Produktdetails
- Verlag: Argon
- ISBN-13: 9783870245139
- ISBN-10: 3870245131
- Artikelnr.: 08495762
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.03.2000Der Sterberollen-Spezialist
Eine Biographie erinnert an den Schauspieler Alexander Moissi
Im Foyer des Deutschen Theaters fand am Mittwoch eine nächtliche Séance statt, eine Zeitreise im Dämmerlicht der Kronleuchter, eine von Stuck und goldgeschmückten Säulen geschützte Geisterbeschwörung im beruhigenden Bewusstsein, dass dieses Haus nicht nur über stasibelastete Mitarbeiter, überzogene Etats und abgesetzte Inszenierungen, sondern auch über eine große Vergangenheit verfügt. Rüdiger Schaper stellte, unterstützt von den Schauspielern Eva Weißenborn und Tom Quaas, sein im Argon Verlag erschienenes Buch über Alexander Moissi vor, den der Autor den "berühmtesten Schauspieler seiner Zeit" nennt. Moissis Zeit waren die ersten Jahrzehnte des zwanzigsten Jahrhunderts - und sie waren es doch nicht, da er, so Schapers These, aus seiner Epoche herausfällt.
Vor dem Ersten Weltkrieg wirkte Moissi im Kontrast zu behäbigem Naturalismus und dröhnendem Klassikerpathos außerordentlich modern, zerrissen, intellektuell, und nach dem Krieg, im aggressiven Klima der zwanziger Jahre, erschien er wie das Überbleibsel einer versunkenen Epoche, ein empfindlicher Abkömmling vergangener Tage. Wie mit keinem anderen Regisseur ist sein Name verbunden mit Max Reinhardt, dessen umjubelter Star er unter anderem am Deutschen Theater war, ein Schauspieler mit weich schmelzender Stimme, deren Melodie sein jüngerer Kollege Fritz Kortner "beglückend" nannte, ein Jüngling mit knabenhaft zartem Gesicht und einer offenbar unerhörten erotischen Wirkung, über dessen Frauenverbrauch in den Zeitungen mit fünfstelligen Zahlen spekuliert wurde - ein früher Popstar, dem ein missmutiger Kritiker der zehner Jahre "Damenlieblingstum" und "Tenorhaftigkeit" attestierte und den Alfred Kerr in Anspielung auf die so undeutsche, südlich sinnliche Ausstrahlung des aus Triest Stammenden einen "Hamletino" nannte.
Rüdiger Schaper, Theaterkritiker des "Tagesspiegel", hat nur auf den ersten Blick eine Schauspielerbiographie geschrieben. In Wirklichkeit ist dieser Roman eines Künstlerlebens die Beschwörung einer Legende, eines faszinierenden, rätselhaften, sich dem analytischen Zugriff entziehenden "Prinzen", dem sich Schaper mit warmer Zuneigung nähert. Der kühle Blick des Theaterhistorikers, gar ein wissenschaftlicher Apparat mit Rollenverzeichnis, Bibliografie und peniblem Nachweis der Quellen hätte den Sog des Erzählflusses nur behindert. In dieser Beschwörung eines zeitentrückten Wunderwesens steckt ein sehnsuchtsvoller Blick auf die "Welt von gestern", wie Stefan Zweig, einer von vielen Bewunderern Moissis, die versunkene Zeit vor dem Epochenbruch von 1914 nennt. Fast wirkt es, als wolle sich ein Kritiker von den Moden der Moderne, von den Spielen der Dekonstruktion und des neuen Sozialrealismus durch einen langen Besuch im Theatermuseum erholen.
Die Veranstaltung im Deutschen Theater beginnt mit einer kleinen Sensation. Bei seinen Recherchen hat Schaper eine im Archiv schlummernde Kostbarkeit entdeckt, fünfundfünfzig Sekunden Filmmaterial, das Moissi in seiner berühmtesten Rolle als Fedja in Tolstois "Der lebende Leichnam" zeigt - ein Schauspieler, der mit wehklagendem, dunkel lockendem Singsang die Zuschauer verführt. Mit diesem kurzen Film ist der Grundakkord der Buchpräsentation, ja des ganzen Buches gegeben - die leitmotivisch wiederkehrende Frage, wie man aus den wenigen Dokumenten, aus Fotos, Kritiken, Briefen und knisternden, rauschenden Grammophonaufnahmen das Leben, die Kunst eines Schauspielers rekonstruieren und einfühlend nacherzählen kann. Auch ein anderes Motiv klingt in diesem Dokument an: die seltsame Verlorenheit des Berühmten und die Todesnähe des jung Gestorbenen, den Schaper einen "Sterberollenspezialisten" nennt.
PETER LAUDENBACH
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Eine Biographie erinnert an den Schauspieler Alexander Moissi
Im Foyer des Deutschen Theaters fand am Mittwoch eine nächtliche Séance statt, eine Zeitreise im Dämmerlicht der Kronleuchter, eine von Stuck und goldgeschmückten Säulen geschützte Geisterbeschwörung im beruhigenden Bewusstsein, dass dieses Haus nicht nur über stasibelastete Mitarbeiter, überzogene Etats und abgesetzte Inszenierungen, sondern auch über eine große Vergangenheit verfügt. Rüdiger Schaper stellte, unterstützt von den Schauspielern Eva Weißenborn und Tom Quaas, sein im Argon Verlag erschienenes Buch über Alexander Moissi vor, den der Autor den "berühmtesten Schauspieler seiner Zeit" nennt. Moissis Zeit waren die ersten Jahrzehnte des zwanzigsten Jahrhunderts - und sie waren es doch nicht, da er, so Schapers These, aus seiner Epoche herausfällt.
Vor dem Ersten Weltkrieg wirkte Moissi im Kontrast zu behäbigem Naturalismus und dröhnendem Klassikerpathos außerordentlich modern, zerrissen, intellektuell, und nach dem Krieg, im aggressiven Klima der zwanziger Jahre, erschien er wie das Überbleibsel einer versunkenen Epoche, ein empfindlicher Abkömmling vergangener Tage. Wie mit keinem anderen Regisseur ist sein Name verbunden mit Max Reinhardt, dessen umjubelter Star er unter anderem am Deutschen Theater war, ein Schauspieler mit weich schmelzender Stimme, deren Melodie sein jüngerer Kollege Fritz Kortner "beglückend" nannte, ein Jüngling mit knabenhaft zartem Gesicht und einer offenbar unerhörten erotischen Wirkung, über dessen Frauenverbrauch in den Zeitungen mit fünfstelligen Zahlen spekuliert wurde - ein früher Popstar, dem ein missmutiger Kritiker der zehner Jahre "Damenlieblingstum" und "Tenorhaftigkeit" attestierte und den Alfred Kerr in Anspielung auf die so undeutsche, südlich sinnliche Ausstrahlung des aus Triest Stammenden einen "Hamletino" nannte.
Rüdiger Schaper, Theaterkritiker des "Tagesspiegel", hat nur auf den ersten Blick eine Schauspielerbiographie geschrieben. In Wirklichkeit ist dieser Roman eines Künstlerlebens die Beschwörung einer Legende, eines faszinierenden, rätselhaften, sich dem analytischen Zugriff entziehenden "Prinzen", dem sich Schaper mit warmer Zuneigung nähert. Der kühle Blick des Theaterhistorikers, gar ein wissenschaftlicher Apparat mit Rollenverzeichnis, Bibliografie und peniblem Nachweis der Quellen hätte den Sog des Erzählflusses nur behindert. In dieser Beschwörung eines zeitentrückten Wunderwesens steckt ein sehnsuchtsvoller Blick auf die "Welt von gestern", wie Stefan Zweig, einer von vielen Bewunderern Moissis, die versunkene Zeit vor dem Epochenbruch von 1914 nennt. Fast wirkt es, als wolle sich ein Kritiker von den Moden der Moderne, von den Spielen der Dekonstruktion und des neuen Sozialrealismus durch einen langen Besuch im Theatermuseum erholen.
Die Veranstaltung im Deutschen Theater beginnt mit einer kleinen Sensation. Bei seinen Recherchen hat Schaper eine im Archiv schlummernde Kostbarkeit entdeckt, fünfundfünfzig Sekunden Filmmaterial, das Moissi in seiner berühmtesten Rolle als Fedja in Tolstois "Der lebende Leichnam" zeigt - ein Schauspieler, der mit wehklagendem, dunkel lockendem Singsang die Zuschauer verführt. Mit diesem kurzen Film ist der Grundakkord der Buchpräsentation, ja des ganzen Buches gegeben - die leitmotivisch wiederkehrende Frage, wie man aus den wenigen Dokumenten, aus Fotos, Kritiken, Briefen und knisternden, rauschenden Grammophonaufnahmen das Leben, die Kunst eines Schauspielers rekonstruieren und einfühlend nacherzählen kann. Auch ein anderes Motiv klingt in diesem Dokument an: die seltsame Verlorenheit des Berühmten und die Todesnähe des jung Gestorbenen, den Schaper einen "Sterberollenspezialisten" nennt.
PETER LAUDENBACH
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Peter Iden, Theaterchefkritiker der FR, nimmt sich das Buch seines Kollegen vom Berliner "Tagesspiegel" vor: lobpreisend, mit wärmsten Empfehlungen für eine Biografie des Schauspielers Alexander Moissi, einem Heroen der Schauspielkunst zu Anfang des 20. Jahrhunderts, der mit seinem italianisierten Sprachduktus eher sang als sprach und alle in den Bann zog. Auch die Kritik, die seine fremdländische Art zunächst ablehnte. Außerdem konnte keiner so schön sterben wie er, bemerkt Iden, der dem Autor eine ungewöhnlich suggestive und einfühlsame Erzählweise zuschreibt. Schaper habe umfassend recherchiert und dem zerrissenen Lebensweg des internationalen Künstlers ebenso wie der politisch bewegten Epoche sensibel nachgespürt. Das Künstlerportrait als Zeitgeschichte.
© Perlentaucher Medien GmbH
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