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Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.02.2007

Schrift in den Wolken
Carmen Rohrbach reist zu Pferd durch die Mongolei
Carmen Rohrbach ist nicht der Typ Reisende, die mal schnell wo hinfährt, um hinterher Binsenweisheiten als neue philosophische Erkenntnis zu verkaufen. Andererseits schützt sie ihre wissenschaftliche Nüchternheit davor, den Leser mit überdosierter Selbsterfahrung zu quälen. Zunächst einmal verfügt sie über Eigenschaften, die eigentlich Voraussetzungen sein sollten für jeden, der sich auf Reisen begibt: Neugier, aber mit Respekt vor dem Fremden; Offenheit, aber auf die Wahrung der eigenen Grenzen bedacht; Furchtlosigkeit, aber ohne Leichtsinn. Ihre Ziele entspringen einer brennenden Sehnsucht. Von der in Bischofswerda Geborenen wird kolportiert, sie habe sich schon als Kind extremen Witterungen ausgesetzt, um für die Reisen ihres Lebens zu trainieren. In dem Land, in dem sie aufwuchs und studierte, durfte man nicht frei reisen. Erst nach ihrer Flucht aus der DDR konnte sie ungehindert nach Namibia fahren, und auch ganz in die Nähe ihrer Wahlheimat bei München, an den Ursprung der Isar.
Die Mongolei war und ist möglicherweise ihr größter Sehnsuchtsort. Seit 1990, seit der Wende, kann jeder in die Mongolei ungehindert einreisen. Seitdem ist das Land beliebtes Ziel Abenteuerlustiger, und die Mongolen selbst werben, wenn auch wenig effektiv, um Touristen. In der Folge erreichen einen die immergleichen Berichte über Jurten, Pferde und vergorene Stutenmilch in landschaftlicher Weite. Carmen Rohrbach hat es anders gemacht. Sie ist mehrmals in die Mongolei gereist. Sie hat 2005 ein Jahr dort gelebt. Sie hat die Sprache gelernt. Sie konnte sich dadurch den Menschen ganz anders nähern als irgendwelche Pferdefreunde, die auch mal im Sattel stehend über Steppengras galoppieren wollten und dafür einen einheimischen Fremdenführer brauchten. Was oder wen Carmen Rohrbach braucht, handelt sie selbst aus, auch wenn ihr schnell gewonnene und ebenso schnell vertraute Freunde dabei helfen.
Sie haben ihr eine Wohnung in der Stadt zur Verfügung gestellt oder einen großzügigen Platz in ihrer Jurte. Sie haben sie bei Einkäufen begleitet oder einen Begleiter auf ihren wochenlangen Ritten durch die Steppe und in die Berge organisiert. Auf ihren oft waghalsigen Touren lernt sie handeln, sie lernt die Landschaft lesen – wenn auch nicht den ungetrübten Himmel, in dem eine Mongolin sogar die Stunde eines nahenden Unwetters erkennt. „Musst nur die Augen aufmachen, hingucken! In der Schule habe ich lesen gelernt, später habe ich gemerkt, dass man auch in der Natur lesen kann wie in einem Buch”, sagt eine dieser weisen Frauen. Carmen Rohrbach weiß, mit ihrem wichtigsten Partner, dem Pferd, zu kommunizieren. Sie kann bald unterscheiden, ob ein Lastpferd gut oder schlecht bepackt ist. Sie traut sich, allein in den Bergen zu sein, um sich der Stille und der Vegetation hinzugeben, die für die ausgebildete Biologin in allen Einzelheiten benennbar ist. Und sie nimmt, später Triumph, auf der Exkursion ihres ehemaligen Biologieprofessors teil, welcher der „politisch Unzuverlässigen” zu DDR-Zeiten die Teilnahme an einer solchen verweigerte.
Deshalb ist „Mongolei. Zu Pferd durch das Land der Winde” kein homogener Bericht, sondern die Niederschrift sehr unterschiedlicher Expeditionen und der damit verbundenen Eindrücke. Und dennoch ist es gerade die Disparatheit der Erfahrungen, die das Bild rundet. Carmen Rohrbach entdeckt die Gegensätze eines Landes, das sich zum einen alter Traditionen besinnt und zum anderen die zweifelhaften Segnungen der Zivilisation aneignet. Sie schildert, wie nach den Jahren des Sozialismus der Animismus wiederbelebt wird und alte Weisheiten zu neuem Recht kommen. Und wie im Zuge westlichen Einflusses der Pauperismus um sich greift. Sie dokumentiert, dies das bittere Fazit nebenbei, eine Lebensform, deren Tage gezählt sind: die der Nomaden. Sie besucht die hoffnungslosen Straßenkinder von Ulan-Bator, aber auch die wilden Adlerjäger bei ihren Festen im Altai. Sie lässt einen lebendig daran teilhaben, eine ganz stark am harten Alltag orientierte Kultur zu entschlüsseln und zu begreifen, warum diese an den lebenserleichternden Veränderungen stirbt. EVA-ELISABETH FISCHER
CARMEN ROHRBACH: Mongolei. Zu Pferd durch das Land der Winde. Frederking & Thaler, München 2006. 280 Seiten, 29 Farbfotos, eine Karte, 19,80 Euro.
Die wilden Spiele in der Steppe und im Gebirge der Mongolei haben schnell Wettkampfcharakter. Ein Mongole geht selten zu Fuß. Sein Fortbewegungsmittel ist das Pferd. Nicht größer als Ponys, zäh und schnell wie der Wind sind die Mongolenpferde, weshalb sie mit Freuden um die Wette rennen. Ruhe und Konzentration zeichnet den Adler-Jäger aus. Der größte von allen: Aralbei mit seinem Steinadler. Foto: Rohrbach
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