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Wann beginnt die Geschichte des Islams in Deutschland? Wie sieht der Lebensalltag von Muslim_innen hierzulande aus? Wie gestalten sie ihren Glauben und wie bringen sie sich in die Gesellschaft ein? In Moin und Salam gehen der Fotojournalist Julius Matuschik und die Politik- und Religionswissenschaftlerin Raida Chbib diesen und anderen Fragen nach, ohne einfache Antworten präsentieren zu wollen. Mit eindrucksvollen historischen Aufnahmen, lebensnahen Fotografien und Texten zur Geschichte und Gegenwart des Islams und von Muslim_innen in Deutschland folgen sie Spuren und Erzählungen aus der…mehr

Produktbeschreibung
Wann beginnt die Geschichte des Islams in Deutschland? Wie sieht der Lebensalltag von Muslim_innen hierzulande aus? Wie gestalten sie ihren Glauben und wie bringen sie sich in die Gesellschaft ein? In Moin und Salam gehen der Fotojournalist Julius Matuschik und die Politik- und Religionswissenschaftlerin Raida Chbib diesen und anderen Fragen nach, ohne einfache Antworten präsentieren zu wollen. Mit eindrucksvollen historischen Aufnahmen, lebensnahen Fotografien und Texten zur Geschichte und Gegenwart des Islams und von Muslim_innen in Deutschland folgen sie Spuren und Erzählungen aus der Vergangenheit bis in die heutige Zeit. Der Bildband lädt dazu ein, die Vielfalt und das lebendige Spektrum muslimischen Lebens im Zeitverlauf über Darstellungen in Bild mit Wort zu entdecken.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.05.2024

Islam-Bild mit blinden Flecken

FRANKFURT Die Wissenschaftlerin Raida Chbib und der Fotograf Julius Matuschik wollen in einem Buch die Vielfalt muslimischen Lebens in Deutschland zeigen. Das gelingt ihnen - doch gleichzeitig wird Heikles verharmlost oder ausgeblendet.

Von Sascha Zoske

Hakan Tekin und Raphael Kohn stehen zusammen auf dem Rasen. Der Muslim und der Jude sind im selben Team: Sie gehören zum Fußballtrainerstab von Makkabi, dem Dachverband jüdisch-deutscher Sportvereine. Buchstäblich auf derselben Bank sitzen Michael Fürst und Yazid Shammout. Beide sind Gemeindevorsitzende in Hannover und engagieren sich für den jüdisch-palästinensischen Dialog.

Gemeinsam auf dem Sportplatz, einträchtig auf der Parkbank: Juden und Muslime müssen einander nicht hassen, sie können friedlich zusammenleben. Das sollen diese Fotos aus der Gegenwart belegen, die in dem Bildband "Moin und Salam" zu finden sind. Das Buch enthält auch historische Aufnahmen. Eine stammt aus dem Jahr 1943. Sie zeigt drei Männer in Uniform, die in einer Broschüre mit dem Titel "Islam und Judentum" lesen. Auf dem Kopf tragen sie einen Fez mit Reichsadler und SS-Totenkopf. Es sind Angehörige einer Waffen-SS-Division aus bosnisch-muslimischen Freiwilligen, aufgestellt unter anderem zu dem Zweck, Muslime für den Kampf gegen den "gemeinsamen Feind", die Juden, zu vereinnahmen. Auch das gehört zur Geschichte des Islams in Deutschland.

Dass Raida Chbib und Julius Matuschik solche Kapitel nicht aussparen, ist löblich. Chbib ist Geschäftsführerin der Akademie für Islam in Wissenschaft und Gesellschaft, angesiedelt an der Goethe-Universität, hauptsächlich gefördert vom Bundesforschungsministerium. Der Fotograf Matuschik hat ein "Praxis-Fellowship" an der Akademie absolviert, das von der Stiftung Mercator finanziert wurde. Er hat viele der aktuellen Bilder des Bandes beigesteuert. Chbib verfasste zu allen Fotos die Begleittexte.

"Es war uns wichtig, das muslimische Leben in Deutschland in seiner Breite zu präsentieren", sagt die Religionswissenschaftlerin. Matuschik ergänzt: "Der fotografische Blick auf den Islam ist oft klischeebehaftet und exotisierend. Mir kam es darauf an, Muslime als Teil der Gesellschaft zu zeigen - und nicht immer nur in der Moschee in entindividualisierender Form." Das Buch ist eines der Resultate seines Projekts, zu dem auch eine Website mit Blog (www.moinundsalam.de) und ein Fotoarchiv (www.islamimbild.de) gehören. Rund anderthalb Jahre lang hat Matuschik Privatleute, Vereine und politisch-religiöse Akteure besucht, teils auf Anregung aus der muslimischen Community, teils inspiriert von Presseberichten über Protagonisten, die ihm interessant erschienen - etwa über eine muslimische Imkerin oder einen Karnevalisten. "Das war eine Wahnsinnsreise", sagt Matuschik über seine Erkundungen.

Der gedruckte Reisebericht wird dem Vorsatz seiner Verfasser gerecht, ein Bild der Vielfalt zu zeichnen. Er weist aber auch einige blinde Flecken und Verzerrungen auf, die irritierend, ja ärgerlich sind - gerade wegen des erklärten Anspruchs, einseitigen Darstellungen des Islams entgegenzutreten.

Das Foto der muslimischen SS-Soldaten wird im Buch fälschlich auf das Jahr 1936 datiert. Doch das ist ein vergleichsweise kleiner Fauxpas. Schwerer ins Gewicht fallen unausgewogene und realitätsfremde Kommentare in den Buchkapiteln, die sich mit der Gegenwart beschäftigen. So heißt es unter der Überschrift "Zusammenleben", neben der Mehrheit gut integrierter muslimischer Bürger seien in Deutschland "auch vereinzelt Problemfälle" zu finden, die sich von der Gesellschaft absonderten. Rechtsextreme Tendenzen sieht Autorin Chbib - zu Recht - nicht als Einzelfälle. Angesichts der Aufmärsche von Kalifats-Anhängern und der Parallelgesellschaften in ganzen Stadtvierteln verbietet sich solche Verharmlosung aber auch mit Blick auf Islamismus und Desintegration.

Von der Aktualität dieser Gefahren weiß das Buch wenig zu berichten. Es erweckt den Eindruck, antiislamische Ressentiments in Deutschland seien überwiegend auf die Anschläge in den USA vom 11. September 2001 zurückzuführen; von der Welle dschihadistischen Terrors mit Hunderten Toten, die in den Jahren danach Europa heimsuchte, schweigt der Text. Geradezu absurd wirkt es, wenn als Beispiel für salafistische Radikalisierung auf die 2005 eingerichtete und mittlerweile eingestellte Website "Die Wahre Religion" verwiesen wird. Von derzeit virulenten Propaganda-Plattformen wie "Muslim interaktiv" und "Realität Islam" ist dagegen keine Rede.

Und noch etwas fällt unangenehm auf: In der Druckfassung finden sich zwar Bilder etlicher bekannter muslimischer Akteure, aber kein Foto der Berliner Anwältin Seyran Ates, Mitgründerin der Berliner Ibn-Rushd-Goethe-Moschee. Dort sind auch queere Muslime willkommen, was Ates zum Ziel fundamentalistischen Hasses werden ließ. Auch im Text wird das prominente Zeugnis eines liberalen Islams, das Ates gegeben hat, nicht erwähnt. Nur eine Unaufmerksamkeit?

"Ich schließe aus, dass irgendjemand Bedenken hatte, Seyran Ates und ihre Ibn-Rushd-Goethe-Moschee im Rahmen des Projekts ,Moin und Salam' zu thematisieren", hebt Chbib auf Nachfrage hervor. "Natürlich war der Platz im Bildband begrenzt, und es war nicht viel Raum, um die Bilder vollständig zu kommentieren." Die Geschäftsführerin argumentiert, dass Fotos der Grünen-Bundestagsabgeordneten Lamya Kaddor oder der Tanzpädagogin Zahra Khadraoui exemplarisch für den liberalen Islam stünden. Fotograf Matuschik merkt zudem an, dass in der "virtuellen Verlängerung" des Buches im Netz der queere Frankfurter Imam Marco Linguri porträtiert sei. Es habe also keine Berührungsängste gegenüber diesem Thema gegeben.

Auch Chbib verweist auf digitale Ergänzungen, mit denen viele Aspekte vertieft würden, die im Buch nur angerissen seien. So gebe es Interviews mit dem Extremismusforscher Götz Nordbruch und mit Karoline Roscher-Lagzouli, die zeitweise dem Salafismus angehangen habe. Die Audio- und Videodateien könnten über QR-Codes im Buch aufgerufen werden. Auch wenn mit dem Bildband eine Art Bilanz von "Moin und Salam" vorliegt, sieht Chbib das Projekt noch nicht als abgeschlossen an. Zur Kritik daran sagt sie: "Wir können das als Anregung mit in die Redaktionssitzungen für den Blog nehmen."

Raida Chbib und Julius Matuschik: "Moin und Salam". Muslimisches Leben in Deutschland. Kerber Verlag, 208 Seiten, 42 Euro.

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