Ein schwarzer Tag in der Geschichte des Vatikans: Am Abend des 4. Mai 1998 wird der Kommandant der Päpstlichen Schweizergarde, Alois Estermann, sterbend in seiner Wohnung aufgefunden. Im selben Raum zwei Tote: Estermanns Frau und der junge Gardist Cedric Tornay. Schon drei Stunden später verbreitet der Sprecher des Heiligen Stuhls eine komplette Erklärung des unerhörten Falls: Der Täter sei Cedric Tornay. Frustriert über eine ihm verweigerte Medaille habe er seinen Vorgesetzten und dessen Frau in einem "Anfall von Wahnsinn" erschossen.
Aber etwas ist faul im Staate des Papstes. Fachgerechte Ermittlungen der italienischen Polizei werden verhindert. Ein angeblich von C dric stammender Brief, in dem er seiner Mutter erklärt, warum er zum Mörder wurde, erweist sich als Fälschung. Diese und andere Gründe lassen die Mutter des Gardisten bis heute nicht ruhen, gegen den Kirchenstaat vorzugehen.
Ein Fall für Valeska von Roques, die sich seit Jahren als Theologin, Historikerin und Journali mit den obersten Führungsetagen der katholischen Kirche befasst und über beste Kontakte zu inneren Zirkeln des Vatikans verfügt. Nach intensiven Recherchen erzählt sie nun eine unfassbare Geschichte, die so ganz anders klingt als die offizielle Version und die doch, wie die Autorin zeigt, nur eines von vielen Beispielen ist, die Spitze eines Eisbergs krimineller Energie, die sich hinter der Fassade kirchlicher Würde verschanzt. Pädophile Priester rings um die Welt wurden in den vergangenen Jahren von ihren kirchlichen Oberen stillschweigend vor staatlicher Verfolgung geschützt. Massiv blockierte der Vatikan auch die Aufklärung der mysteriösen Entführung zweier Mädchen in Rom. Die Autorin weist nach, dass Spuren dieses Verbrechens direkt in das Zentrum der katholischen Kirche führen - ein weiterer Fall, in dem der "Staat der Vatikanstadt" seine mit Mussolini ausgehandelte Souveränität systematisch missbraucht, um Verbrechen zu vertuschen.
Aber etwas ist faul im Staate des Papstes. Fachgerechte Ermittlungen der italienischen Polizei werden verhindert. Ein angeblich von C dric stammender Brief, in dem er seiner Mutter erklärt, warum er zum Mörder wurde, erweist sich als Fälschung. Diese und andere Gründe lassen die Mutter des Gardisten bis heute nicht ruhen, gegen den Kirchenstaat vorzugehen.
Ein Fall für Valeska von Roques, die sich seit Jahren als Theologin, Historikerin und Journali mit den obersten Führungsetagen der katholischen Kirche befasst und über beste Kontakte zu inneren Zirkeln des Vatikans verfügt. Nach intensiven Recherchen erzählt sie nun eine unfassbare Geschichte, die so ganz anders klingt als die offizielle Version und die doch, wie die Autorin zeigt, nur eines von vielen Beispielen ist, die Spitze eines Eisbergs krimineller Energie, die sich hinter der Fassade kirchlicher Würde verschanzt. Pädophile Priester rings um die Welt wurden in den vergangenen Jahren von ihren kirchlichen Oberen stillschweigend vor staatlicher Verfolgung geschützt. Massiv blockierte der Vatikan auch die Aufklärung der mysteriösen Entführung zweier Mädchen in Rom. Die Autorin weist nach, dass Spuren dieses Verbrechens direkt in das Zentrum der katholischen Kirche führen - ein weiterer Fall, in dem der "Staat der Vatikanstadt" seine mit Mussolini ausgehandelte Souveränität systematisch missbraucht, um Verbrechen zu vertuschen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.05.2003Böses Blut am Heiligen Stuhl
Fünf Jahre nach dem spektakulären Doppelmord im Vatikan zieht ein neues Buch die offizielle Erklärung in Zweifel. Die Autorin glaubt an ein Komplott.
VON ALEXANDER MARGUIER
Am 4. Mai 1998 hatte es den ganzen Tag über geregnet, als die Nonne Marie Helfenberger den Lift in der Kaserne der Schweizergarde bestieg, weil sie um 20.45 Uhr die von Radio Vatikan ausgestrahlte Rosenkranz-Andacht in ihrem Zimmer hören wollte. Als die fromme Schweizerin den Aufzug verließ, bemerkte sie schwere Schritte aus dem Treppenhaus - wie wenn jemand eine Zentnerlast zu schleppen habe. Fünf Minuten später lassen dumpfe Schläge die Bewohner des Gardistenhauses aufhorchen, unter ihnen die Wachtmeistergattin Caroline Meier. Durch die Geräusche eines sogleich davonrasenden Autos erst recht skeptisch geworden, läuft Caroline Meier ins Treppenhaus und bemerkt eine offenstehende Wohnungstür. Es ist das Appartement des gerade erst zum neuen Kommandanten der Schweizergarde ernannten Alois Estermann und dessen Frau Gladys. Mittlerweile sind auch Marie Helfenberger und andere Nonnen herbeigeeilt, mutig wagen sich die Frauen in die Wohnung. Dort machen sie eine schreckliche Entdeckung: Alois und Gladys Estermann liegen blutüberströmt am Boden, ebenso ein junger Schweizergardist mit Namen Cédric Tornay. Alle drei sind tot.
Der Fall ist schnell aufgeklärt, zumindest aus der Sicht des Vatikans: Schon wenige Minuten nach Mitternacht gibt ein Sprecher des Heiligen Stuhls eine Erklärung heraus, wonach der Vizekorporal Cédric Tornay in einem "plötzlichen Anfall von Verrücktheit" seinen Chef nebst Ehefrau erschossen und dann die Pistole gegen sich selbst gerichtet habe. Auch mehr als fünf Jahre nach dem blutigen Vorfall hält der Vatikan an diesem Tathergang fest, obwohl mittlerweile derart viele Ungereimtheiten, Vertuschungsversuche und Ermittlungspannen ans Licht gekommen sind, daß sich ganze Bücher damit füllen lassen. Die frühere Italien-Korrespondentin des "Spiegel", Valeska von Roques, hat jetzt ein solches Buch geschrieben, und wenn es sich streckenweise wie ein Verschwörungsroman liest, dann liegt das wohl in erster Linie an der Verweigerungshaltung der päpstlichen Kurie: Werden Informationen zurückgehalten, blüht eben die Spekulation - erst recht, wenn sie einen Kriminalfall betreffen, der sich auf einem für die Öffentlichkeit so unzugänglichen Terrain wie dem Vatikan ereignet hat.
Eines der hanebüchensten "Beweisstücke", mit der die Kleriker ihre These von der Wahnsinnstat eines 23 Jahre alten und offenbar bis zur Naivität gutmütigen Schweizergardisten zu untermauern suchten, ist dessen "Abschiedsbrief". Der aus dem Wallis stammende Cédric Tornay hatte bis zu seinem Tod dreieinhalb Jahre Dienst als päpstlicher Wachsoldat getan und war in dieser Zeit wegen seines stark ausgeprägten Gerechtigkeitssinns immer mal wieder mit Vorgesetzten in Konflikt geraten - darunter auch Alois Estermann. Ein eher unbedeutendes Ehrenabzeichen war ihm deshalb verweigert worden, weshalb er laut Abschiedsbrief den Doppelmord begangen haben will. Doch nicht nur, daß dieses Schriftstück, das man Tornays Mutter kurz nach dem Tod ihres Sohnes überlassen hatte, auf Papier verfaßt worden war, das nur dem Staatssekretariat des Vatikans zur Verfügung stand - Zweifel an der Authentizität des Dokuments ergeben sich vor allem daraus, daß eine Kopie des "Abschiedsbriefs", die der Vatikan mehreren italienischen Zeitungen zur Verfügung gestellt hatte, mit dem vermeintlichen Original nicht übereinstimmte.
Hinzu kommen etliche verräterische Unstimmigkeiten, beginnend damit, daß Cédric als Adresse auf seinen Brief zwar den Namen seiner Mutter geschrieben hatte - allerdings einen, den die mehrfach geschiedene Frau schon seit Jahren nicht mehr verwendete. Eine Fälschung also? Die Autorin dieses leider etwas ressentimentgeladenen Buchs ist davon jedenfalls überzeugt, und sie erkennt darin auch einen weiteren Beleg für die jahrhundertealte Tradition der Dokumentenfälscherei am Vatikan. Wer allerdings die von Roques zusammengetragenen Widersprüchlichkeiten nachliest, kommt kaum umhin, an der offiziellen Doppelmord-These zu zweifeln: Obwohl der angeblich durch eine Zyste im Hirn in den Wahnsinn getriebene Tornay mit einem Revolver in der Hand durch heftigen Regen zum Tatort gelaufen sein müßte, wollen Zeugen kurz nach der Tat keine Feuchtigkeitsspuren am Leichnam des vermeintlichen Amokläufers gesehen haben. Geschweige denn, daß Ärzte Hinweise auf einen Tumor im Kopf Tornays entdecken konnten. Und so weiter und so fort.
Roques' Vermutung, Alois Estermann sei nicht von einem rasenden Untergebenen niedergestreckt worden, sondern vielmehr einem Mordkomplott der mit der Schweizergarde rivalisierenden päpstlichen Gendarmerie zum Opfer gefallen, ist zwar nicht ohne Reiz, aber zwingend ist sie ebensowenig. Allerdings gehört der Vergleich, mit dem die Autorin diese Rivalität veranschaulichen will, zu einer der schönsten Passagen des Buchs: "Man stelle sich vor, der deutsche Kanzler hätte zwei verschiedene Organisationen beauftragt, für seine Sicherheit zu sorgen, und den einen Wachtrupp hätte er sich - unvorstellbar - aus dem Ausland geholt, sagen wir, eine Gruppe japanischer Karatekämpfer im Berliner Kanzleramt als Ergänzung zu den biederen deutschen Sicherheitsbeamten, die den Kanzler beschützen: Das hätte auch in Berlin böses Blut gegeben . . ."
Cédric Tornays Mutter jedenfalls, die davon überzeugt ist, daß ihr Sohn ebenfalls ermordet und als vermeintlicher Amokläufer und Selbstmörder am Tatort deponiert wurde, will weiter dafür kämpfen, die Wahrheit irgendwann ans Licht zu bringen. Daß sie je Erfolg haben wird, ist nicht zu erwarten.
Valeska von Roques, "Mord im Vatikan", 260 Seiten, 17,90 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Fünf Jahre nach dem spektakulären Doppelmord im Vatikan zieht ein neues Buch die offizielle Erklärung in Zweifel. Die Autorin glaubt an ein Komplott.
VON ALEXANDER MARGUIER
Am 4. Mai 1998 hatte es den ganzen Tag über geregnet, als die Nonne Marie Helfenberger den Lift in der Kaserne der Schweizergarde bestieg, weil sie um 20.45 Uhr die von Radio Vatikan ausgestrahlte Rosenkranz-Andacht in ihrem Zimmer hören wollte. Als die fromme Schweizerin den Aufzug verließ, bemerkte sie schwere Schritte aus dem Treppenhaus - wie wenn jemand eine Zentnerlast zu schleppen habe. Fünf Minuten später lassen dumpfe Schläge die Bewohner des Gardistenhauses aufhorchen, unter ihnen die Wachtmeistergattin Caroline Meier. Durch die Geräusche eines sogleich davonrasenden Autos erst recht skeptisch geworden, läuft Caroline Meier ins Treppenhaus und bemerkt eine offenstehende Wohnungstür. Es ist das Appartement des gerade erst zum neuen Kommandanten der Schweizergarde ernannten Alois Estermann und dessen Frau Gladys. Mittlerweile sind auch Marie Helfenberger und andere Nonnen herbeigeeilt, mutig wagen sich die Frauen in die Wohnung. Dort machen sie eine schreckliche Entdeckung: Alois und Gladys Estermann liegen blutüberströmt am Boden, ebenso ein junger Schweizergardist mit Namen Cédric Tornay. Alle drei sind tot.
Der Fall ist schnell aufgeklärt, zumindest aus der Sicht des Vatikans: Schon wenige Minuten nach Mitternacht gibt ein Sprecher des Heiligen Stuhls eine Erklärung heraus, wonach der Vizekorporal Cédric Tornay in einem "plötzlichen Anfall von Verrücktheit" seinen Chef nebst Ehefrau erschossen und dann die Pistole gegen sich selbst gerichtet habe. Auch mehr als fünf Jahre nach dem blutigen Vorfall hält der Vatikan an diesem Tathergang fest, obwohl mittlerweile derart viele Ungereimtheiten, Vertuschungsversuche und Ermittlungspannen ans Licht gekommen sind, daß sich ganze Bücher damit füllen lassen. Die frühere Italien-Korrespondentin des "Spiegel", Valeska von Roques, hat jetzt ein solches Buch geschrieben, und wenn es sich streckenweise wie ein Verschwörungsroman liest, dann liegt das wohl in erster Linie an der Verweigerungshaltung der päpstlichen Kurie: Werden Informationen zurückgehalten, blüht eben die Spekulation - erst recht, wenn sie einen Kriminalfall betreffen, der sich auf einem für die Öffentlichkeit so unzugänglichen Terrain wie dem Vatikan ereignet hat.
Eines der hanebüchensten "Beweisstücke", mit der die Kleriker ihre These von der Wahnsinnstat eines 23 Jahre alten und offenbar bis zur Naivität gutmütigen Schweizergardisten zu untermauern suchten, ist dessen "Abschiedsbrief". Der aus dem Wallis stammende Cédric Tornay hatte bis zu seinem Tod dreieinhalb Jahre Dienst als päpstlicher Wachsoldat getan und war in dieser Zeit wegen seines stark ausgeprägten Gerechtigkeitssinns immer mal wieder mit Vorgesetzten in Konflikt geraten - darunter auch Alois Estermann. Ein eher unbedeutendes Ehrenabzeichen war ihm deshalb verweigert worden, weshalb er laut Abschiedsbrief den Doppelmord begangen haben will. Doch nicht nur, daß dieses Schriftstück, das man Tornays Mutter kurz nach dem Tod ihres Sohnes überlassen hatte, auf Papier verfaßt worden war, das nur dem Staatssekretariat des Vatikans zur Verfügung stand - Zweifel an der Authentizität des Dokuments ergeben sich vor allem daraus, daß eine Kopie des "Abschiedsbriefs", die der Vatikan mehreren italienischen Zeitungen zur Verfügung gestellt hatte, mit dem vermeintlichen Original nicht übereinstimmte.
Hinzu kommen etliche verräterische Unstimmigkeiten, beginnend damit, daß Cédric als Adresse auf seinen Brief zwar den Namen seiner Mutter geschrieben hatte - allerdings einen, den die mehrfach geschiedene Frau schon seit Jahren nicht mehr verwendete. Eine Fälschung also? Die Autorin dieses leider etwas ressentimentgeladenen Buchs ist davon jedenfalls überzeugt, und sie erkennt darin auch einen weiteren Beleg für die jahrhundertealte Tradition der Dokumentenfälscherei am Vatikan. Wer allerdings die von Roques zusammengetragenen Widersprüchlichkeiten nachliest, kommt kaum umhin, an der offiziellen Doppelmord-These zu zweifeln: Obwohl der angeblich durch eine Zyste im Hirn in den Wahnsinn getriebene Tornay mit einem Revolver in der Hand durch heftigen Regen zum Tatort gelaufen sein müßte, wollen Zeugen kurz nach der Tat keine Feuchtigkeitsspuren am Leichnam des vermeintlichen Amokläufers gesehen haben. Geschweige denn, daß Ärzte Hinweise auf einen Tumor im Kopf Tornays entdecken konnten. Und so weiter und so fort.
Roques' Vermutung, Alois Estermann sei nicht von einem rasenden Untergebenen niedergestreckt worden, sondern vielmehr einem Mordkomplott der mit der Schweizergarde rivalisierenden päpstlichen Gendarmerie zum Opfer gefallen, ist zwar nicht ohne Reiz, aber zwingend ist sie ebensowenig. Allerdings gehört der Vergleich, mit dem die Autorin diese Rivalität veranschaulichen will, zu einer der schönsten Passagen des Buchs: "Man stelle sich vor, der deutsche Kanzler hätte zwei verschiedene Organisationen beauftragt, für seine Sicherheit zu sorgen, und den einen Wachtrupp hätte er sich - unvorstellbar - aus dem Ausland geholt, sagen wir, eine Gruppe japanischer Karatekämpfer im Berliner Kanzleramt als Ergänzung zu den biederen deutschen Sicherheitsbeamten, die den Kanzler beschützen: Das hätte auch in Berlin böses Blut gegeben . . ."
Cédric Tornays Mutter jedenfalls, die davon überzeugt ist, daß ihr Sohn ebenfalls ermordet und als vermeintlicher Amokläufer und Selbstmörder am Tatort deponiert wurde, will weiter dafür kämpfen, die Wahrheit irgendwann ans Licht zu bringen. Daß sie je Erfolg haben wird, ist nicht zu erwarten.
Valeska von Roques, "Mord im Vatikan", 260 Seiten, 17,90 Euro.
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