Ein Serienmörder, der Medien und Publikum bis heute fesselt. Ein True-Crime-Thriller, der die Seelen eines Killers und seines Jägers ausleuchtet. Ein Autor, der selbst Chefermittler in diesem spektakulärsten österreichischen Kriminalfall war: Ernst Geiger verarbeitete 30 Jahre nach Jack Unterwegers Tod dessen Geschichte literarisch. Sein Roman lässt mit dramatischen Wendungen und faszinierenden Charakteren fast vergessen, dass er auf wahren Begebenheiten basiert. Er erzählt die Geschichte eines Menschen, der sich nicht ändern konnte. Und von jenen, deren Leben durch ihn für immer verändert worden sind.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Ernst Geiger war, legt Rezensent Wolfgang Fuhrmann dar, einst selbst Ermittler in Sachen Jack Unterweger, jetzt hat er ein Buch über diesen spektakulären Kriminalfall geschrieben. Unterweger, ein verurteilter Frauenmörder, war im Knast zum Schriftsteller und nach seiner Freilassung zum Medienstar geworden, geriet nach ein paar Jahren jedoch wieder ins Visier der Ermittler und wurde wegen mehrerer Morde an Prostituierten verurteilt. Bei Geiger entfaltet sich das Geschehen aus mehreren Perspektiven, legt Fuhrmann dar, auch die Opfer bekommen eine Stimme, die hohe Erzählgeschwindigkeit hat eine sogartige Wirkung. Auch Geigers eigene Geschichte ist Teil dieses Buches, das der Rezensent durchaus mit Gewinn gelesen hat.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.04.2024Der Fall Unterweger
Neue Blicke auf den Wiener Serienmörder
Der Fall Jack Unterweger war einer der spektakulärsten Kriminalfälle Österreichs - und ein Lehrstück über die Verstrickungen von Politik, Kulturbetrieb und Medien. Die Geschichte eines jungen Manns aus ungefestigten Verhältnissen, der 1976 für den Mord an einer jungen Frau verurteilt wird, sich im Gefängnis zum Schriftsteller läutert - sie war einfach zu schön, um nicht geglaubt zu werden. In der Haft publizierte Johann "Jack" Unterweger den autobiographischen Roman "Fegefeuer", dessen Kindheitserlebnisse teilweise frei erfunden waren, daneben Erzählungen, Theaterstücke, Gute-Nacht-Geschichten für Kinder.
Als Paradefall gelungener Resozialisierung kam er 1990 trotz der Bedenken psychiatrischer Gutachter frei. Stets auffällig gekleidet, ein Womanizer von beträchtlichem Charisma, wurde er im Literaturbetrieb herumgereicht. Die Liste der Prominenz, die sich für Unterweger eingesetzt hat, ist lang. Heute weiß man, dass diese Texte teils plagiiert, teils von willfährigen Mitarbeiterinnen geschrieben oder überarbeitet waren.
Ungefähr zu der Zeit, als das öffentliche Interesse an dem wenig begabten Autor erlahmte, begann eine Mordserie im Prostituiertenmilieu. Auf einen Serientäter wiesen wiederkehrende Verfahren, so die Erdrosselung der Opfer mit einem ihrer Kleidungsstücke und einem speziellen Knoten. Als Kenner des Rotlichtmilieus berichtete Jack Unterweger selbst in Radioreportagen darüber. Dass diese Art Morde immer und nur dort stattfanden, wo er sich gerade aufhielt, fiel lange nicht auf. Beim Prozess wurde 1994 erstmals eine DNA-Analyse als Beweismittel zugelassen, die das Haar eines Opfers auf dem Rücksitz von Unterwegers BMW identifizierte. Mit zwei prominenten Anwälten und der ihm eigenen Eloquenz suchte Unterweger sich als verfolgte Unschuld darzustellen. Als er für neun der elf ihm zur Last gelegten Morde verurteilt wurde, erhängte er sich in seiner Zelle.
Wie schreibt man über so einen Fall? Der Journalist Malte Herwig, auch Betreiber eines Unterweger-Podcasts, lässt einen fiktiven Angehörigen des Wiener Literaturbetriebs bieder über seine eigene Blindheit sinnieren, von den zynischen Bemerkungen "Maltes" aus der Kulisse her kommentiert. Ganz anders geht der Leiter der damaligen Ermittlungen, Ernst Geiger, vor. Geiger, dessen romanhafte Aufbereitungen seiner größten Fälle in Österreich zu Bestsellern wurden, montiert kaleidoskopartig die Perspektiven zahlreicher Beteiligter.
Warum schreibt ein ehemaliger Ermittler einen Thriller? "Das Buch, das die Fakten darstellt, habe ich vor 30 Jahren geschrieben. Das war der Abschlussbericht", sagt Geiger im F.A.Z.-Gespräch. Durch die polyperspektivische Erzählweise mit raschen Szenenwechseln entsteht ein Gesellschaftspanorama von beklemmendem Sog: Immer wieder wird der manipulative jungenhafte Charme des mörderischen Narzissten Unterweger, der auch in seinen Affären übergangslos in Brutalität umschlagen konnte, aus der Wahrnehmung der Opfer geschildert. Am Fall der verschwundenen Prostituierten Regina Prem, von der nur noch die Knochen gefunden wurden, wird fassbar, was die Morde für die Angehörigen bedeuteten. Und Geiger selbst legt dar, wie er seine Familie unter dem Druck der Ermittlungen vernachlässigte, seine Karriere in Gefahr sah. Ausgespart bleiben die Verbrechen selbst, deren Hergang Unterweger mit ins Grab nahm.
Beide Bücher lassen an dem Komplex aus politischem Willen und kulturbeflissener Schickeria, die Unterweger kurzzeitig zu Ruhm verhalfen, kein gutes Haar. Aber lässt sich die Idee einer Resozialisierung von Straftätern so einfach ad acta legen? Es ist das letzte Verbrechen Unterwegers, den Glauben daran, dass Menschen sich bessern können, so unverfroren für seine eigenen Absichten genutzt zu haben. WOLFGANG FUHRMANN
Ernst Geiger:
"Mordsmann". Nach wahren Begebenheiten. Krimi.
Edition a, Wien 2024. 368 S., geb.,
20,- Euro.
Malte Herwig: "Austrian Psycho". Jack Unterweger.
Molden Verlag, Wien 2024.
128 S., geb.,
18,90 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Neue Blicke auf den Wiener Serienmörder
Der Fall Jack Unterweger war einer der spektakulärsten Kriminalfälle Österreichs - und ein Lehrstück über die Verstrickungen von Politik, Kulturbetrieb und Medien. Die Geschichte eines jungen Manns aus ungefestigten Verhältnissen, der 1976 für den Mord an einer jungen Frau verurteilt wird, sich im Gefängnis zum Schriftsteller läutert - sie war einfach zu schön, um nicht geglaubt zu werden. In der Haft publizierte Johann "Jack" Unterweger den autobiographischen Roman "Fegefeuer", dessen Kindheitserlebnisse teilweise frei erfunden waren, daneben Erzählungen, Theaterstücke, Gute-Nacht-Geschichten für Kinder.
Als Paradefall gelungener Resozialisierung kam er 1990 trotz der Bedenken psychiatrischer Gutachter frei. Stets auffällig gekleidet, ein Womanizer von beträchtlichem Charisma, wurde er im Literaturbetrieb herumgereicht. Die Liste der Prominenz, die sich für Unterweger eingesetzt hat, ist lang. Heute weiß man, dass diese Texte teils plagiiert, teils von willfährigen Mitarbeiterinnen geschrieben oder überarbeitet waren.
Ungefähr zu der Zeit, als das öffentliche Interesse an dem wenig begabten Autor erlahmte, begann eine Mordserie im Prostituiertenmilieu. Auf einen Serientäter wiesen wiederkehrende Verfahren, so die Erdrosselung der Opfer mit einem ihrer Kleidungsstücke und einem speziellen Knoten. Als Kenner des Rotlichtmilieus berichtete Jack Unterweger selbst in Radioreportagen darüber. Dass diese Art Morde immer und nur dort stattfanden, wo er sich gerade aufhielt, fiel lange nicht auf. Beim Prozess wurde 1994 erstmals eine DNA-Analyse als Beweismittel zugelassen, die das Haar eines Opfers auf dem Rücksitz von Unterwegers BMW identifizierte. Mit zwei prominenten Anwälten und der ihm eigenen Eloquenz suchte Unterweger sich als verfolgte Unschuld darzustellen. Als er für neun der elf ihm zur Last gelegten Morde verurteilt wurde, erhängte er sich in seiner Zelle.
Wie schreibt man über so einen Fall? Der Journalist Malte Herwig, auch Betreiber eines Unterweger-Podcasts, lässt einen fiktiven Angehörigen des Wiener Literaturbetriebs bieder über seine eigene Blindheit sinnieren, von den zynischen Bemerkungen "Maltes" aus der Kulisse her kommentiert. Ganz anders geht der Leiter der damaligen Ermittlungen, Ernst Geiger, vor. Geiger, dessen romanhafte Aufbereitungen seiner größten Fälle in Österreich zu Bestsellern wurden, montiert kaleidoskopartig die Perspektiven zahlreicher Beteiligter.
Warum schreibt ein ehemaliger Ermittler einen Thriller? "Das Buch, das die Fakten darstellt, habe ich vor 30 Jahren geschrieben. Das war der Abschlussbericht", sagt Geiger im F.A.Z.-Gespräch. Durch die polyperspektivische Erzählweise mit raschen Szenenwechseln entsteht ein Gesellschaftspanorama von beklemmendem Sog: Immer wieder wird der manipulative jungenhafte Charme des mörderischen Narzissten Unterweger, der auch in seinen Affären übergangslos in Brutalität umschlagen konnte, aus der Wahrnehmung der Opfer geschildert. Am Fall der verschwundenen Prostituierten Regina Prem, von der nur noch die Knochen gefunden wurden, wird fassbar, was die Morde für die Angehörigen bedeuteten. Und Geiger selbst legt dar, wie er seine Familie unter dem Druck der Ermittlungen vernachlässigte, seine Karriere in Gefahr sah. Ausgespart bleiben die Verbrechen selbst, deren Hergang Unterweger mit ins Grab nahm.
Beide Bücher lassen an dem Komplex aus politischem Willen und kulturbeflissener Schickeria, die Unterweger kurzzeitig zu Ruhm verhalfen, kein gutes Haar. Aber lässt sich die Idee einer Resozialisierung von Straftätern so einfach ad acta legen? Es ist das letzte Verbrechen Unterwegers, den Glauben daran, dass Menschen sich bessern können, so unverfroren für seine eigenen Absichten genutzt zu haben. WOLFGANG FUHRMANN
Ernst Geiger:
"Mordsmann". Nach wahren Begebenheiten. Krimi.
Edition a, Wien 2024. 368 S., geb.,
20,- Euro.
Malte Herwig: "Austrian Psycho". Jack Unterweger.
Molden Verlag, Wien 2024.
128 S., geb.,
18,90 Euro.
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