'Wieviel Blut und Grausen ist auf dem Grund aller ‚guten Dinge’!' Friedrich Nietzsche
Dieses reich illustrierte Buch erzählt die Geschichte eines der berühmtesten Gemälde der italienischen Renaissance, der 'Geißelung' Piero della Francescas. Der Autor zeigt, daß das Bild eine verschlüsselte Mordanklage enthält, eine Anspielung auf den Mord an Oddantonio da Montefeltro, dem ersten Herzog von Urbino. Er macht sich auf die Suche nach dem Täter und nach dem Auftraggeber von Pieros Meisterwerk.
Dieses Buch sucht die geheimnisumwitterte Geschichte des berühmten Gemäldes der Renaissance, die 'Geißelung' von Piero della Francesca, zu entschlüsseln. Gestützt auf bisher unbeachtete Quellen zeigt der Autor, daß das Bild eine kunstvoll versteckte Mordanklage enthält: Anspielungen auf ein Attentat, dem im Juli 1444 der junge Herzog von Urbino, Oddantonio da Montefeltro, zum Opfer fiel.
Bernd Roeck macht sich auf die Suche nach dem Täter, er fahndet nach dem Auftraggeber, spürt der Geschichte des Opfers nach. Er führt uns in die Welt der italienischen Renaissance, berichtet von der Kultur der Höfe, den prächtigen Bauten, Bildern und Manuskripten. Er beschreibt aber auch die dunkle Seite der Epoche, die Verschwörungen, Intrigen und Morde jener Zeit. Im Zentrum dieses faszinierenden Panoramas der Renaissance steht jedoch der Maler des Bildes, den ein Zeitgenosse als 'Monarchen der Malkunst' rühmte: Piero della Francesca aus Borgo Sansepolcro.
Dieses reich illustrierte Buch erzählt die Geschichte eines der berühmtesten Gemälde der italienischen Renaissance, der 'Geißelung' Piero della Francescas. Der Autor zeigt, daß das Bild eine verschlüsselte Mordanklage enthält, eine Anspielung auf den Mord an Oddantonio da Montefeltro, dem ersten Herzog von Urbino. Er macht sich auf die Suche nach dem Täter und nach dem Auftraggeber von Pieros Meisterwerk.
Dieses Buch sucht die geheimnisumwitterte Geschichte des berühmten Gemäldes der Renaissance, die 'Geißelung' von Piero della Francesca, zu entschlüsseln. Gestützt auf bisher unbeachtete Quellen zeigt der Autor, daß das Bild eine kunstvoll versteckte Mordanklage enthält: Anspielungen auf ein Attentat, dem im Juli 1444 der junge Herzog von Urbino, Oddantonio da Montefeltro, zum Opfer fiel.
Bernd Roeck macht sich auf die Suche nach dem Täter, er fahndet nach dem Auftraggeber, spürt der Geschichte des Opfers nach. Er führt uns in die Welt der italienischen Renaissance, berichtet von der Kultur der Höfe, den prächtigen Bauten, Bildern und Manuskripten. Er beschreibt aber auch die dunkle Seite der Epoche, die Verschwörungen, Intrigen und Morde jener Zeit. Im Zentrum dieses faszinierenden Panoramas der Renaissance steht jedoch der Maler des Bildes, den ein Zeitgenosse als 'Monarchen der Malkunst' rühmte: Piero della Francesca aus Borgo Sansepolcro.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.10.2006Das ist jetzt keine abendländisch-antitürkische Ruckrede
Ein kunstgeschichtlicher Kriminalfall gelöst: Bernd Roecks sensationelle Deutung von Piero della Francescas Bild "Geißelung" / Von Dirk Schümer
Kunstgeschichte wirkt zuweilen wie eine Unterabteilung der Kriminalistik. Bei unbekannter Provenienz muß für Kunstwerke der Täter ermittelt werden; die Motive liegen meist im dunkeln, ebenso die Auftraggeber. Seit Jahrtausenden gibt es Fälscher und Räuber, deren Verbrechen aufgedeckt gehören. War nicht Giovanni Morelli, der Entdecker des Fingerabdrucks als Werkzeug der Ermittlung, ein versierter Kunsthistoriker, dem Zuschreibungen anhand winziger Details gelangen? Wenn es derzeit einen Gelehrten gibt, in dessen Adern das Blut eines Morelli oder Sherlock Holmes zirkuliert, dann ist dies Bernd Roeck. Schon der Titel seines Buches über Piero della Francesca verheißt einen historischen Kriminalroman - er verspricht den Lesern nicht zuviel.
Die wie Statuen unbewegten Figuren Pieros, die von buddhistischer Gelassenheit erfüllt scheinen, geben den Deutern große Rätsel auf. Was hat es mit dem hängenden Straußenei über der Brera-Madonna auf sich? Handelt der Kreuzeszyklus der Fresken von Arezzo tatsächlich von der Hoffnung auf die christliche Befreiung Konstantinopels? Versprach die träumerische Madonna del Parto tatsächlich betenden Frauen eine Schwangerschaft - oder war sie als Erinnerungsbild an Pieros Mutter für eine Friedhofskapelle angefertigt? Hinzu kommt, daß ganze Lebensphasen dieses berühmten und hochbezahlten Renaissancemalers aus dem abgelegenen Sansepolcro, einem Bergstädtchen an der Tiberquelle, trotz intensivster Archivstudien im dunkeln liegen.
Roeck hat sich des rätselhaftesten - und vielleicht schönsten - aller Werke des Piero della Francesca angenommen: der "Geißelung Christi", die in der Galleria Nazionale delle Marche im Herzogspalast von Urbino verwahrt wird. Vor zwanzig Jahren verfaßte Carlo Ginzburg - wie Roeck gelernter Historiker - einen Bestseller der Kunstgeschichte, indem er in seinen "Erkundigungen über Piero" dieses Tafelbild akribisch als gemalte Unterstützung für das kollabierende Konstantinopel deutete. Der bei der Geißelung zuschauende Pilatus wäre demnach Johannes VIII. Paläologos, letzter Kaiser Ostroms, der bärtige Mann im Vordergrund der geflohene Patriarch Bessarion, wohingegen die rätselhafte Jünglingsgestalt niemand anderes darstellte als einen Sprößling des Renaissancefürsten Federico da Montefeltro. Der beweinte mit diesem Bild - außer dem Schicksal von Byzanz - den frühen Tod seines Sohnes Buonconte, dessen ergreifendes Effigie ihm Piero in seinen Palast stellte. Neben dieser bisher plausibelsten Interpretation las man den Jüngling als König Matthias Corvinus von Ungarn, als Sohn des Mantuaner Herzogs Lodovico Gonzaga, und auch die Mailänder Sforza wollten Kunsthistoriker als Auftraggeber erkannt haben - um nur einige Hypothesen zu nennen.
Es macht den Reiz von Roecks Neulektüre aus, wie selbstbewußt er nahezu sämtliche Lesarten vom Tisch wischt und eine andere Deutung der "Geißelung" vorstellt. Roecks Überzeugung, die man als Sensation bezeichnen muß: Der verzwickteste, der umstrittenste, der bis heute ungeklärte Jack-the-Ripper-Fall der Kunstwissenschaft ist gelöst. Nun handelt es sich bei Bernd Roeck nicht um irgendwen, sondern um einen der profiliertesten und genialsten Historiker seiner Generation. Seit seinem Erstling über Augsburg im Dreißigjährigen Krieg verblüfft dieser Autor eine fachübergreifende Leserschaft mit seinem weitgespannten Interesse, das sich zuletzt Aby Warburgs Florenz um 1900 sowie - gemeinsam mit Andreas Toennesmann - das Leben Federico da Montefeltros um 1450 vornahm. Der ursächliche Geistesblitz für die Deutung der "Geißelung" muß Roeck bei den Archivstudien über Federico, in dessen Renaissancepalast das Gemälde hängt, gekommen sein.
Wie jeder erfolgreiche Kommissar hat Roeck eine neue Hypothese, die den Fall in ein neues Licht stellt: Das Bild ist nicht von oder für den reichen und skrupellosen Condottiere Federico entstanden, sondern gegen ihn. Der lockige Jüngling im Vordergrund stellt niemand anderes als Federicos Vorgänger Oddantonio da Montefeltro dar, der 1444 in seinem eigenen Palast von Meuchelmördern erstochen und aus dem Fenster geworfen wurde. Diese Hypothese wagten - wegen erstaunlicher Ähnlichkeit mit einem Wiener Porträt des Ermordeten - bereits andere Forscher, doch blieb die Deutung allzeit beim Problem stecken, warum sich Oddantonios Erbe Federico, der mit großer Wahrscheinlichkeit Drahtzieher des Mordes war, ausgerechnet ein Mahn- und Bußbild für den initialen Schandfleck seiner Karriere an die Wand hätte hängen sollen.
Roeck kann nachweisen, daß sich die "Geißelung" erst seit 1915 im Palast von Urbino befand, daß sie bis in die neuere Zeit in Pieros Heimatstadt Sansepolcro verblieben war und Federico niemals unter die Augen kam. Daß die ergreifende Bild-Klage gegen seinen Mord nun in seinem Schlafzimmer hängt und Generationen von Interpreten aufs falsche Gleis führte, kann man nur als Treppenwitz der Kunsthistorie verstehen.
Mit staunenswerter Materialfülle kann Roeck seine Sicht plausibel machen. Die bisherigen Deutungen hatten einen schwachen Punkt: die merkwürdige Gleichsetzung des Leidens von Konstantinopel (das ja irgendwie mit der Geißelung unter den Augen des oströmischen Kaisers gemeint sein sollte) mit dem Tod des Jünglings im Vordergrund. Toter Sohn gleich tote Stadt - dieser politprivate Analogieschluß wirkt auch für die in Gleichnissen denkende Mentalität jener Zeit reichlich krude und führt bei der Funktion des Bildes nirgendwohin: Wer sollte vom eroberten Byzanz, wenn seine Darstellung derart verrätselt war, aufgerüttelt werden? Bei Roecks Ermittlung löst sich das Dilemma höchst elegant: Der geschundene Oddantonio wird gleichgesetzt mit dem geschundenen Christus. So wie der Heiland in der Ewigkeit gerechtfertigt ist, so sollte auch der legitime Herzog Montelfeltros - wenn ihm auch vom Mörder Leben und Macht geraubt waren - wenigstens per Bildgedenken seine Ehre bewahren. Nicht als abendländisch-antitürkische Ruckrede diente dieses Gemälde, sondern als privates Trostbild für die entmachteten Anverwandten Oddantonios, wahrscheinlich seine Schwestern.
Mit dem Onkel des Toten, dem Humanisten-Kardinal Prospero Colonna zieht Roeck noch einen möglichen Auftraggeber des Bildes aus dem Ärmel; weil der Kardinal 1453 starb, blieb das Gemälde in Pieros Atelier. Das war auch besser so, denn bald darauf verdingte sich der Künstler ausgerechnet als Hofmaler bei Federico da Montefeltro: Wenn die Sippe des Ermordeten schon nicht zahlen konnte, so war beim triumphierenden Mörder ein Vermögen zu verdienen. Mit diversen Porträts des bei einem Ritterturnier verunstalteten Federico, vor allem dem berühmten Profilbild in den Uffizien, machte Piero den Killer schließlich zur vertrauten Symbolfigur der Renaissance.
Roecks entscheidende Trumpfkarte ist die Lektüre eines der meistgelesenen Bücher des Mittelalters: der "legenda aurea" des Jacobus di Voragine. Allen Interpreten war bisher eine Parallele entgangen, denn Pilatus wird in diesem Heiligen- und Wunderkompendium als untergeschobener Findling, Brudermörder und brutaler Karrierist im Dienst der Mächtigen geschildert. Genau dies war das Schicksal Federicos, der als Sohn einer illegitimen Tochter des Herzogs nur über Schleichwege zum Ersatzerben werden konnte.
Während die Geißelsäule - italienisch "colonna" - direkt auf die mütterliche Familie des Ermordeten hinweist, wird Roeck bei der Zuschreibung der beiden flankierenden Figuren spekulativer. Doch bietet der Autor eine weitere bemerkenswerte Parallele auf: Auch Judas wird in der "legenda aurea" als Findling, Brudermörder und als diebischer Lakai von Pontius Pilatus dargestellt. Demnach wäre die linke bärtige Figur der Erzverräter, der Oddantonio das Obst aus dem Garten klaut - nach der "legenda" vom Grundstück seines eigenen Vaters Ruben, der mit der Figur zur Rechten des Toten gemeint wäre, aber auch als Porträt, vielleicht als Selbstporträt dienen könnte. Es ist hier unmöglich, die Dichte von Roecks Beweiskette auch nur zu stenographieren. Wie es sich für einen zünftigen Krimi gehört, müssen die Leser Indiz für Indiz, Spur für Spur die Ermittlungen mitverfolgen.
Zusätzlich zur sprachlich klaren, stellenweise poetischen Darstellungsweise, aus der eine ungemeine Vertrautheit des Autors mit der Lebenswelt der italienischen Renaissance spricht, beherzigt Roeck die Weisheit eines erfahrenen Kunstkommissars: Bei einem solchen Gemälde können immer neue Zeugen und Beweise auftauchen; die Deutung ist ein offener Prozeß. Mit diesem Hinweis endet die faszinierende Maler- und Mördergeschichte.
Nie aber würden wir uns für irgendwelche dynastischen Untaten des fünfzehnten Jahrhunderts interessieren, hätte Piero sie nicht im Koordinatensystem seiner Malerei verortet. Den ästhetischen Genuß, den wir hinter Perspektiven-Mathematik, hinter Anspielungsreichtum und mehrfachem Bildsinn bei Piero wie sonst wohl nur bei Vermeer empfinden, verliert auch Roeck nicht aus den Augen: "Die enorme Wirkung der Rhetorik Pieros hat das Schweigen seiner Malerei zur Voraussetzung und das Rätsel. Die Akteure werden weder als Täter noch als Opfer charakterisiert, sondern als Vollstrecker eines höheren Geschicks." Es ist also nicht die Aufklärung, sondern das Enigmatische, das uns den coolen Blick und die Statuarik dieser Menschen in irreal-exakten Räumen bewundern läßt. Da liegt auch der entscheidende Unterschied zur Kriminalistik: In der Kunstgeschichte werden die Akten nie geschlossen.
Bernd Roeck: "Mörder, Maler und Mäzene". Piero della Francescas ,Geißelung'. Eine kunsthistorische Kriminalgeschichte. Verlag C. H. Beck, München 2006. 247 S., geb., zahlr. Abb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein kunstgeschichtlicher Kriminalfall gelöst: Bernd Roecks sensationelle Deutung von Piero della Francescas Bild "Geißelung" / Von Dirk Schümer
Kunstgeschichte wirkt zuweilen wie eine Unterabteilung der Kriminalistik. Bei unbekannter Provenienz muß für Kunstwerke der Täter ermittelt werden; die Motive liegen meist im dunkeln, ebenso die Auftraggeber. Seit Jahrtausenden gibt es Fälscher und Räuber, deren Verbrechen aufgedeckt gehören. War nicht Giovanni Morelli, der Entdecker des Fingerabdrucks als Werkzeug der Ermittlung, ein versierter Kunsthistoriker, dem Zuschreibungen anhand winziger Details gelangen? Wenn es derzeit einen Gelehrten gibt, in dessen Adern das Blut eines Morelli oder Sherlock Holmes zirkuliert, dann ist dies Bernd Roeck. Schon der Titel seines Buches über Piero della Francesca verheißt einen historischen Kriminalroman - er verspricht den Lesern nicht zuviel.
Die wie Statuen unbewegten Figuren Pieros, die von buddhistischer Gelassenheit erfüllt scheinen, geben den Deutern große Rätsel auf. Was hat es mit dem hängenden Straußenei über der Brera-Madonna auf sich? Handelt der Kreuzeszyklus der Fresken von Arezzo tatsächlich von der Hoffnung auf die christliche Befreiung Konstantinopels? Versprach die träumerische Madonna del Parto tatsächlich betenden Frauen eine Schwangerschaft - oder war sie als Erinnerungsbild an Pieros Mutter für eine Friedhofskapelle angefertigt? Hinzu kommt, daß ganze Lebensphasen dieses berühmten und hochbezahlten Renaissancemalers aus dem abgelegenen Sansepolcro, einem Bergstädtchen an der Tiberquelle, trotz intensivster Archivstudien im dunkeln liegen.
Roeck hat sich des rätselhaftesten - und vielleicht schönsten - aller Werke des Piero della Francesca angenommen: der "Geißelung Christi", die in der Galleria Nazionale delle Marche im Herzogspalast von Urbino verwahrt wird. Vor zwanzig Jahren verfaßte Carlo Ginzburg - wie Roeck gelernter Historiker - einen Bestseller der Kunstgeschichte, indem er in seinen "Erkundigungen über Piero" dieses Tafelbild akribisch als gemalte Unterstützung für das kollabierende Konstantinopel deutete. Der bei der Geißelung zuschauende Pilatus wäre demnach Johannes VIII. Paläologos, letzter Kaiser Ostroms, der bärtige Mann im Vordergrund der geflohene Patriarch Bessarion, wohingegen die rätselhafte Jünglingsgestalt niemand anderes darstellte als einen Sprößling des Renaissancefürsten Federico da Montefeltro. Der beweinte mit diesem Bild - außer dem Schicksal von Byzanz - den frühen Tod seines Sohnes Buonconte, dessen ergreifendes Effigie ihm Piero in seinen Palast stellte. Neben dieser bisher plausibelsten Interpretation las man den Jüngling als König Matthias Corvinus von Ungarn, als Sohn des Mantuaner Herzogs Lodovico Gonzaga, und auch die Mailänder Sforza wollten Kunsthistoriker als Auftraggeber erkannt haben - um nur einige Hypothesen zu nennen.
Es macht den Reiz von Roecks Neulektüre aus, wie selbstbewußt er nahezu sämtliche Lesarten vom Tisch wischt und eine andere Deutung der "Geißelung" vorstellt. Roecks Überzeugung, die man als Sensation bezeichnen muß: Der verzwickteste, der umstrittenste, der bis heute ungeklärte Jack-the-Ripper-Fall der Kunstwissenschaft ist gelöst. Nun handelt es sich bei Bernd Roeck nicht um irgendwen, sondern um einen der profiliertesten und genialsten Historiker seiner Generation. Seit seinem Erstling über Augsburg im Dreißigjährigen Krieg verblüfft dieser Autor eine fachübergreifende Leserschaft mit seinem weitgespannten Interesse, das sich zuletzt Aby Warburgs Florenz um 1900 sowie - gemeinsam mit Andreas Toennesmann - das Leben Federico da Montefeltros um 1450 vornahm. Der ursächliche Geistesblitz für die Deutung der "Geißelung" muß Roeck bei den Archivstudien über Federico, in dessen Renaissancepalast das Gemälde hängt, gekommen sein.
Wie jeder erfolgreiche Kommissar hat Roeck eine neue Hypothese, die den Fall in ein neues Licht stellt: Das Bild ist nicht von oder für den reichen und skrupellosen Condottiere Federico entstanden, sondern gegen ihn. Der lockige Jüngling im Vordergrund stellt niemand anderes als Federicos Vorgänger Oddantonio da Montefeltro dar, der 1444 in seinem eigenen Palast von Meuchelmördern erstochen und aus dem Fenster geworfen wurde. Diese Hypothese wagten - wegen erstaunlicher Ähnlichkeit mit einem Wiener Porträt des Ermordeten - bereits andere Forscher, doch blieb die Deutung allzeit beim Problem stecken, warum sich Oddantonios Erbe Federico, der mit großer Wahrscheinlichkeit Drahtzieher des Mordes war, ausgerechnet ein Mahn- und Bußbild für den initialen Schandfleck seiner Karriere an die Wand hätte hängen sollen.
Roeck kann nachweisen, daß sich die "Geißelung" erst seit 1915 im Palast von Urbino befand, daß sie bis in die neuere Zeit in Pieros Heimatstadt Sansepolcro verblieben war und Federico niemals unter die Augen kam. Daß die ergreifende Bild-Klage gegen seinen Mord nun in seinem Schlafzimmer hängt und Generationen von Interpreten aufs falsche Gleis führte, kann man nur als Treppenwitz der Kunsthistorie verstehen.
Mit staunenswerter Materialfülle kann Roeck seine Sicht plausibel machen. Die bisherigen Deutungen hatten einen schwachen Punkt: die merkwürdige Gleichsetzung des Leidens von Konstantinopel (das ja irgendwie mit der Geißelung unter den Augen des oströmischen Kaisers gemeint sein sollte) mit dem Tod des Jünglings im Vordergrund. Toter Sohn gleich tote Stadt - dieser politprivate Analogieschluß wirkt auch für die in Gleichnissen denkende Mentalität jener Zeit reichlich krude und führt bei der Funktion des Bildes nirgendwohin: Wer sollte vom eroberten Byzanz, wenn seine Darstellung derart verrätselt war, aufgerüttelt werden? Bei Roecks Ermittlung löst sich das Dilemma höchst elegant: Der geschundene Oddantonio wird gleichgesetzt mit dem geschundenen Christus. So wie der Heiland in der Ewigkeit gerechtfertigt ist, so sollte auch der legitime Herzog Montelfeltros - wenn ihm auch vom Mörder Leben und Macht geraubt waren - wenigstens per Bildgedenken seine Ehre bewahren. Nicht als abendländisch-antitürkische Ruckrede diente dieses Gemälde, sondern als privates Trostbild für die entmachteten Anverwandten Oddantonios, wahrscheinlich seine Schwestern.
Mit dem Onkel des Toten, dem Humanisten-Kardinal Prospero Colonna zieht Roeck noch einen möglichen Auftraggeber des Bildes aus dem Ärmel; weil der Kardinal 1453 starb, blieb das Gemälde in Pieros Atelier. Das war auch besser so, denn bald darauf verdingte sich der Künstler ausgerechnet als Hofmaler bei Federico da Montefeltro: Wenn die Sippe des Ermordeten schon nicht zahlen konnte, so war beim triumphierenden Mörder ein Vermögen zu verdienen. Mit diversen Porträts des bei einem Ritterturnier verunstalteten Federico, vor allem dem berühmten Profilbild in den Uffizien, machte Piero den Killer schließlich zur vertrauten Symbolfigur der Renaissance.
Roecks entscheidende Trumpfkarte ist die Lektüre eines der meistgelesenen Bücher des Mittelalters: der "legenda aurea" des Jacobus di Voragine. Allen Interpreten war bisher eine Parallele entgangen, denn Pilatus wird in diesem Heiligen- und Wunderkompendium als untergeschobener Findling, Brudermörder und brutaler Karrierist im Dienst der Mächtigen geschildert. Genau dies war das Schicksal Federicos, der als Sohn einer illegitimen Tochter des Herzogs nur über Schleichwege zum Ersatzerben werden konnte.
Während die Geißelsäule - italienisch "colonna" - direkt auf die mütterliche Familie des Ermordeten hinweist, wird Roeck bei der Zuschreibung der beiden flankierenden Figuren spekulativer. Doch bietet der Autor eine weitere bemerkenswerte Parallele auf: Auch Judas wird in der "legenda aurea" als Findling, Brudermörder und als diebischer Lakai von Pontius Pilatus dargestellt. Demnach wäre die linke bärtige Figur der Erzverräter, der Oddantonio das Obst aus dem Garten klaut - nach der "legenda" vom Grundstück seines eigenen Vaters Ruben, der mit der Figur zur Rechten des Toten gemeint wäre, aber auch als Porträt, vielleicht als Selbstporträt dienen könnte. Es ist hier unmöglich, die Dichte von Roecks Beweiskette auch nur zu stenographieren. Wie es sich für einen zünftigen Krimi gehört, müssen die Leser Indiz für Indiz, Spur für Spur die Ermittlungen mitverfolgen.
Zusätzlich zur sprachlich klaren, stellenweise poetischen Darstellungsweise, aus der eine ungemeine Vertrautheit des Autors mit der Lebenswelt der italienischen Renaissance spricht, beherzigt Roeck die Weisheit eines erfahrenen Kunstkommissars: Bei einem solchen Gemälde können immer neue Zeugen und Beweise auftauchen; die Deutung ist ein offener Prozeß. Mit diesem Hinweis endet die faszinierende Maler- und Mördergeschichte.
Nie aber würden wir uns für irgendwelche dynastischen Untaten des fünfzehnten Jahrhunderts interessieren, hätte Piero sie nicht im Koordinatensystem seiner Malerei verortet. Den ästhetischen Genuß, den wir hinter Perspektiven-Mathematik, hinter Anspielungsreichtum und mehrfachem Bildsinn bei Piero wie sonst wohl nur bei Vermeer empfinden, verliert auch Roeck nicht aus den Augen: "Die enorme Wirkung der Rhetorik Pieros hat das Schweigen seiner Malerei zur Voraussetzung und das Rätsel. Die Akteure werden weder als Täter noch als Opfer charakterisiert, sondern als Vollstrecker eines höheren Geschicks." Es ist also nicht die Aufklärung, sondern das Enigmatische, das uns den coolen Blick und die Statuarik dieser Menschen in irreal-exakten Räumen bewundern läßt. Da liegt auch der entscheidende Unterschied zur Kriminalistik: In der Kunstgeschichte werden die Akten nie geschlossen.
Bernd Roeck: "Mörder, Maler und Mäzene". Piero della Francescas ,Geißelung'. Eine kunsthistorische Kriminalgeschichte. Verlag C. H. Beck, München 2006. 247 S., geb., zahlr. Abb., 19,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Als meisterhaft würdigt Rezensent Wilhelm Trapp die Studie "Mörder, Maler und Mäzene", die der Historiker Bernd Roeck vorgelegt hat. Wie er berichtet, gelingt es dem Autor darin, die Ermordung des Herzog von Urbino, Oddantonio da Montefeltro, 1444 aufzuklären - anhand der Analyse eines der berühmtesten Gemälde der italienischen Renaissance, der "Geißelung" von Piero della Francesca. Geradezu "spektakulär" scheint ihm Roecks Beweisführung, "verblüffend" seine Klärung der Frage nach dem Auftraggeber von Pieros Meisterwerk, danach, wie es nach Urbino kam, und nach Datierungen von Bilddetails. Trapp hebt hervor, dass die Studie über die Klärung des konkreten Falls dem Leser die gesamte Epoche mit ihrem Machtgeflecht, ihrer Geisteswelt, ihren Maltechniken näher bringt. Sein Resümee über das Werk: ein "bild- wie quellenkundlich virtuoser Krimi".
© Perlentaucher Medien GmbH
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