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Ein renommierter Journalist verliert durch die Wirtschaftskrise seinen Job. Er hat einen kleinen Sohn. Er muss Geld verdienen. Und strandet als Möbelverkäufer in einem Industriegebiet in der Provinz. In einem der größten Möbelhäuser der Republik. Er trifft auf ehemalige Maurer, Musiker, Hoteldirektoren, Architekturstudenten - alles dabei im Kreis seiner Kollegen. Robert Kisch berichtet mit spitzer Feder von seinem neuen Leben: absurd, beklemmend, entlarvend.

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Produktbeschreibung
Ein renommierter Journalist verliert durch die Wirtschaftskrise seinen Job. Er hat einen kleinen Sohn. Er muss Geld verdienen. Und strandet als Möbelverkäufer in einem Industriegebiet in der Provinz. In einem der größten Möbelhäuser der Republik. Er trifft auf ehemalige Maurer, Musiker, Hoteldirektoren, Architekturstudenten - alles dabei im Kreis seiner Kollegen. Robert Kisch berichtet mit spitzer Feder von seinem neuen Leben: absurd, beklemmend, entlarvend.
Autorenporträt
Robert Kisch ist das Pseudonym eines preisgekrönten deutschen Journalisten in Berlin, einer sogenannten Edelfeder, hochdekoriert mit den wichtigsten deutschen Journalismuspreisen, Stipendien und Auszeichnungen. In der Wirtschaftskrise verlor er seinen Job und arbeitete daraufhin als Verkäufer in einem der großen Möbelhäuser Deutschlands. Nach der Veröffentlichung seines Romans "Möbelhaus" und seiner Freistellung reiste er durch Deutschland auf der Suche nach dem Glück.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 31.01.2015

Kisch wohnt hier nicht mehr
Unter Tarnnamen schreibt ein einst renommierter Journalist über sein neues Leben als Möbelverkäufer
Der Mann, der sich Robert Kisch nennt, hat heute frei. Er sitzt in einem Café im Hauptbahnhof einer Stadt im Ruhrgebiet. Milchkaffee? Gerne. Mittelgroß? Warum nicht? Früher war das für ihn Alltag, heute ist es eine Extravaganz. Der Mann war einmal das, was man eine Edelfeder nennt. Große Reportagen, beachtete Interviews mit Hollywood, renommierte Journalistenpreise. Heute arbeitet er in einem Möbelhaus. Das Geld reicht vorn und hinten nicht. Die Branche will ihn nicht mehr.
  Kann ja gar nicht sein. Es fehlt doch vorne und hinten an guten Texten. Dann hat er es eben nicht genügend versucht.
  Das sind so Sätze, die fallen, wenn jemand von seiner Geschichte erfährt.
  Es ist nicht grundsätzlich so, dass seine alte Branche netter ist zu Verlierern als die neue. Vielleicht interessierter an ihnen, immerhin sind das die besten Storys. Ganz oben, 10 000 Euro im Monat, fettes Meilenkonto, durch die Nacht mit Fernsehstars. Und jetzt, nun ja, ganz unten. In der Polstermöbelabteilung. 1400 Euro im Monat, dazu Provision in ähnlicher Höhe, Unterhalt für Ex-Frau und Kind. Einraumwohnung in der Provinz. Stoff, den man lesen will.
  Unter dem Pseudonym Robert Kisch hat der einstige Journalist über sein zweites Leben geschrieben, das begann, als wieder ein Vertrag endete. Ein neues Magazin sollte erscheinen, angeführt von einem alten Haudegen im Journalismus. Ein Jahr lang arbeitete die Entwicklungsredaktion, bis die Verlagsmanager sich anders entschieden. Storno. Kein Magazin. Kisch bekam die Kündigung, wie so viele Mal zuvor, als krisenbedingt wieder eine Zeitschrift verschwand. Und landete im Möbelhaus. Für den Übergang, klar.
  Der Übergang dauert nun schon drei Jahre. Möbelhaus erscheint am Montag im Droemer-Verlag, und natürlich ist das Pseudonym nicht zufällig gewählt, der Autor will es aber ironisch verstanden wissen. Egon Erwin Kisch war einer der bedeutendsten Reporter im deutschsprachigen Journalismus – und irgendwie bedeutend war der Mann Ende vierzig aus dem Dortmunder Café ja auch. Er arbeitete bei Magazinen, die als edgy galten. Ganz früher bei Tempo , dann bei anderen Magazinen, schrieb über Musik, Design, Geschichte, Schicksale. Bekam unter anderem den Theodor-Wolff-Preis. „Ich habe nie einen Gedanken daran verschwendet, dass man sich irgendwann nicht mehr für mich interessiert“, sagt Kisch heute.
  Einmal war er im Möbelhaus in einem Verkaufsgespräch, als sein altes Leben auf das neue prallte. Ein Ehepaar verstellte ihm den Weg. „Sie haben uns letzte Woche ein Sofa verkauft“, sagt der Mann. Und gestern Nacht habe er ihn im Fernsehen gesehen. „Das ist doch der Verkäufer aus dem Möbelhaus“, habe er zu seiner Frau gesagt.
  Es war eine Wiederholung einer Talkshow, in der Kisch saß, um über die Gesellschaft zu palavern. Seine Chefs wissen, dass er mal Journalist war, es hat sie nicht weiter interessiert, für sie war das ein Hobby wie Briefmarkensammeln.
  Kisch bittet um Anonymität, es ist nicht das Branchengeplapper, das ihn groß schere. Sondern die Angst, dass seine Chefs im Möbelhaus herauskriegen, das er das Buch geschrieben hat. Nicht zu früh jedenfalls. Schon jetzt fürchte er jeden Tag, zum Abteilungsleiter gerufen zu werden. Wenn sich das Buch halbwegs verkauft, will er raus, sagt er. Ein Wrack sei er, alle Verkäufer dort seien komplett fertig. Noch aber brauche er das Geld. Zwei Kollegen wissen vom Buch, einer habe ihn ermutigt, es zu schreiben. „Damit die Leute draußen mal sehen, was hier los ist, das weiß doch keiner.“
   Möbelhaus ist keine Abrechnung mit dem Journalismus. Er sei ihm aber fremd geworden. Kisch beschreibt, wie er zufällig einen alten Magazinkollegen trifft, was selten passiert, er hat alle Kontakte abgebrochen, sein Job ist ihm peinlich. Der eine hat US-Magazine unter dem Arm, der andere kein Geld für ein Zeitungsabo. „Er hat sich diese alberne Nerdbrille zugelegt und ist jetzt ironisch .“ Hätte sich sein Leben nicht geändert, wäre er heute genauso, schreibt er. „Ich wäre mit Ende vierzig ein genauso lächerlicher Popmusikanalytiker.“
  In dem „Tatsachenroman“, wie Kisch ihn nennt, geht es um die schlechten Seiten seines Jobs. Er habe großen Respekt vor Verkäufern, es gebe Menschen, die alles geben würden, um seinen Job machen zu dürfen, auch wisse er, dass ein Gehalt wie seines für viele attraktiv sei. Und sicher gebe es Unternehmen, die nett sind zu ihren Mitarbeitern, aber in den richtig großen Möbelhausketten, da sei Krieg.  
  In Möbelhaus beschreibt Kisch in einem manchmal leichten, meist bedrückenden Ton, wie das so ist im Krieg. Dass die meisten Verkäufer auf Provision arbeiten, bei zu gutem oder zu schlechtem Wetter also nichts verdienten. Urlaub und Pausen würden gestrichen. Manchmal würden extra zu viele Verkäufer beschäftigt, damit sich die Berater wegbeißen. Oft bleibe nur ein Prozent des Verkaufspreises als Provision. Am Ende des Jahres stimmten die Abrechnungen der Geschäftsführer für die Verkäufer nicht, oft fehlten einige hundert Euro. Wer aufmuckt, wird angeschrien oder rausgeworfen, schreibt Kisch. Die Chefs predigten derweil Harmonie, damit die Kunden sich wohl fühlen, um mehr zu kaufen. Zu Verbündeten der Verkäufer würden die gleichwohl nicht, die überwiegende Teil der Kunden verachte die Verkäufer.
  Das sei wohl der größte Unterschied zu seinem alten Leben, sagt Kisch. Als Journalist spreche man auf Augenhöhe mit Menschen. Auch wenn ein Vorstandschef einen hasse, so denke er doch an den Artikel. Kunden im Möbelhaus dächten nur an Rabatte. Geschäftsführer nur an Umsätze.
  Kisch ist nicht der lauteste Verkäufer seiner selbst, was ein Nachteil ist, wenn man als freier Journalist bestehen will. „Als kinderloser Single könnte ich mich mit dem ein oder anderen Artikel über Wasser halten.“ Aber mit Kind, das er möglichst oft sehen will? Wenn man Kisch trifft, sieht man keinen Menschen, der sich leid tut, auch wenn sich das im Buch manchmal so liest. Er gibt keinem die Schuld an seinem Abstieg, „das ist nun einmal passiert“, sagt er.
  In seinem alten Leben war er als Reporter einmal bei einem Auftritt von Hape Kerkeling in einem Möbelhaus. Irre witzig fand er das, als der zwischen den Verkäufern herumsprang. Zum Totlachen.
  In seinem neuen Leben fand vor ein paar Wochen ein Casting von Deutschland sucht den Superstar statt – in seinem Möbelhaus. Prominenz war da zum Pressetermin. Journalisten, die ihre Blöcke vollschrieben. Zum Totlachen.
  Der Mann, der sich Robert Kisch nennt, hat sich die ganze Zeit hinter einer Säule versteckt.
CLAUDIA FROMME
Früher feierte er mit TV-Stars
die Nächte durch, heute steht er
in der Polstermöbelabteilung
Harmonie in der Möbelausstellung. Oder doch Krieg?
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.03.2015

Der Krieg, das Geld, die Gier
Eben noch preisgekrönter Journalist, jetzt schon unsichtbar im Möbelhaus. Robert Kischs meisterhafter Roman über den Abstieg aus unserer Welt

Das ist die Geschichte von einem, der rausgefallen ist aus dem System. Familie, Bürgerlichkeit, Glanz, Feuilleton, Wichtigkeit, Selbstachtung, von vielen bewundert, selbstgewiss, ironisch, frei. Ein Journalist, Reporter, Feuilletonist mit vielen, sogenannten bedeutenden Preisen ausgezeichnet, ein freier Mensch, finanziell ohne Sorgen, im tiefsten Inneren davon überzeugt, dass ihm all das zusteht, der Glanz und die Wichtigkeit und die Bewunderung. Einfach weil er gut ist und klug und geistreich und talentiert. Ihm kann nichts passieren. Er ist phantastisch.

Und dann ist das alles plötzlich weg. Er ist raus. Die anderen sind noch drin. Am Anfang denkt er noch, er kommt da wieder rein, weil er ja grandios ist und diese Preise hat und diese Überlegenheit und diese Kontakte. Aber es ist vorbei. Er ist Möbelverkäufer, er ist geschieden, er ist allein, er wird verachtet, gemieden, er ist rausgefallen aus der Glitzerwelt. Er kann es sich nicht mal mehr leisten, sich noch dafür zu interessieren, abends ist er erschöpft, ausgebrannt. Literatur? Museen? Kunst? Was für ein Luxus, sich damit beschäftigen zu dürfen. Ihm ist es längst egal. Wie anders früher: "Mein Gott, ich bin fürs Feuilleton gestorben."

Der Mann nennt sich Robert Kisch, in Wirklichkeit heißt er anders, früher hat er auch hier, in diesem Feuilleton, einige Geschichten geschrieben. Irgendwann schrieb er keine mehr. Hat er sich nicht mehr bei uns gemeldet? Oder wir nicht mehr bei ihm? Er war dann plötzlich einfach weg, wie so viele, hineingespült, hinausgespült, weiterleben, irgendwo und irgendwie. Jetzt hat er sein Leben aufgeschrieben, sein Scheitern, in einem Buch, das heißt "Möbelhaus" und im Untertitel "Ein Tatsachenroman". Das Buch haut einen um. Vielleicht uns hier besonders, weil es eben auch von uns handelt, von der Feuilletonwelt, der Welt der Festangestellten, der Ironiker, von den Leuten, die sich so sicher wähnen und unbedeutende kleine Bürosorgen so lange besprechen, bis sie riesiggroß erscheinen. Und von der ganzen Welt der Zeitungen und Magazine, die aufgrund des Gratis-Journalismus im Internet seit vielen Jahren in der Krise steckt und dabei nach außen hin Normalität und Kontinuität simuliert, während seit Jahren Entlassungswelle auf Entlassungswelle folgt und freie Autoren von den gezahlten Honoraren längst schon nicht mehr leben können.

Aber Kischs Buch erzählt von viel mehr als von dieser kleinen Welt. Es ist ein Tatsachenbuch aus der Welt des Kapitalismus, es berichtet vom Krieg, der zwischen auf Provisionsbasis arbeitenden Möbelverkäufern herrscht, von den panischen deutschen Alltagsmenschen und Möbelkäufern, die einzig von der Angst beherrscht werden, für ein Möbel zu viel zu bezahlen. Je hochwertiger die Möbel, desto gieriger werden Preise verglichen, desto größer ist die Furcht, zu viel zu bezahlen. Kisch beschreibt ein neurotisches Land, panisch, selbstsüchtig, voller Angst vor dem Absturz, voller Gier und Brutalität und totalem Desinteresse am Mitmenschen. Und dann beschreibt er noch das Ende seiner Ehe, wie seine Frau langsam die Achtung vor ihm verliert, weil er sie vor sich selbst verloren hat. Wie sie nicht mehr sprechen miteinander, weil sie ihn verachtet, auch weil er sich immer noch so wichtig nimmt, mit seinem Alltagskampf. Er, der einst diese großen tollen Gedanken hatte. Jetzt leidet er und bemitleidet sich. Seine Frau macht da nicht mit: "Andere arbeiten auch hart."

Wie ist es so weit gekommen? Da brauchte es nicht viel. Er ist zweimal falsch abgebogen, das reicht schon in diesen Tagen. Eigentlich verdiente er als freier Autor gut genug, wie er fand, doch dann kam sein Sohn auf die Welt, seine Frau sehnte sich nach Sicherheit, er fand das richtig. Er nahm eine feste Stelle bei einem neu gegründeten Magazin an, das wurde nach einem halben Jahr eingestellt. Gut, arbeitslos, kein Problem. "Vertrau mir", sagt er seiner Frau. Nächstes Magazin, nächste Stelle, wieder Hoffnung, Aufbruch, Herrlichkeit. Nach einem weiteren halben Jahr wird auch dieses Heft "vom Markt genommen", wie es heißt. Jetzt wird es schwierig.

Robert Kisch beschreibt in wenigen kurzen Szenen, wie das war, als es schwierig wurde. Zweimal bei gescheiterten Magazinen gewesen, die Kontakte sind lockerer geworden, sein Glanz nicht mehr so glänzend, die Zeitungen haben weniger Geld zur Verfügung, es wird immer mühsamer, überhaupt noch Geschichten zu verkaufen, und wenn er eine verkauft, wird sie bis zur Unkenntlichkeit umgeschrieben. Bald widerspricht er nicht mehr. Er will nicht als schwierig gelten. Bald werden seine Mails nicht mehr beantwortet. Er wird nicht mehr zurückgerufen. Aber er hat einen Sohn, eine Familie, seine Frau arbeitet halbtags, verdient nicht genug. Er muss etwas ändern.

Also Möbelhaus. Es klingt ganz gut. Die ersten drei Monate ein ordentliches Festgehalt plus Provision, danach dann ein minimales Grundgehalt plus Provision. Das Möbelhaus hat einen guten Ruf, Familienunternehmen, hochwertige Möbel, trotzdem billig. Kisch fängt an. Mal was Neues, wie so Käufer mit einem reden, zum Beispiel: "Wow, denke ich, eine neue Erfahrung. Du bist jetzt ganz unten. Du bist Dienstpersonal. Lästig, zudringlich, ein Insekt. Gleichzeitig ertappe ich mich bei der Erkenntnis: Das ist genau der gleiche Tonfall, mit dem du früher selber auf die Menschheit losgegangen bist. Als Arbeitsplatzinhaber. Ironisch, feuilletonistisch, überlegen. Als die Menschen alle noch ihren Platz, ihren gesellschaftlichen Rang innehatten wie in einer indischen Kastenordnung. Und Verkäufer dabei, irgendwie merkwürdig, auf jeden Fall unten angesiedelt waren."

Wir sind dabei, wie er immer tiefer in diesen Strudel hineingerät. Kisch ist dabei Opfer und teilnehmender Beobachter zugleich. In kurzen Szenen beschreibt er ein desaströses Leben nach dem anderen. Die Leben seiner Kollegen, also: seiner Feinde. Denn das wird auf jeder Seite anschaulich und deutlich: Provision heißt Krieg. Auf Provision zu arbeiten bedeutet, dass es keine Solidarität gibt, kein Miteinander, Mitgefühl. Der andere ist der Gegner. Was er verdient, verdiene ich nicht. Kisch beschreibt Abstieg um Abstieg. Wie die Angestellten bald schon nachts nicht mehr schlafen können, wie sie von Kunden behandelt werden, von den Chefs gedemütigt, wie sie Tag für Tag ihr Selbstbewusstsein verlieren, den Mut zu gehen und es anderswo zu versuchen. Jeden Tag im sonnenlosen Möbelhaus, samstags auch. Die Unmöglichkeit, sich krank zu melden. Weil dann das Geld nicht reicht und der Chef misstrauisch wird. Der Verlust der Partner, der Freunde, die totale Erschöpfung.

Die einzigen Angestellten, die auf diesem Kriegsschauplatz ihre Würde und so etwas wie Lebensfreude bewahren, sind die Deutschtürken, die hier arbeiten. Weil sie untereinander solidarisch sind. Weil ihre Familienstrukturen belastbarer und stabiler sind als die der Deutschen, weil sie einen beständigen Freundeskreis haben und das Talent zu kleinen Fluchten.

Sonst arbeiten hier nur Leichen, die den ganzen Tag lächeln müssen, unterwürfig sein, empfehlen, lügen, sich klein machen. Das Möbelhaus ist ein Modell unserer Zeit: "Der Kapitalismus frisst sich von innen heraus auf wie ein Tumor, die Leute brechen zusammen. Und die Kunden genauso mit ihrer Kaufsucht." Kaufsucht, Billigsucht, Freudlosigkeit. Die Käufer, also wir, das sind die Schlimmsten. Betrachten die Verkäufer nicht als Menschen, haben permanent Angst, betrogen zu werden. Lassen sich stundenlang beraten und kaufen dann im Internet. Kommen mit Preisvergleichslisten an, drücken Preise, wie sie können, nörgeln, reklamieren. Sind nie, nie, nie zufrieden. Wenn man einen Deutschen heute tödlich beleidigen wolle, müsse man ihm sagen, ihm nur sagen, dass er für irgendwas zu viel Geld bezahlt habe. Davon erholt der sich nie. Und das gekaufte Produkt, das Möbel, ist für ihn für immer mit dem Makel des "Übers-Ohr-gehauen-Werdens" verbunden. Die Einzigen, die noch wissen, dass Einkaufen Spaß machen kann, sind, so Kisch, Osteuropäer, die frisch in Deutschland angekommen sind. Für die sei Kaufen noch ein Fest. Was kostet das? Gut. Gerne. Wird bezahlt. Was für ein herrliches Möbel habe ich dafür bekommen! Konsum als Glück. Dankbarkeit. Das kennt sonst keiner mehr, so Kisch in seinem Tatsachenroman.

Womit wir kurz beim Pseudonym wären: "Kisch schreibt Wirklichkeit von sensationellem Rang", hat Joseph Roth einmal geschrieben. Da hat er einen anderen Kisch gemeint, Egon Erwin, den rasenden Reporter. Aber es trifft auch diesen hier, den von heute, der sich den Namen nur geliehen hat und sich mit Vornamen Robert nennt. Wirklichkeit von sensationellem Rang. Heißt: Wir wissen das alles. Wir sehen das alles. Wir sind mittendrin, aber manchmal braucht es ein Buch, um klar zu sehen. Den Tumor. Die Unausweichlichkeit. Die Angst und Einsamkeit. Unsere Zeit.

Ja, der große Kisch ist sicher ein Vorbild für ihn, ein Vorläufer, aber auch Kracauers Buch über "die Angestellten", Wallraffs Reportage "Ganz unten". Nur dass unser Mann hier nicht vom Schreibtisch recherchierte und sich auch keinen Schnurrbart ankleben musste für seine Erlebnisse. Sondern eben mittendrin steckte und wahrscheinlich auch heute noch mittendrin steckt in diesem Sumpf. Und wenn Sie jetzt, Leserin, Leser, auch denken, so wie seine Frau: "Junge. Steh auf! Jammer nicht! Mach was! Du bist Ende vierzig. Es liegt noch so viel vor dir." Dann lesen Sie sein Buch. Und Sie verstehen, wie schnell eine Lage unausweichlich wird. Wie schnell die Falle zuschnappen kann, wie rasend der Abstieg geht, wenn die Ebene, auf der man gerade noch fest stand, plötzlich schief wird und alles ins Rutschen gerät.

Was ist die Lösung? Revolution? Wie denn, mit diesen blassen, erschöpften Leichen. Das ganze System fußt ja auf der Auspressung der Niedriglöhner, der Provisionskrieger. Kisch weiß das genau. Er hasst und verachtet das System, das ihn ausgespuckt hat und das er so meisterhaft, so kühl und emphatisch zugleich beschreibt. Und von dem er weiß, dass es sich nicht ändern wird. Er kennt die Menschen. Er kennt sich selbst: "Ja. Das ist das Schlimme. Ich will das System wahrscheinlich gar nicht ändern. Ich will nur selber noch gerade durchrutschen. Ich will nur wieder einen richtigen Job - und dann für den Rest meines Lebens die Klappe halten."

VOLKER WEIDERMANN

Robert Kisch: "Möbelhaus. Ein Tatsachenroman". Droemer-Verlag, 315 Seiten, 12,99 Euro

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Peter Unfried ist schwer beeindruckt von diesem Buch. Was der Ex-Journalist und nunmehrige Möbelverkäufer Robert Kisch hier aufschreibt, ist für Unfried Wirklichkeit, unironisch, unangenehm und wahr. Mit Kisch begegnet der Rezensent dem Zirkel aus Antisolidarität, Ignoranz und Verachtung in der Branche, erfährt, was es heißt, nicht gekündigt, aber gemobbt zu werden und was das Risiko des Einzelnen im Dienstleitungsgewerbe und moderne Sklavenarbeit ist. Die Ausbeutung, die kulturelle Verwahrlosung bringt der Autor für ihn in einer einfachen Geschichte auf den Punkt, nicht extravagant literarisch oder undercover, sondern aus Sicht des Verkäufers, eines Menschen im Abstieg.

© Perlentaucher Medien GmbH
"Seine Bücher sind Krimis und Thriller, die zu den besten zählen, was das Genre zu bieten hat. (...) Wínslows neuester Roman erzählt von den Greueltaten der Gier. (....) Sein Buch ist ein Thriller, aber es lässt sich auch lesen als Reoportage eines entgleisten Kontinents."" Focus 20150530