Was tut ein vierzehnjähriger Pariser Vorstadtjunge aus prekären Verhältnissen abends in der Bibliothek? Er hilft seinem Vater, der den Lebensunterhalt der Familie als Putzkraft verdient, und wischt Staub von den Büchern. Hin und wieder schlägt er eines auf, lernt neue Wörter und lacht sich kaputt.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 05.02.2015Wie man Wörter
abstaubt
Saphia Azzeddines Banlieue-Satire
„Mein Vater ist Putzfrau“
„Wörter, die Angst machen, bei denen man sich bis auf die Knochen blamiert, wenn man ihren Sinn nicht kennt“ – für den 14-jährigen Paul aus der fiktiven Pariser Vorstadt Saint-Thiers-lès-Osméoles sind sie der Fahrschein hinaus aus dem Ghetto. Pauls Mutter ist gelähmt und verbringt ihre Zeit im Bett damit, zu zappen, Zeitschriften durchzublättern und Psycho-Tests über Sex und Liebe auszufüllen. Pauls Schwester hat wenige Ziele im Leben außer denen, einen der Schwarzafrikaner aus ihrem Wohnblock abzukriegen, Fachfrau für künstliche Fingernägel zu werden und den regionalen Schönheitswettbewerb zu gewinnen. Und Pauls Vater Michel arbeitet, wie der Titel des Romans bereits verrät, als Putzfrau.
Die 1979 in Marokko geborenen Saphia Azzeddine, die mit ihrem Erstling „Zorngebete“ (2008) den Überlebenskampf einer jungen Muslimin in Nordafrika beschrieb, liefert mit ihrem zweiten Roman (2009 in Frankreich erschienen) eine Satire auf das Prekariat in den Pariser Vorstadtghettos. In „Mein Vater ist Putzfrau“ berichtet die Franko-Marokkanerin, wie sie selbst sagt, aus eigener Erfahrung. Mit neun Jahren zog sie mit ihren Eltern nach Frankreich, wo ihr Vater fortan als Schneider arbeitete. Spätestens seit der preisgekrönten Verfilmung ihres Romans, bei der Azzeddine selbst Regie führte, hat sie den Sprung in diejenigen Gesellschaftskreise Frankreichs geschafft, die den Protagonisten ihres Romans verschlossen bleiben. Dabei spielt sie umso genüsslicher mit allen Klischees und Vorurteilen über die Parallelwelt der Banlieues.
Pauls Familie stammt ursprünglich aus der bretonischen Provinz. Von seinem Onkel wird Paul brutal missbraucht, was dieser verschweigt, weil seine Mutter ihm nicht glauben und sein Vater den Onkel umbringen würde. Als der Vater schließlich eine Anstellung in der Pariser Vorstadt angeboten wird, scheint alles bereit zur Flucht aus der Hölle. Doch leider wird auch daraus nichts: „Sie haben einen Araber genommen, um die Quote zu erfüllen. Diese Quote, die beweist, dass du die Araber im Grunde genommen ganz gern hast.“
Jetzt hilft Paul seinem Vater nach der Schule beim Putzen: in Pariser Büroräumen, in denen die anderen ihre Karriere durchziehen, auf der Bar Mizwa in der nahegelegenen jüdischen Gemeinde, in den Discos der Jeunesse dorée, oder in der Bibliothek, in der die Werke der großen Autoren stehen. Paul, der sich selbst als „klein, weiß und hässlich“ beschreibt, will seinen Weg auf „die andere Seite des Autobahnrings“ durch die Lektüre von „Autoren, die Angst machen“ ebnen. Bei Flaubert lernt er, wie ein Mann sich 400 Seiten Zeit lässt bis zum ersten Kuss: „In Zeiten, wo man eine SMS verschickt, wenn man Lust zum Vögeln hat, finde ich das außergewöhnlich, schwindelerregend, verrückt, unfassbar, extravagant, wahnsinnig, grandios . . .“
Jede Woche lernt Paul beim Abstauben ein neues Wort, nicht nur um die Mädchen in der Schule zu beeindrucken, sondern auch, um Stück für Stück die unsichtbare Wand abzutragen zwischen ihm und denen, die Erfolg haben werden im Leben. In der Schule lernt er ein Bildungssystem kennen, dem die republikanischen Werte nur als Feigenblatt dienen. Seine Lehrerin bemüht sich, jeden Laut der fremdländischen Namen ihrer Schüler deutlich auszusprechen, was Paul eher als Zeichen des subtilen Rassismus denn als Bemühung um Gleichbehandlung interpretiert. Aber als „weißer Franzose“ ist auch er selbst Opfer der gesellschaftlichen Spaltung. In der Parallelwelt der Banlieue will er abwechselnd Jude, Muslim oder einfach „reicher amerikanischer Jugendlicher“ sein, je nachdem, was am meisten Halt und Anerkennung verspricht.
Pauls Suche nach Identifikation und Identität beschreibt Saphia Azzeddine mit Lust an der Provokation und manchmal überschäumender Fabulierwut. Im besten Falle sind ihre Einfälle erfrischend unverblümt und humorvoll, immer wieder aber wirken sie plakativ. Pauls Sex-Phantasien beim Besuch, sein „Neid“ auf die Araber oder Feststellungen wie: „Jesus sah am Kreuz wahnsinnig sexy und aufreizend aus und hatte ein Heidenspaß daran, vor aller Augen zu leiden“ erscheinen in ihrer demonstrativen Naivität gewollt.
In Interviews betont Azzeddine, dass die Situierung ihrer Handlung in der Banlieue nur ein „bedeutungsloses geografisches Detail“ sei. Allerdings darf man der Autorin angesichts der weitgehenden Gesetzlosigkeit in einigen Brennpunkten der Pariser Vorstädte, in die sich kein Notarzt, Polizist, Taxifahrer, Journalist oder Paketauslieferer mehr alleine traut, eine zumindest selektive literarische Weltschau unterstellen. Am Ende gelingt es Paul, den scheinbar vorgezeichneten Weg ins gesellschaftliche Abseits zu verlassen und der Sprachlosigkeit zu entkommen. Stück für Stück erkennt er, dass Sprache Gedanken formt, und Gedanken das Leben formen können. Immerhin. Doch als Gesellschaftssatire hinterlässt Azzeddines Roman vor allem den schalen Nachgeschmack von Albernheit.
CORNELIUS WÜLLENKEMPER
Saphia Azzeddine: Mein Vater ist Putzfrau. Aus dem Französischen von Birgit Leib. Wagenbach Verlag, Berlin 2015. 123 Seiten, 14,90 Euro. E-Book 12,99 Euro.
Auch der weiße Franzose
Paul ist Opfer der Spaltung,
die durch die Gesellschaft geht
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
abstaubt
Saphia Azzeddines Banlieue-Satire
„Mein Vater ist Putzfrau“
„Wörter, die Angst machen, bei denen man sich bis auf die Knochen blamiert, wenn man ihren Sinn nicht kennt“ – für den 14-jährigen Paul aus der fiktiven Pariser Vorstadt Saint-Thiers-lès-Osméoles sind sie der Fahrschein hinaus aus dem Ghetto. Pauls Mutter ist gelähmt und verbringt ihre Zeit im Bett damit, zu zappen, Zeitschriften durchzublättern und Psycho-Tests über Sex und Liebe auszufüllen. Pauls Schwester hat wenige Ziele im Leben außer denen, einen der Schwarzafrikaner aus ihrem Wohnblock abzukriegen, Fachfrau für künstliche Fingernägel zu werden und den regionalen Schönheitswettbewerb zu gewinnen. Und Pauls Vater Michel arbeitet, wie der Titel des Romans bereits verrät, als Putzfrau.
Die 1979 in Marokko geborenen Saphia Azzeddine, die mit ihrem Erstling „Zorngebete“ (2008) den Überlebenskampf einer jungen Muslimin in Nordafrika beschrieb, liefert mit ihrem zweiten Roman (2009 in Frankreich erschienen) eine Satire auf das Prekariat in den Pariser Vorstadtghettos. In „Mein Vater ist Putzfrau“ berichtet die Franko-Marokkanerin, wie sie selbst sagt, aus eigener Erfahrung. Mit neun Jahren zog sie mit ihren Eltern nach Frankreich, wo ihr Vater fortan als Schneider arbeitete. Spätestens seit der preisgekrönten Verfilmung ihres Romans, bei der Azzeddine selbst Regie führte, hat sie den Sprung in diejenigen Gesellschaftskreise Frankreichs geschafft, die den Protagonisten ihres Romans verschlossen bleiben. Dabei spielt sie umso genüsslicher mit allen Klischees und Vorurteilen über die Parallelwelt der Banlieues.
Pauls Familie stammt ursprünglich aus der bretonischen Provinz. Von seinem Onkel wird Paul brutal missbraucht, was dieser verschweigt, weil seine Mutter ihm nicht glauben und sein Vater den Onkel umbringen würde. Als der Vater schließlich eine Anstellung in der Pariser Vorstadt angeboten wird, scheint alles bereit zur Flucht aus der Hölle. Doch leider wird auch daraus nichts: „Sie haben einen Araber genommen, um die Quote zu erfüllen. Diese Quote, die beweist, dass du die Araber im Grunde genommen ganz gern hast.“
Jetzt hilft Paul seinem Vater nach der Schule beim Putzen: in Pariser Büroräumen, in denen die anderen ihre Karriere durchziehen, auf der Bar Mizwa in der nahegelegenen jüdischen Gemeinde, in den Discos der Jeunesse dorée, oder in der Bibliothek, in der die Werke der großen Autoren stehen. Paul, der sich selbst als „klein, weiß und hässlich“ beschreibt, will seinen Weg auf „die andere Seite des Autobahnrings“ durch die Lektüre von „Autoren, die Angst machen“ ebnen. Bei Flaubert lernt er, wie ein Mann sich 400 Seiten Zeit lässt bis zum ersten Kuss: „In Zeiten, wo man eine SMS verschickt, wenn man Lust zum Vögeln hat, finde ich das außergewöhnlich, schwindelerregend, verrückt, unfassbar, extravagant, wahnsinnig, grandios . . .“
Jede Woche lernt Paul beim Abstauben ein neues Wort, nicht nur um die Mädchen in der Schule zu beeindrucken, sondern auch, um Stück für Stück die unsichtbare Wand abzutragen zwischen ihm und denen, die Erfolg haben werden im Leben. In der Schule lernt er ein Bildungssystem kennen, dem die republikanischen Werte nur als Feigenblatt dienen. Seine Lehrerin bemüht sich, jeden Laut der fremdländischen Namen ihrer Schüler deutlich auszusprechen, was Paul eher als Zeichen des subtilen Rassismus denn als Bemühung um Gleichbehandlung interpretiert. Aber als „weißer Franzose“ ist auch er selbst Opfer der gesellschaftlichen Spaltung. In der Parallelwelt der Banlieue will er abwechselnd Jude, Muslim oder einfach „reicher amerikanischer Jugendlicher“ sein, je nachdem, was am meisten Halt und Anerkennung verspricht.
Pauls Suche nach Identifikation und Identität beschreibt Saphia Azzeddine mit Lust an der Provokation und manchmal überschäumender Fabulierwut. Im besten Falle sind ihre Einfälle erfrischend unverblümt und humorvoll, immer wieder aber wirken sie plakativ. Pauls Sex-Phantasien beim Besuch, sein „Neid“ auf die Araber oder Feststellungen wie: „Jesus sah am Kreuz wahnsinnig sexy und aufreizend aus und hatte ein Heidenspaß daran, vor aller Augen zu leiden“ erscheinen in ihrer demonstrativen Naivität gewollt.
In Interviews betont Azzeddine, dass die Situierung ihrer Handlung in der Banlieue nur ein „bedeutungsloses geografisches Detail“ sei. Allerdings darf man der Autorin angesichts der weitgehenden Gesetzlosigkeit in einigen Brennpunkten der Pariser Vorstädte, in die sich kein Notarzt, Polizist, Taxifahrer, Journalist oder Paketauslieferer mehr alleine traut, eine zumindest selektive literarische Weltschau unterstellen. Am Ende gelingt es Paul, den scheinbar vorgezeichneten Weg ins gesellschaftliche Abseits zu verlassen und der Sprachlosigkeit zu entkommen. Stück für Stück erkennt er, dass Sprache Gedanken formt, und Gedanken das Leben formen können. Immerhin. Doch als Gesellschaftssatire hinterlässt Azzeddines Roman vor allem den schalen Nachgeschmack von Albernheit.
CORNELIUS WÜLLENKEMPER
Saphia Azzeddine: Mein Vater ist Putzfrau. Aus dem Französischen von Birgit Leib. Wagenbach Verlag, Berlin 2015. 123 Seiten, 14,90 Euro. E-Book 12,99 Euro.
Auch der weiße Franzose
Paul ist Opfer der Spaltung,
die durch die Gesellschaft geht
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.07.2015Vorlaut und sehnsüchtig
Vater und Sohn: Saphia Azzeddines Familienroman
Eigentlich heißt er Paul, aber sein Vater nennt ihn Polo. Schnörkellos erzählt er vom Leben in einem Pariser Stadtteil; von seinem Vater, der als Putzmann arbeitet, bei Zahnärzten, in Sporthallen oder in Bibliotheken. Und wenn Polo, der gerade die achte Klasse wiederholt, seinen Vater dorthin begleitet, zieht er sich gerne Bücher aus dem Regal. Beim Polieren sucht er sich ein besonderes Wort der Woche. Er liebt die Wörter. Nicht irgendwelche, sondern "Wörter, die Angst machen. Die arroganten, die hochgestochenen, bei denen du dich bis auf die Knochen blamierst, wenn du ihren Sinn nicht kennst". Sein Vater kann ihm zwar nicht sagen, was "obskur" bedeutet. Aber Polo lernt Wichtigeres von ihm. Vor allem: Haltung.
Doch es bleibt für den Jungen ein schwieriger Spagat. Hier der Vater, mit dem er mitunter Mitleid hat, wofür er sich wiederum sofort schämt. Dort die Schule und die Gleichaltrigen mit ihren Klassenkämpfen und verschiedenen Kulturen. Beim muslimischen Freund muss Polo Datteln mit Sauermilch herunterwürgen; beim jüdischen Freund auf dessen Bar-Mizwa-Feier die erotische Anziehungskraft der Mutter aushalten. Und wenn sich durch Romane bisweilen eine Tür in Milieus und verborgene Innenwelten öffnet, dann hier, im Roman "Mein Vater ist Putzfrau". Geschrieben hat ihn die 1979 in Marokko geborene Schriftstellerin und Schauspielerin Saphia Azzeddine. Sie zog selbst mit neun Jahren nach Frankreich. Schon ihr Roman "Zorngebete" (2008; 2013 auf Deutsch), die Geschichte einer Nordafrikanerin, die sich als rechteloses Dienstmädchen durchschlägt, überzeugte vor allem durch den Sprachduktus: prall, derb, selbstironisch, dabei nie jammernd. Die so erzeugte Direktheit nimmt einen auch bei Polo sofort wieder gefangen.
Hinter Polos vorlautem Ton erkennt man seine große Sehnsucht nach unbefangenem Familienleben. Der Roman erzählt nicht zuletzt die Geschichte einer Zuwandererfamilie, die erst bei übergriffigen Verwandten in der Bretagne landet - hier wird Polo geboren - und dann in Paris ihren Platz sucht. Da ist die Mutter, die immerzu fernsieht; die Schwester, die sich als "zu hell" empfindet und lieber schwarz wäre, um als Model Karriere machen zu können; und eben der Vater. Beim Elternabend zum Thema "saufende Halbwüchsige" traut er sich zwar nicht, eine Frage zu stellen. Auf dem Heimweg beeindruckt er Polo aber durch seine eindeutigen Sätze über die zu weichen Eltern, die zuschauten, statt ihren Elternjob zu machen.
Es ist vor allem diese Beziehung zwischen Vater und Sohn, die sich in ihrer respektvollen Prägnanz beeindruckend intim entspinnt. Hier wird mit gebändigter Energie gesprochen, die transparent bleibt für Konflikte, Wünsche, Nöte. Saphia Azzeddine hat die innere und äußere Welt eines phantasiebegabten Heranwachsenden überzeugend zu Leben erweckt.
ANJA HIRSCH.
Saphia Azzeddine: "Mein Vater ist Putzfrau". Roman.
Aus dem Französischen von Birgit Leib. Wagenbach Verlag, Berlin 2015. 121 S., br., 14,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Vater und Sohn: Saphia Azzeddines Familienroman
Eigentlich heißt er Paul, aber sein Vater nennt ihn Polo. Schnörkellos erzählt er vom Leben in einem Pariser Stadtteil; von seinem Vater, der als Putzmann arbeitet, bei Zahnärzten, in Sporthallen oder in Bibliotheken. Und wenn Polo, der gerade die achte Klasse wiederholt, seinen Vater dorthin begleitet, zieht er sich gerne Bücher aus dem Regal. Beim Polieren sucht er sich ein besonderes Wort der Woche. Er liebt die Wörter. Nicht irgendwelche, sondern "Wörter, die Angst machen. Die arroganten, die hochgestochenen, bei denen du dich bis auf die Knochen blamierst, wenn du ihren Sinn nicht kennst". Sein Vater kann ihm zwar nicht sagen, was "obskur" bedeutet. Aber Polo lernt Wichtigeres von ihm. Vor allem: Haltung.
Doch es bleibt für den Jungen ein schwieriger Spagat. Hier der Vater, mit dem er mitunter Mitleid hat, wofür er sich wiederum sofort schämt. Dort die Schule und die Gleichaltrigen mit ihren Klassenkämpfen und verschiedenen Kulturen. Beim muslimischen Freund muss Polo Datteln mit Sauermilch herunterwürgen; beim jüdischen Freund auf dessen Bar-Mizwa-Feier die erotische Anziehungskraft der Mutter aushalten. Und wenn sich durch Romane bisweilen eine Tür in Milieus und verborgene Innenwelten öffnet, dann hier, im Roman "Mein Vater ist Putzfrau". Geschrieben hat ihn die 1979 in Marokko geborene Schriftstellerin und Schauspielerin Saphia Azzeddine. Sie zog selbst mit neun Jahren nach Frankreich. Schon ihr Roman "Zorngebete" (2008; 2013 auf Deutsch), die Geschichte einer Nordafrikanerin, die sich als rechteloses Dienstmädchen durchschlägt, überzeugte vor allem durch den Sprachduktus: prall, derb, selbstironisch, dabei nie jammernd. Die so erzeugte Direktheit nimmt einen auch bei Polo sofort wieder gefangen.
Hinter Polos vorlautem Ton erkennt man seine große Sehnsucht nach unbefangenem Familienleben. Der Roman erzählt nicht zuletzt die Geschichte einer Zuwandererfamilie, die erst bei übergriffigen Verwandten in der Bretagne landet - hier wird Polo geboren - und dann in Paris ihren Platz sucht. Da ist die Mutter, die immerzu fernsieht; die Schwester, die sich als "zu hell" empfindet und lieber schwarz wäre, um als Model Karriere machen zu können; und eben der Vater. Beim Elternabend zum Thema "saufende Halbwüchsige" traut er sich zwar nicht, eine Frage zu stellen. Auf dem Heimweg beeindruckt er Polo aber durch seine eindeutigen Sätze über die zu weichen Eltern, die zuschauten, statt ihren Elternjob zu machen.
Es ist vor allem diese Beziehung zwischen Vater und Sohn, die sich in ihrer respektvollen Prägnanz beeindruckend intim entspinnt. Hier wird mit gebändigter Energie gesprochen, die transparent bleibt für Konflikte, Wünsche, Nöte. Saphia Azzeddine hat die innere und äußere Welt eines phantasiebegabten Heranwachsenden überzeugend zu Leben erweckt.
ANJA HIRSCH.
Saphia Azzeddine: "Mein Vater ist Putzfrau". Roman.
Aus dem Französischen von Birgit Leib. Wagenbach Verlag, Berlin 2015. 121 S., br., 14,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main