Mit "Mordskind" legt Susanne Mischke einen beklemmenden Psychokrimi vor. Er handelt von Mutterschaftswahn, von dem Dilemma der Frauen, Kindererziehung und Karriere unter einen Hut bringen zu müssen, einer rätselhaften Kindermordserie und dem Denken und Handeln einer bigotten Kleinstadtgesellschaft.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.09.1996Warnung vor der Bastelstunde
Bei Susanne Mischke ringen nicht nur Mütter um Beherrschung
Rinderwahn ist uns allen mittlerweile geläufig, aber wenn wir Susanne Mischke glauben dürfen, dann gibt es in unserer von vielfältigen Plagen heimgesuchten Zeit auch einen Kinderwahn. Dabei handelt es sich um eine Wohlstandsseuche, die unter Müttern grassiert: Ihre Symptome sind die hysterische Verklärung der Mutterrolle und die Obsession, ein "rundum gelungenes Kind" als Endprodukt hingebungsvoll zelebrierter Berufsmutterschaft vorweisen zu müssen. Fällt der Sprößling trotz aller pädagogischen Bemühungen aus der ihm zugedachten Rolle als Lebensinhalt, Vorzeigezwerg und Sonnenschein, kann das schreckliche Folgen für Mamas Geisteszustand haben - und ein hübsches Thema für einen Psychothriller liefern.
Frau Mischke, Mutter eines Sohnes und Journalistin mit literarischen Ambitionen, hat offenbar einschlägige Erfahrungen in Kindergärten und Kleinstadt-Nachbarschaften gesammelt. Die Romanheldin Paula nennt ebenfalls ein Söhnchen ihr eigen und ist von Beruf - na, was wohl? Ihre kräftezehrende Tätigkeit beim "Stadtkurier" eines süddeutschen Provinznests bewahrt die frisch geschiedene Alleinerziehende immerhin vor einem Spleen der oben geschilderten Sorte. Ob auch sie dem inneren Zwang unterliegt, Romane zu schreiben, geht aus der Geschichte nicht hervor.
Paula also fährt Motorrad, lebt in einer heruntergekommenen Villa, füttert ihren Fünfjährigen in Restaurants ab, statt selbst zu kochen, beschäftigt Babysitter, drückt sich vor Zoobesuchen und Bastelstunden und wird von den umwohnenden Saubermann-Familien entsprechend angefeindet. Allseits beliebt ist Paulas Freundin Doris, die ein paar Häuser weiter den blondgelockten, puttengesichtigen Knaben Max in einem perfekt kindgerechten Bilderbuch-Idyll umhegt. Max aber entpuppt sich als böses, goldhamstermordendes Monster, wohingegen Simon, der Filius der schlamperten Karrierefrau, kein Wässerchen trübt und trefflich gedeiht.
Als Max spurlos verschwindet, während gleichzeitig ein geheimnisvoller Kindermörder sein Unwesen treibt und ein russischer Aussiedler sich verdächtig gebärdet, wird im Ort zur Hexenjagd geblasen. Und Doris, die Mustermama, spinnt eine teuflische Intrige . . . Bis zur Aufklärung aller Abstrusitäten entfaltet die Autorin ein provinzielles Horrorszenarium, das herrlich makaber wirken könnte, würde nicht die Beklemmung, die Susanne Mischkes respektabler Einfallsreichtum auslöst, von der Bestürzung angesichts ihrer schriftstellerischen Schlichtheit jederzeit übertroffen.
"Paula trank einen großen Schluck und rang um Beherrschung. Doris' Anschuldigungen bohrten sich wie spitze Pfeile in ihr Fleisch." So geht es in einem fort, unbekümmert geschwätzig, holzgeschnitzt und groschenheftreif, und nirgends läßt sich der leiseste Anhauch einer parodistischen Absicht ausmachen. Die "Abneigung gegenüber allem Kleinbürgerlichen", die Paula und damit wohl auch Frau Mischke beseelt, hat in ihrer Diktion leider keinen Niederschlag gefunden. "Mordskind" ist ein origineller, aber mordsmäßig schlecht geschriebener Psychokrimi. Wenn man große Schlucke dazu trinkt, kann man sich dabei sogar amüsieren. KRISTINA MAIDT-ZINKE
Susanne Mischke: "Mordskind". Roman. Piper Verlag, München 1996. 360 S., geb., 39,80 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Bei Susanne Mischke ringen nicht nur Mütter um Beherrschung
Rinderwahn ist uns allen mittlerweile geläufig, aber wenn wir Susanne Mischke glauben dürfen, dann gibt es in unserer von vielfältigen Plagen heimgesuchten Zeit auch einen Kinderwahn. Dabei handelt es sich um eine Wohlstandsseuche, die unter Müttern grassiert: Ihre Symptome sind die hysterische Verklärung der Mutterrolle und die Obsession, ein "rundum gelungenes Kind" als Endprodukt hingebungsvoll zelebrierter Berufsmutterschaft vorweisen zu müssen. Fällt der Sprößling trotz aller pädagogischen Bemühungen aus der ihm zugedachten Rolle als Lebensinhalt, Vorzeigezwerg und Sonnenschein, kann das schreckliche Folgen für Mamas Geisteszustand haben - und ein hübsches Thema für einen Psychothriller liefern.
Frau Mischke, Mutter eines Sohnes und Journalistin mit literarischen Ambitionen, hat offenbar einschlägige Erfahrungen in Kindergärten und Kleinstadt-Nachbarschaften gesammelt. Die Romanheldin Paula nennt ebenfalls ein Söhnchen ihr eigen und ist von Beruf - na, was wohl? Ihre kräftezehrende Tätigkeit beim "Stadtkurier" eines süddeutschen Provinznests bewahrt die frisch geschiedene Alleinerziehende immerhin vor einem Spleen der oben geschilderten Sorte. Ob auch sie dem inneren Zwang unterliegt, Romane zu schreiben, geht aus der Geschichte nicht hervor.
Paula also fährt Motorrad, lebt in einer heruntergekommenen Villa, füttert ihren Fünfjährigen in Restaurants ab, statt selbst zu kochen, beschäftigt Babysitter, drückt sich vor Zoobesuchen und Bastelstunden und wird von den umwohnenden Saubermann-Familien entsprechend angefeindet. Allseits beliebt ist Paulas Freundin Doris, die ein paar Häuser weiter den blondgelockten, puttengesichtigen Knaben Max in einem perfekt kindgerechten Bilderbuch-Idyll umhegt. Max aber entpuppt sich als böses, goldhamstermordendes Monster, wohingegen Simon, der Filius der schlamperten Karrierefrau, kein Wässerchen trübt und trefflich gedeiht.
Als Max spurlos verschwindet, während gleichzeitig ein geheimnisvoller Kindermörder sein Unwesen treibt und ein russischer Aussiedler sich verdächtig gebärdet, wird im Ort zur Hexenjagd geblasen. Und Doris, die Mustermama, spinnt eine teuflische Intrige . . . Bis zur Aufklärung aller Abstrusitäten entfaltet die Autorin ein provinzielles Horrorszenarium, das herrlich makaber wirken könnte, würde nicht die Beklemmung, die Susanne Mischkes respektabler Einfallsreichtum auslöst, von der Bestürzung angesichts ihrer schriftstellerischen Schlichtheit jederzeit übertroffen.
"Paula trank einen großen Schluck und rang um Beherrschung. Doris' Anschuldigungen bohrten sich wie spitze Pfeile in ihr Fleisch." So geht es in einem fort, unbekümmert geschwätzig, holzgeschnitzt und groschenheftreif, und nirgends läßt sich der leiseste Anhauch einer parodistischen Absicht ausmachen. Die "Abneigung gegenüber allem Kleinbürgerlichen", die Paula und damit wohl auch Frau Mischke beseelt, hat in ihrer Diktion leider keinen Niederschlag gefunden. "Mordskind" ist ein origineller, aber mordsmäßig schlecht geschriebener Psychokrimi. Wenn man große Schlucke dazu trinkt, kann man sich dabei sogar amüsieren. KRISTINA MAIDT-ZINKE
Susanne Mischke: "Mordskind". Roman. Piper Verlag, München 1996. 360 S., geb., 39,80 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Ein beklemmender Krimi.« Morgenpost am Sonntag 20100228