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»Martin Suter gilt als Meister einer eleganten Feder, die so fein geschliffen ist, dass man die Stiche oft erst hinterher spürt.« Monika Willer / Westfalenpost Westfalenpost

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.03.2015

Wer den Franken nicht ehrt, ist den Krimi nicht wert

Tunnelblick: Martin Suter lässt in seinem neuen Roman "Montecristo" die Interessen von Banken, Spekulanten und Staat kollidieren.

Von Rose-Maria Gropp

Wer kennt ihn nicht, den "Graf von Monte Christo"? Jenen Abenteuerroman von Alexandre Dumas, geschrieben Mitte des neunzehnten Jahrhunderts, ursprünglich in Fortsetzungen für die Zeitschrift "Le Journal des débats". Martin Suter kennt ihn bestimmt, sein neues Buch heißt "Montecristo" (geschrieben wie die berühmte kubanische Zigarrenmarke). Nicht zufällig erinnert Suters Roman denn auch an Dumas' berühmte Geschichte aus dem nachrevolutionären Frankreich um Intrige und Verrat, jedenfalls was das Milieu einer korrupten gesellschaftlichen Kaste angeht. Freilich ist sein Protagonist kein Wiedergänger von Dumas' Held Edmond Dantès. Jonas Brand ist bloß einer, der unverschuldet in ein Netz von Verfilzung und Verbrechen gerät, dessen Ausmaße seinen kleinen Horizont übersteigen. Und es fehlt nicht viel, dass ein mörderisches Gefängnis in Thailands Hauptstadt Bangkok zu Brands persönlichem Kerker wird, vergleichbar dem Château d'If vor Marseille, aus dem Dantès entrinnen konnte, um seine Rache zu nehmen. Martin Suter geht es nicht um Rache, es geht ihm um Wachsamkeit.

Denn "Montecristo" spielt in der Schweiz und dort in den höchsten Kreisen - da, wo sich Bankenwesen und Staat innig verflechten zu einer opaken Melange. Die Vermischung wird gefährlich, wenn einer ebendiese Kreise zu stören droht, sei es auch zunächst aus Versehen. Und sei es ein "VJ", ein Videojournalist, wie Jonas Brand einer ist. Brand ist Ende dreißig, seine Ehe ist gescheitert, und er hat seine Ambitionen als Filmemacher - vorerst - begraben müssen unter Beiträgen für ein Boulevardmagazin namens "Highlife" im öffentlich-rechtlichen Schweizerischen Fernsehen. Alle Romane Suters spielen, im Kern jedenfalls, in der Schweiz; er selbst ist Schweizer, der international erfolgreichste Schriftsteller seines Landes, und er lebt in Zürich. Es ist gar nicht so, dass Suter seine Heimat und seine Landsleute nicht mag, im Gegenteil. Doch er hält der Schweiz immer wieder einen Spiegel der Mechanismen ihres Funktionierens vor. Das tut er unter der Hülle seines genial geschmeidigen Erzählstils, mit dem er Leser auf der ganzen Welt erreicht.

Für "Montecristo" beginnt die Geschichte mit einem Zug, der in einem Tunnel durch die Notbremse zum Stehen kommt. Der frühabendliche Intercity nach Basel ist mit Pendlern besetzt, man kennt sich vom Sehen. Jemand ist offenbar aus dem Zug gestürzt, mit dem auch Jonas Brand unterwegs ist: "Ein abgebrühter Videojournalist wäre jetzt ausgestiegen und hätte das Bündel, das dort lag, aus etwas kürzerer Distanz gefilmt. Aber Jonas Brand war nicht abgebrüht." Vielmehr filmt er im Zug und befragt einige der Mitreisenden, eher zufällig. Schon diese Exposition macht klar: Suters Protagonist ist kein Profi mit Biss, sondern bis auf weiteres ein Zauderer; ihm steht noch einiges bevor. Und die Atmosphäre im Intercity erscheint plötzlich als unheilschwanger; von hier aus wird schlimmes Geschehen seinen Lauf nehmen: Genau so kündigt sich die Meisterschaft eines Thrillers an, in dem das gedrehte Material aus dem Zug allerdings erst einmal liegenbleibt.

Zweieinhalb Monate später, am Beginn eines zu warmen Dezembers, macht Jonas Brand eine rätselhafte Entdeckung. Ihm kommen durch einen Zufall, der jede Wahrscheinlichkeit von Statistik unterläuft, zwei Hundert-Franken-Scheine in die Hände, deren Seriennummern identisch sind. Was nicht wahr sein kann, erweist sich als wirklich: Beide sind echt, das bestätigt ihm der Berater bei seiner Hausbank, der General Confederate Bank of Switzerland, angesichts der weiteren Merkmale der Geldscheine. Und das bestätigt ihm auch, völlig überrumpelt, Adam Dillier, der Chef der "Coromag", jener Sicherheitsdruckerei in Zürich, bei der die Banknoten einiger Länder gedruckt werden - auch die der Schweiz. Dillier ist sofort klar, dass "der Super-GAU eingetreten war". Und Suter weiß genau, was er tut, wenn er sich auf das Terrain von Finanzmachenschaften begibt: Wenn GAU schon das Kürzel für den "größten anzunehmenden Unfall" ist, dann ist die Steigerung "Super-", die dem Coromag-Chef ins Hirn schießt, blanker Sarkasmus. Wie Suter derartige Wechsel der Erzählperspektive an den Schnittstellen der Romanhandlung, nachgerade spielerisch, hinkriegt, muss man bewundern. Auf diese Weise wird er die Charaktere des Personals, das die Fäden zieht in der Verstrickung von Wirtschaft und Politik, die da peu à peu sichtbar wird, mehrmals ins grelle Licht seiner Schreibkunst stellen.

Die unverständlichen Geschehnisse führen dazu, dass Jonas Brand doch noch der Ehrgeiz zur Recherche packt. Immerhin ist vor der Begegnung mit dem nervösen Adam Dillier seine Wohnung durchwühlt worden, und er selbst wurde auf der Straße zusammengeschlagen. Außerdem hat er gerade privat einigermaßen Oberwasser, denn die wunderschöne Marina hat sich mit ihm eingelassen. Keineswegs flicht Martin Suter eine Lovestory ein, weil sie halt zu einem gut dreihundert Seiten starken Kriminalroman gehören würde. Sondern er zeigt, wie zerstörerisch die Machenschaften von Hochfinanz und Staatsorganen in die Intimsphäre von Menschen übergreifen können, die in diese Netze geraten.

Martin Suter hat einen heiß-kalten Thriller über jene Sphäre geschrieben, in der sich Großbanken und Börsenspekulationen gefährlich mit staatlichen Interessen amalgamieren und dabei nicht nur metaphorisch über Leichen gehen. Der Schauplatz ist die Schweiz, aber es ist mehr als eine ironische Pointe, dass ein globales Szenario aufgemacht wird. Und es ist davon auszugehen, dass die Realität Suters absolut plausible Fiktion noch lässig überbietet.

Martin Suter: "Montecristo". Roman.

Diogenes Verlag, Zürich 2015. 320 S., geb., 23,90 [Euro].

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