Was wäre, wenn bei der französischen Kulturverwaltung eines Tages ein Brief aus Kamerun einträfe, in dem die Kameruner freien Eintritt für das Pariser Museum für außereuropäische Kunst fordern, weil sie sich weigern, Geld für die Betrachtung der Kunstwerke ihrer eigenen Vorfahren auszugeben? Und was wäre, wenn die Kulturfunktionäre angesichts der erregten Debatten um Kunstraub und Restitution einwilligten? In Arno Bertinas schelmischer Fabel wird Europa wieder von seiner Kolonial- und Eroberungsgeschichte eingeholt, und es entspinnt sich eine Kaskade wechselseitiger Forderungen, an deren Ende die Frage steht, ob die Mona Lisa eher 'zurück' nach Italien gehört oder doch eher nach Afrika ausgeliehen werden sollte. Ausgehend von Bertinas provokanten Fragen beschäftigt sich die Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy in einem anschließenden Essay mit der derzeit hochaktuellen Diskussion um Sammlungsgeschichten und Museumsarbeit in der postkolonialen Weltgesellschaft. Durch die Debatten um das Humboldt-Forum in Berlin werden Fragen aufgeworfen, in denen es nicht nur um Eigentum und Restitution geht, sondern auch um die Legitimität von Grenzen und Zutrittsbeschränkungen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.09.2016Freier Eintritt für alle, überall
Arno Bertina über politisch korrekte Museumspolitik
Im Frühjahr 2016 schicken kamerunische Häuptlinge ein Schreiben an die Direktion des Musée du Quai Branly. Sie fordern darin, dass Angehörige des Volks der Bamileke freien Eintritt in das vor zehn Jahren eröffnete Museum afrikanischer und ozeanischer Kunst erhalten. Es sei nicht einzusehen, warum Bamileke dafür bezahlen sollten, die dort ausgestellten drei Werke ihrer Vorfahren zu betrachten. Da man in Paris nicht reagiert, folgt einige Monate später ein zweites Schreiben: Sollte es mit dem freien Eintritt nichts werden, sei man gewillt, bei der Unesco einen Antrag auf Restitution der drei Werke des bamilekischen Kulturerbes zu stellen. Das Stichwort "Restitution" und der Verweis auf die internationale Kulturinstitution weckt die Museumsleitung. Bevor die Sache verwickelt wird, gewährt man den Bamileken im Frühjahr 2017 lieber freien Eintritt.
Jetzt haben die Kameruner gemerkt, dass die Franzosen einem Problem aus dem Weg gehen wollen. Also fordern sie zuerst, dass auch Wanderausstellungen für die Angehörigen der Nationen, aus denen die gezeigten Kunstwerke stammen, frei zugänglich sein sollen. Etwas später kommt noch die Forderung nach kostenlosen Visa hinzu, und die französischen Kulturbeamten sind zunehmend entnervt. Die Angelegenheit kommt nun sogar vor Gremien der Europäischen Union, wo man sie wieder an die Mitgliedstaaten zurückverweist. Die nun auch schon genervten Italiener verfallen darauf, für ihre Landsleute den freien Zutritt zum Louvre zu verlangen, wo ja schließlich nicht wenig Kunst ihrer Vorfahren hänge. Die Kameruner legen mit der Forderung nach, als Ausgleich des in Europa gezeigten afrikanischen Menschheitserbes Bestände aus europäischen Kunstsammlungen in Afrika zu präsentieren. Und im Frühjahr 2019 ist es dann so weit, Frankreich zerschlägt den verwickelten Knoten und fordert freien Eintritt für jedermann für alle kulturellen Orte.
So geht die Fabel, die der französische Autor Arno Bertina erzählt. Es ist eine Geschichte über die kaum auflösbare Schwierigkeit, den allen hochgestochenen Grundsätzen politisch korrekter musealer Präsentation gehorchenden Umgang mit dem Erbe kolonialer Vergangenheit zu finden. Deshalb ist das Musée du Quai Branly, seit kurzem auch nach seinem Initiator Jacques Chirac benannt (F.A.Z. vom 15. Juni), der naheliegende Auslöser. Die Ausweitung auf alle Kunstmuseen, welche die Geschichte vornimmt, ist dabei nicht ohne Witz, besonders viel Mühe macht sich der Autor bei ihrer Ausgestaltung allerdings nicht.
Dafür hat die Berliner Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy ein bündiges Nachwort beigesteuert, das die von der Fabel anvisierten Verlegenheiten der Museumsleute auf den Punkt bringt. Samt Hinweis, dass das Europäische Kulturerbejahr 2018 auf deutsche Anregung unter dem Slogan "Sharing Heritage" stehen wird. Was würde ein solches geteiltes Erbe schließlich besser zum Ausdruck bringen, als im Gegenzug zu den afrikanischen Beständen in europäischen Museen die Mona Lisa mit Afrika zu teilen, sie also zum Beispiel in Bangoulap auf dem Territorium der Bamileke zu zeigen. Vollmundige Parolen beim Wort zu nehmen ist ein gutes Verfahren, sie auf die schwer handhabbaren Widersprüche zusammenschnurren zu lassen, denen sie sich verdanken. Als Wink an die Planer des Berliner Humboldtforums kann man das natürlich auch verstehen.
HELMUT MAYER.
Arno Bertina: "Mona Lisa in Bangoulap". Die Fabel vom Weltmuseum.
Aus dem Französischen und mit einem Nachwort von Bénédicte Savoy. Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2016. 76 S., geb., 12,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Arno Bertina über politisch korrekte Museumspolitik
Im Frühjahr 2016 schicken kamerunische Häuptlinge ein Schreiben an die Direktion des Musée du Quai Branly. Sie fordern darin, dass Angehörige des Volks der Bamileke freien Eintritt in das vor zehn Jahren eröffnete Museum afrikanischer und ozeanischer Kunst erhalten. Es sei nicht einzusehen, warum Bamileke dafür bezahlen sollten, die dort ausgestellten drei Werke ihrer Vorfahren zu betrachten. Da man in Paris nicht reagiert, folgt einige Monate später ein zweites Schreiben: Sollte es mit dem freien Eintritt nichts werden, sei man gewillt, bei der Unesco einen Antrag auf Restitution der drei Werke des bamilekischen Kulturerbes zu stellen. Das Stichwort "Restitution" und der Verweis auf die internationale Kulturinstitution weckt die Museumsleitung. Bevor die Sache verwickelt wird, gewährt man den Bamileken im Frühjahr 2017 lieber freien Eintritt.
Jetzt haben die Kameruner gemerkt, dass die Franzosen einem Problem aus dem Weg gehen wollen. Also fordern sie zuerst, dass auch Wanderausstellungen für die Angehörigen der Nationen, aus denen die gezeigten Kunstwerke stammen, frei zugänglich sein sollen. Etwas später kommt noch die Forderung nach kostenlosen Visa hinzu, und die französischen Kulturbeamten sind zunehmend entnervt. Die Angelegenheit kommt nun sogar vor Gremien der Europäischen Union, wo man sie wieder an die Mitgliedstaaten zurückverweist. Die nun auch schon genervten Italiener verfallen darauf, für ihre Landsleute den freien Zutritt zum Louvre zu verlangen, wo ja schließlich nicht wenig Kunst ihrer Vorfahren hänge. Die Kameruner legen mit der Forderung nach, als Ausgleich des in Europa gezeigten afrikanischen Menschheitserbes Bestände aus europäischen Kunstsammlungen in Afrika zu präsentieren. Und im Frühjahr 2019 ist es dann so weit, Frankreich zerschlägt den verwickelten Knoten und fordert freien Eintritt für jedermann für alle kulturellen Orte.
So geht die Fabel, die der französische Autor Arno Bertina erzählt. Es ist eine Geschichte über die kaum auflösbare Schwierigkeit, den allen hochgestochenen Grundsätzen politisch korrekter musealer Präsentation gehorchenden Umgang mit dem Erbe kolonialer Vergangenheit zu finden. Deshalb ist das Musée du Quai Branly, seit kurzem auch nach seinem Initiator Jacques Chirac benannt (F.A.Z. vom 15. Juni), der naheliegende Auslöser. Die Ausweitung auf alle Kunstmuseen, welche die Geschichte vornimmt, ist dabei nicht ohne Witz, besonders viel Mühe macht sich der Autor bei ihrer Ausgestaltung allerdings nicht.
Dafür hat die Berliner Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy ein bündiges Nachwort beigesteuert, das die von der Fabel anvisierten Verlegenheiten der Museumsleute auf den Punkt bringt. Samt Hinweis, dass das Europäische Kulturerbejahr 2018 auf deutsche Anregung unter dem Slogan "Sharing Heritage" stehen wird. Was würde ein solches geteiltes Erbe schließlich besser zum Ausdruck bringen, als im Gegenzug zu den afrikanischen Beständen in europäischen Museen die Mona Lisa mit Afrika zu teilen, sie also zum Beispiel in Bangoulap auf dem Territorium der Bamileke zu zeigen. Vollmundige Parolen beim Wort zu nehmen ist ein gutes Verfahren, sie auf die schwer handhabbaren Widersprüche zusammenschnurren zu lassen, denen sie sich verdanken. Als Wink an die Planer des Berliner Humboldtforums kann man das natürlich auch verstehen.
HELMUT MAYER.
Arno Bertina: "Mona Lisa in Bangoulap". Die Fabel vom Weltmuseum.
Aus dem Französischen und mit einem Nachwort von Bénédicte Savoy. Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2016. 76 S., geb., 12,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Da erscheint auf Deutsch gerade eine kleine Parabel des französischen Autors Arno Bertina, in der Stammeshäuptlinge aus Tansania den symbolischen Diskurs Europas so ernst nehmen, wie Europa ihn selbst nicht mehr ernst nehmen kann, um ihn dann am Ende überraschend auf eine andere Ebene zu überführen« -Mark Siemons, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung Mark Siemons FAS - Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung 20160925