Mit diesem Roman zeichnet der frühere baden-württembergische Regierungssprecher Manfred Zach das Psychogramm der Politik im "Musterländle" und drumherum. Er gewährt einen beklemmenden Einblick ins Innerste der Macht und liefert eine Analyse der politischen Mechanismen, Verlockungen, Gefahren, Verkrümmungen. Ein zeitgeschichtlicher Aufklärungsroman, der persönliche und politische Schicksale virtuos miteinander verknüpft.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.03.2003Der Abgang als Problem
Ehemalige Beamte der Staatskanzlei beschreiben den Niedergang Filbingers und Späths / Von Alfred Behr
STUTTGART, im März
Im Juni kann der CDU-Politiker Erwin Teufel einen Rekord feiern: Er ist seit Januar 1991 Ministerpräsident in Baden-Württemberg und länger im Amt als alle seine Vorgänger in der Stuttgarter Villa Reitzenstein, unter ihnen Hans Filbinger und Lothar Späth. Filbinger stürzte nach einer Kampagne gegen ihn wegen seiner Rolle als Marinerichter zur Zeit des Nationalsozialismus. Späth trat wegen der "Traumschiff-Affäre" zurück, die ihn dem Verdacht ausgesetzt hatte, er habe sich in die Abhängigkeit von privaten Unternehmern begeben.
Was spielte sich damals in der Stuttgarter Staatskanzlei ab, als um Filbinger Gewitterwolken aufzogen, als sich die gegen Späth erhobenen Beschuldigungen verdichteten? Pikante Einzelheiten darüber sind in zwei Büchern zu finden. Das eine ist 1996 erschienen, trägt den Titel "Monrepos oder die Kälte der Macht" und stammt von Späths Regierungssprecher Manfred Zach, der als Ministerialdirigent in das Sozialministerium überwechselte. Das andere Buch ist erst dieser Tage erschienen, trägt den Titel "Der wahre Jakob" und stammt von dem früheren Ministerialrat im Stuttgarter Wissenschaftsministerium, Ralf Jandl, der unter dem Pseudonym Karl Napf mehrere Bücher verfaßt hat, die sich vornehmlich mit dem Wesen des Schwaben beschäftigen. Der Jurist Jandl war als junger Beamter zunächst in der Staatskanzlei tätig.
Zach hat in seinem Schlüsselroman nicht nur Freundliches über Späth geschrieben, den er im Buch "Specht" nennt. Zach schildert, wie sich die Pressestelle in der Staatskanzlei emsig bemühte, Späth gegen die sich mehrenden Vorwürfe in Schutz zu nehmen, doch der Ministerpräsident hatte innerlich schon aufgegeben und erwogen, seinen Rücktritt in einer launigen Rede vor großem Publikum zu verkünden. Zach ärgerte sich: "Wir reißen uns die Beine für ihn aus, und er denkt bloß darüber nach, wie er einen starken Abgang inszenieren kann." Und später: "So entfaltete er bis in die Nacht hinein ein hektisches Krisenszenario, das seiner Vorstellung, wie es zuzugehen hat, wenn Elefanten sterben, entsprechen mochte." Den Wechsel von Späth zu Teufel kommentierte Zach gelassen: "Es wird wohl alles etwas ruhiger zugehen künftig, geordneter. Vielleicht auch langweiliger. Die Welt wird nicht mehr umgekrempelt, und sie wird es nicht mal merken."
Jandl beschreibt in seinem Buch, wie Filbinger gegen den Schriftsteller Hochhuth klagte, der ihn als "furchtbaren Juristen" geschmäht und ihm vorgeworfen habe, er habe am Ende des Zweiten Weltkriegs als Marinerichter an schändlichen Todesurteilen mitgewirkt. Die Art, wie Filbinger sich gegen die zum Teil haltlosen Vorwürfe verteidigte, war so ungeschickt, daß er als Ministerpräsident nicht mehr zu halten war. Jandl bescheinigt ihm, eine akribische Aufarbeitung der Geschehnisse habe später ergeben, daß Filbinger objektiv nichts vorzuwerfen gewesen sei. Er schreibt: "Die Medienkampagne aber hatte nicht die Wahrheitsfindung im Sinn, suchte kein objektives, differenzierendes Bild des Marinerichters Filbinger zu entwerfen, gar entlastendes Material - das es gab - zu verwerten, sondern sie sah Filbinger dort, wo man ihn haben wollte, in der braunen Ecke. Wer in einen solchen Kessel gerät, macht zwangsläufig nichts richtig, einmal, weil er sich in einer psychischen Ausnahmesituation befindet, zum anderen, weil man ihm jede Reaktion als falsch vorwirft." Der Untergang der Regierung Filbinger, schreibt der Autor, der das Geschehen in der Staatskanzlei erlebte, nicht ohne Ironie, sei nahezu lehrbuchmäßig vonstatten gegangen: "Zuerst setzten sich die Abteilungsleiter mehr oder weniger gekonnt auf bessere Stellen ab und kollaborierten bereits mit dem neuen Herrn durch Übersendung von Kopien wichtiger Vorgänge." Neuer Herr in der Villa Reitzenstein wurde dann Späth, über den Jandl schreibt: "Manchen galt er als Genie, anderen nur als eine Art gehobener Handelsvertreter, und auch für die Bürokratie war er eine unberechenbare Größe." Damit er sich ein Bild von Späth machen könne, beorderte der damalige Finanzminister Gleichauf einen Beamten in die Landtagsfraktion der CDU, der seine Beobachtungen so zusammenfaßte: "Die Ausführungen des Fraktionsvorsitzenden Späth ergaben keinen erkennbaren Sinn; die Fraktion aber war begeistert."
Baden-Württembergs erster Ministerpräsident, Reinhold Maier (FDP), legte das Amt schon nach eineinhalb Jahren nieder. Sein Nachfolger Gebhard Müller schied aus dem Amt, um Präsident des Bundesverfassungsgerichts zu werden. Dessen Nachfolger Kurt Georg Kiesinger wurde Bundeskanzler. Filbinger und Späth traten, nicht freiwillig, zurück. Wenn Teufel bis zur Landtagswahl 2006 in der Villa Reitzenstein durchhält, wird er der erste Ministerpräsident in Baden-Württemberg sein, der von dort direkt in den Ruhestand gehen kann. Wenn er es denn will.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ehemalige Beamte der Staatskanzlei beschreiben den Niedergang Filbingers und Späths / Von Alfred Behr
STUTTGART, im März
Im Juni kann der CDU-Politiker Erwin Teufel einen Rekord feiern: Er ist seit Januar 1991 Ministerpräsident in Baden-Württemberg und länger im Amt als alle seine Vorgänger in der Stuttgarter Villa Reitzenstein, unter ihnen Hans Filbinger und Lothar Späth. Filbinger stürzte nach einer Kampagne gegen ihn wegen seiner Rolle als Marinerichter zur Zeit des Nationalsozialismus. Späth trat wegen der "Traumschiff-Affäre" zurück, die ihn dem Verdacht ausgesetzt hatte, er habe sich in die Abhängigkeit von privaten Unternehmern begeben.
Was spielte sich damals in der Stuttgarter Staatskanzlei ab, als um Filbinger Gewitterwolken aufzogen, als sich die gegen Späth erhobenen Beschuldigungen verdichteten? Pikante Einzelheiten darüber sind in zwei Büchern zu finden. Das eine ist 1996 erschienen, trägt den Titel "Monrepos oder die Kälte der Macht" und stammt von Späths Regierungssprecher Manfred Zach, der als Ministerialdirigent in das Sozialministerium überwechselte. Das andere Buch ist erst dieser Tage erschienen, trägt den Titel "Der wahre Jakob" und stammt von dem früheren Ministerialrat im Stuttgarter Wissenschaftsministerium, Ralf Jandl, der unter dem Pseudonym Karl Napf mehrere Bücher verfaßt hat, die sich vornehmlich mit dem Wesen des Schwaben beschäftigen. Der Jurist Jandl war als junger Beamter zunächst in der Staatskanzlei tätig.
Zach hat in seinem Schlüsselroman nicht nur Freundliches über Späth geschrieben, den er im Buch "Specht" nennt. Zach schildert, wie sich die Pressestelle in der Staatskanzlei emsig bemühte, Späth gegen die sich mehrenden Vorwürfe in Schutz zu nehmen, doch der Ministerpräsident hatte innerlich schon aufgegeben und erwogen, seinen Rücktritt in einer launigen Rede vor großem Publikum zu verkünden. Zach ärgerte sich: "Wir reißen uns die Beine für ihn aus, und er denkt bloß darüber nach, wie er einen starken Abgang inszenieren kann." Und später: "So entfaltete er bis in die Nacht hinein ein hektisches Krisenszenario, das seiner Vorstellung, wie es zuzugehen hat, wenn Elefanten sterben, entsprechen mochte." Den Wechsel von Späth zu Teufel kommentierte Zach gelassen: "Es wird wohl alles etwas ruhiger zugehen künftig, geordneter. Vielleicht auch langweiliger. Die Welt wird nicht mehr umgekrempelt, und sie wird es nicht mal merken."
Jandl beschreibt in seinem Buch, wie Filbinger gegen den Schriftsteller Hochhuth klagte, der ihn als "furchtbaren Juristen" geschmäht und ihm vorgeworfen habe, er habe am Ende des Zweiten Weltkriegs als Marinerichter an schändlichen Todesurteilen mitgewirkt. Die Art, wie Filbinger sich gegen die zum Teil haltlosen Vorwürfe verteidigte, war so ungeschickt, daß er als Ministerpräsident nicht mehr zu halten war. Jandl bescheinigt ihm, eine akribische Aufarbeitung der Geschehnisse habe später ergeben, daß Filbinger objektiv nichts vorzuwerfen gewesen sei. Er schreibt: "Die Medienkampagne aber hatte nicht die Wahrheitsfindung im Sinn, suchte kein objektives, differenzierendes Bild des Marinerichters Filbinger zu entwerfen, gar entlastendes Material - das es gab - zu verwerten, sondern sie sah Filbinger dort, wo man ihn haben wollte, in der braunen Ecke. Wer in einen solchen Kessel gerät, macht zwangsläufig nichts richtig, einmal, weil er sich in einer psychischen Ausnahmesituation befindet, zum anderen, weil man ihm jede Reaktion als falsch vorwirft." Der Untergang der Regierung Filbinger, schreibt der Autor, der das Geschehen in der Staatskanzlei erlebte, nicht ohne Ironie, sei nahezu lehrbuchmäßig vonstatten gegangen: "Zuerst setzten sich die Abteilungsleiter mehr oder weniger gekonnt auf bessere Stellen ab und kollaborierten bereits mit dem neuen Herrn durch Übersendung von Kopien wichtiger Vorgänge." Neuer Herr in der Villa Reitzenstein wurde dann Späth, über den Jandl schreibt: "Manchen galt er als Genie, anderen nur als eine Art gehobener Handelsvertreter, und auch für die Bürokratie war er eine unberechenbare Größe." Damit er sich ein Bild von Späth machen könne, beorderte der damalige Finanzminister Gleichauf einen Beamten in die Landtagsfraktion der CDU, der seine Beobachtungen so zusammenfaßte: "Die Ausführungen des Fraktionsvorsitzenden Späth ergaben keinen erkennbaren Sinn; die Fraktion aber war begeistert."
Baden-Württembergs erster Ministerpräsident, Reinhold Maier (FDP), legte das Amt schon nach eineinhalb Jahren nieder. Sein Nachfolger Gebhard Müller schied aus dem Amt, um Präsident des Bundesverfassungsgerichts zu werden. Dessen Nachfolger Kurt Georg Kiesinger wurde Bundeskanzler. Filbinger und Späth traten, nicht freiwillig, zurück. Wenn Teufel bis zur Landtagswahl 2006 in der Villa Reitzenstein durchhält, wird er der erste Ministerpräsident in Baden-Württemberg sein, der von dort direkt in den Ruhestand gehen kann. Wenn er es denn will.
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