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Katharina Hacker nimmt in diesen sieben Geschichten Motive der griechischen Antike auf und stellt sie in unerwartete Zusammenhänge. So fühlt sich etwa ein Hotelier durch seltsame Geräusche eines rollenden Steines beunruhigt, die aus dem Zimmer eines geheimnisvollen Gastes dringen. Sisyphos im Hotel, Ariadne am Strand, Morpheus, Sohn Hypnos', des Schlafes, bilden die Personage der Erzählungen, ebenso Minotaurus, Elpenor, Mnemon und Charon, der den Fahrrädern und Autos nachsieht.

Produktbeschreibung
Katharina Hacker nimmt in diesen sieben Geschichten Motive der griechischen Antike auf und stellt sie in unerwartete Zusammenhänge. So fühlt sich etwa ein Hotelier durch seltsame Geräusche eines rollenden Steines beunruhigt, die aus dem Zimmer eines geheimnisvollen Gastes dringen.
Sisyphos im Hotel, Ariadne am Strand, Morpheus, Sohn Hypnos', des Schlafes, bilden die Personage der Erzählungen, ebenso Minotaurus, Elpenor, Mnemon und Charon, der den Fahrrädern und Autos nachsieht.
Autorenporträt
Katharina Hacker, geboren 1967 in Frankfurt am Main, studierte ab 1986 Philosophie, Geschichte und Judaistik an der Universität Freiburg. 1990 wechselte sie an die Hebräische Universität Jerusalem. Seit 1996 lebt sie als freie Autorin in Berlin.
Katharina Hacker wurde zur Stadtschreiberin 2005/2006 von Bergen-Enkheim gewählt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.03.1999

Der Schatten der Toten
Katharina Hacker holt mythologische Figuren aus dem Hades zurück

"Die Menschen schlafen. Anders kennen sie es nicht." Selbst im Wachzustand plappern und stolpern sie achtlos über die Figuren aus der griechischen Mythologie hinweg, die mitten unter uns wandeln. Niemand erinnert sich ihrer, keiner erkennt, keiner versteht sie. Der Museumswärter Minotaurus etwa, aus seinem Versteck vertrieben, irrt mit seinem Regenschirm hilflos und ängstlich durch das Labyrinth der Straßen und U-Bahn-Schächte. Nicht einmal auf der Party seines Freundes, des Architekten Dädalus, findet er Anschluß. Man hält ihn für plump, blind und blutrünstig. Dabei ist der mißgestaltete Königssohn nur ein trauriger Zwitter aus Mensch und Tier, Monster und Gott, Mythos und Gegenwart.

Sisyphos kam nur bis Paris, melancholisch und mit leichtem Gepäck. Aus der Unterwelt ausgestoßen, haust er jetzt in einem schäbigen Hotel, argwöhnisch belauert vom Besitzer. Dabei ist sein Stein viel zu klein und zu leicht, um Teppiche und Möbel beschädigen zu können. Ariadne, vom Kummer über Theseus' Verrat verzehrt, erscheint die nächtliche Bushaltestelle wie der sonnenüberglänzte Strand von Naxos. Charons Fähre ist außer Betrieb. Untätigkeit, Ohnmacht und Lächerlichkeit demütigen ihn in seinem Stolz: Die Toten, die er sonst über den See ruderte, stehen festgefroren am Ufer. Nicht einmal sie brauchen seine Hilfe noch. Elpenor, der Säufer, der auf Kirkes Insel betrunken vom Dach stürzte, lebt heute als Penner im Bahnhof. Sein Bett ist übersät von Zivilisationsmüll, Zigarettenstummeln, weggeworfenen Fahrscheinen, Blut und Spucke. Hastige Reisende schubsen ihn herum und trampeln roh über ihn hin. Daß Odysseus ihn nicht begrub, verzeiht Elpenor ihm nie, und auch auf Homer ist er nicht gut zu sprechen: "Da schlief er nun ruhig, vergessend alles, was er gelitten hatte." Was weiß der Dichter schon vom "süßen Schlaf" eines Obdachlosen! Elpenor kann nichts vergessen und nichts vergeben. Mit Wein aus dem Goldbecher ertränkt er seine Verzweiflung über homerische Euphemismen und das Grauen ewiger Verwandlung. "Hören Sie, das ist nicht komisch", brummt der mürrische Clochard. "Ich sage Ihnen, die Namen, die Schatten, man wird sie nicht los. Die Namen sind die Körper der Schatten, und sie sind nicht weniger rüde als ein beliebiger Passant, der es eilig hat." Nur eine der sieben Erzählungen ist weniger verschattet, fast heiter: Morpheus, der eitle Sohn Hypnos', freut sich traumverloren über seine schönen neuen Schnabelschuhe.

Von Hölderlin bis Joyce, von Christa Wolf bis Christoph Ransmayr haben die Schriftsteller immer wieder klassische Mythen und Metamorphosen in eine prosaische Gegenwart einzubürgern versucht. Die zweiunddreißigjährige Katharina Hacker versucht in ihrem Erzählband gar nicht erst, die Fremdheit und Verlorenheit ihrer Sagenfiguren durch Kostüme, Kulissen oder Pseudonyme zu vertuschen. Sisyphos und seine Leidensgenossen denken, sprechen und leben im Hier und Jetzt - aber so, als wäre es anderswo und in einer anderen Zeit. Sie wissen nur zu gut, wer sie sind, aber nicht, was sie in dieses Niemandsland verschlug, in eine erbärmliche Existenz, die ihnen seit dem Tod der Götter nur die Wiederholung des Ewiggleichen übrigläßt.

Das Gefühl der Vergeblichkeit befördert Schwermut und Langeweile, aber es schärft alle Sinne bis zu einer schmerzhaften Gespanntheit: "Das Schreckliche ist, was man schon weiß, und vor der Wiederholung schützt es einen nicht, und alles schabt die Schädelknochen blank, die Augenlider fehlen, die Ohren sind aus Glas." Die Untoten fühlen sich also nicht sehr wohl in ihrer Haut. Es sind Vergessene, Erniedrigte und Beleidigte, Schattenwesen in einem Schattenreich. Heimat- und obdachlos streunen sie durch die Menge und hadern mit ihrem Schicksal und einer Welt, die ihre Geschichten nicht mehr hören will. Katharina Hacker nimmt sich dieser Verstoßenen liebevoll an. Sie stellt die poetischen Lügen richtig, trägt Unterschlagenes und Vergessenes nach, schreibt ihre Geschichten auf und fort.

Sie kann den Fluch der Wiederholung nicht lösen, wohl aber den armen Seelen ihre Würde und ihre Namen zurückgeben. So bringt sie die traurigen, frierenden Schatten ans wärmende Sonnenlicht. Und zur Sprache. Es ist dies eine schöne, hermetische und doch klare Sprache, bei der jedes Wort an seinem Platz steht und keines überflüssig ist.

"Von einem richtigen Satz hängt alles ab", schrieb Katharina Hacker vor zwei Jahren in ihrem Prosadebüt, der Stadterzählung "Tel Aviv". Manchmal aber kann zu viel Sorgfalt und Kunstwillen auch lähmend wirken. "Die Sätze marschieren wie Armeen durch meinen Kopf", seufzt Mnemon in der letzten und besten Erzählung. "Oh, man lernt es gut, nichts zu vergessen, nichts auszuplaudern, nicht einen Satz." Mnemon ist "professioneller Merker", ein Beruf aus vorsprachlicher Zeit: Er zeichnet wie ein lebendiger Datenspeicher alles auf, was man ihm zeigt und sagt: Helden- und Greueltaten, Verträge und Gesichter, Bilder und Sätze. Jetzt, da er nichts mehr vergessen kann, werden seine Dienste nicht mehr gebraucht. Zwar befreit er sich in einer Art Delphintherapie am Meer von seinem Erinnerungszwang, aber dahinter tut sich eine "große lautlose Öde" auf.

Katharina Hacker wollte mit der Kraft ihrer Sprache die Toten aus der Unterwelt heraufbeschwören. Aber anders als Orpheus kehrt sie nicht mehr zurück. Jetzt dröhnen die Sätze und Mythen wie die Kriegstrommeln in Mnemons Kopf, und alle sind elegisch-bedeutsame "Zeichen für etwas". Die Sirene im Straßenlärm erinnert an den gefesselten Odysseus, das EKG-Diagramm auf dem dunklen Monitor an die Schatten des Hades, das profane Wollknäuel an Ariadnes Faden. Er wirkt manchmal an den Haaren herbeigezogen, die elegisch-morbide Poesie ein wenig gesucht. Aber man spürt doch bei allen Webfehlern im Detail immer den unzeitgemäßen, fast heiligen Ernst einer begabten Erzählerin - und ihre unheilbare Melancholie. MARTIN HALTER

Katharina Hacker: "Morpheus oder Der Schnabelschuh". Erzählungen. Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 1998. 126 S., br., 14,80 DM.

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