Für die Timm-Leser und alle Literaturliebhaber
Alles begann mit »Heißer Sommer«: Uwe Timm, gelernter Kürschner, Absolvent des Braunschweigkollegs, promovierter Philosoph und Alltagsethnologe, Aktivist der Studentenbewegung, veröffentlichte 1974 seinen Debütroman - und legte den Grundstein zu einer äußerst erfolgreichen Karriere als Schriftsteller, die er zu unserem Glück seit 40 Jahren fortschreibt. Große Romane stammen von ihm, Novellen und Erzählungen, dazu Kinderbuchklassiker und Drehbücher - und immer wieder Texte über das Schreiben, über Schriftsteller und ihre Werke, über Schreibanlässe und eigene Motive. Zu seinem 75. Geburtstag erscheint nun eine Zusammenstellung von Texten der letzten Jahre, die den Horizont seines literarischen Schaffens umreißt. Das Spektrum ist dabei vielfältig, der Ausgangspunkt aber immer das eigene Leben und Interesse. So geht es um Montaignes Arbeitszimmer in einem Turm, das Aussicht und Rückzug miteinander verbindet, um Begegnungen mit Wolfgang Koeppen in München, um die Frage nationaler Identität am Beispiel von Kafkas Romanfragment »Amerika«, um das Keetelklopperplatt in einer Lobrede auf die deutsche Sprache, um das Verhältnis von Kunst und Handwerk am Beispiel Bölls, um die Frage, ob das Schreiben lernbar sei, und ganz zentral und immer wieder um Thomas Mann, vor allem um eine erneute Lektüre seines Romans »Der Zauberberg«. Brillante Texte, ganz nah an ihren Gegenständen und dabei sehr persönlich.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Alles begann mit »Heißer Sommer«: Uwe Timm, gelernter Kürschner, Absolvent des Braunschweigkollegs, promovierter Philosoph und Alltagsethnologe, Aktivist der Studentenbewegung, veröffentlichte 1974 seinen Debütroman - und legte den Grundstein zu einer äußerst erfolgreichen Karriere als Schriftsteller, die er zu unserem Glück seit 40 Jahren fortschreibt. Große Romane stammen von ihm, Novellen und Erzählungen, dazu Kinderbuchklassiker und Drehbücher - und immer wieder Texte über das Schreiben, über Schriftsteller und ihre Werke, über Schreibanlässe und eigene Motive. Zu seinem 75. Geburtstag erscheint nun eine Zusammenstellung von Texten der letzten Jahre, die den Horizont seines literarischen Schaffens umreißt. Das Spektrum ist dabei vielfältig, der Ausgangspunkt aber immer das eigene Leben und Interesse. So geht es um Montaignes Arbeitszimmer in einem Turm, das Aussicht und Rückzug miteinander verbindet, um Begegnungen mit Wolfgang Koeppen in München, um die Frage nationaler Identität am Beispiel von Kafkas Romanfragment »Amerika«, um das Keetelklopperplatt in einer Lobrede auf die deutsche Sprache, um das Verhältnis von Kunst und Handwerk am Beispiel Bölls, um die Frage, ob das Schreiben lernbar sei, und ganz zentral und immer wieder um Thomas Mann, vor allem um eine erneute Lektüre seines Romans »Der Zauberberg«. Brillante Texte, ganz nah an ihren Gegenständen und dabei sehr persönlich.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Anlässlich von Uwe Timms antehendem 75. Geburtstag empfiehlt Hubert Spiegel einen Essayband des Autors. Dass Timm immer wieder schreibend zu Kindheitserlebnissen zurückfindet und das Reale im Märchen und in der Fantasie und umgekehrt sucht und findet, erfahren wir von Spiegel. Ebenso was uns im Band noch so erwartet: Erinnerungen an Wolfgang Koeppen und ein Blick in die Zukunft der Literatur. Für Spiegel ist Timm ein Autor, der ihn mit Leben erfüllt, so auch bei diesem Buch.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.03.2015Der Widerschein des Realen in der Phantasiewelt
Er weiß, wo die Schätze liegen: Auch in seinen Essays ist die ganze Brillanz des Erzählers Uwe Timm zu finden
Im Oktober 2014 reist Uwe Timm in das Flüchtlingslager Darfur in Tschad. Die Reise ist organisiert vom Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen und dem Fernsehsender Arte. Solche Aktionen kennt man von Madonna, Bono, Juli Zeh oder Angelina Jolie. Für Uwe Timm ist dergleichen eher ungewöhnlich. Mit Afrika ist er jedoch durch sein Werk verbunden. Timms zweiter Roman trägt den Titel "Morenga", erschien 1978 und handelt vom Aufstand der Herero und Nama in Deutsch-Südwestafrika am Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts. Timm wählte damals die deutsche Perspektive auf das Geschehen und arbeitete historische Dokumente und Berichte in seinen Roman ein. Erst nachdem Namibia die Unabhängigkeit erlangt hatte, durfte der Schriftsteller das Land wieder bereisen.
Dem Bericht, der mehr als drei Jahrzehnte später nach der Rückkehr aus Darfur entsteht, gibt Timm den Titel "Reise ans Ende der Welt". Das Elend, das sich mit der Chiffre Darfur verbindet, ist unvorstellbar. Timm versucht nicht, es zu beschreiben. Das Leid verstellt ihm auch nicht den Blick auf Schönheit und Würde. "Mein Blick", schreibt er einmal, "ist romantisch - ich weiß." Dieser romantische Blick ist auch ein bescheidener Blick, ein Blick, dem die Bedingungen wie auch die Grenzen der eigenen Wahrnehmung bewusst sind. Besserwisserei war Uwe Timm immer schon fremd. Deshalb hat er auch keine Scheu, deutlich zu machen, dass er im Fremden immer auch das Bekannte, das Eigene sucht und findet.
Das Elend der Flüchtlinge führt ihn zurück nach Deutschland, in die eigene Kindheit während der frühen Nachkriegszeit, und von dort wieder zurück in die Gegenwart und nach Afrika: "In Deutschland läuft 2019 der Solidaritätszuschlag für die ehemaligen Länder der DDR aus. Wäre es denkbar, die Solidarität wörtlich zu nehmen und die Summe, im Jahr 2012 immerhin 13,62 Milliarden Euro, nach Afrika zu lenken? Demokratisch kontrolliert hier wie dort, damit sich nicht korrupte Eliten oder aufgeblähte Bürokraten bereichern."
Die dreizehn Milliarden Euro werden Afrika ebenso wenig zugutekommen wie die dreißig Goldstücke, die eine jüdische Familie während des Dreißigjährigen Krieges im Mauerwerk ihres Hauses versteckt hatte, ihren Besitzern zugutekamen. Erst Jahrhunderte später wird der Schatz in der Wand zufällig entdeckt. Timm hat die Szene in seinem 1984 erschienenen Roman "Der Mann auf dem Hochrad" beschrieben: "Das Haus war über die Jahrhunderte durch die beständigen An- und Umbauten seiner Bewohner auf eine fast vegetative Weise gewachsen. Es gab keine rechten Winkel und keine Symmetrie. Alles hatte sich in einer langsamen Bewegung von Bewohner zu Bewohner versetzt und verschoben. Die Innenwände waren aus Weidenzweigen geflochten und dann mit Lehm beworfen worden. Nachts, in der Zeit der Stromsperren, waren sie im leicht bewegten Kerzenlicht kleine senkrechte Landschaften mit Tälern und sanften Hügeln, in denen sogar Schätze verborgen waren."
Timm zitiert diese Passage des Romans in dem Essay "Der Lichtspalt unter der Zimmertür", der Grimms Märchen gewidmet ist. Schon der Titel "Hausmärchen", so Timm, zeige ja deutlich, wo diese zu lesen seien: zu Hause nämlich, in Sicherheit, im Schutz der eigenen vier Wände. Auch in diesem Essay, einem von zehn, die der Band "Montaignes Turm" jetzt versammelt, kehrt Timm in die eigene Kindheit zurück. Der Text über die Märchen und ihre zum Teil blutigen Ereignisse ist grundiert vom Widerschein des Realen in der Phantasiewelt der Erzählungen und vom Kontrast zwischen drinnen und draußen. Drinnen die Wachtraumlandschaften der kerzenbeschienenen Wände, draußen der reale Schrecken: "Zu den ersten Eindrücken des Kindes gehörte, wie es in nasse Tücher gehüllt im Kinderwagen durch die Straßen Hamburgs geschoben wurde, deren Häuser brannten, in der Luft kleine Flammen, die, das wurde dem Kind später erklärt, die brennenden Fetzen der aus den Fenstern gerissenen Gardinen waren. Links und rechts standen Bäume und loderten wie riesige Fackeln. In Decken gehüllte Wesen mit schwarzen Rüsseln und übergroßen Augen hasteten vorbei."
Das Märchen und der Mythos, Ursprünge und Rückblicke, das Handwerk des Kürschners, der Uwe Timm einmal war, und das Handwerk des Autors, der er seit Jahrzehnten ist, die Sprache, Kafkas Reisepass und liebevolle Erinnerungen an den bewunderten Wolfgang Koeppen - all das findet sich in diesem schönen Band, dessen Titelessay von Montaignes Turm aus den Blick in die Zukunft der Literatur wagt. Eines ist dabei gewiss, solange es Autoren wie Uwe Timm gibt, wird die Literatur tun, was sie auch schon zu Montaignes Zeit getan hat: Sie raubt ihrem Leser Lebenszeit und erfüllt ihn lesend mit Leben. Am kommenden Montag feiert Uwe Timm seinen 75. Geburtstag. Herzlichen Glückwunsch!
HUBERT SPIEGEL
Uwe Timm: "Montaignes Turm". Essays.
Kiepenheuer & Witsch Verlag, Köln 2015. 192 S., geb., 16,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Er weiß, wo die Schätze liegen: Auch in seinen Essays ist die ganze Brillanz des Erzählers Uwe Timm zu finden
Im Oktober 2014 reist Uwe Timm in das Flüchtlingslager Darfur in Tschad. Die Reise ist organisiert vom Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen und dem Fernsehsender Arte. Solche Aktionen kennt man von Madonna, Bono, Juli Zeh oder Angelina Jolie. Für Uwe Timm ist dergleichen eher ungewöhnlich. Mit Afrika ist er jedoch durch sein Werk verbunden. Timms zweiter Roman trägt den Titel "Morenga", erschien 1978 und handelt vom Aufstand der Herero und Nama in Deutsch-Südwestafrika am Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts. Timm wählte damals die deutsche Perspektive auf das Geschehen und arbeitete historische Dokumente und Berichte in seinen Roman ein. Erst nachdem Namibia die Unabhängigkeit erlangt hatte, durfte der Schriftsteller das Land wieder bereisen.
Dem Bericht, der mehr als drei Jahrzehnte später nach der Rückkehr aus Darfur entsteht, gibt Timm den Titel "Reise ans Ende der Welt". Das Elend, das sich mit der Chiffre Darfur verbindet, ist unvorstellbar. Timm versucht nicht, es zu beschreiben. Das Leid verstellt ihm auch nicht den Blick auf Schönheit und Würde. "Mein Blick", schreibt er einmal, "ist romantisch - ich weiß." Dieser romantische Blick ist auch ein bescheidener Blick, ein Blick, dem die Bedingungen wie auch die Grenzen der eigenen Wahrnehmung bewusst sind. Besserwisserei war Uwe Timm immer schon fremd. Deshalb hat er auch keine Scheu, deutlich zu machen, dass er im Fremden immer auch das Bekannte, das Eigene sucht und findet.
Das Elend der Flüchtlinge führt ihn zurück nach Deutschland, in die eigene Kindheit während der frühen Nachkriegszeit, und von dort wieder zurück in die Gegenwart und nach Afrika: "In Deutschland läuft 2019 der Solidaritätszuschlag für die ehemaligen Länder der DDR aus. Wäre es denkbar, die Solidarität wörtlich zu nehmen und die Summe, im Jahr 2012 immerhin 13,62 Milliarden Euro, nach Afrika zu lenken? Demokratisch kontrolliert hier wie dort, damit sich nicht korrupte Eliten oder aufgeblähte Bürokraten bereichern."
Die dreizehn Milliarden Euro werden Afrika ebenso wenig zugutekommen wie die dreißig Goldstücke, die eine jüdische Familie während des Dreißigjährigen Krieges im Mauerwerk ihres Hauses versteckt hatte, ihren Besitzern zugutekamen. Erst Jahrhunderte später wird der Schatz in der Wand zufällig entdeckt. Timm hat die Szene in seinem 1984 erschienenen Roman "Der Mann auf dem Hochrad" beschrieben: "Das Haus war über die Jahrhunderte durch die beständigen An- und Umbauten seiner Bewohner auf eine fast vegetative Weise gewachsen. Es gab keine rechten Winkel und keine Symmetrie. Alles hatte sich in einer langsamen Bewegung von Bewohner zu Bewohner versetzt und verschoben. Die Innenwände waren aus Weidenzweigen geflochten und dann mit Lehm beworfen worden. Nachts, in der Zeit der Stromsperren, waren sie im leicht bewegten Kerzenlicht kleine senkrechte Landschaften mit Tälern und sanften Hügeln, in denen sogar Schätze verborgen waren."
Timm zitiert diese Passage des Romans in dem Essay "Der Lichtspalt unter der Zimmertür", der Grimms Märchen gewidmet ist. Schon der Titel "Hausmärchen", so Timm, zeige ja deutlich, wo diese zu lesen seien: zu Hause nämlich, in Sicherheit, im Schutz der eigenen vier Wände. Auch in diesem Essay, einem von zehn, die der Band "Montaignes Turm" jetzt versammelt, kehrt Timm in die eigene Kindheit zurück. Der Text über die Märchen und ihre zum Teil blutigen Ereignisse ist grundiert vom Widerschein des Realen in der Phantasiewelt der Erzählungen und vom Kontrast zwischen drinnen und draußen. Drinnen die Wachtraumlandschaften der kerzenbeschienenen Wände, draußen der reale Schrecken: "Zu den ersten Eindrücken des Kindes gehörte, wie es in nasse Tücher gehüllt im Kinderwagen durch die Straßen Hamburgs geschoben wurde, deren Häuser brannten, in der Luft kleine Flammen, die, das wurde dem Kind später erklärt, die brennenden Fetzen der aus den Fenstern gerissenen Gardinen waren. Links und rechts standen Bäume und loderten wie riesige Fackeln. In Decken gehüllte Wesen mit schwarzen Rüsseln und übergroßen Augen hasteten vorbei."
Das Märchen und der Mythos, Ursprünge und Rückblicke, das Handwerk des Kürschners, der Uwe Timm einmal war, und das Handwerk des Autors, der er seit Jahrzehnten ist, die Sprache, Kafkas Reisepass und liebevolle Erinnerungen an den bewunderten Wolfgang Koeppen - all das findet sich in diesem schönen Band, dessen Titelessay von Montaignes Turm aus den Blick in die Zukunft der Literatur wagt. Eines ist dabei gewiss, solange es Autoren wie Uwe Timm gibt, wird die Literatur tun, was sie auch schon zu Montaignes Zeit getan hat: Sie raubt ihrem Leser Lebenszeit und erfüllt ihn lesend mit Leben. Am kommenden Montag feiert Uwe Timm seinen 75. Geburtstag. Herzlichen Glückwunsch!
HUBERT SPIEGEL
Uwe Timm: "Montaignes Turm". Essays.
Kiepenheuer & Witsch Verlag, Köln 2015. 192 S., geb., 16,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
» Montaignes Turm zeigt, dass Timm nicht nur ein großer Erzähler ist, sondern auch ein eloquenter Essayist, der klug über Literatur [...] oder [...] Probleme unserer Zeit [...] nachdenkt.« Donaukurier 20150615