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Ein faszinierender, zerrissener Held, ein gewaltiges Panorama vom Vorabend des Zweiten Weltkriegs - Szczepan Twardochs großer Roman.
Warschau 1939: Leutnant Konstanty Willemann, vor dem Krieg ein Bonvivant, streift durch die zerbombte, soeben noch blühende Stadt, in der die deutsche Besatzung alle Freiheit erstickt. Konstanty, väterlicherseits selbst Deutscher, betäubt sich mit Alkohol und Morphin zerrissen zwischen seinem unsteten Leben mit rauschhaften Nächten bei der jüdischen Edelprostituierten Salomé und der Sorge um seine Familie, seine Frau und den kleinen Sohn. Doch dann schließt…mehr

Produktbeschreibung
Ein faszinierender, zerrissener Held, ein gewaltiges Panorama vom Vorabend des Zweiten Weltkriegs - Szczepan Twardochs großer Roman.
Warschau 1939: Leutnant Konstanty Willemann, vor dem Krieg ein Bonvivant, streift durch die zerbombte, soeben noch blühende Stadt, in der die deutsche Besatzung alle Freiheit erstickt. Konstanty, väterlicherseits selbst Deutscher, betäubt sich mit Alkohol und Morphin zerrissen zwischen seinem unsteten Leben mit rauschhaften Nächten bei der jüdischen Edelprostituierten Salomé und der Sorge um seine Familie, seine Frau und den kleinen Sohn. Doch dann schließt Konstanty sich dem Widerstand an. Getarnt mit der väterlichen Uniform und tadellos Deutsch sprechend, wagt er immer riskantere Aktionen und lernt sich bald als ein erschreckend anderer kennen. Eine konspirative Reise führt ihn durch eine Vorhölle verwüsteter Landschaften in das noch heile Budapest die Fahrt wird für Konstanty zur Prüfung, ob er sich dem Untergang, der Warschau ergriffen hat und ihn mitzureißen droht, noch entziehen kann ...
Sinnlich und radikal erzählt Szczepan Twardoch die Geschichte eines faszinierenden, schillernden Helden und entwirft ein großes Panorama vom Vorabend des Zweiten Weltkriegs voller Erinnerungen an unwiederbringlich zerstörte Schönheit, voll unvergesslicher Szenen, wie Konstanty Willemann gleichsam durch ein Fegefeuer zu sich selbst findet. Ein virtuoser, gewaltiger Roman.
Autorenporträt
Twardoch, SzczepanSzczepan Twardoch, geboren 1979, ist einer der herausragenden Autoren der Gegenwartsliteratur. Mit «Morphin» (2012) gelang ihm der Durchbruch. Für den Roman «Drach» wurden Twardoch und sein Übersetzer Olaf Kühl 2016 mit dem Brücke Berlin Preis geehrt, 2019 erhielt Twardoch den Samuel-Bogumil-Linde-Preis. Zuletzt erschienen die hochgelobten Romane «Der Boxer» (2018) und «Das schwarze Königreich» (2020). Szczepan Twardoch lebt mit seiner Familie in Pilchowice/Schlesien.

Kühl, OlafOlaf Kühl, 1955 geboren, studierte Slawistik, Osteuropäische Geschichte und Zeitgeschichte und arbeitete lange Jahre als Osteuropareferent für die Regierenden Bürgermeister von Berlin. Er ist Autor und einer der wichtigsten Übersetzer aus dem Polnischen und Russischen, u.a. wurde er mit dem Karl-Dedecius-Preis und dem Brücke Berlin-Preis ausgezeichnet. Sein zweiter Roman, «Der wahre Sohn», war 2013 für den Deutschen Buchpreis nominiert.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Rezensent Jens Bisky würdigt Szczepan Twardochs nun auch auf Deutsch erschienenen Roman "Morphin" mit einer hymnischen Besprechung. Selten hat der Kritiker einen derart gewaltigen und eindringlichen zeithistorischen Roman gelesen wie diese Geschichte um den jungen Konstanty Willemann, dessen Leben mit Frau und Kind, Huren, Wein und Wodka ein schlagartiges Ende nimmt, als Warschau von den Nazis besetzt wird, er sich vom polnischen Widerstand rekrutieren lässt und nach Budapest reist. Der Rezensent taucht hier in eine Welt zwischen "Kneipe und Kopulation" ein, bewundert an Tarantino geschulte erotisch flimmernde Episoden, ist ganz hingerissen von Twardochs ebenso derb-sarkastischer wie zärtlich-eleganter Kunst der "Knalleffekte" und lobt nicht zuletzt das Talent des Autors, die expressionistische Ästhetik der Zeit einzufangen. Und dass dieses wunderbare Buch dann auch noch derart brillant von Olaf Kühn ins Deutsche übertragen wurde, stimmt den Rezensenten vollends glücklich.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.02.2014

Diesen Mann ohne Eigenschaften treiben allein die Sucht und der Sex um
Der Krieg ist das Unästhetische: Szczepan Twardoch hat einen provokanten Roman über die deutsche Besetzung Warschaus geschrieben

Die "gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit" zwischen Polen und Deutschland hat sich seit dem entsprechenden Vertrag 1991 erfreulich entwickelt. Jedoch zeigt sich immer wieder einmal, jüngst in den Reaktionen auf die ZDF-Serie "Unsere Mütter, unsere Väter", dass der Versöhnungsprozess noch längst nicht abgeschlossen ist. Insbesondere sorgt jeglicher Anschein der Herabsetzung des Widerstands gegen die deutschen Besatzer in Polen für Empörung, vor allem bei Älteren. Das große Interesse, das der neue Roman des 1979 im schlesischen Zernicy geborenen Szczepan Twardoch erweckt hat, zeigt aber, dass das Thema auch für Jüngere nicht abgetan ist.

Die Handlung von "Morphin" spielt im September und Oktober 1939, von der Besetzung Warschaus über die territoriale Teilung Polens bis zum ersten Aufruf der Judenzählung unter dem Generalgouverneur Hans Frank. Den dreißig Jahre alten Ich-Erzähler Konstanty Willemann findet der Leser am vierzehnten Tag der Einnahme der polnischen Metropole in erbärmlicher Katerstimmung vor. Das kommt nicht nur von der Morphinabstinenz und den vier Flaschen Wein, die er am Vorabend einsam singend und weinend getrunken hat, sondern auch von seiner Demoralisierung angesichts der demolierten Stadt.

Obwohl Schlesier, versteht er sich nämlich als vorzüglicher Liebhaber Warschaus. Der "lächerliche kleine Krieg" aber hat sein von der Mutter finanziertes Leben als Bonvivant und Frauenheld zerstört. Nun betrachtet er die Stadt als vergewaltigt und geschändet. "Ich bin sehr erschöpft, und über meine Stadt herrschen die Deutschen." Mit Patriotismus hat das wenig zu tun. Als Leutnant bei den Ulanen war er kurz und wirkungslos an der Front, nach der Kapitulation hat er sich von der Truppe abgesetzt. "Ich sah mich damals nicht als Offizier oder Patriot, der fürs Vaterland zu sterben bereit war, ich empfand mich als ein Blatt, das vom Strom getragen wird."

Eigentlich ist unser Held ein ostpreußischer Adeliger, Graf Strachwitz von Gross-Zauche und Camminetz. Seine seltsame Mutter aber, passionierte Leserin des obszönen Werks von Georges Bataille, hat ihn zu einem Polen der besonderen Art erzogen, der adelige Affekthemmung wie die bürgerliche Moral hinter sich gelassen hat, um seine sexuellen Begierden ungehemmt auszuleben, vorzugsweise bei raffinierten Huren wie Sala, einer rothaarigen Jüdin, die er Salomé nennt oder Jauchegrube, die er malt und liebkost oder der er mit Nietzschekenntnissen ins Gesicht schlägt; "so muss man mit ihr reden, habe die Peitsche nicht vergessen, da ich zur Frau gehe". Wie er Pole zu werden sei nicht schwer: "Sie nehmen jeden. Ihrem Polentum schmeichelt jeder Deutsche, der Pole werden wollte, denn insgeheim verachten sie sich selbst."

Aber auch er schwankt je nach Morphin-, Kokain- und Alkoholspiegel zwischen Grandiosität und Selbstverachtung. "Ich bin Konstanty Willemann", sagt er unzählige Mal im Verlauf des Romans, was seine instabile Identität und Willensschwäche nur unterstreicht. Er ist alles nur teilweise, ein halbherziger Künstler, ein halber Ehemann seiner schönen Hela mit dem vom NS-Bildhauer Josef Thorak bewunderten sportlich-germanischen Körperbau, ein schlechter Vater seines Sohns Jureczek, ein falscher, betrügerischer Freund seinem Schulkameraden Jacek, dem Arzt, dem er das Morphin abluchst und dessen Frau Iga er schändet. Ein Mann ohne Eigenschaften, umgetrieben nur von Sucht und Sex, "Verschwender, Hurenbock und Morphinist".

Die Darstellung Warschaus hinterlegt Twardoch mit Anspielungen auf die dekadente Szenerie der expressionistischen Darstellung des Großstadtlebens im frühen zwanzigsten Jahrhundert bei Egon Schiele oder Ernst Ludwig Kirchner. Auch in den erzählerischen Mitteln greift der Autor virtuos auf die Techniken des modernistischen Romans zurück. Der Einsatz von innerem Monolog, Bewusstseinsstrom und erlebter Rede erinnert an Alfred Döblins "Berlin Alexanderplatz" (1929) und auch an Joyces "Ulysses" (1922). Wie Leopold Bloom oder Franz Biberkopf ist Konstanty Willemann ein Antiheld, der sich in den Straßen der großen Stadt treiben lässt. Die Rolle der Drogen im Buch und sein Titel verweisen zudem auf Pitigrillis Roman "Cocaina" (1921).

Eher zufällig verschlägt es Konstanty in den beginnenden Widerstand. Nach einigem Zögern wechselt er wieder die nationale Identität, mit seinem Wiener Tonfall eignet er sich für den konspirativen Einsatz in Budapest. "Polen braucht Ihr Deutsch, Ihren Onkel in der Wehrmacht, Ihre aristokratischen deutschen Blutsbande." Überhaupt ereignen sich unter der deutschen Besatzung lächerlich anmutende theaterhafte Identitätswechsel. Seine Mutter, die Polin aus Überzeugung, findet Konstanty nun in der Uniform der NS-Frauenschaft als Leiterin der Germanisierungsbehörde wieder. Er selbst aber steckt als Offizier der Geheimen Feldpolizei schließlich in der Montur seines Vaters. So wächst ihm unversehens der herrische Blick des Mächtigen zu. Polen ist ihm nach wie vor egal, seine Mission begreift er als Chance der Umkehr und Bewährung vor sich selbst. Mit der geheimnisvollen Adeligen Dzidzia begibt er sich auf die Reise ins noch unversehrte Budapest. Dort, im Marmor und Gold des Hotels Gellert, findet er vor allem das schöne Leben wieder. "Die Stadt verändert uns, sie macht uns wieder zu Menschen." Zurück in Warschau, aber holt ihn ein, was er vorher angerichtet hat.

Wie bei Döblin wird der Herumtreiber oft angeredet. "Also gehst du weiter, die Marszalkowska, gehst langsam, wie beim Spazieren, neben dir treiben graugrüne Uniformen die Juden zur Arbeit, und sie tun dir nicht mal besonders leid, die Juden nicht und die Antreiber auch nicht, auch du selbst tätest dir nicht leid, wenn du angetrieben wärst oder selbst antreiben würdest." Das sagt eine die Form des historischen Romans aufbrechende zweite Erzählinstanz, die kommentierend ins Geschehen eingreift. Es handelt sich um eine hybride philosophisch-mythologische Konstruktion, buddhistische Weltseele, Ich und Nicht-Ich zugleich, Seelenvogel, schwarze Substanz ausgießende Schicksalsgöttin, unkörperlich personifizierte Melancholie, jedenfalls aber um eine weibliche Instanz, die ein gewisses Interesse an Willemanns körperlichen Vorzügen zeigt.

Sie betrachtet ihren Konstanty von oben herab, immer wieder wird er als "Dummerchen" bezeichnet. Das geht dem Leser gelegentlich auf die Nerven, zumal diese Erzählstimme zunehmend weitschweifig allerlei obskure Weisheiten von sich gibt, die schließlich auf "Nichts ist für etwas" hinauslaufen. Das geschieht aber nicht ohne Ironie, das Gedächtnis der anscheinend allwissenden Erzählerin reicht zwar über Zeiten und Räume hinweg zurück in Konstantys Kindheit, in Vergangenheit und Zukunft der Menschheit, doch vertut sie sich öfter einmal und scheint im Übrigen selbst Identitätsprobleme zu haben. Sinngebung, Kausalität und moralische Bewertung verweigert auch sie. Es gibt kein Mitleid für die Opfer, keine Verurteilung der Täter und keine Bewunderung für die Helden des Widerstands. Der Roman interessiert sich nur für Individuen. Der Krieg aber erscheint in "Morphin" als das Kontingente, das alles verdirbt, die Liebe, die Freundschaft und das schöne Leben. Der Krieg ist das ultimativ Unästhetische.

Ähnlich wie in Jonathan Littells "Les Bienveillantes" (2006) wird auch in Szczepan Twardochs "Morfina" (2012) das Zynische und Dekadente, das Obszöne und auch das Sentimentale mit einem ziemlich dicken expressionistischen Pinsel aufgetragen, gelegentlich am Rande des pornographischen Kitschs. Der Versuch, die Warschauer Ereignisse im Herbst 1939 aus den Ausdrucksformen der Epoche darzustellen, anstatt realistisch zu reproduzieren, was denn unseren Müttern und Vätern im Krieg widerfuhr, ist gleichwohl faszinierend. Die reflexive Durchbrechung dieses ästhetischen Historismus jenseits der Perspektive eines mehr oder minder abseitigen Helden durch eine zweite, gelegentlich sonderbar mütterlich klingende Erzählinstanz scheint aber die Schrecken des zwanzigsten Jahrhunderts an so etwas wie Karma, eine transzendente Gesetzmäßigkeit jenseits der Lebensspanne der handelnden oder erleidenden Figuren des Romans zu verweisen.

Das erscheint eher als mystischer denn als grässlicher Fatalismus im Sinne Büchners und kommt dem Leser zudem stellenweise irritierend unernst vor. Wenn aber der Krieg das Normale ist, sollte man lieber pervers sein, befand Franz Kafka, Ernst und bürgerliche Moral helfen beim Verständnis des Schrecklichen auch nicht weiter. Twardochs zum Glück von dem stilsicheren Slawisten und Romancier Olaf Kühl ins Deutsche gebrachter Roman sucht ein atmosphärisches Verständnis jenseits der ernsthaften Konstrukte der Geschichtsschreibung und stellt damit auch die gravitätischen Stereotypen der polnischen wie der deutschen Gedenkkultur so wüst wie kunstvoll und intelligent in Frage.

FRIEDMAR APEL

Szczepan Twardoch: "Morphin". Roman.

Aus dem Polnischen von Olaf Kühl. Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2014. 590 S., geb., 22,95 [Euro].

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Ein provokanter Roman über die deutsche Besetzung Warschaus. FAZ.NET