Detlef Kuhlbrodt horcht in den Tag hinein, und dann schreibt er Texte wie diese, konkret und komisch, weltentrückt und wetterfühlig, eigenartig im besten Sinne, schön kurz - Singles eben - oder auch nur: schön. Leicht schräge, merkwürdig vertraute Melodien zum Lesen. Ausgangspunkt kann alles mögliche sein, Kopfschmerzen oder der Rhythmus der Kratzer auf einer Schallplatte, ein Frühlingseinbruch im Januar oder die Begegnung mit einem Igel - eine Verwunderung, eine Begeisterung, eine Erschütterung. Das führt zur Beschreibung, zur kleinen Szene, die sich rechtzeitig, bevor es beschaulich werden kann, in einem Witz, einer Moral, einer grotesken Volte aufrollt. Oder in der Sehnsucht, sich »wieder im Unsinn zu verlieren und die Dinge extra ungetan zu lassen, weil sie so aufdringlich wie ein Amerikaner auf ihrem Wichtigsein beharren.«
Detlef Kuhlbrodt, geboren 1961 in Bad Segeberg, schreibt seit den Achtzigern für Zeitungen und Zeitschriften, vor allem für die taz. Seine Texte, die legendären Status haben, sind funkelnde Splitter eines großen Ganzen: der leichtfüßigen Poetisierung konkreter Existenz. Er lebt in Berlin.
Detlef Kuhlbrodt, geboren 1961 in Bad Segeberg, schreibt seit den Achtzigern für Zeitungen und Zeitschriften, vor allem für die taz. Seine Texte, die legendären Status haben, sind funkelnde Splitter eines großen Ganzen: der leichtfüßigen Poetisierung konkreter Existenz. Er lebt in Berlin.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.12.2007Jahrelanger Winter
Ich steh' auf Berlin: Detlef Kuhlbrodt flaniert
Detlef Kuhlbrodt, Jahrgang 1961, ist ein "freier Schreiber", ein Pointenverfasser und Pointenhasser, der ein Leben voller "Einfachheit und Schönheit" führt - rauchend, auskaternd, die Konsequenzen tragend. Er, bei dem sich das Hauptstadtleben wie eine Landpartie voller Naturereignisse und kultivierter Brettspiele liest (Regenbögen unter der Schwimmbaddusche, Schachpartien auf der Schwimmbadwiese), sagt vom eigenen Kopf, in ihm sei es bisweilen "graurosa bewölkt mit Neigung zu kleinen Schauern".
So ist es die Wetterfühligkeit des Autors, die das Hier und Jetzt einfärbt, kleine Wirbelstürme und große Bewegungslosigkeiten auf einer Landkarte entdeckt, welche nur selten das Berliner Stadtgebiet überschreitet und, wenn es doch geschieht, dann höchstens, um in einen kühlenden See zu springen, an dessen Ufern schon Bier bereitsteht.
Zwischen 2001 und 2007 hat Detlef Kuhlbrodt etwa 160 "Berliner Szenen" für den Lokalteil der "taz" geschrieben, die jetzt in jahreszeitlicher Chronologie in einem schmalen Suhrkamp-Band versammelt sind. Es sind "Miniaturen", kleine Alltagsfenster, die Einblicke in die Hinterhöfe (und -welten) der Hauptstadt gewähren. Und weil bei Kuhlbrodt in flaneurhafter Manier "die Hände das aufschreiben, was die Hände tun, und die Augen auf den Bildschirm starren, auf dem steht, wie das Leben gerade so war, während der Kopf immer daran denken muss, wie die Zeit vergeht", gibt es eine wesenhafte Redundanz zwischen Leben und Werk.
Nun könnte diese Verschränkung von Selbstbeobachtung und Alltagsbeschreibung gleich zweierlei Kurzschlüsse provozieren. Um es deutlich zu sagen: Kuhlbrodts Szenen sind nicht die empirischen Fundamente einer objektivierenden Stadtsoziologie; und Kuhlbrodt ist kein Popliterat, dessen Texte den eigenen Lebensstil in einem kühnen Akt der literarischen Verdopplung zur Kunst erklären. Der Autor schreibt vielmehr aus einer Parallelwelt, die zwar räumlich an Berlin-Mitte angrenzt, im Geiste aber einer anderen Galaxie angehört. Die meisten "Berliner Szenen" spielen im Stadtteil Kreuzberg, einem staunenswerten Transitorium, in dem sich alterndes Hippietum mit multikultureller Hippness, sozialer Abstieg mit ökonomischem Auftrieb aufs unpassendste vermischen. Und der Autor selbst ist ein Bewohner dieses Sozialbiotops, in dem allerhand passiert und manches unterbleibt. Denn hier schreibt einer über Berlin, ohne dabei Berlin-Mitte zu meinen, ohne dabei überhaupt etwas anderes zu meinen, als das, was das Auge sieht und die Hand notiert. Und vielleicht reicht diese Erzählung tiefer hinein in die Annalen jener Stadt, die auch Heimat der türkischen Gastarbeiterfamilien und deren Nachkommen ist, in der Runzelrocker und Rastafaris die Caféterrassen bevölkern (Sonnenbrille tragend, rauchend, meditierend) und mittellose Akademiker Kohlenpartys veranstalten, als wäre der Krieg eben erst zu Ende gegangen und die Erfindung zentraler Beheizungssysteme eine Aufgabe kommender Generationen.
Der Kiez ist eine Marionette der Jahreszeit. Das lehren uns Kuhlbrodts Szenen. So kommt es im Winter, wenn dem "Prekaristen seiner selbst" die Kälte am Schreibtisch ins Hosenbein klettert und der Geruch von Kohlenstaub sein Denken vernebelt, zu "telepathischen" Begegnungen mit dem im Blumenkasten rastenden Federtier. Jägermeister-Flaschen und Flipperautomaten sind weitere Dingsymbole dieser extremistischen Jahreszeit: "Der Winter war krass und wird noch ein paar Jahre dauern." Vielleicht muss man in Kreuzberg gelebt haben, um diese Aussage in ihrem ganzen Ausmaß zu begreifen. Und dann ist er plötzlich da: der Sommer.
Dönerluft weht ins Literatenheim. Ein türkisches Mädchen verschenkt grüne Pflaumen, der Autor liest Proust am offenen Fenster und trägt dazu einen thailändischen Sarong. Die Zeit im Kiez plätschert erratisch dahin, ohne Ziel, und verzieht sich wie der Rauch einer Zigarette. Die Geschichten, die sich jetzt erzählen lassen, haben einen Nimbus der Voraussetzungslosigkeit. Ihre Protagonisten sind nicht die Taktgeber, sondern die Tagediebe ihrer Stadt.
Eine Zeitlang seien ihm Pointen verdächtig vorgekommen, erklärt der Autor im Nachwort. Doch irgendwie müsse man ja aus einem Text auch wieder "rauskommen". Also eben doch ein paar Pointen, seltsam aus der Zeit gefallen. Aus der Hauptstadtzeit. Zwischen Sommern und Wintern. "Aber trotzdem." Genau.
KATHARINA TEUTSCH
Detlef Kuhlbrodt: "Morgens leicht, später laut." Singles. Edition Suhrkamp, Frankfurt am Main 2007. 126 S., br., 8,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ich steh' auf Berlin: Detlef Kuhlbrodt flaniert
Detlef Kuhlbrodt, Jahrgang 1961, ist ein "freier Schreiber", ein Pointenverfasser und Pointenhasser, der ein Leben voller "Einfachheit und Schönheit" führt - rauchend, auskaternd, die Konsequenzen tragend. Er, bei dem sich das Hauptstadtleben wie eine Landpartie voller Naturereignisse und kultivierter Brettspiele liest (Regenbögen unter der Schwimmbaddusche, Schachpartien auf der Schwimmbadwiese), sagt vom eigenen Kopf, in ihm sei es bisweilen "graurosa bewölkt mit Neigung zu kleinen Schauern".
So ist es die Wetterfühligkeit des Autors, die das Hier und Jetzt einfärbt, kleine Wirbelstürme und große Bewegungslosigkeiten auf einer Landkarte entdeckt, welche nur selten das Berliner Stadtgebiet überschreitet und, wenn es doch geschieht, dann höchstens, um in einen kühlenden See zu springen, an dessen Ufern schon Bier bereitsteht.
Zwischen 2001 und 2007 hat Detlef Kuhlbrodt etwa 160 "Berliner Szenen" für den Lokalteil der "taz" geschrieben, die jetzt in jahreszeitlicher Chronologie in einem schmalen Suhrkamp-Band versammelt sind. Es sind "Miniaturen", kleine Alltagsfenster, die Einblicke in die Hinterhöfe (und -welten) der Hauptstadt gewähren. Und weil bei Kuhlbrodt in flaneurhafter Manier "die Hände das aufschreiben, was die Hände tun, und die Augen auf den Bildschirm starren, auf dem steht, wie das Leben gerade so war, während der Kopf immer daran denken muss, wie die Zeit vergeht", gibt es eine wesenhafte Redundanz zwischen Leben und Werk.
Nun könnte diese Verschränkung von Selbstbeobachtung und Alltagsbeschreibung gleich zweierlei Kurzschlüsse provozieren. Um es deutlich zu sagen: Kuhlbrodts Szenen sind nicht die empirischen Fundamente einer objektivierenden Stadtsoziologie; und Kuhlbrodt ist kein Popliterat, dessen Texte den eigenen Lebensstil in einem kühnen Akt der literarischen Verdopplung zur Kunst erklären. Der Autor schreibt vielmehr aus einer Parallelwelt, die zwar räumlich an Berlin-Mitte angrenzt, im Geiste aber einer anderen Galaxie angehört. Die meisten "Berliner Szenen" spielen im Stadtteil Kreuzberg, einem staunenswerten Transitorium, in dem sich alterndes Hippietum mit multikultureller Hippness, sozialer Abstieg mit ökonomischem Auftrieb aufs unpassendste vermischen. Und der Autor selbst ist ein Bewohner dieses Sozialbiotops, in dem allerhand passiert und manches unterbleibt. Denn hier schreibt einer über Berlin, ohne dabei Berlin-Mitte zu meinen, ohne dabei überhaupt etwas anderes zu meinen, als das, was das Auge sieht und die Hand notiert. Und vielleicht reicht diese Erzählung tiefer hinein in die Annalen jener Stadt, die auch Heimat der türkischen Gastarbeiterfamilien und deren Nachkommen ist, in der Runzelrocker und Rastafaris die Caféterrassen bevölkern (Sonnenbrille tragend, rauchend, meditierend) und mittellose Akademiker Kohlenpartys veranstalten, als wäre der Krieg eben erst zu Ende gegangen und die Erfindung zentraler Beheizungssysteme eine Aufgabe kommender Generationen.
Der Kiez ist eine Marionette der Jahreszeit. Das lehren uns Kuhlbrodts Szenen. So kommt es im Winter, wenn dem "Prekaristen seiner selbst" die Kälte am Schreibtisch ins Hosenbein klettert und der Geruch von Kohlenstaub sein Denken vernebelt, zu "telepathischen" Begegnungen mit dem im Blumenkasten rastenden Federtier. Jägermeister-Flaschen und Flipperautomaten sind weitere Dingsymbole dieser extremistischen Jahreszeit: "Der Winter war krass und wird noch ein paar Jahre dauern." Vielleicht muss man in Kreuzberg gelebt haben, um diese Aussage in ihrem ganzen Ausmaß zu begreifen. Und dann ist er plötzlich da: der Sommer.
Dönerluft weht ins Literatenheim. Ein türkisches Mädchen verschenkt grüne Pflaumen, der Autor liest Proust am offenen Fenster und trägt dazu einen thailändischen Sarong. Die Zeit im Kiez plätschert erratisch dahin, ohne Ziel, und verzieht sich wie der Rauch einer Zigarette. Die Geschichten, die sich jetzt erzählen lassen, haben einen Nimbus der Voraussetzungslosigkeit. Ihre Protagonisten sind nicht die Taktgeber, sondern die Tagediebe ihrer Stadt.
Eine Zeitlang seien ihm Pointen verdächtig vorgekommen, erklärt der Autor im Nachwort. Doch irgendwie müsse man ja aus einem Text auch wieder "rauskommen". Also eben doch ein paar Pointen, seltsam aus der Zeit gefallen. Aus der Hauptstadtzeit. Zwischen Sommern und Wintern. "Aber trotzdem." Genau.
KATHARINA TEUTSCH
Detlef Kuhlbrodt: "Morgens leicht, später laut." Singles. Edition Suhrkamp, Frankfurt am Main 2007. 126 S., br., 8,- [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Rezensent Oliver Maria Schmitt hatte große Freude an diesem Erzählband von Detlef Kuhlbrodt mit seinen "kleinen Essays, Skizzen, Momentaufnahmen, Pasticcios, die wie hingeweht wirken". Völlig zu Recht sei er deshalb mit den verschiedenen Preisen ausgezeichnet worden. Trotz der Beiläufigkeit, die die Geschichten transportieren, erzählen sie in den Augen des Rezensenten auch ein Stück Zeitgeschichte, nämlich wie aus der "Kreuzberger Utopie der siebziger Jahre" die "Heterotopie" der Gegenwart wurde. Das geschieht ganz und gar "ohne billigen Sarkasmus" und eitle Ambitioniertheit: "Kuhlbrodt ringt nicht um Formulierungen, er plaudert in einfachen, rhythmischen Sätzen." Besonders hat es Schmitt jedoch Kuhlbrodts Talent zur Beobachtung angetan sowie die "blasse, feine Ironie".
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Es ergibt [sich] so ein schönes Gefühl beim Lesen, aber man denkt, war nur eine kleine Kleinigkeit des Lebens, aber so wahr und schön.« Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung