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Jane Smiley, die für ihren Roman "Tausend Morgen" mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnet wurde, legt einen weiteren, diesmal heiter-ironischen Roman vor. Er spielt auf dem Campus einer "Ackerbau- und Viehzuchtuniversität" irgendwo im Mittleren Westen der USA. Hier wimmelt es von Dummköpfen und Weisen, Wohltätern und Profitjägern, Denkern, Karrieristen und Spezialisten der verschiedensten Disziplinen. Ihnen allen gemeinsam ist das Bestreben, Sponsoren ausfindig zu machen, die die leeren Uni-Kassen füllen sollen. Besondere Hoffnung setzen sie auf einen texanischen Milliardär, dessen Reichtum auf dem Einfall beruht, Hühnerdreck als Hühnerfutter zu verkaufen.…mehr

Produktbeschreibung
Jane Smiley, die für ihren Roman "Tausend Morgen" mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnet wurde, legt einen weiteren, diesmal heiter-ironischen Roman vor. Er spielt auf dem Campus einer "Ackerbau- und Viehzuchtuniversität" irgendwo im Mittleren Westen der USA. Hier wimmelt es von Dummköpfen und Weisen, Wohltätern und Profitjägern, Denkern, Karrieristen und Spezialisten der verschiedensten Disziplinen. Ihnen allen gemeinsam ist das Bestreben, Sponsoren ausfindig zu machen, die die leeren Uni-Kassen füllen sollen. Besondere Hoffnung setzen sie auf einen texanischen Milliardär, dessen Reichtum auf dem Einfall beruht, Hühnerdreck als Hühnerfutter zu verkaufen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.04.1995

Glück und Unglück der Herdentiere
Aus dem Vier-Sterne-Koben: Jane Smileys Roman "Moo" / Von Walter Klier

Den Schutzumschlag, der sich wenden läßt wie gewisse wetterfeste Jacken, ziert auf beiden Seiten eine hübsche Warhol-Kuh, und lautmalerisch analog heißt Jane Smileys neuer Roman auch "Moo" - gleich wie jene Universität im amerikanischen Mittelwesten, wo die Handlung spielt. Diese Uni, für den nichtakademischen Teil der Bevölkerung "eine Reihe von Einbahnstraßen mitten in der Stadt", befaßt sich, dem Charakter der Gegend gemäß, in erster Linie mit Ackerbau und Viehzucht. So träumt Professor Jellinek von geklonten Kühen, alle identisch, alle gleich gefleckt, gleich glücklich und in allen Bedürfnissen und Leistungen gleich; und als die Konkurrenz ihm in Sachen Klonen zuvorkommt - er hat zu lange gewartet -, wirft er sich auf ein neues, faszinierendes Projekt, die "kälberunabhängige Laktation", mit deren staunenswerten Details ich den Leser hier aber verschonen will.

In Jahren der sorgloseren Alimentierung durch die Regierung sind der Universität freilich zahlreiche andere Wissensgebiete hinzugekommen. Der Zeitgeist hat schließlich nicht in New York oder San Francisco, wie fern diese von Moo aus gesehen auch erscheinen mögen, haltgemacht. Doch nun, zur Jahreswende 1989/90, haben die Zeiten sich geändert, das Geld ist knapp geworden, und der Gouverneur des Staates, der sich einer erfrischend offenherzigen Sprache bedient, ist mit seinen Wählern einer Meinung, daß nämlich "die Universität über diverse Geldtöpfe verfügte und daß es in jedem Institut hochbezahlte Fakultätsmitglieder gab, die früher Marxismus gelehrt hatten und inzwischen etwas lehrten, das sie Dekonstruktivismus nannten, was aber nichts anderes war als versteckter Marxismus, der in einer Zeit nationaler Bedrängnis sofort wieder zum Vorschein kommen würde".

Die Befürchtung, "Moo" erweitere bloß das bekannte Genre des amerikanischen Campus-Romans um eine schon wegen der Flachheit der Gegend wenig aufregende Facette, zerstreut sich schon auf den ersten Seiten, wo man die Bekanntschaft des stillen Helden dieses an verschiedenartigsten Helden reichen Buches macht. Das Herz, die geographische Mitte von Moo University ist das stillgelegte Schlachthaus, genannt Old Meats. Dort lebt in seinem Vier-Sterne-Koben Earl Butz, "das verborgene Schwein im Herzen der Universität", liebevoll umhegt, gefüttert, gewogen und durchgecheckt von dem Studenten Bob im Auftrag von Doktor Bo Jones, der ohne Wissen seiner Institution mit Earls Hilfe eine menschheitsalte Wissenslücke zu schließen versucht.

"Das Schwein", so Doktor Jones, "ist ein rätselhaftes Geschöpf, dessen Verhalten in freier Wildbahn noch kaum erforscht ist, denn es ist heimtückisch und schwer aufzuspüren. (. . .) Nie hat es ein altes Schwein gegeben. Das Schwein ist viel zu nützlich. (. . .) Was kann ich mit dem Schwein anfangen, wann kann ich es essen, wie kann ich aus dem Schwein den größtmöglichen Nutzen ziehen, das steht auf ewig zwischen Mensch und Schwein."

Earls Aufgabe besteht also darin, sein natürliches Lebensalter zu erreichen und so viel zu fressen, wie er nur will. Bis die Sache auffliegt, hat er das stattliche Gewicht von 700 Pfund erreicht, leidet an Gelenkbeschwerden, ähnelt bereits "einem Eßzimmerbüfett" und hat die Universität exakt 233876,42 Dollar gekostet. Doktor Jones allerdings kann vorläufig nicht zur Verantwortung gezogen werden, weil er auf einer Expedition in Kirgisien verschollen ist, wo er Earls wildlebenden Artgenossen auf die Schliche zu kommen hofft - ein Unterfangen, das erst der Zusammenbruch des Kommunismus möglich gemacht hat.

Im übrigen hat die Sache mitnichten den beabsichtigten Verlauf genommen, wie das meiste in diesem liebevoll im Kleinen wie souverän in der Anlage aus weitverzweigten Handlungssträngen geflochtenen Roman. Wunderschöne Geschichten. Jane Smiley, die an der Universität Iowa lehrt und ganz offenkundig weiß, wovon sie schreibt, hat diesen demokratischen Blick auf die Welt, der mir, bei aller sonstigen Verschiedenheit, das einigende Merkmal der amerikanischen Literatur zu sein scheint - und zur Welt gehören in ihrem Roman Menschen ebenso wie Kühe, Schweine, Pferde, allesamt interessante Herdentiere, über die wir noch lange nicht alles wissen. "Moo" zählt zu der Sorte Roman, die einen, wie John Irvings "Garp" oder John Kennedy Tooles "Ignaz oder Die Verschwörung der Idioten", abwechselnd zum Lachen und (beinahe) Weinen bringen, die vom (beinahe) gewöhnlichen Leben so vergnüglich zu erzählen wissen, daß man darüber die Zeit vergißt. Die von allen Bachmann-Preis-Jurys gehegte Furcht, sich "unter Niveau" zu amüsieren, kommt einem erst in den Sinn, wenn man das Buch nach 525 Seiten geschlossen hat - und erscheint einem als merkwürdig lebensferne Zumutung.

Smileys Erzählstimme, der die beiden Übersetzer eine überzeugende deutsche Form gegeben haben, spricht, immer ruhig, freundlich, ironisch (manchmal sehr ironisch), aus den verschiedensten Mündern - seien es die Erstsemester, die so schöne Namen tragen wie Diane, Keri, Sherri und Carol, sei es der strenge alte Protestant, der es "etwas ungewöhnlich" findet, "in fortgeschrittenem Alter noch Unzucht zu treiben", sei es Tim, der Professor für Kreatives Schreiben, dessen literarische Vorlieben sich für sein Liebesleben als etwas hinderlich erweisen: "Es läuft weniger gut bei Tim, dessen Sexualleben immer noch hauptsächlich aus Triebbefriedigung besteht und sich, obwohl er ständig darüber schreibt, bisher noch nicht in eine Kunst verwandelt hat. Bedauerlicherweise hat er die falschen Berater konsultiert - männliche Romanciers aus osteuropäischen und südamerikanischen Ländern. Er glaubt ihren Geschichten von fünfzehnjährigen Mädchen, die achtzigjährige Männer begehren, und von Frauen, die über Jahre hinweg anspruchslose, aber unersättliche Geliebte sind." Ein anderes Kaliber ist der alte Bauer Loren Stroop, der tagein, tagaus eine kugelsichere Weste trägt, die er bei der Steuererklärung unter "verschiedene Ausrüstungsgegenstände" abschreibt - zum Schutz gegen die Leute vom FBI, der CIA und von den großen Agrarkonzernen, "die ihn allesamt aus dem Weg schaffen wollten, ehe er seine Erfindung, die die amerikanische Landwirtschaft revolutionieren würde, vervollkommnen und vermarkten konnte".

Die drohende Ebbe in den universitären Kassen treibt die Verantwortlichen in die Arme von Arlen Martin, einem kleinen segelohrigen Texaner, der seine ersten Milliarden der Idee verdankt, Hühner mit den nach der Verarbeitung übriggebliebenen Resten ihrer Artgenossen, gut durchmischt mit schweren Dosen Antibiotika, zu füttern, und der nun in der Moo-Universität aufkreuzt "mit der fröhlichen Unbekümmertheit einer Figur in einem Horrorfilm, die innerhalb der nächsten zehn Minuten einen grauenvollen Tod sterben wird". Das wird er natürlich nicht, sondern er wird, top-secret, ein positives Gutachten für seinen Plan bekommen, im letzten Nebelwald von Zentralamerika Gold abzubauen.

Die Art und Weise, wie dieses geheime Gutachten an die Öffentlichkeit kommt, erinnert an die aberwitzigen und dennoch solide im Wahrscheinlichen verankerten Kabalen in William Gaddis' Romanen. Wie er verwendet auch Smiley "originale" Dokumente, wo sie "notwendig" werden, Gutachten, Zeitungsmeldungen oder eine Abschrift der TV-Reportage von den Unruhen, die schließlich auf dem Campus ausbrechen: ",Ja, Steve, der Vorsitzende des Gartenbauinstituts scheint tatsächlich versucht zu haben, den Dekan für Technologietransfer zu erwürgen, als dieser gerade auf dem Weg zum Mittagessen war. (. . .).'

,Wie sind die Reaktionen auf dieses Ereignis, Sarah?'

,Tja, Steve, die meisten Leute sind natürlich entsetzt, aber ein Student schien vielen aus dem Herzen zu sprechen, als er sagte: ,Wow, Sie hätten dabeisein sollen, als die beiden alten Knacker im Schnee herumrollten und aufeinander einschlugen. Das war echt große Klasse!' '

,Vielen Dank, Sarah. Weitere Informationen über dieses Thema, sobald sie bei uns eintreffen.'"

Jane Smiley: "Moo". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Ulrike Becker und Claus Varrelmann. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1995. 525 S., geb., 48,- DM.

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