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Produktdetails
  • Verlag: Pendo
  • ISBN-13: 9783858424174
  • ISBN-10: 385842417X
  • Artikelnr.: 24225277
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.02.2002

Hutmacher im rosa Winkel
Pirmin Meier über einen Verbrecher aus verlorener Männerliebe

"Verbrecher aus verlorener Liebe", so nennt Pirmin Meier, der schon mehrere ungewöhnliche Biographien unbequemer Schweizer (Paracelsus, Micheli du Crest) verfaßt hat, den Langenthaler Rechtsanwalt Franz Desgouttes, der nach abgeschlossenem Studium aus Tübingen zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts in seine Heimat zurückkehrte und dort in Schulden geriet. Doch zum eigentlichen Verhängnis wurde ihm, daß er Männer liebte. Meier, der sich in der Schweizer Verfassungs-, Rechts- und Geistesgeschichte bestens auskennt, schildert Dr. Desgouttes als einen attraktiven Mann, hochgebildet, schlank, mit vollem, kastanienbraunem Haar und stechenden grauen Augen. Das Schicksal nahm seinen Lauf, als der Advokat einen jungen Burschen aus dem benachbarten Aarau als Gehilfen anstellte und sich unsterblich in ihn verliebte. Aber dieser schäkerte lieber mit der gleichaltrigen Viktoria - sehr zum Verdruß seines Herrn, der seine Frustrationen über die unerwiderte Liebe seinem Tagebuch anvertraute.

Dr. Desgouttes suchte Trost im Alkohol und Befriedigung in der Onanie. Als auch das nichts gegen seinen Liebeswahn half, plagten ihn Tötungsphantasien. Nachdem ihn sein geliebter Daniel wieder einmal zurückgewiesen hatte, schlich sich Dr. Desgouttes in dessen Schlafgemach und erstach ihn 1817 mit einem Dolch, den ihm einst Nonnen als Anerkennung für aufopfernden Krankendienst in einem Militärlazarett geschenkt hatten.

Das Appellationsgericht verhängte eine drakonische Strafe. Zum vorletzten Mal in der Geschichte der Schweiz wurde ein Verurteilter aufs Rad geflochten, nachdem man ihn zuvor gnadenhalber stranguliert hatte. Das Entsetzen über diese Tat eines ehrbaren Bürgers, der im Verhör ohne Zwang zahlreiche weitere Delikte (von Urkundenfälschung über Diebstahl bis hin zu Unzucht mit jungen Knaben) gestand, war bei der weltlichen Obrigkeit offenbar so groß, daß man alles tat, um die Erinnerung an diesen Menschen und seine grausame Tat auszulöschen. Die autobiographische Bekehrungsschrift, die Desgouttes in der Haft verfaßt hatte, erschien zwar gleich nach der Hinrichtung im Druck, doch auf Befehl der Kantonsregierung wurde die gesamte Auflage aufgekauft und vernichtet. Auch die Schweizer Zeitungen, die sonst über jede Hinrichtung berichteten, schwiegen über das Geschehen in Langenthal.

Dennoch geriet das Schicksal des auf dem Marktplatz zu Aarwangen offiziell als "Dieb und Mörder" hingerichteten Desgouttes nicht in Vergessenheit. Das ist einzig und allein das Verdienst des Hutmachers Heinrich Hössli, der 1864 verarmt und verbittert in Winterthur starb und heute in der Homosexuellen-Bewegung als Schriftsteller gefeiert wird. 1836 hatte er ein bahnbrechendes Werk mit dem Titel "Eros oder die Männerliebe der Griechen" verfaßt. Es gehörte damals Mut dazu, ein solches Buch zu schreiben. Hössli, ein "verfehlter Gelehrter", wie ihn sein Bruder einmal nannte, fühlte sich mit dem hingerichteten Advokaten Dr. Desgouttes, den er offenkundig nur vom Hörensagen kannte, seelenverwandt. Auch er war homophil, wenngleich eher im platonischen Sinne.

Er war offenbar schon früh in den Besitz der bereits erwähnten rührseligen "Lebens- und Bekehrungsgeschichte des Doktors der Rechte F.D." gelangt. Das darin geschilderte Schicksal ließ ihn nicht mehr los. Seit 1996 ist dieses verfemte Werk wieder als Nachdruck (im Berliner Verlag Rosa Winkel) greifbar. Der Begleitband zu diesem Reprint enthält auch Materialien zur Lebensgeschichte des Dr. Degouttes, die bereits 1903 von Ferdinand Karsch in Magnus Hirschfelds "Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen" erstmals veröffentlicht wurden. Pirmin Meier, der die Stilform der "historiographischen Erzählung" meisterhaft beherrscht, hat nicht nur neue Quellen entdeckt, sondern diesen Stoff zu einem Schweizer Sittengemälde der Restaurationszeit geformt, das mehr bietet als nur eine Parallelbiographie zweier Menschen, die unter ihrer "Andersartigkeit" litten.

ROBERT JÜTTE

Pirmin Meier: "Mord, Philosophie und die Liebe der Männer". Franz Desgouttes und Heinrich Hössli. Eine Parallelbiographie. Pendo Verlag, Zürich 2001. 390 S., Abb., geb., 24,54 .

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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Überaus positiv aber auch kritisch setzt sich Ursula Pia Jauch mit diesem Werk Pirmin Meiers auseinander. Die beiden Biografien seien so unterschiedlich wie die beiden Menschen, deren Lebensgeschichten sie erzählen. Was die Biografie des Juristen und Lebemannes Desgouttes angeht, ist die Rezensentin voll des Lobes. Meier finde das Gleichgewicht zwischen Rückgriffen auf Akten der damaligen Zeit und literarischen Ergänzungen, wobei Jauch "psychologischen und historischen Spürsinn", "Sprachkraft und literarisches Geschick" des Autors lobt. Zur Biografie des Autodidakten Hössli findet die Rezensentin weniger lobende Worte. Da es um das Werk eines einsamen Denkers gehe, versteige sich der Autor in teilweise nicht schlüssige Beschreibungen der "Innenwelt" Hösslis, die sich "gegen die Beschreibbarkeit wehre". Alles in allem aber ist die Rezensentin der Meinung, dass dies ein gutes und wichtiges Buch sei.

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