Das Wochenende steht vor der Tür, nun könnte man sich mal so richtig entspannen - wenn es da nicht so viele Dinge gäbe, die unbedingt erledigt werden müssen. Dann wird doch nichts aus "Endlich Zeit für mich". Sie kennen solche Menschen? Für die gibt es jetzt Tania Konnerths Wellness Navigator, hier findet der Suchende das für ihn gültige Rezept mit vielen Übungen und Tipps, um seinen Seelen- und Körperzustand wieder ins recht Lot zu rücken. Zugegeben, es lassen sich etliche vernünftige und praktikable Bewegungsübungen, Ernährungstipps uns Entspannungsübungen entdecken, die, wenn man sie denn befolgt, für neue Energie und das rechte Wohlgefühl sorgen. Es gibt die "Stille Stunde", die "Musikdusche", den Apfel, den man auf dem Hinterkopf balanciert, "einfach mal schreien" und vieles mehr.
Das ist alles nett beschrieben, aber bei all dem gilt: Man muss es nicht nur wollen, sondern auch tun.
Das ist alles nett beschrieben, aber bei all dem gilt: Man muss es nicht nur wollen, sondern auch tun.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.01.2003Ein Koffer in Berlin und die Zweitwohnung in Bangkok
Wer reist, will davon berichten. Das ist ein Urreflex des Tourismus. Betrachtet man die Berge von Reisebekenntnisliteratur, die sich vor dem Horizont der wirklichen Welt auftürmen, mag es sogar scheinen, als stifte eine Reise gar keinen Sinn, schriebe man nicht anschließend darüber. Und so schreiben die, die unterwegs waren, um sich ihrer selbst zu vergewissern und sich daran zu erinnern, wie sie sich fühlten an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit. Für Dritte haben solche Schilderungen begrenzten Gebrauchswert, können aber - gut geschrieben - unterhaltsam sein. Und manche taugen sogar als Nachweis, wie Literatur und Reisen einander bedingen und daß das Reisen womöglich eine Art Urantrieb der Menschen ist. Kurzum: Solche Bücher können für sich stehen, losgelöst vom Autor als Reisendem, im besten Falle sogar unabhängig von der Reise, die beschrieben wird.
Eine andere, nicht unbedingt kleinere Abteilung der Reiseerlebnisliteratur erzählt vom Reisenden und den Bedingungen seines Unterwegsseins, von Erfahrungen und Gedanken, die daraus entstehen. Vielleicht auch davon, wie sich die Sicht des Reisenden auf die Welt verändert und im Nachgang mitunter auch sein Reisen. Manche dieser Bücher tragen ihre selbstgestellte Aufgabe des "Macht doch alle mit" wie eine Standarte vor sich her. Da ist der Erzähler ein Reiseverführer, der andere zum Nachreisen verführen will.
Doch warum ist das so? Was könnte einen dazu bewegen, eine beschwerliche Reise zu unternehmen, in eine Weltgegend, die der eigenen Umgebung ganz und gar fremd ist? Und warum würde man davon auf eine Weise erzählen, daß die Aufforderung, es doch auch so zu machen, dem Leser gleichsam aus jeder Zeile entgegenspringt? Was bloß treibt diese Autoren an, nachträglich die Bedingungen des eigenen Reisens zu zerstören? Denn wäre ihre Botschaft ernst zu nehmen, würden sich sämtliche Leser unmittelbar auf den Weg machen, auf den Spuren des Erzählers. Sind sie tief genug, werden die ersten, die ihm folgen, sie vielleicht noch erkennen können. Doch was ist mit denen, die jenen folgen? Und jenen, die noch später kommen? Es sind dies die Momente, da man melancholisch werden könnte über die Sogwirkung einer Art von fiktionalem, im besten Falle sogar literarischem Tourismus, der wie unter dem Brennspiegel die wirkliche Welt verändert - so, daß sie nichts mehr zu tun hat mit dem, wovon ursprünglich zu lesen war.
"Weit weg und glücklich" hat der Kanadier Steve Zikman sein Buch genannt, das Gedanken über das Reisen an sich enthält, für die man nicht unbedingt in die Welt hinaus müßte. Der Autor lebte in Berlin und in Kapstadt und ist heute in Los Angeles zu Hause. Er war Anwalt, bis er mit dreißig beschloß, lieber zu reisen, als im Büro zu sitzen. Mittlerweile war er in mehr als fünfzig Ländern. So ist es im Klappentext zu lesen. Das Buch selbst ist grundiert von einem Ostinato des Großsprecherischen, der gelegentlich amüsiert, jedoch mit der Zeit heftig aufs Gemüt schlägt. Schon die Einführung weist die Richtung. Darin erzählt der Autor von einer Begegnung mit Mutter Teresa. Zunächst besucht er die Nonne, einer plötzlichen Eingebung folgend, in ihrem Waisenhaus, dann trifft er sie wieder in der First-class-Lounge des Flughafens von Bombay. Man unterhält sich gut, über dieses und jenes, aber vor allem "über Umfang und Dringlichkeit ihrer Arbeit". Und dann stellt Zikman sogar noch fest, daß Mutter Teresa und er auf denselben Flug gebucht sind.
Das ganze Buch über bemüht sich der Autor um Augenhöhe mit den Großen der Welt. Über jedem seiner Gedanken steht der eines anderen. Der Nachteil dieser Konstellation ist, daß der Leser sich aufgerufen wähnen könnte, zu entscheiden, wer überzeugender, tiefsinniger denkt. Und je weiter man liest, desto mehr neigt man zu den aufgerufenen Zeugen. Ihre Sentenzen haben vor allem den Vorteil der Kürze. Zu den zwingendsten Einfällen gehört der Satz eines anonym gebliebenen Denkers: "Wenn man sein Ziel nicht kennt, bringt einen jeder Weg dorthin." An demonstrativer Universalität knapp über der Naivität nimmt es Steve Zikman leicht mit jedem einzelnen seiner Gewährsleute auf. Man kann das Buch überall aufschlagen und wird nirgendwo etwas versäumen.
"Orte des Glücks" hat Charlotte Ueckert besucht und sich selbst dabei angenehm dezent im Hintergrund gehalten. Das nimmt unmittelbar für sie ein. Zwar zielt auch ihr erster Satz in die Wolken: "Glück ist gestalten, eingreifen." Doch ganz so dick kommt es in dem schmalen Band dann doch nicht. Der Autorin geht es darum, Personen zu beschreiben, "die ihre eigenen Phantasien gestalten, die in einer ganzheitlichen Lebensform das eigene Glück an einem Ort suchen, dem sie sich anpassen oder den sie verändernd für sich ,gestalten'". So verliert sie über die Eigenartigkeiten jener Orte, deren Namen die einzelnen Kapitel bezeichnen, nur wenige Worte, die sich zudem kaum von den Reflexen gewöhnlicher Kulturtouristen unterscheiden. Die "Ahs" und "Ohs" klingen als Echo mit, wenn sie die Blaue Grotte auf Capri besucht oder das Anwesen des Renaissancefürsten Francesco Orsini in Bomarzo. "Der höchstgelegene Punkt des Parkes", schreibt sie, "verkörpert Klarheit und Feierlichkeit."
Lebhafter sind die geistigen Begegnungen mit historischen und zeitgenössischen Schöpfern aus vielen Sparten der Kunst. Die Autorin erweist sich als belesen bei den einen und als gleichwertiger Gesprächspartner der anderen. Am besten gelungen sind jene Passagen, für die sie in die Rolle des interpretierenden Botschafters schlüpft. Wenn sie vom Ingenium schwärmt, das an einem bestimmten Ort Gestalt gewonnen habe, fällt ein wenig vom Glanz auf sie selbst. Am Ende gibt sie ihn in einer allerletzten Referenz zurück: "Das erste Glück: Lesen im Bett, die Welt ohne ihre Anforderungen in meinen Händen. Jedes Buch versetzte mich an andere Orte, und die Sehnsucht, sie zu sehen, wuchs."
Ganz ohne intellektuelle Überpartner ist Susanne Haase durch die Welt gereist. Dafür hat sie den "Adler" dabei, so nennt sie beharrlich ihren Lebensgefährten und Reisebegleiter, der ansonsten namenlos bleibt. Ein Jahr lang sind die beiden auf der Suche nach dem "perfekten Platz zum Leben". Doch je weiter sie reisen und je mehr die Autorin, die früher Redakteurin einer Frauenzeitschrift war und heute frei arbeitet, davon erzählt, desto klarer wird dem Leser, daß sie diesen Ort nicht finden werden, weil sie ihn im Nebel der eigenen Befindlichkeit gar nicht erkennen würden. Dabei meinen sie immerhin zu wissen, wie er beschaffen sein soll: "Preisgünstig, lebendig, nicht zu abgelegen, von netten Menschen bewohnt". Also genau so, wie die Internationale der Traveller, jene zumeist jugendlichen Reisenden, die auf den gemeinen Pauschaltouristen mit tiefer Verachtung herabblicken, sich seit Jahrzehnten die Welt phantasiert. Doch diese Welt existiert nicht einmal mehr in den Traveller-Handbüchern, die heute den Weg weisen zu den preiswertesten Unterkünften in den Anden und den gastfreundlichsten Fischern im Mekong-Delta und die vor allem verraten, wo man verläßlich andere Traveller trifft. Dort sitzen sie dann am Strand, die Füße im warmen Sand, und vergleichen die Listen bereister, damit abgehakter Länder - ganz so wie der Pauschaltourist am Swimmingpool seines Pauschalurlaubshotels ein paar hundert Meter weiter.
Am Ende des Buchs steht die Erkenntnis der Autorin und des "Adlers", künftig in Berlin leben zu wollen - mit einer Zweitwohnung in Bangkok. Dafür haben sie sich und ihre Mittelstandsüberheblichkeit von Indien nach Singapur getragen, durch ganz Südostasien nach Shanghai, Japan und Australien und weiter in die Südsee und dabei nicht viel mehr erkannt, als daß auch Leben am Strand irgendwann langweilig wird. Und ganz schön teuer könne das Reisen sein, bemerkt die Autorin ein ums andere Mal, sie hat offenbar auch die gemeinsame Kasse unterwegs überwacht.
Nein, Reisen macht reich - und nicht selten ist es unterwegs sogar preiswerter als daheim. So weist es jedenfalls Anke Richter nach. "Als Faustregel gilt: Wer 5000 Euro auf der Kante hat, kann für ein Jahr aussteigen." Ihr Buch kommt gerade recht, um den Sesselreisenden doch noch zum leibhaftigen Abenteurer zu machen. Zwar beginnt auch diese Journalistin, die sich heute lieber Autorin nennt, mit glücklichen Monaten auf einem Südsee-Atoll, und ihre Schilderung gibt gar nicht erst vor, den Klischees ausweichen zu wollen. Doch dann verwandelt sich ihr Buch mit einem Schlag in ein Traktat, dessen Dringlichkeit im Ton schon bei der Lektüre tiefe Zweifel hervorruft: Warum bloß hat man selbst noch nie alles hinter sich gelassen und ist hinaus in die Welt gezogen? Zumal die Autorin schon in der Bezeichnung der Auszeit als "Sabbatical" - der Begriff wurzelt im Alten Testament und wurde in den sechziger Jahren im amerikanischen Universitätsleben neu belebt - den Anspruch erhebt, Reisen gleichsam zum Grundrecht modernen Seins zu erklären.
Zwischen den praktischen Ratschlägen zur Vorbereitung und Organisation des "Sabbatical", aber auch zur sanften Rückkehr in den Alltag stehen Berichte "erfolgreicher" Aussteiger. Doch dann verglüht das Programm recht unspektakulär in einem Feuerwerk von Hinweisen, deren Neuigkeitswert nicht unbedingt überzeugt: Billiger als vom Hotel aus zu Hause anzurufen sei es, einen öffentlichen Fernsprecher zu benutzen.
Vielleicht sollte man doch zu Hause bleiben, das Leben im eigenen Mikrokosmos gestalten. Das hat sich Tania Konnerth aufgegeben, Autorin des Online-Ratgebers www.zeitzuleben.de und von Büchern wie "Leben kann so einfach sein - 25 Denkanstöße, die Ihr Leben vereinfachen" oder "Ich freue mich an jedem Tag - 365 Ideen für das kleine Glück". Ihr Ratgeber für ein entspanntes Wochenende zu Hause beruht im wesentlichen auf der Erkenntnis, daß man das Wohlfühlerlebnis planen sollte wie eine Reise. Die eigentlichen Tips, wie man begrenzter Zeit schier unbegrenzte Erholung abgewinnt, lesen sich hingegen wie Handlungsanweisungen aus Selbstfindungsgruppen der Frauen- und Männerbewegung. Da ist viel von Ankommen und Loslassen die Rede, man solle sich im Wortsinn abklopfen, auch "einfach mal schreien".
Das eigenartigste an diesem Ratgeber für daheim ist freilich sein Dauerflirt mit den Sprachschablonen der Tourismusindustrie. Die Autorin beschreibt Urlaub als konstitutives Element des Lebens und läßt Bilder entstehen wie in der Werbung der Reiseveranstalter: "Stellen Sie sich vor, daß Sie an einem Strand liegen. Es ist angenehm warm und Ihr Körper sinkt leicht in den weichen Sand ein. Sie hören die Meeresbrandung, wie sie ganz ruhig und langsam im Takt Ihrer Atmung an den Strand schlägt." Auf dem Höhepunkt ihrer Empfehlungen gibt sie dem Leser auf, eine "Körperreise" zu unternehmen. Es ist eben immer anderswo besser.
ANDREAS OBST
"Weit weg und glücklich" von Steve Zikman. Kabel-Verlag, München 2002. 188 Seiten. Gebunden, 14,90 Euro. ISBN 3-8225-0566-8.
"Orte des Glücks" von Charlotte Ueckert. Europäische Verlagsanstalt, Hamburg 2002. 189 Seiten. Gebunden, 9,90 Euro. ISBN 3-434-50494-X.
"Gibt es den perfekten Platz zum Leben?" von Susanne Haase. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2002. 286 Seiten. Broschiert, 9,90 Euro. ISBN 3-462-03108-2.
"Aussteigen auf Zeit" von Anke Richter. Egmont vgs Verlagsgesellschaft, Köln 2002. 157 Seiten. Broschiert, 10,90 Euro. ISBN 3-8025-1511-0.
"Montag ist erst übermorgen" von Tania Konnerth. Herder Verlag, Freiburg 2001. 159 Seiten. Broschiert, 8,90 Euro. ISBN 3-451-05107-9.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wer reist, will davon berichten. Das ist ein Urreflex des Tourismus. Betrachtet man die Berge von Reisebekenntnisliteratur, die sich vor dem Horizont der wirklichen Welt auftürmen, mag es sogar scheinen, als stifte eine Reise gar keinen Sinn, schriebe man nicht anschließend darüber. Und so schreiben die, die unterwegs waren, um sich ihrer selbst zu vergewissern und sich daran zu erinnern, wie sie sich fühlten an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit. Für Dritte haben solche Schilderungen begrenzten Gebrauchswert, können aber - gut geschrieben - unterhaltsam sein. Und manche taugen sogar als Nachweis, wie Literatur und Reisen einander bedingen und daß das Reisen womöglich eine Art Urantrieb der Menschen ist. Kurzum: Solche Bücher können für sich stehen, losgelöst vom Autor als Reisendem, im besten Falle sogar unabhängig von der Reise, die beschrieben wird.
Eine andere, nicht unbedingt kleinere Abteilung der Reiseerlebnisliteratur erzählt vom Reisenden und den Bedingungen seines Unterwegsseins, von Erfahrungen und Gedanken, die daraus entstehen. Vielleicht auch davon, wie sich die Sicht des Reisenden auf die Welt verändert und im Nachgang mitunter auch sein Reisen. Manche dieser Bücher tragen ihre selbstgestellte Aufgabe des "Macht doch alle mit" wie eine Standarte vor sich her. Da ist der Erzähler ein Reiseverführer, der andere zum Nachreisen verführen will.
Doch warum ist das so? Was könnte einen dazu bewegen, eine beschwerliche Reise zu unternehmen, in eine Weltgegend, die der eigenen Umgebung ganz und gar fremd ist? Und warum würde man davon auf eine Weise erzählen, daß die Aufforderung, es doch auch so zu machen, dem Leser gleichsam aus jeder Zeile entgegenspringt? Was bloß treibt diese Autoren an, nachträglich die Bedingungen des eigenen Reisens zu zerstören? Denn wäre ihre Botschaft ernst zu nehmen, würden sich sämtliche Leser unmittelbar auf den Weg machen, auf den Spuren des Erzählers. Sind sie tief genug, werden die ersten, die ihm folgen, sie vielleicht noch erkennen können. Doch was ist mit denen, die jenen folgen? Und jenen, die noch später kommen? Es sind dies die Momente, da man melancholisch werden könnte über die Sogwirkung einer Art von fiktionalem, im besten Falle sogar literarischem Tourismus, der wie unter dem Brennspiegel die wirkliche Welt verändert - so, daß sie nichts mehr zu tun hat mit dem, wovon ursprünglich zu lesen war.
"Weit weg und glücklich" hat der Kanadier Steve Zikman sein Buch genannt, das Gedanken über das Reisen an sich enthält, für die man nicht unbedingt in die Welt hinaus müßte. Der Autor lebte in Berlin und in Kapstadt und ist heute in Los Angeles zu Hause. Er war Anwalt, bis er mit dreißig beschloß, lieber zu reisen, als im Büro zu sitzen. Mittlerweile war er in mehr als fünfzig Ländern. So ist es im Klappentext zu lesen. Das Buch selbst ist grundiert von einem Ostinato des Großsprecherischen, der gelegentlich amüsiert, jedoch mit der Zeit heftig aufs Gemüt schlägt. Schon die Einführung weist die Richtung. Darin erzählt der Autor von einer Begegnung mit Mutter Teresa. Zunächst besucht er die Nonne, einer plötzlichen Eingebung folgend, in ihrem Waisenhaus, dann trifft er sie wieder in der First-class-Lounge des Flughafens von Bombay. Man unterhält sich gut, über dieses und jenes, aber vor allem "über Umfang und Dringlichkeit ihrer Arbeit". Und dann stellt Zikman sogar noch fest, daß Mutter Teresa und er auf denselben Flug gebucht sind.
Das ganze Buch über bemüht sich der Autor um Augenhöhe mit den Großen der Welt. Über jedem seiner Gedanken steht der eines anderen. Der Nachteil dieser Konstellation ist, daß der Leser sich aufgerufen wähnen könnte, zu entscheiden, wer überzeugender, tiefsinniger denkt. Und je weiter man liest, desto mehr neigt man zu den aufgerufenen Zeugen. Ihre Sentenzen haben vor allem den Vorteil der Kürze. Zu den zwingendsten Einfällen gehört der Satz eines anonym gebliebenen Denkers: "Wenn man sein Ziel nicht kennt, bringt einen jeder Weg dorthin." An demonstrativer Universalität knapp über der Naivität nimmt es Steve Zikman leicht mit jedem einzelnen seiner Gewährsleute auf. Man kann das Buch überall aufschlagen und wird nirgendwo etwas versäumen.
"Orte des Glücks" hat Charlotte Ueckert besucht und sich selbst dabei angenehm dezent im Hintergrund gehalten. Das nimmt unmittelbar für sie ein. Zwar zielt auch ihr erster Satz in die Wolken: "Glück ist gestalten, eingreifen." Doch ganz so dick kommt es in dem schmalen Band dann doch nicht. Der Autorin geht es darum, Personen zu beschreiben, "die ihre eigenen Phantasien gestalten, die in einer ganzheitlichen Lebensform das eigene Glück an einem Ort suchen, dem sie sich anpassen oder den sie verändernd für sich ,gestalten'". So verliert sie über die Eigenartigkeiten jener Orte, deren Namen die einzelnen Kapitel bezeichnen, nur wenige Worte, die sich zudem kaum von den Reflexen gewöhnlicher Kulturtouristen unterscheiden. Die "Ahs" und "Ohs" klingen als Echo mit, wenn sie die Blaue Grotte auf Capri besucht oder das Anwesen des Renaissancefürsten Francesco Orsini in Bomarzo. "Der höchstgelegene Punkt des Parkes", schreibt sie, "verkörpert Klarheit und Feierlichkeit."
Lebhafter sind die geistigen Begegnungen mit historischen und zeitgenössischen Schöpfern aus vielen Sparten der Kunst. Die Autorin erweist sich als belesen bei den einen und als gleichwertiger Gesprächspartner der anderen. Am besten gelungen sind jene Passagen, für die sie in die Rolle des interpretierenden Botschafters schlüpft. Wenn sie vom Ingenium schwärmt, das an einem bestimmten Ort Gestalt gewonnen habe, fällt ein wenig vom Glanz auf sie selbst. Am Ende gibt sie ihn in einer allerletzten Referenz zurück: "Das erste Glück: Lesen im Bett, die Welt ohne ihre Anforderungen in meinen Händen. Jedes Buch versetzte mich an andere Orte, und die Sehnsucht, sie zu sehen, wuchs."
Ganz ohne intellektuelle Überpartner ist Susanne Haase durch die Welt gereist. Dafür hat sie den "Adler" dabei, so nennt sie beharrlich ihren Lebensgefährten und Reisebegleiter, der ansonsten namenlos bleibt. Ein Jahr lang sind die beiden auf der Suche nach dem "perfekten Platz zum Leben". Doch je weiter sie reisen und je mehr die Autorin, die früher Redakteurin einer Frauenzeitschrift war und heute frei arbeitet, davon erzählt, desto klarer wird dem Leser, daß sie diesen Ort nicht finden werden, weil sie ihn im Nebel der eigenen Befindlichkeit gar nicht erkennen würden. Dabei meinen sie immerhin zu wissen, wie er beschaffen sein soll: "Preisgünstig, lebendig, nicht zu abgelegen, von netten Menschen bewohnt". Also genau so, wie die Internationale der Traveller, jene zumeist jugendlichen Reisenden, die auf den gemeinen Pauschaltouristen mit tiefer Verachtung herabblicken, sich seit Jahrzehnten die Welt phantasiert. Doch diese Welt existiert nicht einmal mehr in den Traveller-Handbüchern, die heute den Weg weisen zu den preiswertesten Unterkünften in den Anden und den gastfreundlichsten Fischern im Mekong-Delta und die vor allem verraten, wo man verläßlich andere Traveller trifft. Dort sitzen sie dann am Strand, die Füße im warmen Sand, und vergleichen die Listen bereister, damit abgehakter Länder - ganz so wie der Pauschaltourist am Swimmingpool seines Pauschalurlaubshotels ein paar hundert Meter weiter.
Am Ende des Buchs steht die Erkenntnis der Autorin und des "Adlers", künftig in Berlin leben zu wollen - mit einer Zweitwohnung in Bangkok. Dafür haben sie sich und ihre Mittelstandsüberheblichkeit von Indien nach Singapur getragen, durch ganz Südostasien nach Shanghai, Japan und Australien und weiter in die Südsee und dabei nicht viel mehr erkannt, als daß auch Leben am Strand irgendwann langweilig wird. Und ganz schön teuer könne das Reisen sein, bemerkt die Autorin ein ums andere Mal, sie hat offenbar auch die gemeinsame Kasse unterwegs überwacht.
Nein, Reisen macht reich - und nicht selten ist es unterwegs sogar preiswerter als daheim. So weist es jedenfalls Anke Richter nach. "Als Faustregel gilt: Wer 5000 Euro auf der Kante hat, kann für ein Jahr aussteigen." Ihr Buch kommt gerade recht, um den Sesselreisenden doch noch zum leibhaftigen Abenteurer zu machen. Zwar beginnt auch diese Journalistin, die sich heute lieber Autorin nennt, mit glücklichen Monaten auf einem Südsee-Atoll, und ihre Schilderung gibt gar nicht erst vor, den Klischees ausweichen zu wollen. Doch dann verwandelt sich ihr Buch mit einem Schlag in ein Traktat, dessen Dringlichkeit im Ton schon bei der Lektüre tiefe Zweifel hervorruft: Warum bloß hat man selbst noch nie alles hinter sich gelassen und ist hinaus in die Welt gezogen? Zumal die Autorin schon in der Bezeichnung der Auszeit als "Sabbatical" - der Begriff wurzelt im Alten Testament und wurde in den sechziger Jahren im amerikanischen Universitätsleben neu belebt - den Anspruch erhebt, Reisen gleichsam zum Grundrecht modernen Seins zu erklären.
Zwischen den praktischen Ratschlägen zur Vorbereitung und Organisation des "Sabbatical", aber auch zur sanften Rückkehr in den Alltag stehen Berichte "erfolgreicher" Aussteiger. Doch dann verglüht das Programm recht unspektakulär in einem Feuerwerk von Hinweisen, deren Neuigkeitswert nicht unbedingt überzeugt: Billiger als vom Hotel aus zu Hause anzurufen sei es, einen öffentlichen Fernsprecher zu benutzen.
Vielleicht sollte man doch zu Hause bleiben, das Leben im eigenen Mikrokosmos gestalten. Das hat sich Tania Konnerth aufgegeben, Autorin des Online-Ratgebers www.zeitzuleben.de und von Büchern wie "Leben kann so einfach sein - 25 Denkanstöße, die Ihr Leben vereinfachen" oder "Ich freue mich an jedem Tag - 365 Ideen für das kleine Glück". Ihr Ratgeber für ein entspanntes Wochenende zu Hause beruht im wesentlichen auf der Erkenntnis, daß man das Wohlfühlerlebnis planen sollte wie eine Reise. Die eigentlichen Tips, wie man begrenzter Zeit schier unbegrenzte Erholung abgewinnt, lesen sich hingegen wie Handlungsanweisungen aus Selbstfindungsgruppen der Frauen- und Männerbewegung. Da ist viel von Ankommen und Loslassen die Rede, man solle sich im Wortsinn abklopfen, auch "einfach mal schreien".
Das eigenartigste an diesem Ratgeber für daheim ist freilich sein Dauerflirt mit den Sprachschablonen der Tourismusindustrie. Die Autorin beschreibt Urlaub als konstitutives Element des Lebens und läßt Bilder entstehen wie in der Werbung der Reiseveranstalter: "Stellen Sie sich vor, daß Sie an einem Strand liegen. Es ist angenehm warm und Ihr Körper sinkt leicht in den weichen Sand ein. Sie hören die Meeresbrandung, wie sie ganz ruhig und langsam im Takt Ihrer Atmung an den Strand schlägt." Auf dem Höhepunkt ihrer Empfehlungen gibt sie dem Leser auf, eine "Körperreise" zu unternehmen. Es ist eben immer anderswo besser.
ANDREAS OBST
"Weit weg und glücklich" von Steve Zikman. Kabel-Verlag, München 2002. 188 Seiten. Gebunden, 14,90 Euro. ISBN 3-8225-0566-8.
"Orte des Glücks" von Charlotte Ueckert. Europäische Verlagsanstalt, Hamburg 2002. 189 Seiten. Gebunden, 9,90 Euro. ISBN 3-434-50494-X.
"Gibt es den perfekten Platz zum Leben?" von Susanne Haase. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2002. 286 Seiten. Broschiert, 9,90 Euro. ISBN 3-462-03108-2.
"Aussteigen auf Zeit" von Anke Richter. Egmont vgs Verlagsgesellschaft, Köln 2002. 157 Seiten. Broschiert, 10,90 Euro. ISBN 3-8025-1511-0.
"Montag ist erst übermorgen" von Tania Konnerth. Herder Verlag, Freiburg 2001. 159 Seiten. Broschiert, 8,90 Euro. ISBN 3-451-05107-9.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Wie "Handlungsanweisungen aus Selbsthilfegruppen der Frauen- und Männerbewegung" haben sich die im Buch versammelten Erholungstipps "für ein entspanntes Wochenende zu Hause" für Rezensent Andreas Obst angehört. Viel sei da von "Ankommen und Loslassen" die Rede, oder dass man "sich im Wortsinn abklopfen" oder "einfach mal schreien" solle. Am eigenartigsten an diesem Ratgeber findet der Rezensent jedoch dessen "Dauerflirt mit den Sprachschablonen der Tourismusindustrie". Die Autorin beschreibe Urlaub als konstitutives Element des Lebens und lasse Bilder entstehen "wie in der Werbung der Reiseveranstalter".
© Perlentaucher Medien GmbH
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