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Überträger des schrecklichen MOI-Virus ist ein Geldschein. Während der infizierte Held dieser zum Sterben komischen Krankengeschichte grübelnd im Isoliertrakt eines Spitals auf sein Ende wartet, leidet er, als echter Misanthrop, bald mehr unter seinen Mitmenschen als unter dem Virus. - Der rabenschwarze Roman zwingt einen zu lachen, wo ein anständiger Mensch definitiv nicht lacht.

Produktbeschreibung
Überträger des schrecklichen MOI-Virus ist ein Geldschein. Während der infizierte Held dieser zum Sterben komischen Krankengeschichte grübelnd im Isoliertrakt eines Spitals auf sein Ende wartet, leidet er, als echter Misanthrop, bald mehr unter seinen Mitmenschen als unter dem Virus. - Der rabenschwarze Roman zwingt einen zu lachen, wo ein anständiger Mensch definitiv nicht lacht.
Autorenporträt
Heiko Michael Hartmann, 1957 in Miltenberg geboren, studierte Rechtswissenschaften und Philosophie. Er ist Verwaltungsjurist und lebt in Berlin. Nach "MOI" ist "Unterm Bett" sein zweiter Roman.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.06.1997

Am Ende sagt es leise "ppooh"
Heiko Michael Hartmann erzählt vom Leben als Ballon

Ist das nicht grotesk? Da gibt es eine Krankheit namens "MOI" - "maladie d'origine inconnue -, und sie ist tödlicher als Aids. Sie wird über Geldscheine im Wert von fünfzig Euro übertragen und treibt die Körpersäfte in die Zellen, läßt sie aber nicht mehr heraus, so daß ihre Opfer aufgeschwemmt werden, als seien sie Wasserleichen. Nach und nach müssen ihnen die Glieder entfernt werden. Dann liegen sie wie pralle Ballons auf ihren Krankenbetten, und am Ende sagt es leise "ppooh". Erzählt wird diese Geschichte von einem Opfer dieser Krankheit, einem feinsinnigen, theoretisch geschulten Juristen, der einen großen Teil seines Berichts auf die akustisch treue Nachahmung seiner furchtbaren Gefährten auf der Krankenstation verwendet: ein Kioskbesitzer, der mit seinem Fernseher das Zimmer terrorisiert, zwei Bankangestellte, die nicht nur entfernt an die Herren Dupont und Dupont aus dem Comic strip erinnern, Krankenschwestern, Ärzte, Sozialarbeiter und Pastoren - kurz, ein kleines Bestiarium, das ein wenig wie das Deutschland des ausgehenden zwanzigsten Jahrhunderts aussieht.

Der Dichter Heiko Michael Hartmann hat im vergangenen Jahr beim Literaturwettbewerb in Klagenfurt aus dem Manuskript seines kleinen Romans "MOI" vorgelesen und einen Preis bekommen. Auch die Kritik hat das Buch sehr gelobt - endlich ein Roman über die Schrecken der neuesten Neuzeit, sogar über den Euro. Allen hat sofort eingeleuchtet, daß diese anschauliche Geschichte allegorisch ist und also eine Groteske sein muß: das "Ich", das sich in all seiner Anmaßung und Bedeutungslosigkeit aufpumpt, bis es zerbirst, die Geldscheinseuche, an der unsere Zivilisation leidet, der pausenlos laufende Fernseher, dem eine sich bedenkenlos amüsierende Gesellschaft vom Totenbett aus zuschaut: "Diese Krankheit hat uns alle infiziert und ist unheilbar."

Vielleicht sind das Allegorien. Aber wenn sie es sind, dann sind sie weniger grotesk als platt. Was der Dichter da aufeinanderstapelt, gehört zum Monumentalkitsch des kulturkritischen Bewußtseins. Der Euro, die Seuche, der Verlust der Identität - das sind Apokalypsen, die der Autor aus dem landläufige Gerede ausgebaut und zusammengeschraubt hat wie Fertigteile. Sie wirken daher gar nicht sehr bedrohlich. Im Gegenteil: Der Kranke scheint sich in seiner Ohnmacht wohnlich eingerichtet zu haben. Seine größte Empörung gilt dem Bettnachbarn, der die Fernbedienung für das TV-Gerät besitzt und das ganze Zimmer terrorisiert. Das Totenbett, auf dem er schließlich liegt und auf die unvorsichtige Bewegung wartet, die ihn zum Platzen bringt, erscheint beinahe wie ein pränatales Paradies.

Aber Heiko Michael Hartmann ist ein kluger Kopf: Der Euro, die Seuche, die Macht der Medien sind auch nur wieder Beiwerk. Im Grunde genommen hat er seinem Roman ein philosophisches Thema gegeben: Was bleibt eigentlich vom Selbstbewußtsein eines Menschen, wenn man ihm alles nimmt, was ihn ausmacht? Und siehe: "Ich, hatte ich immer gedacht, bestünde aus unverzichtbaren Teilen, die nur in ihrer herrlich einzigartigen Komposition jenes edle wahre Ganze ausmachen, das Mensch heißt. In Wirklichkeit aber verhält es sich wie mit einem Laib Brot: Wie viele Scheiben du auch abschneidest, es bleibt immer Brot." Noch immer ist da ein dickes, rundes, hohles Ich, ein "eierndes Gehirntier", das nur noch blinzeln kann. Diese Verwandlung erzählt Hartmann mit großer sprachlicher Virtuosität. Er ist ein Stimmenimitator, dem so leicht keiner etwas vormacht, sei es bei den duftenden Blusen von Sparkassenangestellten oder in den Feinheiten des hessischen Dialekts. Das Dumme ist nur, daß der Dichter den Efeu seiner Kunstfertigkeit um eine Konstruktion von der Schwere eines gußeisernen Kanaldeckels windet.

Als das Radio noch etwas Besonderes war und die Sender noch durch das Drehen an einer Skala eingestellt wurden, gab es einen Kindersketch namens "Wellensalat". Der plötzliche Wechsel, das Hinübergleiten von einem Sprechprogramm zum nächsten war damals noch für ein paar skurrile Situationen gut. Später gab es Stationstasten, es wurde im Rundfunk auch weniger gesprochen, und die Komik ging verloren. Das Spiel wird heute nicht mehr gespielt. Es war nur lustig, solange es an eine Erfahrung erinnerte. So aber funktioniert jede Groteske. Sie bringt das Unglaubliche im Gewöhnlichen zum Vorschein, und damit das gelingen kann, darf man die Erfindung nicht forcieren. Die Groteske balanciert am Rande der Wahrscheinlichkeit, und jenseits dieser Grenze wartet der schiere Unfug.

Heiko Michael Hartmann liefert auch gerne "Wellensalat". Er hat diesem Spiel sogar eine erwachsene Form gegeben. Er kann wunderbar vom Wahn in die Wirklichkeit und zurück schlingern - "ohne Gliedmaßen werde ich zum führungslosen Traumschiff" -, er ist eine Fachkraft für das agrammatische Verschleifen von Sätzen, und seine hanebüchenen Einfälle gebraucht er mit großer Leichtigkeit - die Idee, daß die Seuche durch die körperfernste Form der Übertragung schlechthin übertragen werden soll, nämlich durch die Entgegennahme von Geldscheinen, ist da noch eher zaghaft. Ärger ist es schon, daß die Geschichte von einem Toten erzählt sein soll. Aber sie wird deswegen nicht zu einer lustigen Geschichte.

Gräßlich ist sie auch nicht. Tatsächlich ist in diesem Roman das Abstoßende nicht abstoßend und das Grauen nicht grausam. "Nackt liege ich als ovaler Fleischklumpen fühlt man spöttisch äugelt die junge Waschhilfe über mein Gott, wie sie hat so ein süßes Gesichtschen, das ich am liebsten wär's mir, wenn die Alte hatte aber schon die Fluripollösung über meine Brust geschwemmt." Der Feinsinn hat sich eine gräßliche Geschichte zu eigen gemacht und die furchtbare, unentrinnbare Gegenwart eines Albs erst gar nicht aufkommen lassen. Das Buch "MOI" ist ein literarischer Ekel-Comic, eine zur Strichzeichnung geschrumpfte Verwandlung, und es spielt nach Art der Bilderserien mit dem Unechten und Virtuellen. Deshalb treibt der Roman auch nichts zur Kenntlichkeit: Die Groteske fällt ins Leere, weil sie nichts mehr trifft. Nicht Verfremdung, sondern Überbietung ist sein Prinzip, bis daß der Mensch "lauwarm von der Kachelwand tropft".

Heiko Michael Hartmann hat etwas ganz Ausgefallenes schreiben wollen und diesen Roman für die Kritik verfaßt, weshalb er auch an literarhistorischen Bezügen - Jean-Jacques Rousseau, Franz Kafka, Arno Schmidt, Eckhard Henscheid - nicht gespart hat. Der Literaturbetrieb bringt seine eigene Literatur hervor, eine Dichtung des erwartbaren Schocks, des habituellen kleinen Erschreckens. Deswegen hat der Leser so wenig von seiner Lektüre: Es tritt ja doch nur ein Virtuose auf, der zeigt, daß man auch nackt und mit den Zähnen Klavier spielen kann. Am Ende quittiert man diesen Eifer mit einem Achselzucken. THOMAS STEINFELD

Heiko Michael Hartmann: "MOI". Roman. Hanser Verlag, München und Wien 1997. 190 S., geb., 34,- DM.

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"Alle kommen zu Wort, jeder redet, so schlecht er kann. Den Königsweg der Ironie geht allein Openkör. Heiter und Gentleman bis zuletzt, verwandelt er die Zeitgeiststudie, die in dieser Parabel steckt, in einen geistreichen Slapstick ..."(Iris Radisch in "Die Zeit")