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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 11.11.2002

Stechschritt in die Tapete
Die Augen gerade aus, das Gewehr stramm präsentiert und vor allem der makellose Stechschritt – nirgendwo wurde das preußische Militärerbe hingebungsvoller gepflegt als in der DDR. Der Hallenser Künstler Moritz Götze ließ sich bei seinem großformatigen Ölbild „Soldaten” von einem Fotoband der Nationalen Volksarmee inspirieren. Doch zwölf Jahre nach der Einheit erscheint hier die martialische Parade als vermeintlich harmloses Tapetenmuster, die Demonstration der Stärke mutiert zum Dekor einer untergegangen Diktatur.
Mit den Mitteln der Pop Art, des Comic Strip, der Illustration und der Produktreklame betreibt der 38-jährige Maler und Grafiker seine ebenso hemmungslose wie farbenfrohe Ästhetisierung der deutschen Geschichte. Dabei beschäftigt sich der shooting star aus dem Osten – dessen Arbeiten solch staatstragende Institutionen wie das Wirtschaftsministerium und das Kanzleramt schmücken – zum ersten Mal auch mit den Ikonen der DDR-Malerei. Dazu gehört das berühmte Bild „Chemiearbeiter am Schaltpult” von Willi Sitte. Dieses Schulbuchbeispiel des Sozialistischen Realismus verwandelt Götze in eine märchenhaft bunte Cover-Version, die alle Debatten um den einstmals mächtigen Staatskünstler und Funktionär vergessen läßt. Mit scheinbar naivem Blick lotet er das ästhetische Kultpotential von nationalen Ikonen und Mythen aus und präsentiert diese ideologieträchtigen Bildwelten als „deutschen Pop.” Dabei greift er auch auf Monumentalgemälde aus dem 19. Jahrhundert zurück, die den siegreichen Reichsgründer Kaiser Wilhelm I. vor dem Brandenburger Tor zeigen.
Diese Haupt- und Staatsaktion wird bei Götze zur absurden Anekdote, genau so wie die Selbstversenkung der deutschen Flotte anno 1919. Statt heroischem Untergang sieht man auf dem Großformat „Scapa Flow” nur das sanfte Sinken eines menschenleeren Kriegsschiffs. Seine seltsam zeitentrückten Adaptionen bezeichnet Götze mit dem selbst schon geschichtlichen Begriff des „Historienbilds.” Diese malerischen Historisierungen des Historischen durchmessen 200 Jahre deutscher Geschichte. Scheinbar unbekümmert nähern sie sichden unterschiedlichsten nationalen Schicksalsmomenten. Nur eine Epoche klammert Götze beharrlich aus. Sie eigne sich nicht für sein ironisches Bildprogramm der gewollten Nostalgie, sagt er. Es ist der Nationalsozialismus.
ANDREAS HÖLL
MORITZ GÖTZE: Deutscher Pop. Verlag der Kunst, Dresden 2002. 96 Seiten, 9, 99 Euro.
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