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Produktdetails
  • Verlag: Klein, München
  • Seitenzahl: 384
  • Abmessung: 239mm x 162mm x 33mm
  • Gewicht: 744g
  • ISBN-13: 9783895210358
  • ISBN-10: 3895210358
  • Artikelnr.: 24218507
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.01.1997

Weil ich ein Mädchen bin
Monsieur d'Eon ist ein Mann, ist eine Frau, ist ein Mann

Der Chevalier d'Eon war der Pop-Star des Ancien régime: exzentrisch wie Elton John, skandalös wie Madonna und androgyn wie David Bowie. Nach einer steilen Karriere verblüffte der Chevalier im Alter von neunundvierzig Jahren seine Zeitgenossen mit einem spektakulären Outing: Er behauptete, eine Frau zu sein. "Wissen Sie, daß d'Eon ein Mädchen ist?" schrieb der konsternierte Ludwig XV. im Jahr 1770 an seinen General Monet. Die folgenden zweiunddreißig Jahre narrte Charles-Geneviève-Louise-Auguste-André-Thimothée d'Eon sie alle: Ludwig XV. und XVI., die Pompadour und Casanova, Marie-Antoinette, Voltaire und Rousseau, die Revolutionäre und Napoleon.

Frankreich kannte Causes célèbres der Geschlechtertäuschung wie Jeanne d'Arc oder die Arbeiterin Hannah Snell, die als Marinesoldat im Österreichischen Erbfolgekrieg kämpfte. Daß aber ein Adliger seine Männlichkeit aufgab, um als Frau weiterzuleben - so etwas hatte es in der europäischen Adelsgeschichte noch nicht gegeben. Ärger bekam d'Eon allerdings erst, als er sich weigerte, den Uniform- mit einem Unterrock zu vertauschen - für ihn, der als Dragoner zur militärischen Elite gehörte und sich im Siebenjährigen Krieg das Sankt-Ludwigs-Kreuz erworben hatte, eine Zumutung. Ganze Kleinstädte zerstritten sich darüber, ob d'Eon Frauenkleider tragen sollte oder nicht. Erst als der König 1775 den halsstarrigen Dragoner zwang, sich offiziell zur Frau zu erklären und Frauenkleider zu tragen, fügte er sich.

Ein knappes Viertel seines Textes widmet Gary Kates d'Eons vergeblichem Kampf um die Uniform, dessen Höhepunkt das Anlegen der Frauenkleidung ist. Unter Anleitung der Hofschneiderin Rose Bertin wandelte er sich vom Mann zur Frau - eine mehr als vierstündige Initiation in dunklem Satin. Dennoch überzeugte das Ergebnis nicht völlig: "Kann man sich vorstellen", so fragte eine französische Zeitung fassungslos, "daß ein Individuum weiblichen Geschlechts sich rasiert, einen Bart hat, die Statur und Muskeln eines Herkules hat, welches ohne Hilfe in eine Postkutsche ein- und ebenso aussteigt, kurz: einen äußerst behenden Chevalier, ein Individuum, welches vier Treppenstufen auf einmal nimmt, welches, um an ein Feuer heranzurücken, mit der Hand zwischen den Schenkeln hindurch nach seinem Stuhl greift, um ihn vorzuziehen, welches sich, mit einem Wort, wie ein Mann erleichtert?"

In Kates' Darstellung war der Chevalier kein Opfer sexueller Verwirrungen, sondern ein Produkt des Ancien régime. Der Autor zeichnet ein Bild des vorrevolutionären Frankreich, in dem Politik in den Schlafgemächern gemacht wurde und Intrigen zu den probaten politischen Mitteln zählten. In diesem Frankreich machte d'Eon eine Blitzkarriere, glättete für Ludwig XV. die Wogen in Rußland, rückte in den Geheimdienst auf und spionierte in London unter Anleitung des Prinzen von Conti. D'Eon gehörte zum Inner circle der Spione und wußte als einer von wenigen von Ludwigs Plänen, die englische Regierung zu stürzen. Dann aber sank sein Stern rapide. Sein Gönner Conti fiel in Ungnade, das Außenministerium gewann an Boden gegen den Geheimdienst, und d'Eon machte sich durch unverschämte Spesenrechnungen und freche Briefe unbeliebt, bis ihm sogar Entführungen und Mordkomplotte drohten. Die Rückkehr nach Frankreich war, so schien es d'Eon, wenn überhaupt, so nur als Frau möglich.

Kates schildert d'Eons Entscheidung als logischen Schritt aus einer professionellen Sackgasse: Beruflich war die Karriere des Chevalier ins Stocken geraten, politisch war er von den Intrigen und der politischen Starre der sechziger und siebziger Jahre des 18. Jahrhunderts enttäuscht und somit empfänglich für eine geistige Strömung im französischen Adel, die die Geschlechtergrenzen niederreißen wollte.

Mit dem Wissen um die Putschpläne erpreßt d'Eon vom französischen König die Rückkehr nach Frankreich, eine Leibrente von 12000 Livres - und ein Leben als Frau. 1777 erkennt ihn auch England als Frau an, der Streit um seine Kleidung und das erstickende Klima des Ancien régime treiben ihn schließlich zurück nach London, wo er seine Memoiren schreibt und sein Leben christlicher Kontemplation weiht. 1810, im Alter von 81 Jahren, stirbt er - als Frau. Erst bei seiner Aufbahrung kommt ans Licht, daß er ein Mann war.

D'Eon sah seine Verwandlung als Wiedergeburt an, er zweifelte nicht daran, daß er als Amazone für die geistige Erneuerung seines Landes würde kämpfen können. In eigener Person wollte er demonstrieren, daß eine Verschmelzung von Weiblichkeit einerseits und Krieg, Karriere und Macht andererseits möglich war. Als der König ihn zwang, Frauenkleider zu tragen, war seine Enttäuschung grenzenlos.

Kates hat eine feministische Biographie geschrieben und einen Spionagethriller, einen Historienroman und Diplomatiegeschichte, aber kein Psychogramm. Er verzichtet auf jeden Anflug von Voyeurismus oder Anbiederei. Angelsächsisch distanziert schildert er die absurdesten dieser an Absurditäten reichen Geschichte: wie Gerüchte über eine Schwangerschaft des Chevaliers kursierten, wie in London das Wettfieber über die Geschlechtszugehörigkeit d'Eons ausbrach, wie d'Eon Klöster abklapperte, weil er ernsthaft ein Leben als Nonne erwog. Kates hat die packende Geschichte eines Grenzgängers aufgezeichnet, der konsequent zu Ende dachte, was im Gärungsprozeß des vorrevolutionären Frankreich in der Luft lag, und der fast der erste feministische Dragoner der Geschichte geworden wäre. SONJA ZEKRI

Gary Kates: "Monsieur d'Eon ist eine Frau". Die Geschichte einer politischen Intrige. Aus dem Amerikanischen von Anni Pottus. Ingrid Klein Verlag, Hamburg 1996. 400 S., geb., 68,- DM.

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