In einer Castingshow im Fernsehen konkurrieren zehn Kandidaten um den Titel des SchreibStars. Eine bekannte Schriftstellerin sitzt in der Jury - und im Licht der Öffentlichkeit, das sie viele Jahre gemieden hat. Ihre Romane haben ihr allerdings den Ruf eingetragen, das Leben eines mondänen und exzentrischen Vamps zu führen. Deshalb wird sie als Jurorin für die Sendung "Die Schweiz sucht den SchreibStar" angefragt - als skandalumwitterte "Hasbeen" seien ihr die Stärken und Schwächen der "Wannabes" vertraut, erklärt der Fernsehredakteur. Überrumpelt sagt sie zu. Prompt übersieht sie Fallstricke und verliebt sich in den Falschen. Ein mitreißender, witziger Roman über Schreiben und Ehrgeiz, Freundschaft und Verrat und die vielen kleinen Zufälle, die das Leben verändern.
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Metaphern statt Muskeln
Die Schweiz sucht den Schreiberstar, und Dieter Bohlen hat niemand gefragt: Milena Mosers Roman "Möchtegern" erzählt ein Märchen über Literatur.
Die Figuren leben alle in einer künstlichen Wirklichkeit. Das ist amüsant, solange es sich um die schrille Welt des Fernsehens und seiner Unterhaltungsindustrie handelt, die von Milena Moser mit sicherer Hand und hübschen Pointen karikiert wird. Das Schweizer Fernsehen hat nämlich - so erfahren wir gleich zu Beginn dieses Buches - die intellektuelle Antwort auf Dieter Bohlen und all jene Castingshows erfunden, die ihren Kandidaten kurzen Ruhm und anhaltende öffentliche Blamage versprechen. Jetzt heißt es plakativ und in innovativer Orthographie: "Die Schweiz sucht den SchreibStar". Statt körperlicher Reize also sollen intellektuelle Fähigkeiten miteinander in Konkurrenz treten: Metaphern statt Muskeln und wohlgeformte Sätze statt gut proportionierter Körper. Kann das gutgehen?
In einer Mischung aus "Deutschland sucht den Superstar" und "Big Brother" ziehen zehn handverlesene Kandidaten - Fernsehtauglichkeit spielt bei der Vorauswahl natürlich doch eine gewichtige Rolle - ins Zürcher Schreibcamp, stellen sich tapfer jeder neuen Aufgabe, von der konventionellen Beschreibung einer Fruchtschale über das publikumswirksame Dichten in der Öffentlichkeit bis hin zum technisch ausgefeilten "Plotflipper", der vor allem seine Erfinder begeistert. Die zehn "Möchtegerns" verhalten sich genauso, wie es sich die Fernsehproduzenten erhofft haben - sie schreiben verbissen um den Sieg, offenbaren ihre Ängste und Neurosen, verlieben sich ineinander (besonders mediengeeignet: eine homoerotische Romanze im Männertrakt!), intrigieren offen und verdeckt, schummeln oder sind kreuzbrav, und vor allem: Sie begeistern das Fernsehpublikum. Fanclubs entstehen, die Boulevardzeitungen haben täglich neuen Stoff, und die Einschaltquoten schnellen nach oben.
So weit die medienkritische Satire, der man gern nachsieht, dass ihre Protagonisten lächerliche Namen tragen - Iris Hasenfratz (heimliche Favoritin) tritt gegen Anita Hubli-Giezendanner an, deren Name schon verrät, dass sie als Außenseiterin mit braver "Hausfrauenliteratur" ins Rennen geht; und der kauzige Göpf Burri mit seiner Handorgel mimt den knorrigen Bauernknecht aus der Innerschweiz, obwohl er doch tatsächlich als Ingenieur lange in Afrika gearbeitet hat
Nur leider treibt Milena Moser ihre Lust an Übertreibung und Karikatur weiter, denn den zehn Kandidaten stehen drei Juroren gegenüber, die keinesfalls weniger schablonenhaft gezeichnet sind. Am sympathischsten erscheint der Verleger Gianni Wolfensberger, der gern eine Schriftstellerwitwe zum Traualtar führt und darauf wartet, endlich den großen Bestseller herauszubringen - was Berufskollegen nicht nur in der Schweiz zur Identifikation mit ihm ermuntern dürfte. Schwieriger steht es da um die Literaturkritikerin Michelle Schlüpfer, die als vierfache Mutter und engagierte Feministin der Peinlichkeit ihres immerhin selbstgewählten, sensationsheischenden Namens mit strengem Auftreten zu begegnen sucht.
Hauptperson aber ist die dritte Jurorin mit dem umwerfenden Namen Mimosa Mein, aus deren Perspektive die meisten Kapitel des Buches erzählt werden - offenbar ein alliterierendes Alter Ego seiner Verfasserin. Anders als die 1963 geborene Milena Moser, die in den vergangenen Jahren einige solide Unterhaltungsromane mit Titeln wie "Die Putzfraueninsel", "Schlampenyoga" oder "Stutenbiss" veröffentlicht hat, war ihre Figur Mimosa einst der provozierende Jungstar der Schweizer Literaturszene. Bereits vor Erreichen der Volljährigkeit hatte sie erfolgreiche Bestseller voll schockierender sexueller Details veröffentlicht - die Parallelen zum Fall Hegemann, von dem Milena Moser freilich noch nichts ahnen konnte, als sie ihren Roman schrieb, sind frappierend, trägt doch sogar einer der frühen Romane Mimosas den Titel "Roadkill".
Heute ist Mimosa Mein fast fünfzig, wird von den Hitzewallungen des Klimakteriums heimgesucht und lebt zurückgezogen auf dem Land. Als abgehalfterter Exstar soll sie in der Fernsehshow auftreten. Doch statt die zehn Nachwuchsautoren voll Häme zurechtzuweisen, wie es von ihr erwartet wird, verstrickt sich Mimosa zunächst in eine heftige Affäre mit dem Schlagersänger Nico, der so berechenbar langweilig gezeichnet ist, als entstamme er den klischeegesättigten eigenen Liedern. Kein Wunder, dass den Märchentraum mit blonder Fönwelle am Ende ein schlimmes Geschick ereilt, über das niemand trauern wird.
Als Kritikerin aber empfindet Mimosa große Sympathien für die Möchtegernautoren, produzieren sie doch alle neue, interessante Geschichten - und was kann daran schlecht sein? Die Nachsicht gegenüber jedweder Art von Literatur führt aber zu dem größten Problem des Buches. Am Ende gründet Mimosa nämlich aus lauter Literaturbegeisterung und Menschenfreundlichkeit eine Schreibgruppe. Allwöchentlich versammelt sie alle ihre Lieben - Schulfreundin und Putzfrau, den netten Alfred vom Döner-Lieferservice und die verkrüppelte asiatische Ehefrau ihres ehemaligen Briefträgers - um den großen Tisch in ihrem Haus, und alle lesen sich ihre Geschichten vor, erfreuen sich an eigenen Einfällen - und wenn sie nicht gestorben sind, schreiben und lesen sie immer noch.
So könnte das Märchen von den zehn schreibwilligen "Wannebees" harmlos zu Ende gehen. Doch seine Autorin hat nun selbst ein bedenkliches Spiel mit den realen Medien begonnen und tut alles, um die Grenzen zwischen Fiktion und Wirklichkeit verschwimmen zu lassen. Denn Milena Moser betreibt selbst eine Schreibschule in Aarau, wo sie, zusammen mit ihrer Kollegin Sibylle Berg, Seminare für tatsächliche Möchtegernschriftsteller anbietet. Doch damit nicht genug: Parallel zum gedruckten Buch hat der fiktive Fernsehwettbewerb um dem Schweizer "SchreibStar" einen großen Auftritt im Internet, Verweise bei Facebook und Twitter eingeschlossen. Die erfundenen Romanfiguren - Kandidaten wie Juroren - gewinnen hier in sorgsam erstellten Online-Profilen neue Präsenz, und alle Besucher der Website sind aufgefordert, sich an realen Schreibwettbewerben zu beteiligen - was offenbar tatsächlich geschieht.
So entsteht ein fast perfekter Zirkel wechselseitiger Bestätigung - Schreibseminare und Roman werben jeweils füreinander. Gegen das ausgefeilte Marketingkonzept ließe sich wenig einwenden, wenn es nicht auf Kosten der Literatur geschähe. Denn so einfach - jeder kann schreiben, wenn er nur den richtigen Kurs besucht - verhält es sich mit den Büchern, die uns bewegen und anrühren können, glücklicherweise doch nicht.
SABINE DOERING
Milena Moser: "Möchtegern". Roman. Nagel & Kimche im Carl Hanser Verlag, München 2010. 456 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die Schweiz sucht den Schreiberstar, und Dieter Bohlen hat niemand gefragt: Milena Mosers Roman "Möchtegern" erzählt ein Märchen über Literatur.
Die Figuren leben alle in einer künstlichen Wirklichkeit. Das ist amüsant, solange es sich um die schrille Welt des Fernsehens und seiner Unterhaltungsindustrie handelt, die von Milena Moser mit sicherer Hand und hübschen Pointen karikiert wird. Das Schweizer Fernsehen hat nämlich - so erfahren wir gleich zu Beginn dieses Buches - die intellektuelle Antwort auf Dieter Bohlen und all jene Castingshows erfunden, die ihren Kandidaten kurzen Ruhm und anhaltende öffentliche Blamage versprechen. Jetzt heißt es plakativ und in innovativer Orthographie: "Die Schweiz sucht den SchreibStar". Statt körperlicher Reize also sollen intellektuelle Fähigkeiten miteinander in Konkurrenz treten: Metaphern statt Muskeln und wohlgeformte Sätze statt gut proportionierter Körper. Kann das gutgehen?
In einer Mischung aus "Deutschland sucht den Superstar" und "Big Brother" ziehen zehn handverlesene Kandidaten - Fernsehtauglichkeit spielt bei der Vorauswahl natürlich doch eine gewichtige Rolle - ins Zürcher Schreibcamp, stellen sich tapfer jeder neuen Aufgabe, von der konventionellen Beschreibung einer Fruchtschale über das publikumswirksame Dichten in der Öffentlichkeit bis hin zum technisch ausgefeilten "Plotflipper", der vor allem seine Erfinder begeistert. Die zehn "Möchtegerns" verhalten sich genauso, wie es sich die Fernsehproduzenten erhofft haben - sie schreiben verbissen um den Sieg, offenbaren ihre Ängste und Neurosen, verlieben sich ineinander (besonders mediengeeignet: eine homoerotische Romanze im Männertrakt!), intrigieren offen und verdeckt, schummeln oder sind kreuzbrav, und vor allem: Sie begeistern das Fernsehpublikum. Fanclubs entstehen, die Boulevardzeitungen haben täglich neuen Stoff, und die Einschaltquoten schnellen nach oben.
So weit die medienkritische Satire, der man gern nachsieht, dass ihre Protagonisten lächerliche Namen tragen - Iris Hasenfratz (heimliche Favoritin) tritt gegen Anita Hubli-Giezendanner an, deren Name schon verrät, dass sie als Außenseiterin mit braver "Hausfrauenliteratur" ins Rennen geht; und der kauzige Göpf Burri mit seiner Handorgel mimt den knorrigen Bauernknecht aus der Innerschweiz, obwohl er doch tatsächlich als Ingenieur lange in Afrika gearbeitet hat
Nur leider treibt Milena Moser ihre Lust an Übertreibung und Karikatur weiter, denn den zehn Kandidaten stehen drei Juroren gegenüber, die keinesfalls weniger schablonenhaft gezeichnet sind. Am sympathischsten erscheint der Verleger Gianni Wolfensberger, der gern eine Schriftstellerwitwe zum Traualtar führt und darauf wartet, endlich den großen Bestseller herauszubringen - was Berufskollegen nicht nur in der Schweiz zur Identifikation mit ihm ermuntern dürfte. Schwieriger steht es da um die Literaturkritikerin Michelle Schlüpfer, die als vierfache Mutter und engagierte Feministin der Peinlichkeit ihres immerhin selbstgewählten, sensationsheischenden Namens mit strengem Auftreten zu begegnen sucht.
Hauptperson aber ist die dritte Jurorin mit dem umwerfenden Namen Mimosa Mein, aus deren Perspektive die meisten Kapitel des Buches erzählt werden - offenbar ein alliterierendes Alter Ego seiner Verfasserin. Anders als die 1963 geborene Milena Moser, die in den vergangenen Jahren einige solide Unterhaltungsromane mit Titeln wie "Die Putzfraueninsel", "Schlampenyoga" oder "Stutenbiss" veröffentlicht hat, war ihre Figur Mimosa einst der provozierende Jungstar der Schweizer Literaturszene. Bereits vor Erreichen der Volljährigkeit hatte sie erfolgreiche Bestseller voll schockierender sexueller Details veröffentlicht - die Parallelen zum Fall Hegemann, von dem Milena Moser freilich noch nichts ahnen konnte, als sie ihren Roman schrieb, sind frappierend, trägt doch sogar einer der frühen Romane Mimosas den Titel "Roadkill".
Heute ist Mimosa Mein fast fünfzig, wird von den Hitzewallungen des Klimakteriums heimgesucht und lebt zurückgezogen auf dem Land. Als abgehalfterter Exstar soll sie in der Fernsehshow auftreten. Doch statt die zehn Nachwuchsautoren voll Häme zurechtzuweisen, wie es von ihr erwartet wird, verstrickt sich Mimosa zunächst in eine heftige Affäre mit dem Schlagersänger Nico, der so berechenbar langweilig gezeichnet ist, als entstamme er den klischeegesättigten eigenen Liedern. Kein Wunder, dass den Märchentraum mit blonder Fönwelle am Ende ein schlimmes Geschick ereilt, über das niemand trauern wird.
Als Kritikerin aber empfindet Mimosa große Sympathien für die Möchtegernautoren, produzieren sie doch alle neue, interessante Geschichten - und was kann daran schlecht sein? Die Nachsicht gegenüber jedweder Art von Literatur führt aber zu dem größten Problem des Buches. Am Ende gründet Mimosa nämlich aus lauter Literaturbegeisterung und Menschenfreundlichkeit eine Schreibgruppe. Allwöchentlich versammelt sie alle ihre Lieben - Schulfreundin und Putzfrau, den netten Alfred vom Döner-Lieferservice und die verkrüppelte asiatische Ehefrau ihres ehemaligen Briefträgers - um den großen Tisch in ihrem Haus, und alle lesen sich ihre Geschichten vor, erfreuen sich an eigenen Einfällen - und wenn sie nicht gestorben sind, schreiben und lesen sie immer noch.
So könnte das Märchen von den zehn schreibwilligen "Wannebees" harmlos zu Ende gehen. Doch seine Autorin hat nun selbst ein bedenkliches Spiel mit den realen Medien begonnen und tut alles, um die Grenzen zwischen Fiktion und Wirklichkeit verschwimmen zu lassen. Denn Milena Moser betreibt selbst eine Schreibschule in Aarau, wo sie, zusammen mit ihrer Kollegin Sibylle Berg, Seminare für tatsächliche Möchtegernschriftsteller anbietet. Doch damit nicht genug: Parallel zum gedruckten Buch hat der fiktive Fernsehwettbewerb um dem Schweizer "SchreibStar" einen großen Auftritt im Internet, Verweise bei Facebook und Twitter eingeschlossen. Die erfundenen Romanfiguren - Kandidaten wie Juroren - gewinnen hier in sorgsam erstellten Online-Profilen neue Präsenz, und alle Besucher der Website sind aufgefordert, sich an realen Schreibwettbewerben zu beteiligen - was offenbar tatsächlich geschieht.
So entsteht ein fast perfekter Zirkel wechselseitiger Bestätigung - Schreibseminare und Roman werben jeweils füreinander. Gegen das ausgefeilte Marketingkonzept ließe sich wenig einwenden, wenn es nicht auf Kosten der Literatur geschähe. Denn so einfach - jeder kann schreiben, wenn er nur den richtigen Kurs besucht - verhält es sich mit den Büchern, die uns bewegen und anrühren können, glücklicherweise doch nicht.
SABINE DOERING
Milena Moser: "Möchtegern". Roman. Nagel & Kimche im Carl Hanser Verlag, München 2010. 456 S., geb., 19,90 [Euro].
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