Das Warten hat sich gelohnt: Der bekannteste Kriminalbiologe der Welt präsentiert eine neue Sammlung mit Mordfällen, die die Öffentlichkeit in Atem hielten. Sein Spezialgebiet ist die Kriminalistik unter besonderer Berücksichtigung von Maden, Würmern und Insekten, die Entscheidendes über Todeszeitpunkt, Tatort oder Täteridentität verraten können. Wenn man die entsprechenden Hinweise deuten kann! Dies ist aber kein wissenschaftliches Buch. Mark Benecke rollt Kapitalverbrechen neu auf, trägt Fakten, Indizien, Aussagen, frühere Bewertungen zusammen und öffnet dem Leser die Augen für die oft vertrackten Fälle. Dabei liefert er dank seiner genauen Recherchen viele neue Informationen. Fesselnd und minutiös werden wahre Begebenheiten nacherzählt und ausgebreitet. Oft genug gibt es überraschende, manchmal tragikomische Wendungen - spannender als jede Fiktion!
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 09.10.2007Wahrlich, keiner ist weise, der nicht das Dunkel kennt
Warum nur? Warum? Der Kriminalbiologe Mark Benecke, als „Herr der Maden” bekannt geworden, erzählt in seinem neuen Buch hemdsärmelig von den schwarzen Seelen der Kannibalen, Vampire und Serienmörder
Deutsche Denker wagen sich bisweilen nah an den Abgrund. Dort, in den Tiefen der menschlichen Seele, wähnen sie den Treibstoff für die Höhenflüge der Moral. „In der ganzen Geschichte des Menschen ist kein Kapitel unterrichtender für Herz und Geist, als die Annalen seiner Verirrungen” schrieb Friedrich Schiller zu der Sammlung von Kriminalfällen des Franzosen Francis Gayot de Pitaval. Sogenannte Pitavals waren im 18. Jahrhundert unter Juristen und Laien beliebt, bis der Informationsgehalt unter dem Druck des Unterhaltungswertes zusammensackte. Unterhaltung und Information gingen fortan getrennte Wege.
Mark Benecke knüpft mit „Mordspuren” an jene Tradition an. Der deutsche Kriminalbiologe wurde vor einigen Jahren als „Herr der Maden” bekannt: er bestimmt Todeszeitpunkte anhand von Insektenmaden. Dass in der Forensik auch eine gewisse Komik stecke, versucht er zudem in seinen verschiedenen medialen Engagements zu beweisen. Doch „Mordspuren” will ins ernste Fach. Behandelte der Vorgänger „Mordmethoden” die Ermittlung, versucht Benecke sich nun an der gesellschaftlichen und psychologischen Einordnung. Seine Nähe zum Abgrund rechtfertigt er mit dem Hesse-Zitat: „Wahrlich, keiner ist weise, der nicht das Dunkel kennt, das unentrinnbar und leise von allen ihn trennt.”
In seiner hemdsärmeligen, zugleich etwas langatmigen Art plaudert Benecke also von Kannibalismus, Vampirismus und Serienmord. Darunter sind dann Geschichten wie die des japanischen Studenten Issei Sagawa, der seine Freundin zum Essen einlud – und verspeiste. Nachdem er auf Druck seines einflussreichen Vaters aus der Psychiatrie freikam, nutzte er sein Kannibalen-Image, um Schriftsteller zu werden. Ihr Fleisch, dichtete er, „zerfließt in meinem Mund wie ein perfektes Stück Thunfisch.” Naheliegend, dass der Mann heute auch für Gourmetmagazine schreibt.
Außerdem lesenswert sind die hier abgedruckten Briefe des Kindermörders Jürgen Bartsch. Ihre Einordnung in die Praxis der Sexualpsychiatrie allerdings fehlt: Bartsch – dessen Eltern Metzger waren – hatte in den sechziger Jahren, noch als Jugendlicher, vier Jungen getötet und missbraucht. In einer Heil- und Pflegeanstalt wird er mit einem „Phallographen” untersucht, ob er auf Bilder von nackten Frauen respektive nackten Jungen „ausschlägt”. Er wehrt sich zunächst gegen eine Kastration, wünscht sich aber eine Lobotomie, den „weißen Schnitt” ins Hirn, der das Böse aus ihm herausschneiden soll. Untersuchenswert auch, wie Bartsch sich durch die Anstaltshaltung verändert, auf psychiatrische und juristische Diskurse reagiert. Er entwickelt sich zu einem Vielleser und argumentiert humanistisch: „Der Patient ist Objekt, Mensch nur dann, wenn die Kriminalpolitik es erlaubt”, schreibt er und kämpft für „menschenwürdiges Leben”.
Doch Fragen nach dem freien Willen, nach der Person überhaupt, werden in diesem Buch auf einem erschreckend niedrigen Niveau abgehandelt – und noch dazu mit wissenschaftsgläubigem Hochmut. Über juristische Streitereien weiß Benecke zu berichten, dass die Wahrheit allgemein in der Mitte liegt. Mörder sind bei ihm schon mal „vom Bösen beseelt”, haben eine „schwarze Seele” und „einig sind wir uns aber immerhin darin, dass pädophile Sadisten wirklich Bestien sind”. Angesichts solcher Evidenz hält Benecke „lange Nachgrübeleien” für überflüssig.
Wenn er Ursachen nachgeht, dann um eine tumbe Erklärungssehnsucht zu befriedigen, keinesfalls um zu verstehen. Der freundliche Forensiker rät: „Sie als Leser sollten die Täter weder lieben noch bemitleiden. Versuchen Sie aber trotzdem, Ihren Hass auf die Taten eine Zeit lang beiseitezuschieben.” Und danach?
Benecke kippelt auf seinen Argumenten herum wie das nervöse Kind auf dem Stuhl. „Serienmörder sind Bestien, aber sie werden von Tat zu Tat charmanter.”Hinter solcher Plauderei verbirgt sich Biederkeit und Boulevard; es versteht sich, dass Informationen „brandheiß” sind. Welche Abgründe sich hier wirklich öffnen, verrät das Eingangs-Zitat: „Warum nur, warum muss alles so sein? Warum nur? Warum?”. Die Frage stammt von Udo Jürgens. JEAN-MICHEL BERG
Mark Benecke
Mordspuren
Neue spektakuläre Kriminalfälle – erzählt vom bekanntesten Kriminologen der Welt. Lübbe Verlag, Bergisch-Gladbach 2007. 496 Seiten, 19,95 Euro.
Jürgen Bartsch als Kind in der Metzgerei seiner Pflegeeltern Foto: dpa
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Warum nur? Warum? Der Kriminalbiologe Mark Benecke, als „Herr der Maden” bekannt geworden, erzählt in seinem neuen Buch hemdsärmelig von den schwarzen Seelen der Kannibalen, Vampire und Serienmörder
Deutsche Denker wagen sich bisweilen nah an den Abgrund. Dort, in den Tiefen der menschlichen Seele, wähnen sie den Treibstoff für die Höhenflüge der Moral. „In der ganzen Geschichte des Menschen ist kein Kapitel unterrichtender für Herz und Geist, als die Annalen seiner Verirrungen” schrieb Friedrich Schiller zu der Sammlung von Kriminalfällen des Franzosen Francis Gayot de Pitaval. Sogenannte Pitavals waren im 18. Jahrhundert unter Juristen und Laien beliebt, bis der Informationsgehalt unter dem Druck des Unterhaltungswertes zusammensackte. Unterhaltung und Information gingen fortan getrennte Wege.
Mark Benecke knüpft mit „Mordspuren” an jene Tradition an. Der deutsche Kriminalbiologe wurde vor einigen Jahren als „Herr der Maden” bekannt: er bestimmt Todeszeitpunkte anhand von Insektenmaden. Dass in der Forensik auch eine gewisse Komik stecke, versucht er zudem in seinen verschiedenen medialen Engagements zu beweisen. Doch „Mordspuren” will ins ernste Fach. Behandelte der Vorgänger „Mordmethoden” die Ermittlung, versucht Benecke sich nun an der gesellschaftlichen und psychologischen Einordnung. Seine Nähe zum Abgrund rechtfertigt er mit dem Hesse-Zitat: „Wahrlich, keiner ist weise, der nicht das Dunkel kennt, das unentrinnbar und leise von allen ihn trennt.”
In seiner hemdsärmeligen, zugleich etwas langatmigen Art plaudert Benecke also von Kannibalismus, Vampirismus und Serienmord. Darunter sind dann Geschichten wie die des japanischen Studenten Issei Sagawa, der seine Freundin zum Essen einlud – und verspeiste. Nachdem er auf Druck seines einflussreichen Vaters aus der Psychiatrie freikam, nutzte er sein Kannibalen-Image, um Schriftsteller zu werden. Ihr Fleisch, dichtete er, „zerfließt in meinem Mund wie ein perfektes Stück Thunfisch.” Naheliegend, dass der Mann heute auch für Gourmetmagazine schreibt.
Außerdem lesenswert sind die hier abgedruckten Briefe des Kindermörders Jürgen Bartsch. Ihre Einordnung in die Praxis der Sexualpsychiatrie allerdings fehlt: Bartsch – dessen Eltern Metzger waren – hatte in den sechziger Jahren, noch als Jugendlicher, vier Jungen getötet und missbraucht. In einer Heil- und Pflegeanstalt wird er mit einem „Phallographen” untersucht, ob er auf Bilder von nackten Frauen respektive nackten Jungen „ausschlägt”. Er wehrt sich zunächst gegen eine Kastration, wünscht sich aber eine Lobotomie, den „weißen Schnitt” ins Hirn, der das Böse aus ihm herausschneiden soll. Untersuchenswert auch, wie Bartsch sich durch die Anstaltshaltung verändert, auf psychiatrische und juristische Diskurse reagiert. Er entwickelt sich zu einem Vielleser und argumentiert humanistisch: „Der Patient ist Objekt, Mensch nur dann, wenn die Kriminalpolitik es erlaubt”, schreibt er und kämpft für „menschenwürdiges Leben”.
Doch Fragen nach dem freien Willen, nach der Person überhaupt, werden in diesem Buch auf einem erschreckend niedrigen Niveau abgehandelt – und noch dazu mit wissenschaftsgläubigem Hochmut. Über juristische Streitereien weiß Benecke zu berichten, dass die Wahrheit allgemein in der Mitte liegt. Mörder sind bei ihm schon mal „vom Bösen beseelt”, haben eine „schwarze Seele” und „einig sind wir uns aber immerhin darin, dass pädophile Sadisten wirklich Bestien sind”. Angesichts solcher Evidenz hält Benecke „lange Nachgrübeleien” für überflüssig.
Wenn er Ursachen nachgeht, dann um eine tumbe Erklärungssehnsucht zu befriedigen, keinesfalls um zu verstehen. Der freundliche Forensiker rät: „Sie als Leser sollten die Täter weder lieben noch bemitleiden. Versuchen Sie aber trotzdem, Ihren Hass auf die Taten eine Zeit lang beiseitezuschieben.” Und danach?
Benecke kippelt auf seinen Argumenten herum wie das nervöse Kind auf dem Stuhl. „Serienmörder sind Bestien, aber sie werden von Tat zu Tat charmanter.”Hinter solcher Plauderei verbirgt sich Biederkeit und Boulevard; es versteht sich, dass Informationen „brandheiß” sind. Welche Abgründe sich hier wirklich öffnen, verrät das Eingangs-Zitat: „Warum nur, warum muss alles so sein? Warum nur? Warum?”. Die Frage stammt von Udo Jürgens. JEAN-MICHEL BERG
Mark Benecke
Mordspuren
Neue spektakuläre Kriminalfälle – erzählt vom bekanntesten Kriminologen der Welt. Lübbe Verlag, Bergisch-Gladbach 2007. 496 Seiten, 19,95 Euro.
Jürgen Bartsch als Kind in der Metzgerei seiner Pflegeeltern Foto: dpa
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Rezensent Jean-Michel Berg betrachtet Mark Benecke Buch über "spektakuläre Kriminalfälle" eher kritisch. Die Art und Weise, in der der bekannte Kriminalbiologe über Serienmorde, Vampirismus und Kannibalismus erzählt, hält er für "hemdsärmlig" und zugleich "etwas langatmig". Einige Fälle haben ihn aber doch interessiert, etwa der des japanischen Kannibalen Issei Sagawa oder des Kindermörders Jürgen Bartschs, dessen Briefe in dem Band abgedruckt sind. Psychologisch scheint ihm das Buch ziemlich dürftig. Auch bei Themen wie den freien Willen oder die Person überhaupt konstatiert Berg ein bescheidenes Niveau. Und der Frage nach den Ursachen dieser Verbrechen geht Benecke seines Erachtens nicht nach, um wirklich zu verstehen, sondern um eine "tumbe Erklärungssehnsucht" zu befriedigen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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"Niemand erklärt die Bedeutung von Madenbefall für die kriminalistische Spurensicherung so unterhaltsam wie Mark Benecke." Süddeutsche Zeitung "Die realen Verbrechen sind so fesselnd und minutiös nacherzählt - eine Mischung aus Information und Unterhaltung, die spannender ist als ein Krimi!" Siegener Zeitung "Zugegeben, nicht immer appetitlich, aber ungeheuer fesselnd." Egon Knof, Goslarsche Zeitung, 16.12.2016