Tausende spielen es täglich rund um die Welt, nahezu 200 Millionen Mal verkaufte
es sich seit seiner Patentierung vor 76 Jahren. Das blassgrüne Quadrat
des Spielbretts, das von bunten Straßen gesäumt wird, birgt vor allem für Jugendliche,
die strategischen Spielwitz und Glück auf sich vereinen, scheinbar
unerschöpfliche Möglichkeiten der Geldvermehrung. Erwachsene dagegen
betrachten
das Spiel oft mit Argwohn als Einübung in die Regeln eines vermeintlich
rüden, urtümlichen Kapitalismus. Kein Wunder, dass Monopoly in allen
sozialistischen Ländern streng verboten war - und als Schmuggelware stets
reißenden Absatz fand.
Andreas Tönnesmann setzt hinter diese vorschnelle Bewertung ein entschiedenes
Fragezeichen. Er entführt den Leser in die Entstehungszeit des Spiels
und erzählt die Glücksgeschichte seines Erfinders Charles Darrow. Und er zeigt,
dass Monopoly eine Stadt ist, in der sich widersprüchliche ökonomische Denkansätze
- Privateigentum und Preiskontrolle, staatliche Alimentierung und freie
Konkurrenz - zu einer einzigartigen Utopie, zu einem künstlichen Wirtschaftssystem
verbinden. Aber es ist auch Abbild eines geometrisch geordneten Gemeinwesens,
eine "Idealstadt", zu deren Ahnherren Thomas Morus, Albrecht Dürer,
Jules Verne oder Frank Lloyd Wright gehören.
es sich seit seiner Patentierung vor 76 Jahren. Das blassgrüne Quadrat
des Spielbretts, das von bunten Straßen gesäumt wird, birgt vor allem für Jugendliche,
die strategischen Spielwitz und Glück auf sich vereinen, scheinbar
unerschöpfliche Möglichkeiten der Geldvermehrung. Erwachsene dagegen
betrachten
das Spiel oft mit Argwohn als Einübung in die Regeln eines vermeintlich
rüden, urtümlichen Kapitalismus. Kein Wunder, dass Monopoly in allen
sozialistischen Ländern streng verboten war - und als Schmuggelware stets
reißenden Absatz fand.
Andreas Tönnesmann setzt hinter diese vorschnelle Bewertung ein entschiedenes
Fragezeichen. Er entführt den Leser in die Entstehungszeit des Spiels
und erzählt die Glücksgeschichte seines Erfinders Charles Darrow. Und er zeigt,
dass Monopoly eine Stadt ist, in der sich widersprüchliche ökonomische Denkansätze
- Privateigentum und Preiskontrolle, staatliche Alimentierung und freie
Konkurrenz - zu einer einzigartigen Utopie, zu einem künstlichen Wirtschaftssystem
verbinden. Aber es ist auch Abbild eines geometrisch geordneten Gemeinwesens,
eine "Idealstadt", zu deren Ahnherren Thomas Morus, Albrecht Dürer,
Jules Verne oder Frank Lloyd Wright gehören.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.11.2011Nimm eine Ereigniskarte oder rücke vor bis auf Los
Schulen gibt es dort zwar nicht, nur Immobilien und Gefängnisse. Der Kunsthistoriker Andreas Tönnesmann deutet Monopoly aber trotzdem als Spiel gewordene Variante einer Idealstadt.
Von Hannes Hintermeier
Monopoly spielen heißt zu wissen, dass es Stabilität und Verlässlichkeit gibt." Das behauptet der Autor gleich in der Einleitung, und man ist versucht ihm zu widersprechen. Stabil und verlässlich ist an "Monopoly" nur, dass es zeitraubend und nervenzerfetzend ist, dass die meisten Spieler am Ende gedemütigt herumsitzen - bis auf jenen Sieger, der seine Mitwelt in einem stundenlangen Zermürbungskampf in den Ruin getrieben hat. Damit ist klar: Nur Gewinnertypen haben eine Chance, Sparer und Konsumenten sind gezeichnet. So ist das eben im Kapitalismus?
Hier lauert gleich der nächste fundamentale Irrtum, der "Monopoly" wegen seiner Grundidee der Kapitalvermehrung als das exemplarische Spiel des Kapitalismus beschreibt. Mitten in der größten Staatsschuldenkrise kann man feststellen, dass diese mit "Monopoly" wenig zu tun hat. Vor allem die "Monopoly"- Bank gebärdet sich geradezu wie ein Instrument des Fürsorgestaats. Sie wirft ohne nachzufragen pro Runde viertausend Spielmark aus, prüft keine Kreditwürdigkeit, hat mithin mit den zeitgenössischen Instituten nur den Namen gemein.
Auch fehlen in der Stadt Monopoly Kirchen, Schulen, Kindergärten, Theater und Schwimmbäder. In der fiktiven Kommune mit ihrer blassgrünen, an der Farbgebung des Dollars orientierten Aufmachung, gibt es auf einem quadratischen Spielbrett nur eine Richtung, und die führt durch die soziale Schichtung. Von der Badstraße bis zur Schlossallee. Gearbeitet wird hier gar nicht, und das Gesetz scheint willkürlich zu sein, erinnert an den Wilden Westen mit einem allmächtigen Sheriff, weniger an einen Rechtsstaat: Man kommt ebenso zügig ins Gefängnis wie gegen einen vergleichsweise milden Obulus wieder heraus. Die Deckungsgleichheit mit dem wirklichen Leben ist zu vernachlässigen. Und doch hat der Zürcher Kunst- und Architekturhistoriker Andreas Tönnesmann mehrere Tiefenschichten ausgemacht, während er sich an die Spur dieses gut erforschten Geheimnisses der Spielewelt heftete.
Die Geschichte des "Monopoly"-Erfinders wird hier nicht zum ersten Mal erzählt. Der Heizungsbauer und Installateur Charles B. Darrow aus Germantown, Pennsylvania, erhielt am Silvestertag des Jahres 1935 das Urheberrecht für ein Spiel, das er selbst gar nicht erfunden, sondern nur marktgängig gemacht hatte. Dennoch hat man dem Plagiator weithin verziehen, dass er sich bei Elizabeth Magie Phillips bediente, die 1904 mit "Landlord's Game" die Vorlage von Monopoly zum Patent angemeldet hatte.
Phillips besaß freilich etwas, was dem Praktiker Darrow fehlte - geistigen Überbau. Sie hing der Lehre des Ökonomen Henry George an, der mit einer Single Tax ausschließlich Bodenbesitz besteuern wollte. Bei Darrow ist das Echo dieser Idee der Drang zu Immobilien- und Geldbesitz. Auch jenseits des Bretts: Er wollte das dreißig Jahre alte Spiel in der von ihm entwickelten gehobenen Ausstattung an Parker Brothers verkaufen. Die lehnten zunächst ab, beeilten sich dann aber, für fünfhundert Dollar Frau Phillips das Patent abzukaufen. Denn Darrow hatte das Spiel auf eigene Faust auf den Markt gebracht, indem er seine von Hand produzierten Spiele im größten Kaufhaus Philadelphias plazierte: Wanamaker's Department Store war ein Hochglanz-Tempel der Warenwelt, und vier Dollar für Monopoly waren keine Kleinigkeit.
Tönnesmann erzählt die Geschichte des Spielbretts, der Karten und Figuren und die seiner vielen Ländervarianten in großer Detailliertheit. Einmal mehr sind es die Schweizer, die den auffallendsten Sonderweg wählen. Aus achtzehn Städten des Landes kommen die Straßennamen auf dem Brett, die eidgenössischen Sprachgruppen sind prozentual korrekt verteilt. Israel glänzt gleich nach dem Zweiten Weltkrieg mit einer Raubkopie, im gesamten Ostblock ist das Spiel bis 1989 verboten, aber in vielen Exemplaren verbreitet; in China ist es erst seit zehn Jahren auf dem Markt. Mit 43 Länderausgaben und 275 Millionen verkauften Exemplaren ist Monopoly Weltrekordhalter.
Verankert sieht Tönnesmann das Spiel im Geiste der Wirtschaftskrise, welcher Präsident Franklin D. Roosevelt mit den Reformen des "New Deal" von 1933 an zu Leibe rückte, um der lahmenden Wirtschaft auf die Beine zu helfen und der hohen Arbeitslosigkeit Herr zu werden. Seine Infrastrukturmaßnahmen finden ihren Widerhall in den vier Bahnhöfen, dem Parkplatz sowie dem Wasser- und Elektrizitätswerk. Diese zeitgeschichtliche Grundierung weitet der Autor in eine sehr grundsätzliche geistesgeschichtliche Einordnung - indem er das Spielbrett als Stadtplan interpretiert.
Das geschieht zunächst anhand einer Geschichte der Idealstadt, beginnend bei Baumeistern der Renaissance wie Filarete, es folgen die politische Utopie des Thomas Morus, die städtebaulichen Visionen Albrecht Dürers bis hin zu Frank Lloyd Wrights weitläufige, auf Autoverkehr zugeschnittene Idealstadt Broadacre City. Wie diese verbinde Monopoly "die maximale Symmetrie des Kreises mit der Gerichtetheit des Vierecks". So hebt Tönnesmann das Spiel in gedankliche Höhen, ernennt es zum politischen Kommentar und zum Erbe der klassischen Idealstadt. "Monopoly" soll eine Allegorie auf die moderne Stadt sein, als kritischer Gegenwartskommentar gelesen werden.
Um argumentativ dorthin zu gelangen, bemüht er sich zu häufig der Möglichkeitsform. Anders als in allen Städten, gebauten wie erdachten, kann man im Spiel keine Abkürzungen nehmen. Sein Erfinder Charles Darrow würde sich wundern über solchen geistigen Ritterschlag. Um es ebenfalls mit einem Konditionalis zu sagen: Hätte er gewusst, dass "Monopoly"in den Augen seines Interpreten ein "Transporteur eines positiv verstandenen Gesellschaftsentwurfs" ist, hätte er bei Parker Brothers noch ein paar Prozente mehr Beteiligung herausgeschlagen.
Andreas Tönnesmann: "Monopoly". Das Spiel, die Stadt und das Glück.
Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2011. 142 S., geb., 22,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Schulen gibt es dort zwar nicht, nur Immobilien und Gefängnisse. Der Kunsthistoriker Andreas Tönnesmann deutet Monopoly aber trotzdem als Spiel gewordene Variante einer Idealstadt.
Von Hannes Hintermeier
Monopoly spielen heißt zu wissen, dass es Stabilität und Verlässlichkeit gibt." Das behauptet der Autor gleich in der Einleitung, und man ist versucht ihm zu widersprechen. Stabil und verlässlich ist an "Monopoly" nur, dass es zeitraubend und nervenzerfetzend ist, dass die meisten Spieler am Ende gedemütigt herumsitzen - bis auf jenen Sieger, der seine Mitwelt in einem stundenlangen Zermürbungskampf in den Ruin getrieben hat. Damit ist klar: Nur Gewinnertypen haben eine Chance, Sparer und Konsumenten sind gezeichnet. So ist das eben im Kapitalismus?
Hier lauert gleich der nächste fundamentale Irrtum, der "Monopoly" wegen seiner Grundidee der Kapitalvermehrung als das exemplarische Spiel des Kapitalismus beschreibt. Mitten in der größten Staatsschuldenkrise kann man feststellen, dass diese mit "Monopoly" wenig zu tun hat. Vor allem die "Monopoly"- Bank gebärdet sich geradezu wie ein Instrument des Fürsorgestaats. Sie wirft ohne nachzufragen pro Runde viertausend Spielmark aus, prüft keine Kreditwürdigkeit, hat mithin mit den zeitgenössischen Instituten nur den Namen gemein.
Auch fehlen in der Stadt Monopoly Kirchen, Schulen, Kindergärten, Theater und Schwimmbäder. In der fiktiven Kommune mit ihrer blassgrünen, an der Farbgebung des Dollars orientierten Aufmachung, gibt es auf einem quadratischen Spielbrett nur eine Richtung, und die führt durch die soziale Schichtung. Von der Badstraße bis zur Schlossallee. Gearbeitet wird hier gar nicht, und das Gesetz scheint willkürlich zu sein, erinnert an den Wilden Westen mit einem allmächtigen Sheriff, weniger an einen Rechtsstaat: Man kommt ebenso zügig ins Gefängnis wie gegen einen vergleichsweise milden Obulus wieder heraus. Die Deckungsgleichheit mit dem wirklichen Leben ist zu vernachlässigen. Und doch hat der Zürcher Kunst- und Architekturhistoriker Andreas Tönnesmann mehrere Tiefenschichten ausgemacht, während er sich an die Spur dieses gut erforschten Geheimnisses der Spielewelt heftete.
Die Geschichte des "Monopoly"-Erfinders wird hier nicht zum ersten Mal erzählt. Der Heizungsbauer und Installateur Charles B. Darrow aus Germantown, Pennsylvania, erhielt am Silvestertag des Jahres 1935 das Urheberrecht für ein Spiel, das er selbst gar nicht erfunden, sondern nur marktgängig gemacht hatte. Dennoch hat man dem Plagiator weithin verziehen, dass er sich bei Elizabeth Magie Phillips bediente, die 1904 mit "Landlord's Game" die Vorlage von Monopoly zum Patent angemeldet hatte.
Phillips besaß freilich etwas, was dem Praktiker Darrow fehlte - geistigen Überbau. Sie hing der Lehre des Ökonomen Henry George an, der mit einer Single Tax ausschließlich Bodenbesitz besteuern wollte. Bei Darrow ist das Echo dieser Idee der Drang zu Immobilien- und Geldbesitz. Auch jenseits des Bretts: Er wollte das dreißig Jahre alte Spiel in der von ihm entwickelten gehobenen Ausstattung an Parker Brothers verkaufen. Die lehnten zunächst ab, beeilten sich dann aber, für fünfhundert Dollar Frau Phillips das Patent abzukaufen. Denn Darrow hatte das Spiel auf eigene Faust auf den Markt gebracht, indem er seine von Hand produzierten Spiele im größten Kaufhaus Philadelphias plazierte: Wanamaker's Department Store war ein Hochglanz-Tempel der Warenwelt, und vier Dollar für Monopoly waren keine Kleinigkeit.
Tönnesmann erzählt die Geschichte des Spielbretts, der Karten und Figuren und die seiner vielen Ländervarianten in großer Detailliertheit. Einmal mehr sind es die Schweizer, die den auffallendsten Sonderweg wählen. Aus achtzehn Städten des Landes kommen die Straßennamen auf dem Brett, die eidgenössischen Sprachgruppen sind prozentual korrekt verteilt. Israel glänzt gleich nach dem Zweiten Weltkrieg mit einer Raubkopie, im gesamten Ostblock ist das Spiel bis 1989 verboten, aber in vielen Exemplaren verbreitet; in China ist es erst seit zehn Jahren auf dem Markt. Mit 43 Länderausgaben und 275 Millionen verkauften Exemplaren ist Monopoly Weltrekordhalter.
Verankert sieht Tönnesmann das Spiel im Geiste der Wirtschaftskrise, welcher Präsident Franklin D. Roosevelt mit den Reformen des "New Deal" von 1933 an zu Leibe rückte, um der lahmenden Wirtschaft auf die Beine zu helfen und der hohen Arbeitslosigkeit Herr zu werden. Seine Infrastrukturmaßnahmen finden ihren Widerhall in den vier Bahnhöfen, dem Parkplatz sowie dem Wasser- und Elektrizitätswerk. Diese zeitgeschichtliche Grundierung weitet der Autor in eine sehr grundsätzliche geistesgeschichtliche Einordnung - indem er das Spielbrett als Stadtplan interpretiert.
Das geschieht zunächst anhand einer Geschichte der Idealstadt, beginnend bei Baumeistern der Renaissance wie Filarete, es folgen die politische Utopie des Thomas Morus, die städtebaulichen Visionen Albrecht Dürers bis hin zu Frank Lloyd Wrights weitläufige, auf Autoverkehr zugeschnittene Idealstadt Broadacre City. Wie diese verbinde Monopoly "die maximale Symmetrie des Kreises mit der Gerichtetheit des Vierecks". So hebt Tönnesmann das Spiel in gedankliche Höhen, ernennt es zum politischen Kommentar und zum Erbe der klassischen Idealstadt. "Monopoly" soll eine Allegorie auf die moderne Stadt sein, als kritischer Gegenwartskommentar gelesen werden.
Um argumentativ dorthin zu gelangen, bemüht er sich zu häufig der Möglichkeitsform. Anders als in allen Städten, gebauten wie erdachten, kann man im Spiel keine Abkürzungen nehmen. Sein Erfinder Charles Darrow würde sich wundern über solchen geistigen Ritterschlag. Um es ebenfalls mit einem Konditionalis zu sagen: Hätte er gewusst, dass "Monopoly"in den Augen seines Interpreten ein "Transporteur eines positiv verstandenen Gesellschaftsentwurfs" ist, hätte er bei Parker Brothers noch ein paar Prozente mehr Beteiligung herausgeschlagen.
Andreas Tönnesmann: "Monopoly". Das Spiel, die Stadt und das Glück.
Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2011. 142 S., geb., 22,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Alexander Cammann hat sich von der Studie über das Spiel "Monopoly" vom Kunst- und Architekturhistoriker Andreas Tönnesmann nicht nur gut unterhalten lassen. Denn kurzweilig und in flüssigem Stil schreibt der Autor die Geschichte von "Monopoly", die mitten in der amerikanischen Wirtschaftskrise beginnt, und berichtet vom Erfinder des Spiels, der eigentlich ein "Plagiator" war, wie wir erfahren. Die Ausführungen haben laut Rezensent aber noch einen besonderen Clou, weil Tönnesmann überzeugend darlegt, dass das urkapitalistische Gesellschaftsspiel, dem man immer wieder mit moralisierender Kritik beizukommen suchte, einem "fundamentalen utopischen Prinzip" gehorcht. Wenn der Autor dann auch noch vom Stadtplan des Spielbretts auf die Ideengeschichte der Idealstadt von der Renaissance bis in die Gegenwart kommt, ist ihm die ungeteilte Aufmerksamkeit des sehr eingenommen wirkenden Rezensenten gewiss.
© Perlentaucher Medien GmbH
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