Kreuzberger Szenen". Edition Tiamat, 192 Seiten, 14 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ehrlich gesagt ist der Titel das Beste: "Möbel zu Hause, aber kein Geld für Alkohol" - darin steckt so viel schlecht gelauntes, aufrichtig empörtes Unverständnis gegenüber Leuten, denen Lifestyle über Haltlosigkeit, ein gepflegtes Ambiente über gepflegtes Trinkertum geht, dass man es ganz einfach auch "Humanität" nennen könnte, vielleicht sogar in dem Sinne, den aber Klaus Bittermann kaum gemeint haben dürfte, dass, wer sich verliert, sich bewahren wird, wer sich aber zu bewahren trachtet, sich verlieren wird oder so. Und Bittermann ist sogar so ehrlich und gibt gleich auf der zweiten Seite zu, dass die Idee dazu nicht von ihm stammt, sondern von einem Mitglied der RAF - der "Rest-Alkohol-Fraktion", jenem letzten Hort des Widerstands in Berlin-Kreuzberg, wo Bittermann seine Runden dreht und aufschreibt, was ihm auffällt. Es ist eine Menge, aber nicht alles ist mitteilenswert, und vor allem hat nicht jede dieser ein- bis dreiseitigen, alltäglichen Episoden eine Pointe. Genau genommen hat nicht eine einzige eine; es muss sich dabei wohl um ein Stilprinzip handeln: Der Flaneur beendet, den Kragen seines schmuddeligen Mantels hochschlagend, eine Zigarette anzündend oder verächtlich wegwerfend, seine Durchsage an den Leser in dem Bewusstsein, dass das Leben selbst ja auch keine Pointen hat.
Sobald man sich daran gewöhnt hat, beginnt auch dieses Tiamat-Buch Freude zu machen. Im Prinzip funktioniert es wie die Sendung "Dittsche", nur dass Bittermann frei herumläuft und nicht nur auf einen Imbissbudenbesitzer und -besucher einredet. Wenn es auch nicht mehr originell ist, sich unbedingt von den sich für was Besseres haltenden Kreisen abheben zu wollen, die Berlin in den vergangenen zwanzig Jahren umgekrempelt haben, so ist diese spezielle, vorsätzlich anmutende Heruntergekommenheit, die Bittermann ausstellt, diese Instinktsicherheit, mit der er die schäbigsten Lokale anläuft, ausgesprochen herzerwärmend. Sicherlich gibt es aufregendere Bücher in der Edition; aber wenn einer das Recht hat, den Ball auch mal flach zu halten, dann ist es ja wohl deren Verleger.
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Klaus Bittermann: "Möbel zu Hause, aber kein Geld für Alkohol. Kreuzberger Szenen". Edition Tiamat, 192 Seiten, 14 Euro
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Schön zu lesen, diese kleinen Dinger, freut sich Rezensent Gustav Seibt, so schön wie der Titel. Allerdings haben Klaus Bittermanns Glossen auch archivalischen Wert für ihn. Denn: So wie hier festgehalten, wird Berlin nicht mehr sein, nein, auch Kreuzberg nicht, da macht er sich keine Hoffnungen. Punkschuppen, wie sie Bittermann gern frequentiert, Hertha-Fans - sie müssen der Latte-Fraktion weichen. Das wird auch der stoische Tonfall des Autors nicht hindern. Nur gut, dass Seibt dann noch bei Bittermann nachschlagen kann, wie's einmal war.
© Perlentaucher Medien GmbH
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