Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.08.2018Weißt Du jemand Passenden zum Totschlagen?
Franz Fühmann zählte zu den wichtigsten Schriftstellern der DDR: Seine Briefe zeigen, wie er sich im Kampf gegen die Funktionäre des Staates aufrieb.
In der DDR kannte ihn fast jedes Kind. In der alten Bundesrepublik dagegen beschränkte sich sein Ruhm auf Insider des Literaturbetriebs. Daran hat sich bis heute wenig geändert: Im Osten des Landes ist er für viele Leser nach wie vor eine feste Bezugsgröße, im Westen ruft sein Name selten mehr als Schulterzucken hervor. Das Autorenschicksal Franz Fühmanns (1922 bis 1984) ist ein Indiz für die fortwährende innere Spaltung der deutschen Literatur.
Fühmanns Hausverlag Hinstorff in Rostock versucht das Interesse an seinem Autor durch eine umfangreiche Briefedition wachzuhalten. Acht Bände sind geplant, vier davon bereits erschienen. Das hat die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Autor zweifellos belebt. Doch neue Leser wären wohl eher durch ansprechende Neuausgaben seiner Erzählungen zu gewinnen, den attraktivsten Aspekten seiner Arbeit.
Nach der Wiedervereinigung hätte Fühmann auch im Westen zu einer literarischen Orientierungsfigur werden können, vielleicht sogar werden müssen. Damals wurde klar, dass wichtige Exponenten der bundesdeutschen Kulturelite in jungen Jahren NSDAP-Mitglieder gewesen waren (Martin Walser, Siegfried Lenz, Dieter Hildebrandt, Walter Jens), sich daran aber nicht erinnern konnten oder wollten. Andere, wie Günter Grass oder Hans Robert Jauß, bekannten sich öffentlich erst sehr spät dazu, Angehörige der Waffen-SS gewesen zu sein. Was ihre Glaubwürdigkeit, milde formuliert, beschädigte.
Fühmann ging mit seiner Vergangenheit als jugendlicher Gefolgsmann Hitlers anders um. Er verschwieg sie nicht, sondern übertrieb sie eher. Obwohl er als Funker in der Wehrmacht vermutlich kaum je einen Schuss abgegeben hatte, bezeichnete er sich selbst als "verwilderten Nazijungen" und nannte seine Schulzeit in einem Artikel für diese Zeitung (F.A.Z. vom 25. Juli 1981) als "eine gute Erziehung zu Auschwitz". Er gewann so zweierlei: die Freiheit, keine Enthüllungen befürchten zu müssen, und die Möglichkeit, die selbsterfahrene Indoktrination gleichsam von innen heraus beschreiben zu können.
Davon unter anderem handelt der wichtigste der vier Briefbände, die Korrespondenz mit Kurt Batt, erschienen schon 2016. Batt war ein hochbegabter Germanist, er hatte in Leipzig bei Hans Mayer studiert und dann als Cheflektor beim Hinstorff Verlag angeheuert. Gleich zu Beginn ihrer Zusammenarbeit musste er sich mit Fühmann über dessen 1970 erscheinenden Erzählungs-Zyklus "Der Jongleur im Kino" verständigen, in dem die Zurichtung eines Jungen zum Nationalsozialisten geschildert wird. Zum Besonderen dieser Geschichten gehört, wie überzeugend Fühmann - um es mit Michel Foucaults Begriffen aus jener Zeit zu sagen - die innerfamiliäre Mikrophysik der Macht nachzeichnet, der das Kind ausgeliefert ist. Und dass er den Jungen nicht nur als Opfer brutalisierender Erziehungsmethoden zeigt, sondern ebenso als deren gelehrigen Schüler, der seinerseits alle Machtmechanismen rücksichtslos ausschöpft. Fühmann führt ihn so als einen manipulierten Manipulator vor - was wiederum an Gedanken Foucaults erinnert.
Briefeditionen aus der Zeit der DDR haben ein Handicap: Zumal im gut überwachten Literaturbetrieb mussten alle Beteiligten damit rechnen, dass die Stasi mitlas. Bei Fühmann und seinen Briefpartnern - außer zu Batt sind bislang Bände zu den Korrespondenzen mit Wieland Förster, Ingrid Prignitz und jüngst mit Joachim Damm erschienen - wird das sehr deutlich: Sobald es um politische Themen geht, deuten sie vieles nur an und vereinbaren dann vertrauliche Gespräche. Batt schreibt einmal ausdrücklich: "Darüber redet man nur unter vier Augen."
Nach Batts Tod im Jahr 1975 radikalisierte sich Fühmanns Kritik an den Machthabern in der DDR. An den Bildhauer Wieland Förster, einen Freund, schrieb er: "Ich finde die Atemluft immer unerträglicher hier, geht es Dir auch so? Ich möchte irgendwie brüllen, was kaputt schlagen, jemand totschlagen. Weißt Du jemand Passenden?"
Im Jahr darauf schrieb Fühmann einen offenen Brief an den stellvertretenden Kulturminister der DDR, der an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig ließ. Er beklagte die massiven Einschränkungen der Meinungsfreiheit, bezeichnete die Versuche des Ministers, den Zustand des Landes zu rechtfertigen "als ein bißchen demagogisch" und kritisierte jeden Vormachtanspruch der SED: "Weder ein Einzelner, noch ein Berufsstand, noch irgendeine soziale Organisation oder politische Gruppierung ist im alleinigen Besitz der Wahrheit."
Damit war das Tischtuch zwischen Fühmann und der Partei zerschnitten. Natürlich hatte sein offener Brief in der DDR keine Chance, veröffentlicht zu werden. Doch im Westen mochte Fühmann ihn nicht publizieren, weil er von dort aus nichts hätte bewirken können, und wollte weiterhin das Land - und also seine Leser - nicht verlassen. Für ihn, der zu moralischer Entschiedenheit, ja Rigorosität neigte, wurde die Situation damit immer belastender, wie die Korrespondenz mit seiner Lektorin Ingrid Prignitz dokumentiert, die ihn nach Kurt Batts Tod bei Hinstorff betreute.
Der Briefwechsel mit ihr hat nicht das intellektuelle Niveau wie der mit Batt. Aber die Einblicke, die er ins Alltagsleben der eingemauerten DDR gewährt, sind oft atemraubend: Da das Regime hysterische Angst vor jeder unkontrollierten Verbreitung von Texten hatte, gab es selbst in Verlagen keine Fotokopierer - weshalb ganze Buchmanuskripte vollständig abgetippt werden mussten, um sie zu vervielfältigen. Wollte Ingrid Prignitz über die Stadtgrenzen von Rostock hinaus telefonieren, musste sie das Ferngespräch beim Vorgesetzten schriftlich beantragen. Und im Winter konnte sie mitunter nur zu Hause arbeiten, weil der Verlag wegen Kohlenmangels ungeheizt blieb.
Auch der intellektuelle Rückstand des Landes wurde immer quälender. Nicht nur politisch unliebsame Schriftsteller wie Georg Trakl oder Gottfried Benn, sondern selbst Jahrhundertgrößen wie Nietzsche oder Freud wurden in der DDR jahrzehntelang nicht publiziert. Damit Ingrid Prignitz seine gelegentlich psychoanalytisch argumentierenden Schriften überhaupt beurteilen konnte, musste ihr Fühmann eine Freud-Ausgabe aus dem Westen besorgen. Zum Werk von Gottfried Benn hielt er einen Vortrag, der nur als Tonbandaufzeichnung überliefert und jetzt bei Wallstein als schmales Bändchen erschienen ist. Und über Trakl schrieb Fühmann sein wohl wichtigstes Buch, den autobiographischen Essay "Vor Feuerschlünden" (1982).
Es war nicht zuletzt dieser standhafte Kampf gegen die geistige Provinzialität der Kulturbürokratie, der dem Schriftsteller in der DDR eine so engagierte und treue Leserschaft verschaffte. Gerade ein Land, so seine Überzeugung, das eine neue Gesellschaftsordnung aufbauen wolle, brauche keinen eingeengten, sondern einen möglichst weiten kulturellen Horizont. Wie sehr er sich deshalb für junge Talente einsetzte - darunter Wolfgang Hilbig und Uwe Kolbe -, belegt jetzt der gerade erschienene vierte Briefband. Joachim Damm war erst neun Jahre alt, als er Fühmann 1975 einen noch recht kindlichen Leserbrief schickte. Der jedoch erspürte früh die künstlerische Begabung des Heranwachsenden, kultivierte die Brieffreundschaft und schrieb für Damm sogar ein kleines Puppentheaterstück. Fühmanns "Positivenergie" habe ihn, erinnert sich Damm, für Jahre förmlich "ummantelt" und ihm so seinen Weg als Bühnenbildner und Regisseur geebnet.
UWE WITTSTOCK
Franz Fühmann: "Die Briefe". Band 3. Briefwechsel mit Joachim Damm.
Hinstorff Verlag, Rostock 2018. 175 S., geb., 22,- [Euro].
Franz Fühmann: "Über Gottfried Benn".
Wallstein Verlag, Göttingen 2018. 46 S., geb., 12,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Franz Fühmann zählte zu den wichtigsten Schriftstellern der DDR: Seine Briefe zeigen, wie er sich im Kampf gegen die Funktionäre des Staates aufrieb.
In der DDR kannte ihn fast jedes Kind. In der alten Bundesrepublik dagegen beschränkte sich sein Ruhm auf Insider des Literaturbetriebs. Daran hat sich bis heute wenig geändert: Im Osten des Landes ist er für viele Leser nach wie vor eine feste Bezugsgröße, im Westen ruft sein Name selten mehr als Schulterzucken hervor. Das Autorenschicksal Franz Fühmanns (1922 bis 1984) ist ein Indiz für die fortwährende innere Spaltung der deutschen Literatur.
Fühmanns Hausverlag Hinstorff in Rostock versucht das Interesse an seinem Autor durch eine umfangreiche Briefedition wachzuhalten. Acht Bände sind geplant, vier davon bereits erschienen. Das hat die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Autor zweifellos belebt. Doch neue Leser wären wohl eher durch ansprechende Neuausgaben seiner Erzählungen zu gewinnen, den attraktivsten Aspekten seiner Arbeit.
Nach der Wiedervereinigung hätte Fühmann auch im Westen zu einer literarischen Orientierungsfigur werden können, vielleicht sogar werden müssen. Damals wurde klar, dass wichtige Exponenten der bundesdeutschen Kulturelite in jungen Jahren NSDAP-Mitglieder gewesen waren (Martin Walser, Siegfried Lenz, Dieter Hildebrandt, Walter Jens), sich daran aber nicht erinnern konnten oder wollten. Andere, wie Günter Grass oder Hans Robert Jauß, bekannten sich öffentlich erst sehr spät dazu, Angehörige der Waffen-SS gewesen zu sein. Was ihre Glaubwürdigkeit, milde formuliert, beschädigte.
Fühmann ging mit seiner Vergangenheit als jugendlicher Gefolgsmann Hitlers anders um. Er verschwieg sie nicht, sondern übertrieb sie eher. Obwohl er als Funker in der Wehrmacht vermutlich kaum je einen Schuss abgegeben hatte, bezeichnete er sich selbst als "verwilderten Nazijungen" und nannte seine Schulzeit in einem Artikel für diese Zeitung (F.A.Z. vom 25. Juli 1981) als "eine gute Erziehung zu Auschwitz". Er gewann so zweierlei: die Freiheit, keine Enthüllungen befürchten zu müssen, und die Möglichkeit, die selbsterfahrene Indoktrination gleichsam von innen heraus beschreiben zu können.
Davon unter anderem handelt der wichtigste der vier Briefbände, die Korrespondenz mit Kurt Batt, erschienen schon 2016. Batt war ein hochbegabter Germanist, er hatte in Leipzig bei Hans Mayer studiert und dann als Cheflektor beim Hinstorff Verlag angeheuert. Gleich zu Beginn ihrer Zusammenarbeit musste er sich mit Fühmann über dessen 1970 erscheinenden Erzählungs-Zyklus "Der Jongleur im Kino" verständigen, in dem die Zurichtung eines Jungen zum Nationalsozialisten geschildert wird. Zum Besonderen dieser Geschichten gehört, wie überzeugend Fühmann - um es mit Michel Foucaults Begriffen aus jener Zeit zu sagen - die innerfamiliäre Mikrophysik der Macht nachzeichnet, der das Kind ausgeliefert ist. Und dass er den Jungen nicht nur als Opfer brutalisierender Erziehungsmethoden zeigt, sondern ebenso als deren gelehrigen Schüler, der seinerseits alle Machtmechanismen rücksichtslos ausschöpft. Fühmann führt ihn so als einen manipulierten Manipulator vor - was wiederum an Gedanken Foucaults erinnert.
Briefeditionen aus der Zeit der DDR haben ein Handicap: Zumal im gut überwachten Literaturbetrieb mussten alle Beteiligten damit rechnen, dass die Stasi mitlas. Bei Fühmann und seinen Briefpartnern - außer zu Batt sind bislang Bände zu den Korrespondenzen mit Wieland Förster, Ingrid Prignitz und jüngst mit Joachim Damm erschienen - wird das sehr deutlich: Sobald es um politische Themen geht, deuten sie vieles nur an und vereinbaren dann vertrauliche Gespräche. Batt schreibt einmal ausdrücklich: "Darüber redet man nur unter vier Augen."
Nach Batts Tod im Jahr 1975 radikalisierte sich Fühmanns Kritik an den Machthabern in der DDR. An den Bildhauer Wieland Förster, einen Freund, schrieb er: "Ich finde die Atemluft immer unerträglicher hier, geht es Dir auch so? Ich möchte irgendwie brüllen, was kaputt schlagen, jemand totschlagen. Weißt Du jemand Passenden?"
Im Jahr darauf schrieb Fühmann einen offenen Brief an den stellvertretenden Kulturminister der DDR, der an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig ließ. Er beklagte die massiven Einschränkungen der Meinungsfreiheit, bezeichnete die Versuche des Ministers, den Zustand des Landes zu rechtfertigen "als ein bißchen demagogisch" und kritisierte jeden Vormachtanspruch der SED: "Weder ein Einzelner, noch ein Berufsstand, noch irgendeine soziale Organisation oder politische Gruppierung ist im alleinigen Besitz der Wahrheit."
Damit war das Tischtuch zwischen Fühmann und der Partei zerschnitten. Natürlich hatte sein offener Brief in der DDR keine Chance, veröffentlicht zu werden. Doch im Westen mochte Fühmann ihn nicht publizieren, weil er von dort aus nichts hätte bewirken können, und wollte weiterhin das Land - und also seine Leser - nicht verlassen. Für ihn, der zu moralischer Entschiedenheit, ja Rigorosität neigte, wurde die Situation damit immer belastender, wie die Korrespondenz mit seiner Lektorin Ingrid Prignitz dokumentiert, die ihn nach Kurt Batts Tod bei Hinstorff betreute.
Der Briefwechsel mit ihr hat nicht das intellektuelle Niveau wie der mit Batt. Aber die Einblicke, die er ins Alltagsleben der eingemauerten DDR gewährt, sind oft atemraubend: Da das Regime hysterische Angst vor jeder unkontrollierten Verbreitung von Texten hatte, gab es selbst in Verlagen keine Fotokopierer - weshalb ganze Buchmanuskripte vollständig abgetippt werden mussten, um sie zu vervielfältigen. Wollte Ingrid Prignitz über die Stadtgrenzen von Rostock hinaus telefonieren, musste sie das Ferngespräch beim Vorgesetzten schriftlich beantragen. Und im Winter konnte sie mitunter nur zu Hause arbeiten, weil der Verlag wegen Kohlenmangels ungeheizt blieb.
Auch der intellektuelle Rückstand des Landes wurde immer quälender. Nicht nur politisch unliebsame Schriftsteller wie Georg Trakl oder Gottfried Benn, sondern selbst Jahrhundertgrößen wie Nietzsche oder Freud wurden in der DDR jahrzehntelang nicht publiziert. Damit Ingrid Prignitz seine gelegentlich psychoanalytisch argumentierenden Schriften überhaupt beurteilen konnte, musste ihr Fühmann eine Freud-Ausgabe aus dem Westen besorgen. Zum Werk von Gottfried Benn hielt er einen Vortrag, der nur als Tonbandaufzeichnung überliefert und jetzt bei Wallstein als schmales Bändchen erschienen ist. Und über Trakl schrieb Fühmann sein wohl wichtigstes Buch, den autobiographischen Essay "Vor Feuerschlünden" (1982).
Es war nicht zuletzt dieser standhafte Kampf gegen die geistige Provinzialität der Kulturbürokratie, der dem Schriftsteller in der DDR eine so engagierte und treue Leserschaft verschaffte. Gerade ein Land, so seine Überzeugung, das eine neue Gesellschaftsordnung aufbauen wolle, brauche keinen eingeengten, sondern einen möglichst weiten kulturellen Horizont. Wie sehr er sich deshalb für junge Talente einsetzte - darunter Wolfgang Hilbig und Uwe Kolbe -, belegt jetzt der gerade erschienene vierte Briefband. Joachim Damm war erst neun Jahre alt, als er Fühmann 1975 einen noch recht kindlichen Leserbrief schickte. Der jedoch erspürte früh die künstlerische Begabung des Heranwachsenden, kultivierte die Brieffreundschaft und schrieb für Damm sogar ein kleines Puppentheaterstück. Fühmanns "Positivenergie" habe ihn, erinnert sich Damm, für Jahre förmlich "ummantelt" und ihm so seinen Weg als Bühnenbildner und Regisseur geebnet.
UWE WITTSTOCK
Franz Fühmann: "Die Briefe". Band 3. Briefwechsel mit Joachim Damm.
Hinstorff Verlag, Rostock 2018. 175 S., geb., 22,- [Euro].
Franz Fühmann: "Über Gottfried Benn".
Wallstein Verlag, Göttingen 2018. 46 S., geb., 12,90 [Euro].
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