Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.07.1997Die steinernen Gäste
Reinhard Alings sucht im Denkmal den Nationalgedanken
Die Bewertung des zweiten deutschen Kaiserreichs hat sich seit 1918 und im Wechsel der nachfolgenden politischen Systeme mehrfach geändert. Die Weimarer Republik wollte den wilhelminischen Staat vergessen machen: mit einer demokratischen Verfassung und einer Staatssymbolik, die ihr integrativen Ausdruck geben sollte. Daß ihr das nicht gelang, hat nicht wenig zu ihrem Scheitern beigetragen. Das ebenso traditionslose wie traditionsbedürftige "Dritte Reich" suchte umgekehrt das Kaiserreich zu beerben, gerade auch symbolisch und denkmalästhetisch.
So war das Bild des wilhelminischen Deutschlands nach 1945 zwangsläufig erheblich vorbelastet. Es verwundert insofern nicht, daß es zunächst auf das Klischee einer "Untertanengesellschaft" und einer bloßen Vorstufe von 1933 reduziert wurde. So einseitig dieses Bild war, so umstritten blieb die Bewertung des Kaiserreichs. Das hat die "Fischer-Kontroverse" um die Kriegsschuldfrage gezeigt, aber auch das Erinnerungsjahr 1968. Teile der älteren Generation gedachten eher des gerade fünfzig Jahre zurückliegenden Endes der Monarchie und des staatlichen Autoritätsverfalls danach, während die studierenden und rebellierenden Enkel den rätedemokratisch-revolutionären Beginn der Weimarer Republik im Blick hatten.
In den letzten etwa eineinhalb Jahrzehnten hat sich abermals und ganz unspektakulär eine Revision vollzogen. Das lange dominierende und auch überspitzte Bild des preußisch-deutschen Sonderwegs, der im Kaiserreich seinen Höhepunkt erlebte und im "Dritten Reich" sein katastrophisches Ende fand, wird nun mit einer sehr viel stärker differenzierten Sichtweise konfrontiert: Sie verweist auf die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen, auf das Nebeneinander und Gegeneinander vormoderner, moderner und antimoderner Strömungen, zeichnet deshalb ein sehr viel weniger statisches, widersprüchliches und pluralistischeres Bild von der wilhelminischen Gesellschaft, ohne einer neuen Apologetik das Wort zu reden.
Bedauerlicherweise verzichtet Reinhard Alings in seiner denkmalgeschichtlichen Studie, einer Berliner Dissertation, auf den Versuch, die Entwicklung dieser jeweils sehr zeittypischen Bilder des Kaiserreichs zu skizzieren und seine Fragestellung aus der bis heute sehr wechselvollen Geschichte nationalpolitischer Denkmäler zu entwickeln. Das ist vor allem deshalb ein Mangel, weil es ihm ja gerade darum geht, die Entstehung und Rezeption ausgewählter Kriegs-, Wilhelm- und Bismarckdenkmäler als sichtbaren Ausdruck von nationalem Bewußtsein zu interpretieren, also jene Frage nach der politischen Architektur-, Kultur- und Mentalitätsgeschichte zu stellen, die letzthin eben zu einer stärker differenzierenden Sicht auf das Kaiserreich geführt hat.
Bedauerlich erscheint dieser Verzicht auch, weil so der Bezug zur Gegenwart undiskutiert bleibt. Immerhin müht sich auch das wiedervereinte Deutschland mit Denkmälern ab, deren Anspruch, Identität zu stiften und die Nation zu integrieren, ebenso offenkundig wie fragwürdig und unrealistisch ist, ob man nun an den Streit um die Neue Wache, das zentrale Holocaust-Mahnmal oder die nationalen historischen Museen denkt. Statt dessen werden dem Leser lexikalisch und monographisch einschlägige Definitionen zum Denkmalbegriff angeboten, wird selbst aus dem Duden zitiert. Allgemein kommentierende Hinweise auf Standardwerke der Denkmalliteratur von Albert Hofmann über Hubert Schrade und Helmut Scharf bis hin zu der umfassenden zeitgenössischen Darstellung der deutschen Kriegerdenkmäler von Meinhold Lurz können einen substantiellen Forschungsbericht nicht ersetzen. Ein über Orte und Zahlen informierender Überblick über die Denkmalbewegungen und Denkmalwellen, die das Reich seit den neunziger Jahren mit Hunderten von Bismarck- und Wilhelm-Monumenten versorgten, schließt sich an.
Vor diesem Hintergrund entfaltet der Verfasser schließlich seine zehn Fallstudien zu ausgewählten Reichsgründungsdenkmälern. Zu den heute noch national prominentesten zählen gewiß die Berliner Siegessäule, die Münchener Friedenssäule, das Rüdesheimer Niederwalddenkmal und das Hamburger Bismarck-Standbild. So beeindruckend die von Alings erschlossene Materialfülle ist, so wenig überzeugt ihre Präsentation. Während die Bildprogramme und architektonischen Konstruktionen der Denkmäler nacheinander abgehandelt werden, wird ihre Entstehungs- und Rezeptionsgeschichte nach sachlichen Kriterien geordnet, werden alle Denkmäler jeweils zusammengefaßt und nach den ihnen zugrunde liegenden Interessen und Intentionen, nach der Rhetorik ihrer inhaltlichen Programme und schließlich nach ihrer öffentlichen Aufnahme vergleichend befragt. Das zerreißt nun aber den denkmalgeschichtlichen Zusammenhang, in den das jeweilige Einzelbeispiel gehört.
Wegen dieser Unübersichtlichkeit ist die Lektüre der in den beiden Hauptkapiteln abgehandelten Fallbeispiele etwas mühsam; es finden sich darin allerdings auch viele erhellende Passagen. Die für den Zusammenhang von Politik und Kultur besonders aufschlußreichen Ausführungen über die Kommentierung und Kritik der Denkmäler in der Fachpublizistik und in den richtungspolitischen Presseorganen fallen am Schluß leider nur noch recht knapp aus. Gleichwohl wird nun erkennbar, wie sehr schon diese Denkmäler - auch im oft langwierigen Prozeß ihrer Entstehung - kommunikative Medien waren, wie sie politisch mobilisierten und polarisierten. Sie waren Ausdruck einer nach konfessionellen und soziokulturellen Milieus fragmentierten politischen Kultur.
Noch einmal bestätigt sich, was Thomas Nipperdey bereits vor fast dreißig Jahren dargelegt hat: Von den zahllosen Denkmälern des Kaiserreichs, die Nationaldenkmäler sein sollten, konnte kaum eines den Anspruch erfüllen, Symbol nationaler Einheit und Identität zu sein. Denn "die gegensätzlichen Ausprägungen des deutschen Nationalbewußtseins" traten in ihnen von Anfang an zutage: "das national-monarchische, das nationaldemokratische, das nationalchristliche und das nationalkulturelle Bewußtsein". Dagegen mußte das sich im Prozeß einer "negativen Integration" schrittweise national orientierende oppositionelle Bewußtsein der Arbeiterschaft lange auf denkmalkünstlerische Monumente verzichten und sich mit "Momentdenkmälern" begnügen, jenen graphisch oder fotografisch popularisierten "lebenden Denkmälern" von sozialdemokratischen Maifeiern und Parteitagen.
Auf diesen Aspekt und das Faktum, daß sich die vorgeblich "vaterlandslosen Gesellen" als die besseren, die "proletarischen Patrioten" darstellten und am Ende auch entsprechend verhielten, geht Alings leider nicht ein. Deshalb zeichnet er ein schiefes Bild, wenn er meint, daß "die deutlichste Stellungnahme der organisierten Arbeiterschaft" zu den nationalpolitischen Identifikationsangeboten des Kaiserreichs "ihr Schweigen" gewesen sei.
PETER REICHEL
Reinhard Alings: "Monument und Nation". Das Bild vom Nationalstaat im Medium Denkmal - Zum Verhältnis von Nation und Staat im deutschen Kaiserreich 1871 - 1918. Verlag Walter de Gruyter, Berlin, New York 1996. XVI, 642 S., 46 Abb., geb., 298,- DM.
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Reinhard Alings sucht im Denkmal den Nationalgedanken
Die Bewertung des zweiten deutschen Kaiserreichs hat sich seit 1918 und im Wechsel der nachfolgenden politischen Systeme mehrfach geändert. Die Weimarer Republik wollte den wilhelminischen Staat vergessen machen: mit einer demokratischen Verfassung und einer Staatssymbolik, die ihr integrativen Ausdruck geben sollte. Daß ihr das nicht gelang, hat nicht wenig zu ihrem Scheitern beigetragen. Das ebenso traditionslose wie traditionsbedürftige "Dritte Reich" suchte umgekehrt das Kaiserreich zu beerben, gerade auch symbolisch und denkmalästhetisch.
So war das Bild des wilhelminischen Deutschlands nach 1945 zwangsläufig erheblich vorbelastet. Es verwundert insofern nicht, daß es zunächst auf das Klischee einer "Untertanengesellschaft" und einer bloßen Vorstufe von 1933 reduziert wurde. So einseitig dieses Bild war, so umstritten blieb die Bewertung des Kaiserreichs. Das hat die "Fischer-Kontroverse" um die Kriegsschuldfrage gezeigt, aber auch das Erinnerungsjahr 1968. Teile der älteren Generation gedachten eher des gerade fünfzig Jahre zurückliegenden Endes der Monarchie und des staatlichen Autoritätsverfalls danach, während die studierenden und rebellierenden Enkel den rätedemokratisch-revolutionären Beginn der Weimarer Republik im Blick hatten.
In den letzten etwa eineinhalb Jahrzehnten hat sich abermals und ganz unspektakulär eine Revision vollzogen. Das lange dominierende und auch überspitzte Bild des preußisch-deutschen Sonderwegs, der im Kaiserreich seinen Höhepunkt erlebte und im "Dritten Reich" sein katastrophisches Ende fand, wird nun mit einer sehr viel stärker differenzierten Sichtweise konfrontiert: Sie verweist auf die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen, auf das Nebeneinander und Gegeneinander vormoderner, moderner und antimoderner Strömungen, zeichnet deshalb ein sehr viel weniger statisches, widersprüchliches und pluralistischeres Bild von der wilhelminischen Gesellschaft, ohne einer neuen Apologetik das Wort zu reden.
Bedauerlicherweise verzichtet Reinhard Alings in seiner denkmalgeschichtlichen Studie, einer Berliner Dissertation, auf den Versuch, die Entwicklung dieser jeweils sehr zeittypischen Bilder des Kaiserreichs zu skizzieren und seine Fragestellung aus der bis heute sehr wechselvollen Geschichte nationalpolitischer Denkmäler zu entwickeln. Das ist vor allem deshalb ein Mangel, weil es ihm ja gerade darum geht, die Entstehung und Rezeption ausgewählter Kriegs-, Wilhelm- und Bismarckdenkmäler als sichtbaren Ausdruck von nationalem Bewußtsein zu interpretieren, also jene Frage nach der politischen Architektur-, Kultur- und Mentalitätsgeschichte zu stellen, die letzthin eben zu einer stärker differenzierenden Sicht auf das Kaiserreich geführt hat.
Bedauerlich erscheint dieser Verzicht auch, weil so der Bezug zur Gegenwart undiskutiert bleibt. Immerhin müht sich auch das wiedervereinte Deutschland mit Denkmälern ab, deren Anspruch, Identität zu stiften und die Nation zu integrieren, ebenso offenkundig wie fragwürdig und unrealistisch ist, ob man nun an den Streit um die Neue Wache, das zentrale Holocaust-Mahnmal oder die nationalen historischen Museen denkt. Statt dessen werden dem Leser lexikalisch und monographisch einschlägige Definitionen zum Denkmalbegriff angeboten, wird selbst aus dem Duden zitiert. Allgemein kommentierende Hinweise auf Standardwerke der Denkmalliteratur von Albert Hofmann über Hubert Schrade und Helmut Scharf bis hin zu der umfassenden zeitgenössischen Darstellung der deutschen Kriegerdenkmäler von Meinhold Lurz können einen substantiellen Forschungsbericht nicht ersetzen. Ein über Orte und Zahlen informierender Überblick über die Denkmalbewegungen und Denkmalwellen, die das Reich seit den neunziger Jahren mit Hunderten von Bismarck- und Wilhelm-Monumenten versorgten, schließt sich an.
Vor diesem Hintergrund entfaltet der Verfasser schließlich seine zehn Fallstudien zu ausgewählten Reichsgründungsdenkmälern. Zu den heute noch national prominentesten zählen gewiß die Berliner Siegessäule, die Münchener Friedenssäule, das Rüdesheimer Niederwalddenkmal und das Hamburger Bismarck-Standbild. So beeindruckend die von Alings erschlossene Materialfülle ist, so wenig überzeugt ihre Präsentation. Während die Bildprogramme und architektonischen Konstruktionen der Denkmäler nacheinander abgehandelt werden, wird ihre Entstehungs- und Rezeptionsgeschichte nach sachlichen Kriterien geordnet, werden alle Denkmäler jeweils zusammengefaßt und nach den ihnen zugrunde liegenden Interessen und Intentionen, nach der Rhetorik ihrer inhaltlichen Programme und schließlich nach ihrer öffentlichen Aufnahme vergleichend befragt. Das zerreißt nun aber den denkmalgeschichtlichen Zusammenhang, in den das jeweilige Einzelbeispiel gehört.
Wegen dieser Unübersichtlichkeit ist die Lektüre der in den beiden Hauptkapiteln abgehandelten Fallbeispiele etwas mühsam; es finden sich darin allerdings auch viele erhellende Passagen. Die für den Zusammenhang von Politik und Kultur besonders aufschlußreichen Ausführungen über die Kommentierung und Kritik der Denkmäler in der Fachpublizistik und in den richtungspolitischen Presseorganen fallen am Schluß leider nur noch recht knapp aus. Gleichwohl wird nun erkennbar, wie sehr schon diese Denkmäler - auch im oft langwierigen Prozeß ihrer Entstehung - kommunikative Medien waren, wie sie politisch mobilisierten und polarisierten. Sie waren Ausdruck einer nach konfessionellen und soziokulturellen Milieus fragmentierten politischen Kultur.
Noch einmal bestätigt sich, was Thomas Nipperdey bereits vor fast dreißig Jahren dargelegt hat: Von den zahllosen Denkmälern des Kaiserreichs, die Nationaldenkmäler sein sollten, konnte kaum eines den Anspruch erfüllen, Symbol nationaler Einheit und Identität zu sein. Denn "die gegensätzlichen Ausprägungen des deutschen Nationalbewußtseins" traten in ihnen von Anfang an zutage: "das national-monarchische, das nationaldemokratische, das nationalchristliche und das nationalkulturelle Bewußtsein". Dagegen mußte das sich im Prozeß einer "negativen Integration" schrittweise national orientierende oppositionelle Bewußtsein der Arbeiterschaft lange auf denkmalkünstlerische Monumente verzichten und sich mit "Momentdenkmälern" begnügen, jenen graphisch oder fotografisch popularisierten "lebenden Denkmälern" von sozialdemokratischen Maifeiern und Parteitagen.
Auf diesen Aspekt und das Faktum, daß sich die vorgeblich "vaterlandslosen Gesellen" als die besseren, die "proletarischen Patrioten" darstellten und am Ende auch entsprechend verhielten, geht Alings leider nicht ein. Deshalb zeichnet er ein schiefes Bild, wenn er meint, daß "die deutlichste Stellungnahme der organisierten Arbeiterschaft" zu den nationalpolitischen Identifikationsangeboten des Kaiserreichs "ihr Schweigen" gewesen sei.
PETER REICHEL
Reinhard Alings: "Monument und Nation". Das Bild vom Nationalstaat im Medium Denkmal - Zum Verhältnis von Nation und Staat im deutschen Kaiserreich 1871 - 1918. Verlag Walter de Gruyter, Berlin, New York 1996. XVI, 642 S., 46 Abb., geb., 298,- DM.
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