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Gerhard Lamprecht, 1897 in Berlin geboren und 1974 dort gestorben, war als Schauspieler, Autor und Regisseur an knapp 70 Filmen beteiligt. Er bediente viele Genres, doch ragen dabei seine Berlin-Filme heraus. Einen Bruch in der Kontinuität seines Arbeitens gab es trotz der politischen Wandlungen in Deutschland nicht. Seine Filme standen immer in der Zeit - bis in die späten 1950er Jahre. Bereits als Zehnjähriger begann er mit der Anlage eines Filmarchivs, das er später seine "Kinemathek" nannte. 1962 wurde sie vom Land Berlin erworben, die Geschichte der einst privaten Sammlung setzt sich bis…mehr

Produktbeschreibung
Gerhard Lamprecht, 1897 in Berlin geboren und 1974 dort gestorben, war als Schauspieler, Autor und Regisseur an knapp 70 Filmen beteiligt. Er bediente viele Genres, doch ragen dabei seine Berlin-Filme heraus. Einen Bruch in der Kontinuität seines Arbeitens gab es trotz der politischen Wandlungen in Deutschland nicht. Seine Filme standen immer in der Zeit - bis in die späten 1950er Jahre. Bereits als Zehnjähriger begann er mit der Anlage eines Filmarchivs, das er später seine "Kinemathek" nannte. 1962 wurde sie vom Land Berlin erworben, die Geschichte der einst privaten Sammlung setzt sich bis heute als gemeinnütziges Angebot fort: die Deutsche Kinemathek. Als Herr und Historiker seines eigenen Materials führte Lamprecht auch zahlreiche Interviews mit Filmschaffenden. Die drei Bände der "Edition Gerhard Lamprecht" beschreiben das filmische Werk Lamprechts, führen ein in die Geschichte des Filmsammelns in Deutschland und spüren der Entstehung einer fillmhistorischen Methode nach - dem auf Tonband fixierten Interview, dessen Ziel die subjektiv angeordnete Versammlung von möglichst vielen geschichtlichen Fakten ist. "Die Deutsche Kinemathek ist ein Museum - und mehr. Seit ihrer Gründung vor 50 Jahren dient ihr großes Archiv der Forschung zur Geschichte der bewegten Bilder. Heute und künftig ist sie zudem ein lebendiger Ort publikumswirksamer Präsentationen zu Film und Fernsehen." (Rainer Rother, Künstlerischer Direktor der Deutschen Kinemathek)Rolf Aurich beschreibt die Entwicklung von Gerhard Lamprechts privatem Filmarchiv, den Weg ihres Schöpfers und zahlreicher anderer wichtiger Filmsammler und -archivare von den Anfängen bis in die späten 1970er Jahre, als endgültig der Versuch scheiterte, in Deutschland ein zentrales Filmarchiv zu schaffen.
Autorenporträt
Rolf Aurich (geb. 1960) lebt in Potsdam. Er ist an der Deutschen Kinemathek beschäftigt als Redakteur, Lektor und Autor. Zusammen mit Wolfgang Jacobsen gibt er die Reihen "Filit" und "Film & Schrift" heraus.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.01.2013

Nur in der Kulisse lauert die Geschichte

Der Regisseur Gerhard Lamprecht ist vergessen. Die Deutsche Kinemathek, deren Gründungsdirektor er war, ehrt ihn zum fünfzigjährigen Bestehen.

Der Regisseur Gerhard Lamprecht (1897 bis 1974) hat mehr als vierzig Spiel- und Dokumentarfilme gedreht, darunter Adaptionen von Dostojewskij ("Der Spieler") und Flaubert ("Madame Bovary"), historische ("Der alte Fritz") und Musikfilme ("Einmal eine große Dame sein"), Trümmerfilme ("Irgendwo in Berlin") und nicht zuletzt die erste - und bedeutendste - der vielen Verfilmungen von Erich Kästners Kinderbuch "Emil und die Detektive". Lamprechts Lebenswerk umspannt die Spätphase des Stummfilmkinos, die Anfänge des Tonfilms in der Weimarer Republik, die Zeit der Ufa im Nationalsozialismus, die vierziger und die bessere Hälfte der fünfziger Jahre. Ein filmisches Urgestein also, ein deutscher Klassiker in spe.

Aber Lamprecht ist zugleich so restlos vergessen, dass selbst Filmkritiker ihn gelegentlich mit dem Fassbinder-Schauspieler Günter Lamprecht verwechseln. Ein paar seiner Filme gibt es auf DVD (darunter das Hans-Albers-Vehikel "Ein gewisser Herr Gran" und die zweiteilige Reiterhofsaga "Meines Vaters Pferde"), andere laufen gelegentlich im Fernsehen, aber im Ganzen bleibt Lamprechts Werk ein verlorenes Erbteil der deutschen Filmgeschichte. Da kommt die dreiteilige Publikation, mit der die Deutsche Kinemathek in Berlin zu ihrem fünfzigsten Geburtstag ihren Gründervater ehrt, gerade recht. Denn Lamprecht hat nicht nur Regie geführt, er hat auch von frühester Jugend an Filmkopien, Kameras, Projektoren und andere Gerätschaften gesammelt, die den Grundstock der heute im Filmhaus am Potsdamer Platz residierenden Kinemathek bildeten. Im Sommer 1962 verkaufte Lamprecht seine Sammlung für gut 440 000 Mark an den Berliner Senat, am 1. Februar des folgenden Jahres wurde die Kinemathek als eingetragener Verein mit Lamprecht als erstem Direktor gegründet. Dass die Stadt Berlin, anders als etwa München und Frankfurt, sich lange weigerte, der Kinemathek ein eigenes Museum zu bauen (erst vor zwölf Jahren konnte sie mit Bundeshilfe am Potsdamer Platz einziehen), steht auf einem anderen Blatt.

Als "totalen Filmmenschen", der das Kino seiner Zeit "in allen Erscheinungen mit allen Sinnen aufgesogen" habe, bezeichnet Rolf Aurich in seiner Teilbiographie - die Jahre vor 1945 sind fast völlig ausgelassen - den Cineasten Lamprecht. Zugleich stellt er resümierend fest, dieser habe als Kinematheksdirektor "wie ein König ohne Reich" gewirkt, während die jüngeren Generationen an ihm vorbeigezogen seien. Beides prägt das Bild des Gründervaters bei Aurich: die Besessenheit, mit der Lamprecht Preziosen aus der Frühgeschichte des Kinos hortete und hütete; und die Engstirnigkeit, mit der er sich größeren Perspektiven, etwa der Zusammenarbeit mit anderen Sammlern und Institutionen, verweigerte.

Denn die fünfziger und frühen sechziger Jahre, auch das kann man bei Aurich nachlesen, waren für die deutsche Cinephilie eine Zeit der verpassten Chancen. Das Projekt einer nationalen Kinemathek nach dem Vorbild der Pariser Cinémathèque française, das von verschiedenen, vor allem westdeutschen Initiativen angestoßen wurde, kam nicht zustande, die museale Filmwissenschaft versank in Provinzialität. Das war nicht zuletzt auch Lamprechts Werk.

Andererseits sind da seine Filme. Zu ihnen bemerkt Aurich in einer verunglückten Formulierung, Lamprecht sei "nicht frei davon gewesen, NS-Einflüssen vollkommen zu widerstehen". Der sprachliche Ausrutscher markiert das ästhetisch-moralische Problem. Denn Lamprecht hat nicht nur nach dem 30. Januar 1933 weitergearbeitet, er hat zwei Drittel seiner Tonfilme unter der Ägide von Goebbels und der Ufa inszeniert. Wie subtil er sich der politischen Realität anbequemen konnte, sieht man etwa an der Komödie "Einmal eine große Dame sein", dem ersten Film, den Lamprecht nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten drehte und der im Februar auf der Berlinale in der Retrospektive zum "Weimar Touch" gezeigt wird.

Die Geschichte vom Büromädel Kitty (Käthe von Nagy) und seinem Traum vom gesellschaftlichen Aufstieg, der mit Hilfe einer australischen Millionärstochter und eines preußischen Gutsbesitzers in Erfüllung geht, schwimmt mit ihren Musiknummern und Mädelsfreundschaften noch ganz im Fahrwasser der "Drei von der Tankstelle", dockt aber im Hintergrund geschickt an die neue politische Bildsprache an. Die Landarbeiter nämlich, die dem Junker Wolf von Wolfenstein helfen, sein ererbtes Gut wieder in Schuss zu bringen, marschieren mit geschulterten Spaten in Reih und Glied ins Feld wie die Kolonnen der Reichsarbeitsdienste. Zur Anschaffung von Maschinen wird die Ahnengalerie der Familie versilbert, und am Ende stehen vier nagelneue Traktoren vor dem Gutshaus stramm. Die Romantik des Ladenmädchenkinos gerät in "Einmal eine große Dame sein" in den Sog der gesellschaftlichen Mobilmachung. In einer Flugschule werden bereits die kommenden Jagdfliegerasse ausgebildet. Nur schießen darf hier noch niemand, einstweilen ist Eros der Einzige, der ins Blaue zielt und trifft.

Wolfgang Jacobsen widmet dem Film in seiner Monographie zu Lamprechts Werk nur einen Absatz. Wichtiger sind ihm jene Kostümdramen und Melos der dreißiger Jahre, in denen die Tendenz des Lamprechtschen Kinos unverbrämter zum Vorschein kommt: das populäre Hurrapreußentum in "Der höhere Befehl", der kolonialistische Blick in "Die gelbe Flagge", am schlimmsten vielleicht der vom Euthanasiedenken infizierte Vitalismus in "Du gehörst zu mir". Aber es gibt auch Gegenbeispiele, die Fontane-Paraphrase "Die Geliebte" (nach "Irrungen, Wirrungen") etwa, in der Jacobsen "eine fatalistische Haltung, abwartend, ergebend, ohne Aufbruch" gespiegelt sieht, oder die in Wien spielende Gangster- und Liebesgeschichte "Frau im Sturm", die in Jacobsens Nacherzählung wie ein Zwilling von Käutners "Große Freiheit Nr. 7" wirkt.

Jacobsens Analysen, klug, leidenschaftlich, manchmal schneidend, ohne je hämisch zu werden, sind ein Höhepunkt der Filmpublizistik dieser Jahre. Man könnte seitenlang daraus zitieren, aber vielleicht genügt auch ein einziger Satz: "Lamprecht scheint keine rechte Haltung zu den Dingen zu haben, bevor er sie nicht gefilmt hat." Das erklärt, warum Lamprechts Kino so unbeschränkt anschlussfähig war, erst an die linke Sozialkritik der zwanziger Jahre, dann an die völkischen Klischees der Nazis, schließlich an die zartbitteren Stereotype der frühen fünfziger Jahre. Es erklärt aber auch, warum Rossellinis "Deutschland im Jahre Null" ein großes filmisches Gemälde der zerstörten Menschlichkeit geworden ist, während Lamprechts "Irgendwo in Berlin", zwei Jahre zuvor entstanden, trotz engverwandter Dramaturgie und Motivik im Anekdotischen stecken bleibt. Lamprecht war ein Bebilderer, kein Erzähler; er sammelte Augenblicke und Figuren, so wie er die Zeugnisse des frühen Kinos aufhob, vom Detail besessen und für das Ganze blind.

Das gilt auch für die von Eva Orbanz ausgewählten Gespräche Lamprechts mit Zeitzeugen im Abschlussband der Edition. Es geht darin um Schünzel, Lubitsch, Lang und May, um Jules Grünbaum alias Greenbaum und viele andere, aber immer nur im technischen und biographischen Detail. Die Geschichte, die alle diese Namen durcheinanderwarf und zerstreute, bleibt in die Kulisse verbannt. Aber gerade das macht Lamprechts Filme heute für uns interessant: dass sie verschweigen, was wir wissen.

ANDREAS KILB

Rolf Aurich: Mosaikarbeit. Gerhard Lamprecht und die Welt der Filmarchive / Wolfgang Jacobsen: Zeit und Welt. Gerhard Lamprecht und seine Filme / Eva Orbanz: Miteinander und Gegenüber. Gerhard Lamprecht und seine Zeitzeugengespräche. edition text + kritik, Richard Boorberg Verlag, München 2013, 212 S./152 S./205 S., zusammen 67,- [Euro].

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