Als das Wiesel nach Hause kommt, traut es seinen Augen kaum: Bär und Dachs spielen miteinander. Das Wiesel ist sauer. Denn Dachs ist sein Freund! "Spiel doch mit", schlägt der Dachs vor, doch Bär und Wiesel können sich nicht einigen, nicht auf Fußball, nicht auf Memory oder Verstecken: "Immer willst du der Bestimmer sein!", sagt das Wiesel. "Mit dir kann man einfach nicht spielen!", sagt Bär. Irgendwann muss Dachs nach Hause ...Sich als Gruppe zusammenzufinden, ist nicht einfach. Wer darf mitspielen und wer nicht? Und wer bestimmt das überhaupt? Dieses Bilderbuch erzählt mit Augenzwinkern von einer Situation, die jedes Kind kennt.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.03.2024Dann würde das Kind eben sauer sein und einen riesigen Saustall machen
Gerade wenn es am schönsten ist, muss der Dachs leider gehen: In "Morgen bestimme ich!", seinem neuen Bilderbuch mit Bär und Wiesel, zeigt der Autor und Grafiker Jörg Mühle, dass sich der Dritte nicht zwangsläufig freut, wenn zwei sich streiten.
Von Fridtjof Küchemann
Leben ein Wiesel und ein Bär zusammen im Wald: Halt, könnte jetzt jemand dazwischenrufen, die Geschichte kennt man schon, der Futterneid um die drei Pilze, die der eine mitgebracht und das andere gebraten hat, wurde wieder und wieder vorgelesen, so, wie auch der Streit in Jörg Mühles sechs Jahre altem Buch "Zwei für mich, einer für dich" wie wieder und wieder ausgetragen wirkt. Doch unter den großen Eichen hat nicht nur die bereits bekannte Freiluftküche des Freundespaares Platz, sondern auch ein Kinderzimmer mit Etagenbett, Bücherregalen und Spielzeugkisten. Und die beiden streiten auch nicht nur ums Essen, sondern, so erzählt es das neue Bilderbuch "Morgen bestimme ich!", auch beim Spielen. Oder ums Spielen. Oder um einen Spielkameraden.
Der Bär hat nämlich gerade den Dachs zu Besuch, als das Wiesel nach Hause kommt. Ohne aufzuschauen, fragt der Bär, ob das Wiesel ihnen nicht etwas zu essen machen könne, und er bekommt zur Antwort, er dürfe nicht einfach mit dem Dachs spielen, der sei schließlich des Wiesels Freund. Wieder eine klassische Konstellation, die sich aufs Schönste - oder aufs Schlimmste - auswachsen kann. Und sie wächst sich aus: Der Gast hat seine Idee, doch einfach zu dritt zu spielen, noch nicht ganz ausgesprochen, da überbieten sich die beiden in Vorschlägen, nein, Festlegungen, Forderungen, welches Spiel in welchen Rollen zu spielen sei. "Vater, Mutter und Kind" durchschaut der Bär als Versuch, ihn in der Kinderrolle zu Bett zu schicken und aus dem Spiel zu nehmen. Prompt droht er mit Extremen im kindlichen Reaktionsspektrum und bekommt Bescheid: "Du spielst das falsch!"
Fußball, Memory, Winterschlaf, Verstecken: Die Vorschläge fallen in immer schnellerer Folge und mit ihnen die Vorwürfe, aus welchen Gründen sie jeweils gemacht würden. Bär und Wiesel regen sich immer weiter auf. Als der eine dem anderen an den Kopf geworfen hat, der wolle immer der Bestimmer sein, und zur Antwort bekam, mit ihm könne man einfach nicht spielen, als die beiden schmollend auf der Kinderzimmerlichtung stehen und in entgegengesetzte Richtungen schauen, hat der Dachs sein Feuerwehrauto längst zur Seite gelegt und nach seinem Schal gegriffen. Wie kann es nur sein, dass er nach Hause muss, "gerade jetzt, wo es am schönsten ist"?
Was man so "am schönsten" nennt: Der Streit ist völlig aus dem Ruder gelaufen, die zurückhaltend, dabei ausdrucksstark gezeichneten Figuren haben sich in Hochmut, Gereiztheit und Wut nichts geschenkt - den kindlichen Lesern dafür umso mehr: Den Tieren lässt sich kein Geschlecht und kein Beziehungsverhältnis zuordnen, wer auf welchen Vorschlag mit einem Vorwurf antwortet, wird gleichfalls unübersichtlich - und damit ebenso universell wie mit dem eigenen Leben und Erleben vergleichbar.
Am Ende sind sich Bär und Wiesel unvermittelt einig: Morgen müsse der Dachs unbedingt wiederkommen. Ihr "Morgen bestimme ich" kommt wie aus einer Kehle, dabei allerdings aus zwei Herzen, in denen Eifersucht und Geltungsdrang ihre Spuren hinterlassen haben. Und wie schon in der ersten Streitgeschichte von Wiesel und Bär ist es auch diesmal der Fuchs, der der Sache die letzte Wendung gibt.
Jörg Mühle: "Morgen bestimme ich!"
Moritz Verlag, Frankfurt 2024. 32 S., geb., 14,- Euro. Ab 4 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Gerade wenn es am schönsten ist, muss der Dachs leider gehen: In "Morgen bestimme ich!", seinem neuen Bilderbuch mit Bär und Wiesel, zeigt der Autor und Grafiker Jörg Mühle, dass sich der Dritte nicht zwangsläufig freut, wenn zwei sich streiten.
Von Fridtjof Küchemann
Leben ein Wiesel und ein Bär zusammen im Wald: Halt, könnte jetzt jemand dazwischenrufen, die Geschichte kennt man schon, der Futterneid um die drei Pilze, die der eine mitgebracht und das andere gebraten hat, wurde wieder und wieder vorgelesen, so, wie auch der Streit in Jörg Mühles sechs Jahre altem Buch "Zwei für mich, einer für dich" wie wieder und wieder ausgetragen wirkt. Doch unter den großen Eichen hat nicht nur die bereits bekannte Freiluftküche des Freundespaares Platz, sondern auch ein Kinderzimmer mit Etagenbett, Bücherregalen und Spielzeugkisten. Und die beiden streiten auch nicht nur ums Essen, sondern, so erzählt es das neue Bilderbuch "Morgen bestimme ich!", auch beim Spielen. Oder ums Spielen. Oder um einen Spielkameraden.
Der Bär hat nämlich gerade den Dachs zu Besuch, als das Wiesel nach Hause kommt. Ohne aufzuschauen, fragt der Bär, ob das Wiesel ihnen nicht etwas zu essen machen könne, und er bekommt zur Antwort, er dürfe nicht einfach mit dem Dachs spielen, der sei schließlich des Wiesels Freund. Wieder eine klassische Konstellation, die sich aufs Schönste - oder aufs Schlimmste - auswachsen kann. Und sie wächst sich aus: Der Gast hat seine Idee, doch einfach zu dritt zu spielen, noch nicht ganz ausgesprochen, da überbieten sich die beiden in Vorschlägen, nein, Festlegungen, Forderungen, welches Spiel in welchen Rollen zu spielen sei. "Vater, Mutter und Kind" durchschaut der Bär als Versuch, ihn in der Kinderrolle zu Bett zu schicken und aus dem Spiel zu nehmen. Prompt droht er mit Extremen im kindlichen Reaktionsspektrum und bekommt Bescheid: "Du spielst das falsch!"
Fußball, Memory, Winterschlaf, Verstecken: Die Vorschläge fallen in immer schnellerer Folge und mit ihnen die Vorwürfe, aus welchen Gründen sie jeweils gemacht würden. Bär und Wiesel regen sich immer weiter auf. Als der eine dem anderen an den Kopf geworfen hat, der wolle immer der Bestimmer sein, und zur Antwort bekam, mit ihm könne man einfach nicht spielen, als die beiden schmollend auf der Kinderzimmerlichtung stehen und in entgegengesetzte Richtungen schauen, hat der Dachs sein Feuerwehrauto längst zur Seite gelegt und nach seinem Schal gegriffen. Wie kann es nur sein, dass er nach Hause muss, "gerade jetzt, wo es am schönsten ist"?
Was man so "am schönsten" nennt: Der Streit ist völlig aus dem Ruder gelaufen, die zurückhaltend, dabei ausdrucksstark gezeichneten Figuren haben sich in Hochmut, Gereiztheit und Wut nichts geschenkt - den kindlichen Lesern dafür umso mehr: Den Tieren lässt sich kein Geschlecht und kein Beziehungsverhältnis zuordnen, wer auf welchen Vorschlag mit einem Vorwurf antwortet, wird gleichfalls unübersichtlich - und damit ebenso universell wie mit dem eigenen Leben und Erleben vergleichbar.
Am Ende sind sich Bär und Wiesel unvermittelt einig: Morgen müsse der Dachs unbedingt wiederkommen. Ihr "Morgen bestimme ich" kommt wie aus einer Kehle, dabei allerdings aus zwei Herzen, in denen Eifersucht und Geltungsdrang ihre Spuren hinterlassen haben. Und wie schon in der ersten Streitgeschichte von Wiesel und Bär ist es auch diesmal der Fuchs, der der Sache die letzte Wendung gibt.
Jörg Mühle: "Morgen bestimme ich!"
Moritz Verlag, Frankfurt 2024. 32 S., geb., 14,- Euro. Ab 4 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Nicht nur Kinder wollen bestimmen, auch Erwachsene, die gehen allerdings zumindest mit dem Anschein von Selbstbeherrschung an die Sache heran, so Rezensentin Judith von Sternburg, das Thema kann sie jetzt in zwei Bilderbüchern nachvollziehen. Jörg Mühle lässt Wiesel, Bär und Dachs auftreten, die eigentlich miteinander spielen wollen, aber gar nicht dazu kommen, weil sie viel zu sehr mit streiten beschäftigt sind und mit der Frage, wer denn nun bestimmen darf. Auf den Bildern gibt es Sternburg zufolge viel zu entdecken. Bei Elisa Gravel gibt es ein kleines blaues Monster, das alles möchte, was es zu sehen bekommt - und weder einen Dinosaurier noch einen Müllwagen haben kann. Das rote Muttermonster weiß aber durch eine lange Umarmung zu trösten, verrät die Kritikerin, die mit beiden Büchern sehr zufrieden ist.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 03.05.2024Wem gehört
der Dachs?
Jörg Mühles Bilderbuch
„Morgen bestimme ich!“
erzählt präzise vom Zank.
Mehr als zwei sind eine Gruppe, heißt es in einem Lied von Reinhard Mey, aber mehr als zwei sind auch eine Gewähr für Dynamik. Die Bewohner von Jörg Mühles Waldlichtung, Wiesel und Bär, die sich schon mal über ein Mittagessen aus drei Pilzen hoffnungslos in die Haare gekriegt haben („Zwei für mich, einer für dich“, 2018), kennen aber auch noch eine weitere Zeile aus dem Lied sehr genau: „Wo schon zwei sind, kann kein Dritter sein.“
Anfangs spielen der Bär und ein Dachs, der zu Besuch ist, mit ihren Feuerwehrautos. Dann kommt das Wiesel nach Hause. Es wird gebeten, etwas zum Essen zu machen, soll sonst aber nicht weiter stören. Damit ist der Konflikt vorprogrammiert. Erst erklärt das Wiesel, der Dachs sei „mein Freund“, der Bär dürfe also „nicht einfach mit ihm spielen“, dann kontert der Bär, „der Dachs gehört dir nicht“, und morgen sei schließlich auch noch ein Tag.
Aber morgen ist morgen, was zählt, ist der gelebte Moment der Ausgrenzung – jetzt sofort muss ausgetragen werden, wie, was und ob überhaupt gemeinsam gespielt wird. Wiesel und Bär machen Vorschläge, aber nur solche, die den jeweils anderen benachteiligen. „Vatermutterkind“ zum Beispiel: „Du wärst das Kind“, erklärt das Wiesel, „und du müsstest jetzt ins Bett! Weil du ungezogen warst.“ Jeder kämpft für sich, steigert sich in jene Sorte Streiterei, die nicht nur in Kinderzimmern vorkommt.
Genau das arbeitet Jörg Mühle, Schöpfer der „Hasenkind“-Reihe, präzise heraus – mit wenigen Linien für Konturen und Körpersprache, mit knappen Dialogen, die vor keiner jener Tiraden zurückschrecken, die Alt und Jung sich dann gewöhnlich um die Ohren hauen. Mal heißt es „Immer willst du der Bestimmer sein“, dann wieder „Mit dir kann man einfach nicht spielen.“ So geht ein ganzer Nachmittag dahin – und hätte der still beobachtende Dachs nicht seinen eigenen Kopf, es wäre eine ausweglose Geschichte.
MICHAEL SCHMITT
Jörg Mühle:
Morgen bestimme ich! Moritz Verlag,
Frankfurt 2024.
32 Seiten, 14 Euro.
Ab vier Jahren.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
der Dachs?
Jörg Mühles Bilderbuch
„Morgen bestimme ich!“
erzählt präzise vom Zank.
Mehr als zwei sind eine Gruppe, heißt es in einem Lied von Reinhard Mey, aber mehr als zwei sind auch eine Gewähr für Dynamik. Die Bewohner von Jörg Mühles Waldlichtung, Wiesel und Bär, die sich schon mal über ein Mittagessen aus drei Pilzen hoffnungslos in die Haare gekriegt haben („Zwei für mich, einer für dich“, 2018), kennen aber auch noch eine weitere Zeile aus dem Lied sehr genau: „Wo schon zwei sind, kann kein Dritter sein.“
Anfangs spielen der Bär und ein Dachs, der zu Besuch ist, mit ihren Feuerwehrautos. Dann kommt das Wiesel nach Hause. Es wird gebeten, etwas zum Essen zu machen, soll sonst aber nicht weiter stören. Damit ist der Konflikt vorprogrammiert. Erst erklärt das Wiesel, der Dachs sei „mein Freund“, der Bär dürfe also „nicht einfach mit ihm spielen“, dann kontert der Bär, „der Dachs gehört dir nicht“, und morgen sei schließlich auch noch ein Tag.
Aber morgen ist morgen, was zählt, ist der gelebte Moment der Ausgrenzung – jetzt sofort muss ausgetragen werden, wie, was und ob überhaupt gemeinsam gespielt wird. Wiesel und Bär machen Vorschläge, aber nur solche, die den jeweils anderen benachteiligen. „Vatermutterkind“ zum Beispiel: „Du wärst das Kind“, erklärt das Wiesel, „und du müsstest jetzt ins Bett! Weil du ungezogen warst.“ Jeder kämpft für sich, steigert sich in jene Sorte Streiterei, die nicht nur in Kinderzimmern vorkommt.
Genau das arbeitet Jörg Mühle, Schöpfer der „Hasenkind“-Reihe, präzise heraus – mit wenigen Linien für Konturen und Körpersprache, mit knappen Dialogen, die vor keiner jener Tiraden zurückschrecken, die Alt und Jung sich dann gewöhnlich um die Ohren hauen. Mal heißt es „Immer willst du der Bestimmer sein“, dann wieder „Mit dir kann man einfach nicht spielen.“ So geht ein ganzer Nachmittag dahin – und hätte der still beobachtende Dachs nicht seinen eigenen Kopf, es wäre eine ausweglose Geschichte.
MICHAEL SCHMITT
Jörg Mühle:
Morgen bestimme ich! Moritz Verlag,
Frankfurt 2024.
32 Seiten, 14 Euro.
Ab vier Jahren.
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