Die Welternährungskrise breitet sich aus. Das 1996 erklärte Ziel, die Zahl der Hungernden bis 2015 zu halbieren, ist in weite Ferne gerückt. Jean Feyder enthüllt die tieferen Ursachen dieses Hungerskandals und ein System, das in der Hauptsache den Finanz- und Wirtschaftsinteressen des Nordens zuspielt, nicht den Menschen im Süden. Er fordert einen radikalen Umbau des gesamten Ernährungssystems, denn sonst können die neun Milliarden Menschen von morgen nicht ernährt werden, ohne dass es zum ökologischen und sozialen Kollaps kommt. Gefordert sind wir alle die westliche Welt wie die aufsteigenden Länder, die Zivilgesellschaft wie die Konzerne. Ein Globalisierungsbuch, das diesen Namen wirklich verdient!
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.12.2010Mordshunger
Kritik am Verhalten der reichen gegenüber den armen Ländern
In dem Kölner Fernsehkrimi "Mordshunger" bekämpft ein Kommissar seine Beziehungskrise mit exzessivem Delikatessenverzehr. Der Entwicklungshilfe-Experte Jean Feyder verwendet den gleichen Titel sehr viel sinnfälliger für eine sinistre sozioökonomische Analyse von Nahrungsmittel-Misere und Hungertod in den armen Ländern. Seine Frage nach Verursachern und Profiteuren scheint brisanter denn je: Vor zehn Jahren wurde als Ziel proklamiert, den Anteil der 840 Millionen Hungernden an der Weltbevölkerung bis 2015 zu halbieren. Stattdessen hat deren Zahl heute die Milliardengrenze überschritten. Alle sechs Sekunden verhungert ein Kind, und täglich sterben 25 000 Menschen, weil sie nicht genug zu essen haben - 9 Millionen im Jahr.
Jean Feyder, Botschafter Luxemburgs bei UN und WTO, Vorsitzender des Genfer Komitees der "Least Developed Countries" und Präsident der UN-Konferenz für Handel und Entwicklung, beklagt seit langem dieses Elend. Die Ursachen für den Nahrungsmangel in den armen Ländern sieht er in unfairen Handelsbeziehungen, dem rapiden Schwund bäuerlicher Existenzen und dem gnadenlosen Geschäft multinationaler Konzerne mit dem Hunger. Am Beispiel von Haiti, Ghana und Indien zeigt Feyder, wie Länder, die sich vormals mit Reis selbst versorgten, durch Dumpingpreise nach dem Wegfall von Handelsbeschränkungen zu abhängigen Lebensmittelimporteuren wurden, wodurch ein Großteil der ländlichen Bevölkerung verelendete. Streng ins Gericht geht der Autor mit den Vereinigten Staaten, ebenso mit der Welthandelsorganisation, dem Währungsfonds und der Weltbank, die eine für schwache Ökonomien feindliche Liberalisierung der Märkte vorantrieben.
Auch der Luxemburger Premier Jean-Claude Juncker geißelt in seinem Vorwort das janusköpfige Tun internationaler Organisationen: "Während sich auf der einen Seite die Entwicklungspolitik bemüht, den Ärmsten der Armen auf dem Weg zu einem besseren Leben zu helfen, wird oft, eigentlich regelmäßig, zwei Konferenzräume weiter in Ausübung von Machtpolitik in Reinkultur für die Wirtschaftsinteressen westlicher Konzerne gefochten."
Tatsächlich haben weder die Vereinigten Staaten noch die Europäische Union ihre Landwirtschaft gänzlich den nackten Regeln des Marktes unterworfen. Auch China konnte durch die Abschottung seiner Landwirtschaft Hunger und Armut drastisch senken. Feyder fordert deshalb, den Entwicklungsländern zu erlauben, sich mit hohen Importzöllen gegen Konkurrenten wehren zu dürfen, bis vor allem der eigene Nahrungsmittelsektor wettbewerbsfähig geworden ist. Nur ein Umdenken zunächst und vor allem in der Landwirtschaft der Hungerländer bewahre davor, dass die Armen noch ärmer würden.
In den Entwicklungsländern entstehende Industrien brauchten gleichfalls staatliche Regulierung und so lange Protektion, bis sie im weltweiten Wettbewerb mit den etablierten Wirtschaftsgiganten mithalten könnten: "Statt einer weiteren Liberalisierung benötigen die ärmsten Entwicklungsländer einen neuerlichen Schutz ihrer Märkte. Die Weltbank, der Internationale Währungsfonds und die Industrieländer müssen akzeptieren, dass die schwächsten Länder Regeln der WTO, die protektionistische Maßnahmen zulasse, so flexibel wie möglich für sich nutzen." Auch der Marshallplan habe schließlich hohen schützenden Zollschranken zugunsten der nationalen Industrien und strengen Regeln zu Geldtransaktionen seinen Erfolg verdankt.
Im Übrigen müsse sich die Entwicklungspolitik der Industriestaaten radikal verändern, wenn die 9 Milliarden Menschen von morgen ohne ökologischen und sozialen Kollaps satt werden sollten. Dazu gehörten auch tiefgreifende Reformen des internationalen Finanz- und Währungsgebarens, Ausgleichszahlungen für die Anpassung armer Länder an das sich verändernde Klima sowie mehr regionale Integration für kleine Märkte, um der ökonomischen Verwundbarkeit armer Nationen zu begegnen. Ein deutliches Wort richtet Feyder am Schluss an die EU: "Die Frage der Hungerbekämpfung verdient es, auf höchster politischer Ebene behandelt zu werden. Der Europäische Rat sollte sie deshalb wie die Entwicklungspolitik auf seine Agenda setzen. Ausdrückliches Ziel wäre es, die Geißel des Hungers in der ganzen Welt auszurotten."
Feyders Argumente sind nicht neu, doch in ihrer komplexen Zusammenschau äußerst bedrückend. Dennoch bleibt sein Forderungskatalog wohl in vieler Hinsicht ein frommer Wunsch. Die erschreckenden Fakten treffen dabei auf Leser, die wohl selbst nie unter Hunger gelitten haben, es sei denn aus Diätgründen. Gerade in der kalenderverordneten Völlerei der Weihnachtstage schlägt die Lektüre dieses Buches schwer auf den Magen, schmerzhafter als jeder mörderische Krimi.
ULLA FÖLSING.
Jean Feyder : Mordshunger. Wer profitiert vom Elend der armen Länder?
Verlag Westend, Frankfurt 2010, 336 Seiten, 24,95 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Kritik am Verhalten der reichen gegenüber den armen Ländern
In dem Kölner Fernsehkrimi "Mordshunger" bekämpft ein Kommissar seine Beziehungskrise mit exzessivem Delikatessenverzehr. Der Entwicklungshilfe-Experte Jean Feyder verwendet den gleichen Titel sehr viel sinnfälliger für eine sinistre sozioökonomische Analyse von Nahrungsmittel-Misere und Hungertod in den armen Ländern. Seine Frage nach Verursachern und Profiteuren scheint brisanter denn je: Vor zehn Jahren wurde als Ziel proklamiert, den Anteil der 840 Millionen Hungernden an der Weltbevölkerung bis 2015 zu halbieren. Stattdessen hat deren Zahl heute die Milliardengrenze überschritten. Alle sechs Sekunden verhungert ein Kind, und täglich sterben 25 000 Menschen, weil sie nicht genug zu essen haben - 9 Millionen im Jahr.
Jean Feyder, Botschafter Luxemburgs bei UN und WTO, Vorsitzender des Genfer Komitees der "Least Developed Countries" und Präsident der UN-Konferenz für Handel und Entwicklung, beklagt seit langem dieses Elend. Die Ursachen für den Nahrungsmangel in den armen Ländern sieht er in unfairen Handelsbeziehungen, dem rapiden Schwund bäuerlicher Existenzen und dem gnadenlosen Geschäft multinationaler Konzerne mit dem Hunger. Am Beispiel von Haiti, Ghana und Indien zeigt Feyder, wie Länder, die sich vormals mit Reis selbst versorgten, durch Dumpingpreise nach dem Wegfall von Handelsbeschränkungen zu abhängigen Lebensmittelimporteuren wurden, wodurch ein Großteil der ländlichen Bevölkerung verelendete. Streng ins Gericht geht der Autor mit den Vereinigten Staaten, ebenso mit der Welthandelsorganisation, dem Währungsfonds und der Weltbank, die eine für schwache Ökonomien feindliche Liberalisierung der Märkte vorantrieben.
Auch der Luxemburger Premier Jean-Claude Juncker geißelt in seinem Vorwort das janusköpfige Tun internationaler Organisationen: "Während sich auf der einen Seite die Entwicklungspolitik bemüht, den Ärmsten der Armen auf dem Weg zu einem besseren Leben zu helfen, wird oft, eigentlich regelmäßig, zwei Konferenzräume weiter in Ausübung von Machtpolitik in Reinkultur für die Wirtschaftsinteressen westlicher Konzerne gefochten."
Tatsächlich haben weder die Vereinigten Staaten noch die Europäische Union ihre Landwirtschaft gänzlich den nackten Regeln des Marktes unterworfen. Auch China konnte durch die Abschottung seiner Landwirtschaft Hunger und Armut drastisch senken. Feyder fordert deshalb, den Entwicklungsländern zu erlauben, sich mit hohen Importzöllen gegen Konkurrenten wehren zu dürfen, bis vor allem der eigene Nahrungsmittelsektor wettbewerbsfähig geworden ist. Nur ein Umdenken zunächst und vor allem in der Landwirtschaft der Hungerländer bewahre davor, dass die Armen noch ärmer würden.
In den Entwicklungsländern entstehende Industrien brauchten gleichfalls staatliche Regulierung und so lange Protektion, bis sie im weltweiten Wettbewerb mit den etablierten Wirtschaftsgiganten mithalten könnten: "Statt einer weiteren Liberalisierung benötigen die ärmsten Entwicklungsländer einen neuerlichen Schutz ihrer Märkte. Die Weltbank, der Internationale Währungsfonds und die Industrieländer müssen akzeptieren, dass die schwächsten Länder Regeln der WTO, die protektionistische Maßnahmen zulasse, so flexibel wie möglich für sich nutzen." Auch der Marshallplan habe schließlich hohen schützenden Zollschranken zugunsten der nationalen Industrien und strengen Regeln zu Geldtransaktionen seinen Erfolg verdankt.
Im Übrigen müsse sich die Entwicklungspolitik der Industriestaaten radikal verändern, wenn die 9 Milliarden Menschen von morgen ohne ökologischen und sozialen Kollaps satt werden sollten. Dazu gehörten auch tiefgreifende Reformen des internationalen Finanz- und Währungsgebarens, Ausgleichszahlungen für die Anpassung armer Länder an das sich verändernde Klima sowie mehr regionale Integration für kleine Märkte, um der ökonomischen Verwundbarkeit armer Nationen zu begegnen. Ein deutliches Wort richtet Feyder am Schluss an die EU: "Die Frage der Hungerbekämpfung verdient es, auf höchster politischer Ebene behandelt zu werden. Der Europäische Rat sollte sie deshalb wie die Entwicklungspolitik auf seine Agenda setzen. Ausdrückliches Ziel wäre es, die Geißel des Hungers in der ganzen Welt auszurotten."
Feyders Argumente sind nicht neu, doch in ihrer komplexen Zusammenschau äußerst bedrückend. Dennoch bleibt sein Forderungskatalog wohl in vieler Hinsicht ein frommer Wunsch. Die erschreckenden Fakten treffen dabei auf Leser, die wohl selbst nie unter Hunger gelitten haben, es sei denn aus Diätgründen. Gerade in der kalenderverordneten Völlerei der Weihnachtstage schlägt die Lektüre dieses Buches schwer auf den Magen, schmerzhafter als jeder mörderische Krimi.
ULLA FÖLSING.
Jean Feyder : Mordshunger. Wer profitiert vom Elend der armen Länder?
Verlag Westend, Frankfurt 2010, 336 Seiten, 24,95 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 24.12.2010Systemfehler der
Weltgesellschaft
Alle sechs Sekunden. Alle sechs Sekunden verhungert ein Kind auf unserer Welt. Das betont der luxemburgische Premierminister Jean-Claude Juncker in dem Vorwort dieses Buches. Und das macht Juncker zu Recht , möchte man nach der Lektüre von „Mordshunger. Wer profitiert vom Elend der armen Länder?“ selbst betonen. Der Autor dieses detailreichen und äußerst fachkundigen Bandes, Jean Feyder, Präsident der Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung und Experte für Entwicklungshilfe, schafft es, so deutlich wie leidenschaftlich über das Thema seines Lebens zu schreiben: den Kampf gegen Hunger und Armut.
Historische Rückblicke, Zahlen, Analysen und klare Vorschläge versammelt er auf 336 Seiten. Doch mit der sorgfältigen Dokumentation bezweckt er vor allem eine einzige Aussage: Für das Elend von mehr als einer Milliarde Menschen seien die Entwicklungsländer, die Weltbank, die Welthandelsorganisation (WTO) und der Internationale Währungsfonds (IWF) verantwortlich.
In einer Zeit, in der jedermann seine Meinung zu jedem Thema veröffentlichen kann, ist es ein großer Gewinn, Zugang zu dem Insiderwissen zu haben, wie es Feyder hier anbietet. Es mag ein altes Lied sein, dass Armut und Hunger die Welt noch immer plagen. Aber in diesem Buch wird das Lied wieder Realität. Die Schärfe und Ausführlichkeit, mit der Feyder berichtet und seine Argumente darlegt, bewegt das Gewissen und macht das Elend von Millionen Menschen spürbar. Er zeigt einerseits, wie komplex die Problematik um Hunger und Armut sein kann, wie sehr sie mit Marktwirtschaft, Finanzpolitik und internationalem Handel verstrickt ist. Zum anderen teilt er mit, dass diese Komplexität kein Grund dafür sein darf, das Problem nicht zu bekämpfen.
Die Quelle von Armut und Hunger auf der Welt, so Feyder, ist der Systemfehler einer Weltgesellschaft, in der im stillen Einvernehmen noch immer ein rückständiges Klassensystem herrscht. Reiche Länder steigern den eigenen Wohlstand auf Kosten unzähliger Entwicklungsstaaten. Formen der „Entwicklungshilfe“ sollen wohl die Sünden kurieren, doch sind sie weder Hilfe, noch schaffen sie Entwicklung. Vielmehr wirkt sie wie ein Placebo der Mächtigen gegen das eigene Schuldgefühl. Ein Beispiel: Das ehrgeizigste Projekt der Menschheit in Sachen Elend und Armut, die Millenniums-Entwicklungsziele der UN, die den Hunger bis zum Jahr 2015 um die Hälfte reduzieren sollen, zeigt bislang keine positiven Ergebnisse. Im vergangenen Jahrzehnt ist sowohl die Anzahl der Hungernden, als auch die der Armen gestiegen.
Feyder seziert das System und entdeckt dabei faule Strukturen. Gegen die vor allem in einflussreichen Kreisen verbreitete Auffassung, Armut und Hunger seien besonders im Zeitalter der Entwicklungshilfe eine Folge konjunktureller oder natürlicher Ereignisse, legt Feyder tiefergehende Argumente auf den Tisch. Institutionen wie die Weltbank und die WTO schöben die eigene Verantwortung von sich und erfüllten ihren Aufgaben nicht.
Zwar verschärfen Dürren das Elend in weiten Teilen der Erde, und die Finanzkrise lässt die Zahl der Hungernden tatsächlich weltweit steigen. Doch die jahrzehntelange Vernachlässigung des Agrarsektors und die ungebremste Ausbeutung der Agrarwirtschaft etlicher Entwicklungsländer sei nur eines vieler Anzeichen von Fehlentwicklung, meint Feyder. Besonders eklatant sind Tatsachen wie diese: Milliarden Menschen leben auf dem Land und stellen Lebensmittel her. Paradoxerweise sind just sie auch die Hungrigsten.
Camilo Jiménez
Jean Feyder: Mordshunger. Wer profitiert vom Elend der armen Länder? Westend-Verlag, Frankfurt am Main 2010. 336 Seiten.
24,95 Euro.
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Weltgesellschaft
Alle sechs Sekunden. Alle sechs Sekunden verhungert ein Kind auf unserer Welt. Das betont der luxemburgische Premierminister Jean-Claude Juncker in dem Vorwort dieses Buches. Und das macht Juncker zu Recht , möchte man nach der Lektüre von „Mordshunger. Wer profitiert vom Elend der armen Länder?“ selbst betonen. Der Autor dieses detailreichen und äußerst fachkundigen Bandes, Jean Feyder, Präsident der Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung und Experte für Entwicklungshilfe, schafft es, so deutlich wie leidenschaftlich über das Thema seines Lebens zu schreiben: den Kampf gegen Hunger und Armut.
Historische Rückblicke, Zahlen, Analysen und klare Vorschläge versammelt er auf 336 Seiten. Doch mit der sorgfältigen Dokumentation bezweckt er vor allem eine einzige Aussage: Für das Elend von mehr als einer Milliarde Menschen seien die Entwicklungsländer, die Weltbank, die Welthandelsorganisation (WTO) und der Internationale Währungsfonds (IWF) verantwortlich.
In einer Zeit, in der jedermann seine Meinung zu jedem Thema veröffentlichen kann, ist es ein großer Gewinn, Zugang zu dem Insiderwissen zu haben, wie es Feyder hier anbietet. Es mag ein altes Lied sein, dass Armut und Hunger die Welt noch immer plagen. Aber in diesem Buch wird das Lied wieder Realität. Die Schärfe und Ausführlichkeit, mit der Feyder berichtet und seine Argumente darlegt, bewegt das Gewissen und macht das Elend von Millionen Menschen spürbar. Er zeigt einerseits, wie komplex die Problematik um Hunger und Armut sein kann, wie sehr sie mit Marktwirtschaft, Finanzpolitik und internationalem Handel verstrickt ist. Zum anderen teilt er mit, dass diese Komplexität kein Grund dafür sein darf, das Problem nicht zu bekämpfen.
Die Quelle von Armut und Hunger auf der Welt, so Feyder, ist der Systemfehler einer Weltgesellschaft, in der im stillen Einvernehmen noch immer ein rückständiges Klassensystem herrscht. Reiche Länder steigern den eigenen Wohlstand auf Kosten unzähliger Entwicklungsstaaten. Formen der „Entwicklungshilfe“ sollen wohl die Sünden kurieren, doch sind sie weder Hilfe, noch schaffen sie Entwicklung. Vielmehr wirkt sie wie ein Placebo der Mächtigen gegen das eigene Schuldgefühl. Ein Beispiel: Das ehrgeizigste Projekt der Menschheit in Sachen Elend und Armut, die Millenniums-Entwicklungsziele der UN, die den Hunger bis zum Jahr 2015 um die Hälfte reduzieren sollen, zeigt bislang keine positiven Ergebnisse. Im vergangenen Jahrzehnt ist sowohl die Anzahl der Hungernden, als auch die der Armen gestiegen.
Feyder seziert das System und entdeckt dabei faule Strukturen. Gegen die vor allem in einflussreichen Kreisen verbreitete Auffassung, Armut und Hunger seien besonders im Zeitalter der Entwicklungshilfe eine Folge konjunktureller oder natürlicher Ereignisse, legt Feyder tiefergehende Argumente auf den Tisch. Institutionen wie die Weltbank und die WTO schöben die eigene Verantwortung von sich und erfüllten ihren Aufgaben nicht.
Zwar verschärfen Dürren das Elend in weiten Teilen der Erde, und die Finanzkrise lässt die Zahl der Hungernden tatsächlich weltweit steigen. Doch die jahrzehntelange Vernachlässigung des Agrarsektors und die ungebremste Ausbeutung der Agrarwirtschaft etlicher Entwicklungsländer sei nur eines vieler Anzeichen von Fehlentwicklung, meint Feyder. Besonders eklatant sind Tatsachen wie diese: Milliarden Menschen leben auf dem Land und stellen Lebensmittel her. Paradoxerweise sind just sie auch die Hungrigsten.
Camilo Jiménez
Jean Feyder: Mordshunger. Wer profitiert vom Elend der armen Länder? Westend-Verlag, Frankfurt am Main 2010. 336 Seiten.
24,95 Euro.
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