Marina Zwetajewa gilt als eine der stärksten, formal anspruchsvollsten Autorinnen der europäischen Moderne. Entsprechend schwierig ist ihr Werk zu übersetzen. Kühne Brüche und der Vorrang des Klanglichen erschweren verbindliche Sinnstiftung, provozieren sie aber auch. Erotischer Taumel, Kriegswirren, Emigration, Naturseligkeit, großstädtischer Horror sind nur einige der emotional extrem spannungsreichen semantischen Raume, die ihre zwischen strenger Artistik und ausgelassener Schwärmerei changierende Dichterrede durchmisst. - Felix Philipp Ingold lässt sich in seinen übersetzerischen Annäherungen von der melodischen und rhythmischen Dynamik der Originalgedichte leiten, um vergleichbare Energien in der Zielsprache freizusetzen. In sorgsamem, dabei durchaus eigen- willigem "Nachbau" der russischen Vorlagen vermag der Dichter-Übersetzer deren offene Sinnpotentiale in höchster Intensität zur Wirkung zu bringen. Die vorliegende Auslese vereint neben zahl- reichen Erstübersetzungen (teils aus dem Nachlass) auch radikale Neufassungen kanonisierter Meisterstücke als emphatische Zeugnisse für den Reichtum an Möglichkeiten, die singuläre Lyrik Marina Zwetajewas heute auch in deutschem Wortlaut nachvollziehend zu lesen.
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Rezensent Jörg Plath sieht in der von Felix Philipp Ingold übersetzten, kommentierten und herausgegeben Auswahl mit Gedichten von Marina Zwetajewa eine Annäherung an die Texte der russischen Dichterin, die für ihn neue Standards setzt. Dass Ingold sich für den Mittelweg zwischen "ohne Sinn" und "viel Ausdruck" entschieden hat, scheint ihm einzuleuchten. Die getreue Übertragung von Zeilenbrüchen, Rhythmik, Klang, Reim scheint Plath zu passen. Ingolds Abmilderung des ursprünglichen hohen Tons behagt ihm. Auch wenn die Texte auf die Art immer noch nicht leichter konsumierbar werden, meint Plath, verständlicher, vor allem fesselnder werden sie durchaus.
© Perlentaucher Medien GmbH
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