Ein Sohn begibt sich auf die Suche nach seinem ihm unbekannten Vater, der bei einer Blutfehde zwischen Familienclans erschossen wurde. Zwanzig Jahre nachdem ihn seine Mutter in die USA geschickt hat, kehrt Elija in den Libanon zurück. Er ist ein zerrissener Mensch, der ständig Geschichten über die eigene Herkunft erfindet. Getrieben von der Frage nach seinen Wurzeln, sucht Elija in seinem Heimatdorf Nachbarn, Freunde und ehemalige Feinde seines Vaters auf. Doch wer immer ihm seine Geschichte von jenem Massaker im Jahr 1957 erzählt, es ist eine andere. Jabbour Douaihy wurde mit diesem Roman Finalist des arabischen Booker-Preis.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Nein, mit dem Syrienkonflikt hat das Buch nichts zu tun, versichert Stefan Weidner, das Erscheinen des ersten Buches des libanesischen Autors Jabbour Douaihy auf Deutsch zu diesem Zeitpunkt sei rein zufällig. Die Geschichte dreht sich laut Weidner zuallererst um den Ehrbegriff, nicht um den Kampf gegen eine Diktatur. Dem Autor gehe es vor allem um die Bewältigung der eigenen Vergangenheit, einer Blutfehde der eigenen Familie, die er hier literarisch verarbeite. Dass die im Roman entfaltete Spirale aus Hass und Rache in einem libanesischen Bergdorf auch politische Implikationen hat, steht für Weidner indes außer Frage, für ihn weist sie bereits auf den späteren Bürgerkrieg im Libanon voraus. Die Behandlung aus individueller Perspektive gefällt Weidner gut. Ein Buch, das er dem am Nahen Osten interessierten Leser empfiehlt. Mit einer Einschränkung allerdings: So splitterhaft die Erinnerung, aus der hier erzählt wird, auch sein mag, eine überzeugende literarische Form, schreibt Weidner, hat der Autor dafür nicht gefunden. Der Rezensent fühlt sich des Öfteren mit losen Handlungsfäden allein gelassen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.10.2012Libanesische Blutfehde
Jabbour Douaihy kritisiert alte Männlichkeitsbegriffe
Libanon ist ein schönes Land zwischen Bergen und Meer, aber es hat schwer an seiner Geschichte zu tragen. Während die Politiker im Land diese Geschichte, vor allem den Bürgerkrieg von 1975 bis 1990, nach Kräften verdrängen, haben die libanesischen Schriftsteller die Bürde der Vergangenheitsbewältigung unerschrocken auf sich genommen, etwa die ins Deutsche übersetzten Elias Khoury, Alawiyya Sobh, Raschid ad-Daif und Hanan al-Scheich. Jabbour Douaihy, Jahrgang 1949, gesellt sich mit seinem ersten Roman auf Deutsch, "Morgen des Zorns", nun dazu.
Das Buch dreht sich um die blutige Eskalation einer alten, von niemandem recht zu erklärenden Fehde zwischen zwei christlichen Großfamilien in einem libanesischen Bergdorf. Auf einer Trauerfeier, bei der die schwerbewaffneten Mitglieder der Familien aufeinandertreffen, kommt es zu einer Schießerei, bei der zwanzig Menschen sterben. Es ist der Beginn eines Zyklus aus Blutrache und Hass, der zunehmend mit den damals kursierenden politischen Ideologien aufgeladen wird. Das Ereignis ist historisch verbürgt; Douaihy selbst entstammt einer der betroffenen Familien. Die kaleidoskopartig aus wechselnden Perspektiven erzählten Geschichten sind hingegen wohl größtenteils fiktional, die Namen geändert.
Das Dorf, in dem die verfeindeten Familien seit Jahrhunderten nebeneinander gewohnt haben, zerfällt nach der Schießerei in zwei Teile, und niemand, der zur anderen Familie gehört, darf die Demarkationslinie überschreiten. Es kommt zu regelrechten ethnischen Säuberungen en miniature: Wer es wagt, in der falschen Hälfte zu bleiben, etwa die eingeheirateten Ehefrauen, wird vertrieben oder erschossen. Die Ereignisse werden so zu Vorboten des siebzehn Jahre später stattfindenden großen Bürgerkriegs und der bis heute anhaltenden Instabilität des Landes. Nicht zuletzt diese Analogie dürfte Douaihy an dem Stoff gereizt haben.
Der Ansatz des Buchs, die Geschehnisse aus individueller Perspektive aufzuarbeiten, ist zutiefst human und beinhaltet eine klare Verurteilung des nahöstlichen, hier christlich-maronitischen Machismo. Die Helden des Buchs sind die Kinder, deren Väter ermordet werden, und die Frauen, die zu Witwen werden - selbst wenn sie, wie Douaihy schreibt, "zu ihren Söhnen sagten: Wer zögert, für seinen Bruder Rache zu nehmen, wird vom Erbe seines Vaters ausgeschlossen." Auch der einzige Intellektuelle des Buches, der am Vorabend des Massakers gezeugte, dann ohne Vater aufwachsende Elia, der in Amerika lebt, entgeht dem Fluch der zwanghaften Männlichkeit nicht. Er entwickelt sich zu einem notorischen Lügner, der immer wieder vor den Frauen flieht, die er mit großem Aufwand erobert. Zweiundvierzig Jahre nach dem Massaker kehrt er zurück, um herauszufinden, was wirklich geschehen ist. Zusätzlich eingestreut sind kursive Passagen, Zeitungsartikel und eine reizvolle Mythologie der Dinge, die den noch vormodernen Libanon in den fünfziger und sechziger Jahre eroberten. So war etwa "das Automobil zu Beginn der fünfziger Jahre auf die Liste jener Dinge gesetzt worden, die ein Mann sich nicht ausleihen konnte, wie etwa auch die Ehefrau und das Gewehr."
Für die speziell am Nahen Osten interessierten Leser ist das vorzüglich übersetzte Buch sicherlich lesenswert. Seine Botschaft, die Kritik an der sinnlosen Blutrache und an überspannten Vorstellungen von Männlichkeit, findet unsere uneingeschränkte Sympathie. Es gelingt dem Autor jedoch nur zum Teil, dieser Aufarbeitung der Gewalt eine literarisch überzeugende Form zu geben. Dass die Erinnerung fragmentarisch, das Gedächtnis zersplittert ist, liegt in der Natur der verdrängten Ereignisse. Dass die Leser am Ende nur lose Handlungsfäden vor den Augen haben und die zwischenzeitlich aufgebaute Spannung sich im Nichts einer ständig wechselnden Erzählhaltung verliert, lässt sich jedoch kaum als künstlerische Absicht werten.
Wer diesen Roman aufgrund seines zufälligen deutschsprachigen Erscheinens 2012 (das Original erschien 2006) als Erklärung für aktuelle Ereignisse in Syrien liest, läuft wiederum Gefahr, den legitimen Kampf gegen eine brutale Diktatur auf einen atavistischen Männlichkeits- und Ehrbegriff zu reduzieren. Vielleicht ist es gut zu wissen, dass Douaihy, ein libanesischer Christ, sich klar zur syrischen Revolution bekannt hat.
STEFAN WEIDNER
Jabbour Douaihy: "Morgen des Zorns". Roman.
Aus dem Arabischen von Larissa Bender. Hanser Verlag, München 2012. 350 S., geb., 24,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Jabbour Douaihy kritisiert alte Männlichkeitsbegriffe
Libanon ist ein schönes Land zwischen Bergen und Meer, aber es hat schwer an seiner Geschichte zu tragen. Während die Politiker im Land diese Geschichte, vor allem den Bürgerkrieg von 1975 bis 1990, nach Kräften verdrängen, haben die libanesischen Schriftsteller die Bürde der Vergangenheitsbewältigung unerschrocken auf sich genommen, etwa die ins Deutsche übersetzten Elias Khoury, Alawiyya Sobh, Raschid ad-Daif und Hanan al-Scheich. Jabbour Douaihy, Jahrgang 1949, gesellt sich mit seinem ersten Roman auf Deutsch, "Morgen des Zorns", nun dazu.
Das Buch dreht sich um die blutige Eskalation einer alten, von niemandem recht zu erklärenden Fehde zwischen zwei christlichen Großfamilien in einem libanesischen Bergdorf. Auf einer Trauerfeier, bei der die schwerbewaffneten Mitglieder der Familien aufeinandertreffen, kommt es zu einer Schießerei, bei der zwanzig Menschen sterben. Es ist der Beginn eines Zyklus aus Blutrache und Hass, der zunehmend mit den damals kursierenden politischen Ideologien aufgeladen wird. Das Ereignis ist historisch verbürgt; Douaihy selbst entstammt einer der betroffenen Familien. Die kaleidoskopartig aus wechselnden Perspektiven erzählten Geschichten sind hingegen wohl größtenteils fiktional, die Namen geändert.
Das Dorf, in dem die verfeindeten Familien seit Jahrhunderten nebeneinander gewohnt haben, zerfällt nach der Schießerei in zwei Teile, und niemand, der zur anderen Familie gehört, darf die Demarkationslinie überschreiten. Es kommt zu regelrechten ethnischen Säuberungen en miniature: Wer es wagt, in der falschen Hälfte zu bleiben, etwa die eingeheirateten Ehefrauen, wird vertrieben oder erschossen. Die Ereignisse werden so zu Vorboten des siebzehn Jahre später stattfindenden großen Bürgerkriegs und der bis heute anhaltenden Instabilität des Landes. Nicht zuletzt diese Analogie dürfte Douaihy an dem Stoff gereizt haben.
Der Ansatz des Buchs, die Geschehnisse aus individueller Perspektive aufzuarbeiten, ist zutiefst human und beinhaltet eine klare Verurteilung des nahöstlichen, hier christlich-maronitischen Machismo. Die Helden des Buchs sind die Kinder, deren Väter ermordet werden, und die Frauen, die zu Witwen werden - selbst wenn sie, wie Douaihy schreibt, "zu ihren Söhnen sagten: Wer zögert, für seinen Bruder Rache zu nehmen, wird vom Erbe seines Vaters ausgeschlossen." Auch der einzige Intellektuelle des Buches, der am Vorabend des Massakers gezeugte, dann ohne Vater aufwachsende Elia, der in Amerika lebt, entgeht dem Fluch der zwanghaften Männlichkeit nicht. Er entwickelt sich zu einem notorischen Lügner, der immer wieder vor den Frauen flieht, die er mit großem Aufwand erobert. Zweiundvierzig Jahre nach dem Massaker kehrt er zurück, um herauszufinden, was wirklich geschehen ist. Zusätzlich eingestreut sind kursive Passagen, Zeitungsartikel und eine reizvolle Mythologie der Dinge, die den noch vormodernen Libanon in den fünfziger und sechziger Jahre eroberten. So war etwa "das Automobil zu Beginn der fünfziger Jahre auf die Liste jener Dinge gesetzt worden, die ein Mann sich nicht ausleihen konnte, wie etwa auch die Ehefrau und das Gewehr."
Für die speziell am Nahen Osten interessierten Leser ist das vorzüglich übersetzte Buch sicherlich lesenswert. Seine Botschaft, die Kritik an der sinnlosen Blutrache und an überspannten Vorstellungen von Männlichkeit, findet unsere uneingeschränkte Sympathie. Es gelingt dem Autor jedoch nur zum Teil, dieser Aufarbeitung der Gewalt eine literarisch überzeugende Form zu geben. Dass die Erinnerung fragmentarisch, das Gedächtnis zersplittert ist, liegt in der Natur der verdrängten Ereignisse. Dass die Leser am Ende nur lose Handlungsfäden vor den Augen haben und die zwischenzeitlich aufgebaute Spannung sich im Nichts einer ständig wechselnden Erzählhaltung verliert, lässt sich jedoch kaum als künstlerische Absicht werten.
Wer diesen Roman aufgrund seines zufälligen deutschsprachigen Erscheinens 2012 (das Original erschien 2006) als Erklärung für aktuelle Ereignisse in Syrien liest, läuft wiederum Gefahr, den legitimen Kampf gegen eine brutale Diktatur auf einen atavistischen Männlichkeits- und Ehrbegriff zu reduzieren. Vielleicht ist es gut zu wissen, dass Douaihy, ein libanesischer Christ, sich klar zur syrischen Revolution bekannt hat.
STEFAN WEIDNER
Jabbour Douaihy: "Morgen des Zorns". Roman.
Aus dem Arabischen von Larissa Bender. Hanser Verlag, München 2012. 350 S., geb., 24,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Der drohende inere Zerfall Syriens verleiht dem Stoff dramatische Aktualität - Glück für den Hanser-Verlag, der den Mut zu einer deutschen Ausgabe dieses gewiss nicht ohne weiteres in den Mainstream des Leseinteresses einzuschleusenden Buches hatte." Angela Schader, Neue Zürcher Zeitung, 31.07.12
"(...) einen spannenden Einblick in die Wurzeln des Bürgerkriegs im Libanon der 50er Jahre und eine interessante Perspektive auf den Nahost-Konflikt." Nürnberger Zeitung, 01.12.12
"(...) einen spannenden Einblick in die Wurzeln des Bürgerkriegs im Libanon der 50er Jahre und eine interessante Perspektive auf den Nahost-Konflikt." Nürnberger Zeitung, 01.12.12