Beschäftigt man sich mit den Aussagen der römischen Juristen zum Schuldnerverzug, setzt man zunächst stillschweigend voraus, was dem heutigen Rechtsanwender selbstverständlich ist, nämlich, daß bei der Beurteilung der Verzugsfolgen grundsätzlich der gesamte tatsächliche und hypothetische Kausalverlauf bis zum Zeitpunkt der Fallentscheidung berücksichtigt wird. Die Römer dachten anders: Sie ließen den Schuldner nicht für das Ausbleiben der Leistung bis zum Prozeß, sondern für seine Nichterfüllung im Moment des Verzugseintritts haften und schätzten den Wert der Leistung zu diesem Zeitpunkt. Das Ergebnis ist eine strenge Haftung, die den Schuldner bei zufälligem Untergang des Leistungsgegenstands selbst dann traf, wenn er bei rechtzeitiger Leistung auch für den Gläubiger verloren gewesen wäre. Da die hypothetische Entwicklung bei ordentlicher Erfüllung insgesamt und nicht nur zugunsten des Gläubigers ausgeblendet wurde, war die Haftung des säumigen Schuldners zugleich auf den Wert des Leistungsgegenstands beschränkt, umfaßte also nicht den Ersatz entgangenen Gewinns und von Folgeschäden im Vermögen des Gläubigers. Auch der Tatbestand des römischen Schuldnerverzugs entzieht sich dem heutigen Vorverständnis: Er lautet weder Mahnung noch Verschulden, sondern besteht aus einem Grund zur Kenntnis der Leistungszeit und Nichtleistung trotz Leistungsfähigkeit. Er entspricht dem Tatbestand des Gläubigerverzugs, der entgegen einer weit verbreiteten Ansicht ebenfalls nicht ohne Rücksicht auf die Kenntnis von der Leistungszeit und das Vermögen des Gläubigers zur Annahme auskam. Der ihm entspringende Anspruch auf Aufwendungsersatz war Pendant zur Zinspflicht des säumigen Schuldners. Beide waren nicht Schuldinhalt, sondern bloß Mittel, Gläubiger und Schuldner zu rechtzeitiger Leistung und Annahme zu bewegen. Die Nichteinhaltung der Leistungszeit wurde also anders als heute stets nur indirekt sanktioniert: durch präventiv wirkende Nebenpflichten und eine Verschiebung des Zeitpunkts, zu dem der Wert der Leistung bestimmt wurde.