Semprun erzählt erstmals seine Überlebensgeschichte: Drei Monate lang gab er sich in Buchenwald als Sterbender aus, bis er letztlich an Stelle eines anderen für tot erklärt wurde. Diese List, sein offizieller Tod, rettete ihm das Leben.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.04.2002Überleben als ein Anderer
Mit Faulkner: Jorge Semprúns Erinnerungen an Buchenwald
Jorge Semprún wollte jahrelang nicht über seine Zeit im Konzentrationslager Buchenwald schreiben. Er wollte die Erinnerung nicht verdrängen, doch sollte diese ihn nicht an einem sehr aktiven - und im Untergrund gegen die Diktatur des Generals Franco auch sehr gefährlichen - Leben hindern. Die Leichtigkeit, mit der die Deutschen nach dem Kriegsende die unmittelbare Vergangenheit verdrängten, verwunderte ihn ebenso wie die Unwissenheit der siegreichen Alliierten.
Semprún selbst hatte sich vorgenommen, nie zu einem Veteranen zu werden. Er wollte kein Überlebender sein. "Vor den Wallfahrten, wie man die für die ehemaligen Deportierten und ihre Familien organisierten Reisen zu den Städten der einstigen Lager nannte, hat es mir immer gegraut", schrieb er in dem Roman "Was für ein schöner Sonntag" (1981). So lehnt er auch, als er noch Mitglied des Politbüros der Kommunistischen Partei Spaniens (PCE) war, die Einladung der DDR-Regierung ab, die Gedenkstätte Buchenwald zu besuchen. Aber er wollte nicht für immer schweigen.
Später, wenn niemand mehr davon rede, käme vielleicht die Zeit für ihn, darüber zu sprechen, heißt es in "Die große Reise". "Schreiben oder leben" lautete in den ersten zwei Jahrzehnten nach Buchenwald für ihn die alternative Fragestellung. Später wurde daraus "Schreiben, um weiterzuleben", und Jorge Semprún schrieb dann über Buchenwald. Sein erster Roman "Die große Reise" handelt noch vorwiegend von den in überfüllten Viehwagen transportierten hungernden Gefangenen aus Frankreich in das Konzentrationslager. Der erste Buchenwald-Roman war "Was für ein schöner Sonntag"; vorwiegend von den Tagen nach der Entlassung handelt "Leben oder Schreiben" (1994). Im vergangenen Jahr erschien in Paris "Le mort qu'il faut", jener autobiographische Roman, der jetzt auf deutsch unter dem Titel "Der Tote mit meinem Namen" vorliegt.
In dem neuen Buch erinnert sich Semprún am genauesten an Buchenwald. Es ist sicher die eindrucksvollste seiner Darstellungen des Lebens im Konzentrationslager, obwohl es auch in diesem Roman an Umwegen, Sprüngen, Rückblenden, Assoziationen und Vergleichen mit anderen Greuelkapiteln der jüngeren Geschichte - wie etwa dem GULag - nicht fehlt. Das Wechselspiel der Erinnerung ist zu einem Kennzeichen der Romantechnik Jorge Semprúns geworden. Die Obsession der Erinnerung, so meint er selbst, habe ihn wahrscheinlich zum Schriftsteller gemacht. "Der Kampf des Menschen gegen die Macht ist der Kampf der Erinnerung gegen das Vergessen." Jorge Semprún hat nichts dagegen, wenn man diesen Satz von Milan Kundera als Motto über sein ganzes Werk stellt.
In keinem seiner Bücher hat Semprún die scheußlichen Details der alltäglichen Realität in Buchenwald so genau und nüchtern dargestellt wie jetzt: die sadistische Mißhandlung und Erniedrigung durch die SS-Wächter, Fronarbeit, ständige Überwachung, völlige Erschöpfung und Hungertod. Für den im Alter von zwanzig Jahren nach Buchenwald deportierten Semprún ist der Hunger zu allen Tag- und Nachtstunden eine der intensivsten Erinnerungen geblieben. Dabei hatte er Glück: Als Mann des kommunistischen Widerstandes erhielt er mit Hilfe der geheimen, doch sehr effizienten Organisation seiner damaligen Partei eine vergleichsweise erträgliche Büroarbeit.
Buchenwald war auch eine Klassengesellschaft, in der die Minderheit aus Kriminellen bestand, die durchaus zu Spitzeldiensten für die Lagerleitung bereit waren. Die gut organisierten deutschen und russischen Kommunisten bildeten die Oberschichten. Die unterste Klasse bestand aus den sogenannten "Muselmanen", die Semprún in seiner Zeit vor den Erfahrungen im Konzentrationslager als Clochards oder Lumpenproletariat bezeichnet hätte. Es waren Menschen an der Grenze zwischen Leben und Tod, die, zur Arbeit nicht mehr fähig, nur noch auf einen qualvollen Tod warten konnten. Dort, bei diesen Menschen, findet die kommunistische Lagerorganisation auch den jungen todkranken französischen Studenten, dessen Namen Semprún annehmen wird.
Er war "Le mort qu'il faut" - der Tote, dessen es bedurfte. Den Toten brauchten sie, um Semprún eine neue Identität zu geben, nachdem aus Berlin eine Anfrage über ihn gekommen war. Wenn die deutsche Regierung sich für einen Häftling interessierte, das wußten die kommunistischen Hilfssekretäre in der Lagerverwaltung, bedeutete das gewöhnlich die Überführung des Betroffenen in ein Vernichtungslager, also in den sicheren Tod.
Die Verantwortlichen für die kommunistische Zelle Buchenwald wollten Semprún retten und ließen ihn deshalb bürokratisch sterben. Sie gaben ihm den Namen und die Papiere eines französischen "Muselmanen", der wenige Tage nach der Anfrage aus Berlin starb. Kurze Zeit später erfuhren sie dann, daß die Anfrage keine Gefahr für Semprún bedeutete. Das deutsche Außenministerium war von dem spanischen Botschafter in Paris um Auskunft gebeten worden. Diesen wiederum hatte Semprúns Vater, früher im diplomatischen Dienst der Republik, nun im französischen Exil und mit dem Botschafter Franco-Spaniens bekannt, um Informationen über seinen nach Deutschland deportierten Sohn gebeten.
Das Interesse eines "faschistischen" spanischen Botschafters für den Häftling bringt Semprún ein strenges Verhör durch die Verantwortlichen der kommunistischen Organisation in Buchenwald ein. Viele Jahre später in Prag erzählt ihm ein Mithäftling und Freund, daß die kommunistischen Zellenführer, die ihn damals der "Verbindung zum Feind" verdächtigten und in dem Buch mit ihren wirklichen Namen erscheinen, zu Opfern der stalinistischen Säuberungen wurden.
Die Rolle des Überlebenden, die Semprún nie übernehmen wollte, bringt kaum Ansehen, hingegen viel Ärger, auch Gefahren mit sich. In manchen kommunistischen Ländern wurden Überlebende, ob aus dem spanischen Bürgerkrieg oder aus den deutschen Konzentrationslagern, häufig als Verräter verfolgt. Das Glück, überlebt zu haben, meint Semprún, werde einem auch in demokratischen Ländern häufig vorgeworfen: "In allen Tönen, einschließlich dem der Gereiztheit. Oder des Argwohns, des Mißtrauens." Man solle sich schuldig fühlen, Glück gehabt zu haben, insbesondere das Glück, überlebt zu haben. Die Historiker und Soziologen mißtrauten den überlebenden Zeugen, die schließlich nicht bis an das Ende der Erfahrung gegangen, nicht daran gestorben seien. Die besten, die einzigen wahren Zeugen sind diesen Experten zufolge die Toten. Doch "wie sollen sie die wahren Zeugen, das heißt die Toten, zu ihren Kolloquien einladen? Wie sie zum Sprechen bringen?"
Semprún schreibt über Buchenwald ohne Haß und Rachegefühle, ohne Klage oder Anklage. Er berichtet sachlich und präzise und verschweigt auch nicht, was ihm häufig nicht geglaubt wurde, daß es in Buchenwald eine recht gute Bibliothek gab und er dort Hegels Werke und "Absalom, Absalom!" von William Faulkner, einem seiner Lieblingsautoren, gelesen hat. Ein Exemplar dieser ersten deutschen Ausgabe des Faulkner-Romans fand er später bei einem Besuch in der Wohnung von Hans Magnus Enzensberger, der ihm den Band schenkte. Semprún sprach, als er nach Buchenwald kam, gut Deutsch. Stellen aus der deutschen, der französischen und der spanischen Literatur wußte er auswendig, andere lernte er im Lager dazu. Literarische Zitate und die Aufführung einer Theatergruppe aus spanischen Häftlingen waren für ihn Mittel, die schlimme Wirklichkeit des Lagerlebens zeitweise zu verdrängen.
Jorge Semprún streut in diesen Roman viel mehr als in seine anderen auf französisch geschriebenen Werke spanische Sätze und Ausdrücke ein. Buchenwald, mit der dortigen Anwesenheit zahlreicher anderer "Rotspanier", hat ihn nach eigener Aussage wieder zu der spanischen Sprache zurückgebracht, nachdem er im französischen Exil in Paris zur Schule gegangen, dort studiert und in der Résistance gekämpft hatte: "Wenn ich nicht in Buchenwald mit so vielen spanischen Leidensgenossen gewesen wäre, hätte mein Leben wahrscheinlich einen anderen Verlauf genommen, wäre ich wohl nicht in den spanischen Untergrund gegangen, hätte die französische Nationalität übernommen und wäre schon früher französischer Schriftsteller und nicht vorher spanischer Politiker geworden."
Semprún schreibt weiterhin in beiden Sprachen, doch vorwiegend, wie er sagt "aus rein technischen Gründen", französisch. Sein bisher letztes Werk, "Der Tote mit meinem Namen", hätte er am liebsten - "wenn man das den Lesern zumuten könnte" - halb auf spanisch und halb auf französisch geschrieben. Mit der deutschen Literatur und Philosophie hat sich Jorge Semprún während seines ganzen Lebens beschäftigt. Er hegt keinerlei Ressentiments gegen Deutschland und die Deutschen und hat immer, auch in diesem Buch, die große deutsche Kultur den Greueltaten der deutschen Nationalsozialisten entgegengestellt. Als Kulturminister einer demokratischen spanischen Regierung hat er die intellektuellen und künstlerischen Begegnungen zwischen Spaniern und Deutschen konsequent gefördert. Die Deutschen haben erst spät von Jorge Semprún Notiz genommen. 1984 wurde er zum ersten Mal in die Bundesrepublik eingeladen von seinem deutschen Verlag nach Frankfurt. Zehn Jahre später erhielt er dann den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Jetzt sind seine Bücher sämtlich ins Deutsche übersetzt.
Jorge Semprún: "Der Tote mit meinem Namen". Aus dem Französischen übersetzt von Eva Moldenhauer. Suhrkamp Verlag, Frankfurt 2002. 210 S., geb., 18,90.
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Mit Faulkner: Jorge Semprúns Erinnerungen an Buchenwald
Jorge Semprún wollte jahrelang nicht über seine Zeit im Konzentrationslager Buchenwald schreiben. Er wollte die Erinnerung nicht verdrängen, doch sollte diese ihn nicht an einem sehr aktiven - und im Untergrund gegen die Diktatur des Generals Franco auch sehr gefährlichen - Leben hindern. Die Leichtigkeit, mit der die Deutschen nach dem Kriegsende die unmittelbare Vergangenheit verdrängten, verwunderte ihn ebenso wie die Unwissenheit der siegreichen Alliierten.
Semprún selbst hatte sich vorgenommen, nie zu einem Veteranen zu werden. Er wollte kein Überlebender sein. "Vor den Wallfahrten, wie man die für die ehemaligen Deportierten und ihre Familien organisierten Reisen zu den Städten der einstigen Lager nannte, hat es mir immer gegraut", schrieb er in dem Roman "Was für ein schöner Sonntag" (1981). So lehnt er auch, als er noch Mitglied des Politbüros der Kommunistischen Partei Spaniens (PCE) war, die Einladung der DDR-Regierung ab, die Gedenkstätte Buchenwald zu besuchen. Aber er wollte nicht für immer schweigen.
Später, wenn niemand mehr davon rede, käme vielleicht die Zeit für ihn, darüber zu sprechen, heißt es in "Die große Reise". "Schreiben oder leben" lautete in den ersten zwei Jahrzehnten nach Buchenwald für ihn die alternative Fragestellung. Später wurde daraus "Schreiben, um weiterzuleben", und Jorge Semprún schrieb dann über Buchenwald. Sein erster Roman "Die große Reise" handelt noch vorwiegend von den in überfüllten Viehwagen transportierten hungernden Gefangenen aus Frankreich in das Konzentrationslager. Der erste Buchenwald-Roman war "Was für ein schöner Sonntag"; vorwiegend von den Tagen nach der Entlassung handelt "Leben oder Schreiben" (1994). Im vergangenen Jahr erschien in Paris "Le mort qu'il faut", jener autobiographische Roman, der jetzt auf deutsch unter dem Titel "Der Tote mit meinem Namen" vorliegt.
In dem neuen Buch erinnert sich Semprún am genauesten an Buchenwald. Es ist sicher die eindrucksvollste seiner Darstellungen des Lebens im Konzentrationslager, obwohl es auch in diesem Roman an Umwegen, Sprüngen, Rückblenden, Assoziationen und Vergleichen mit anderen Greuelkapiteln der jüngeren Geschichte - wie etwa dem GULag - nicht fehlt. Das Wechselspiel der Erinnerung ist zu einem Kennzeichen der Romantechnik Jorge Semprúns geworden. Die Obsession der Erinnerung, so meint er selbst, habe ihn wahrscheinlich zum Schriftsteller gemacht. "Der Kampf des Menschen gegen die Macht ist der Kampf der Erinnerung gegen das Vergessen." Jorge Semprún hat nichts dagegen, wenn man diesen Satz von Milan Kundera als Motto über sein ganzes Werk stellt.
In keinem seiner Bücher hat Semprún die scheußlichen Details der alltäglichen Realität in Buchenwald so genau und nüchtern dargestellt wie jetzt: die sadistische Mißhandlung und Erniedrigung durch die SS-Wächter, Fronarbeit, ständige Überwachung, völlige Erschöpfung und Hungertod. Für den im Alter von zwanzig Jahren nach Buchenwald deportierten Semprún ist der Hunger zu allen Tag- und Nachtstunden eine der intensivsten Erinnerungen geblieben. Dabei hatte er Glück: Als Mann des kommunistischen Widerstandes erhielt er mit Hilfe der geheimen, doch sehr effizienten Organisation seiner damaligen Partei eine vergleichsweise erträgliche Büroarbeit.
Buchenwald war auch eine Klassengesellschaft, in der die Minderheit aus Kriminellen bestand, die durchaus zu Spitzeldiensten für die Lagerleitung bereit waren. Die gut organisierten deutschen und russischen Kommunisten bildeten die Oberschichten. Die unterste Klasse bestand aus den sogenannten "Muselmanen", die Semprún in seiner Zeit vor den Erfahrungen im Konzentrationslager als Clochards oder Lumpenproletariat bezeichnet hätte. Es waren Menschen an der Grenze zwischen Leben und Tod, die, zur Arbeit nicht mehr fähig, nur noch auf einen qualvollen Tod warten konnten. Dort, bei diesen Menschen, findet die kommunistische Lagerorganisation auch den jungen todkranken französischen Studenten, dessen Namen Semprún annehmen wird.
Er war "Le mort qu'il faut" - der Tote, dessen es bedurfte. Den Toten brauchten sie, um Semprún eine neue Identität zu geben, nachdem aus Berlin eine Anfrage über ihn gekommen war. Wenn die deutsche Regierung sich für einen Häftling interessierte, das wußten die kommunistischen Hilfssekretäre in der Lagerverwaltung, bedeutete das gewöhnlich die Überführung des Betroffenen in ein Vernichtungslager, also in den sicheren Tod.
Die Verantwortlichen für die kommunistische Zelle Buchenwald wollten Semprún retten und ließen ihn deshalb bürokratisch sterben. Sie gaben ihm den Namen und die Papiere eines französischen "Muselmanen", der wenige Tage nach der Anfrage aus Berlin starb. Kurze Zeit später erfuhren sie dann, daß die Anfrage keine Gefahr für Semprún bedeutete. Das deutsche Außenministerium war von dem spanischen Botschafter in Paris um Auskunft gebeten worden. Diesen wiederum hatte Semprúns Vater, früher im diplomatischen Dienst der Republik, nun im französischen Exil und mit dem Botschafter Franco-Spaniens bekannt, um Informationen über seinen nach Deutschland deportierten Sohn gebeten.
Das Interesse eines "faschistischen" spanischen Botschafters für den Häftling bringt Semprún ein strenges Verhör durch die Verantwortlichen der kommunistischen Organisation in Buchenwald ein. Viele Jahre später in Prag erzählt ihm ein Mithäftling und Freund, daß die kommunistischen Zellenführer, die ihn damals der "Verbindung zum Feind" verdächtigten und in dem Buch mit ihren wirklichen Namen erscheinen, zu Opfern der stalinistischen Säuberungen wurden.
Die Rolle des Überlebenden, die Semprún nie übernehmen wollte, bringt kaum Ansehen, hingegen viel Ärger, auch Gefahren mit sich. In manchen kommunistischen Ländern wurden Überlebende, ob aus dem spanischen Bürgerkrieg oder aus den deutschen Konzentrationslagern, häufig als Verräter verfolgt. Das Glück, überlebt zu haben, meint Semprún, werde einem auch in demokratischen Ländern häufig vorgeworfen: "In allen Tönen, einschließlich dem der Gereiztheit. Oder des Argwohns, des Mißtrauens." Man solle sich schuldig fühlen, Glück gehabt zu haben, insbesondere das Glück, überlebt zu haben. Die Historiker und Soziologen mißtrauten den überlebenden Zeugen, die schließlich nicht bis an das Ende der Erfahrung gegangen, nicht daran gestorben seien. Die besten, die einzigen wahren Zeugen sind diesen Experten zufolge die Toten. Doch "wie sollen sie die wahren Zeugen, das heißt die Toten, zu ihren Kolloquien einladen? Wie sie zum Sprechen bringen?"
Semprún schreibt über Buchenwald ohne Haß und Rachegefühle, ohne Klage oder Anklage. Er berichtet sachlich und präzise und verschweigt auch nicht, was ihm häufig nicht geglaubt wurde, daß es in Buchenwald eine recht gute Bibliothek gab und er dort Hegels Werke und "Absalom, Absalom!" von William Faulkner, einem seiner Lieblingsautoren, gelesen hat. Ein Exemplar dieser ersten deutschen Ausgabe des Faulkner-Romans fand er später bei einem Besuch in der Wohnung von Hans Magnus Enzensberger, der ihm den Band schenkte. Semprún sprach, als er nach Buchenwald kam, gut Deutsch. Stellen aus der deutschen, der französischen und der spanischen Literatur wußte er auswendig, andere lernte er im Lager dazu. Literarische Zitate und die Aufführung einer Theatergruppe aus spanischen Häftlingen waren für ihn Mittel, die schlimme Wirklichkeit des Lagerlebens zeitweise zu verdrängen.
Jorge Semprún streut in diesen Roman viel mehr als in seine anderen auf französisch geschriebenen Werke spanische Sätze und Ausdrücke ein. Buchenwald, mit der dortigen Anwesenheit zahlreicher anderer "Rotspanier", hat ihn nach eigener Aussage wieder zu der spanischen Sprache zurückgebracht, nachdem er im französischen Exil in Paris zur Schule gegangen, dort studiert und in der Résistance gekämpft hatte: "Wenn ich nicht in Buchenwald mit so vielen spanischen Leidensgenossen gewesen wäre, hätte mein Leben wahrscheinlich einen anderen Verlauf genommen, wäre ich wohl nicht in den spanischen Untergrund gegangen, hätte die französische Nationalität übernommen und wäre schon früher französischer Schriftsteller und nicht vorher spanischer Politiker geworden."
Semprún schreibt weiterhin in beiden Sprachen, doch vorwiegend, wie er sagt "aus rein technischen Gründen", französisch. Sein bisher letztes Werk, "Der Tote mit meinem Namen", hätte er am liebsten - "wenn man das den Lesern zumuten könnte" - halb auf spanisch und halb auf französisch geschrieben. Mit der deutschen Literatur und Philosophie hat sich Jorge Semprún während seines ganzen Lebens beschäftigt. Er hegt keinerlei Ressentiments gegen Deutschland und die Deutschen und hat immer, auch in diesem Buch, die große deutsche Kultur den Greueltaten der deutschen Nationalsozialisten entgegengestellt. Als Kulturminister einer demokratischen spanischen Regierung hat er die intellektuellen und künstlerischen Begegnungen zwischen Spaniern und Deutschen konsequent gefördert. Die Deutschen haben erst spät von Jorge Semprún Notiz genommen. 1984 wurde er zum ersten Mal in die Bundesrepublik eingeladen von seinem deutschen Verlag nach Frankfurt. Zehn Jahre später erhielt er dann den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Jetzt sind seine Bücher sämtlich ins Deutsche übersetzt.
Jorge Semprún: "Der Tote mit meinem Namen". Aus dem Französischen übersetzt von Eva Moldenhauer. Suhrkamp Verlag, Frankfurt 2002. 210 S., geb., 18,90
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