Paris dans les années 60. Moïse, dit Momo, est un garçon de 12 ans qui s'ennuie. Quand son père, un avocat juif neurasthénique, se suicide, il est adopté par Monsieur Ibrahim, épicier arabe, musulman, plus exactement soufi. Celui-ci semble connaître les secrets du bonheur et du sourire. Ensemble, il s'en vont au pays des derviches tourneurs... Porté à l'écran par François Dupeyron en 2003.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 18.12.2002Weiser Sufi
Eric-Emmanuel Schmitts
kleine Lebenskunde
Das ist ein Buch für Menschen ohne Zeit. Wer am Marienplatz in die Münchner S-Bahn einsteigt, hat es in Erding zur Hälfte ausgelesen, wer Paris von der Rue Bleue bis zur Rue de Paradis durchquert, ist mit dem minderjährigen Momo am Steuer in die Türkei gefahren und per Anhalter wieder zurückgekommen. Kennen gelernt hat er den frühreifen Momo, der eigentlich Moses heißt, Monsieur Ibrahim, einen gütigen türkischen Gemüsehändler, mehrere Prostituierte, und drei Religionen.
Momo lebt mit seinem schweigsamen Vater alleine. Die Mutter ist abgehauen, weil sie den schweigsamen Vater nicht aushalten konnte. Der Vater kann sich und das Leben nicht aushalten, deshalb und weil seine Familie im KZ umgekommen ist, spricht er nur, wenn es gar nicht anders geht. Momo führt ihm in der düsteren Wohnung den Haushalt und arbeitet an seinem sprudelnden, leicht kriminellen Eigenleben. Im Alter von zwölf Jahren fühlt er sich erwachsen, geht mit dem Inhalt seines Sparschweins zu den Prostituierten, und da einmal keinmal ist, wird am Haushaltsgeld gespart und Chappi gegessen.
Religion aus der Tonne
Als der Vater seinen Job verliert, legt er Geld auf den Tisch, fährt in den Süden Frankreichs und wirft sich in Marseille vor einen Zug. Monsieur Ibrahim beobachtet und erkennt alles, er ist hellsichtig wie ein weiser Sufi und gütig, ein Begriff, den wir aus Sorge um uns selbst vor unendlich vielen Jahren entsorgt haben. „Gütig” ist „unmodern”, und unmodern ist alles an diesem Buch, aber Franzosen wie der zweiundvierzigjährige Eric- Emmanuel Schmitt, in Frankreich als Dramatiker und Romanautor geschätzt, bei uns mit kleinen Schriften in einem kleinen Verlag so gut wie unbekannt geblieben, lässt das ganz kalt. Er schreibt ein verschmitztes Portrait einer Freundschaft, und man sieht den alten Mann und seinen jungen Freund wie auf Henri Cartier-Bresson’schen Fotografien durch die Straßen von Paris spazieren und die Dinge der Welt auf ihre Art und Weise interpretieren.
Monsieur Ibrahim, der außer dem Koran kein Buch kennt und auch keines lesen will, genügt bereits eine Mülltonne, um soziale Unterschiede zu erklären, oder ein paar Sätze, um die Bedeutung der Langsamkeit oder die Differenzen der Konfessionen darzustellen. Eric-Emmanuel Schmitts Erzählung ist die spielerische Variante zu Tahar Ben Jellouns „Papa, was ist ein Fremder?”. Nur ist Schmitts „Belehrung” keine Belehrung, sondern eine Parabel mit einem guten Ende.
Aber das Wichtigste an diesem kurzen Buch ist der Humor, der hinter allem steht. Einmal sagt der inzwischen herangewachsene Momo, dass sein Fach nicht die Psychologie sei: „Ich handle mit Kolonialwaren.” Er sitzt in Monsieur Ibrahims Laden und ist für alle Welt der „Araber an der Ecke”. Araber bedeutet in seiner Branche, nachts und auch am Sonntag geöffnet zu lassen, so einfach könnte es sein, wenn die Welt nicht viel komplizierter wäre.
Das kleine, leichte und kluge Buch ist die reine Erholung. Und wer braucht die nicht?
VERENA AUFFERMANN
ERIC-EMMANUEL SCHMITT: Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran. Erzählung. Aus dem Französischen von Annette und Paul Bäcker. Ammann Verlag, Zürich 2002. 120 Seiten, 12 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Eric-Emmanuel Schmitts
kleine Lebenskunde
Das ist ein Buch für Menschen ohne Zeit. Wer am Marienplatz in die Münchner S-Bahn einsteigt, hat es in Erding zur Hälfte ausgelesen, wer Paris von der Rue Bleue bis zur Rue de Paradis durchquert, ist mit dem minderjährigen Momo am Steuer in die Türkei gefahren und per Anhalter wieder zurückgekommen. Kennen gelernt hat er den frühreifen Momo, der eigentlich Moses heißt, Monsieur Ibrahim, einen gütigen türkischen Gemüsehändler, mehrere Prostituierte, und drei Religionen.
Momo lebt mit seinem schweigsamen Vater alleine. Die Mutter ist abgehauen, weil sie den schweigsamen Vater nicht aushalten konnte. Der Vater kann sich und das Leben nicht aushalten, deshalb und weil seine Familie im KZ umgekommen ist, spricht er nur, wenn es gar nicht anders geht. Momo führt ihm in der düsteren Wohnung den Haushalt und arbeitet an seinem sprudelnden, leicht kriminellen Eigenleben. Im Alter von zwölf Jahren fühlt er sich erwachsen, geht mit dem Inhalt seines Sparschweins zu den Prostituierten, und da einmal keinmal ist, wird am Haushaltsgeld gespart und Chappi gegessen.
Religion aus der Tonne
Als der Vater seinen Job verliert, legt er Geld auf den Tisch, fährt in den Süden Frankreichs und wirft sich in Marseille vor einen Zug. Monsieur Ibrahim beobachtet und erkennt alles, er ist hellsichtig wie ein weiser Sufi und gütig, ein Begriff, den wir aus Sorge um uns selbst vor unendlich vielen Jahren entsorgt haben. „Gütig” ist „unmodern”, und unmodern ist alles an diesem Buch, aber Franzosen wie der zweiundvierzigjährige Eric- Emmanuel Schmitt, in Frankreich als Dramatiker und Romanautor geschätzt, bei uns mit kleinen Schriften in einem kleinen Verlag so gut wie unbekannt geblieben, lässt das ganz kalt. Er schreibt ein verschmitztes Portrait einer Freundschaft, und man sieht den alten Mann und seinen jungen Freund wie auf Henri Cartier-Bresson’schen Fotografien durch die Straßen von Paris spazieren und die Dinge der Welt auf ihre Art und Weise interpretieren.
Monsieur Ibrahim, der außer dem Koran kein Buch kennt und auch keines lesen will, genügt bereits eine Mülltonne, um soziale Unterschiede zu erklären, oder ein paar Sätze, um die Bedeutung der Langsamkeit oder die Differenzen der Konfessionen darzustellen. Eric-Emmanuel Schmitts Erzählung ist die spielerische Variante zu Tahar Ben Jellouns „Papa, was ist ein Fremder?”. Nur ist Schmitts „Belehrung” keine Belehrung, sondern eine Parabel mit einem guten Ende.
Aber das Wichtigste an diesem kurzen Buch ist der Humor, der hinter allem steht. Einmal sagt der inzwischen herangewachsene Momo, dass sein Fach nicht die Psychologie sei: „Ich handle mit Kolonialwaren.” Er sitzt in Monsieur Ibrahims Laden und ist für alle Welt der „Araber an der Ecke”. Araber bedeutet in seiner Branche, nachts und auch am Sonntag geöffnet zu lassen, so einfach könnte es sein, wenn die Welt nicht viel komplizierter wäre.
Das kleine, leichte und kluge Buch ist die reine Erholung. Und wer braucht die nicht?
VERENA AUFFERMANN
ERIC-EMMANUEL SCHMITT: Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran. Erzählung. Aus dem Französischen von Annette und Paul Bäcker. Ammann Verlag, Zürich 2002. 120 Seiten, 12 Euro.
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