Spricht man von Mosaikkunst, denkt man meist an Fußböden der griechisch-römischen Antike oder an sakrale Räume des Byzantinischen Reiches. Dass ausgerechnet die anti-religiöse Sowjetunion diese Kunstform zur Blüte führte, ist hierzulande hingegen wenig bekannt. Heute sind die oft monumentalen Fassadenmosaiken in den Nachfolgestaaten der UdSSR zu Schaufenstern einer vergangenen Welt geworden: Kosmonauten, Pioniere und Kolchosbauern illustrieren das Universum staatlich kontrollierten sowjetischen Lebens. Vor allem an den Rändern des früheren Riesenreiches zeigen sich aber auch kreativ verschlüsselte Zeichen des Widerstandes gegen den Moskauer Zentralismus. Um zu erkennen, dass Kunst in der Sowjetunion mehr war als gleichförmiger »Sozialistischer Realismus«, ist allerdings Eile geboten. Denn auch wenn der Homo sovieticus nach wie vor auf zahlreichen Hausfassaden, Brunnen oder Busstationen hoffnungsfroh in die Zukunft blickt, leiden viele der Kunstwerke unter Vandalismus, Verfall undAbriss. Das Buch zeigt eine das breite Spektrum an Gestaltungen und Motiven abdeckende Auswahl von Mosaiken aus Armenien, Aserbaidschan, Georgien, Kasachstan, Kirgistan, Moldawien, Tadschikistan, Turkenistan, Usbekistan, Weißrussland und der Ukraine, um dieses singuläre kultur- und kunsthistorische Erbe des 20. Jahrhunderts vor dem Vergessen zu bewahren.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 29.04.2019Freude an Witz und Geschmack
Der wundervolle Band „Mosaiki“ erschließt den Kosmos öffentlicher Bildkunst im sowjetischen Raum.
Er ist auch ein Appell, die bröckelnden Werke zu bewahren
VON GUSTAV SEIBT
Der Westen hatte Werbung, der Osten Propaganda: So sortierte sich die Gestaltung des öffentlichen Raums in der Weltkarte bis 1989. Werbung ist flüchtig und wechselhaft, Propaganda muss dauern und sich wiederholen. In der Werbung agieren Markt und Gesellschaft, bei der Propaganda sprechen der Staat und die Kollektive. Werbung setzt auf Reize, Propaganda verkündet Botschaften. Sie beerbt dabei auch religiöse Kunst, sie hat einen Zug ins Monumentale, denn sie richtet sich nicht an Zielgruppen, sondern an die Gesellschaft insgesamt. Daher ist ihr Fach eher das Pathos, der hohe Ton, nicht die spielerische Pointe oder gar Ironie.
Der Bildband „Mosaiki“ von Katja Koch und Aram Galstyan erinnert an den verbröckelnden Kosmos öffentlicher Bildkunst im weiten sowjetischen Raum. Bilder wurden hier nicht nur gemalt, sondern mehr noch in Steine gelegt, als Mosaiken mit farbigem Glas, als Intarsien aus gebrochenen oder geschnittenen Steinen, auf Platten, aber auch in wulstartigen Reliefformen, in riesigen Ornamenten, in Mischformen mit Kacheln, bunt oder zweifarbig, geometrisch-stilisiert oder klassizistisch-realistisch.
Eine Welt von sinnverwirrender Stilfülle tut sich auf. Nicht nur wandeln sich die offiziellen Formen – in den Sechzigerjahren herrscht schwungvoll gezeichnete, nur halbrealistische Geometrie, während davor muskulöser Klassizismus zu sehen war –, dazu greifen die öffentlichen Kunstwerke den lokalen, folkloristischen Formenschatz vor allem der sowjetischen Peripherie auf.
Bushaltestellen in Aserbaidschan gleichen orientalischen Teehäuschen oder Zelten, gar kleinen Burgen, die kleinteilige Teppichmuster den steppenartigen Riesenweiten entgegensetzen, in denen man sehr lange auf die Busse warten muss: Ach, wer da Wasserpfeifen und Märchen in Gepäck hat!
Der sowjetische Kunstraum feierte Arbeit, Wissenschaft, Sport, er lobte die Berufe, er kam Kindern auf Spielplätzen und in Puppentheatern entgegen. Eine Weberei hat also die von Stoffbahnen umwallte Allegorie der Webkunst über dem Eingang schweben, ein Sportpalast lässt einen strammen Hockeyspieler mit elegantem Schwung seine Trophäe emporhalten. Wissenschaftler arbeiten mit Zackenstrahlen am Atom oder vernichten den Krebs. Raumfahrt in Helmanzügen bekundet Stolz auf den erreichten Fortschritt und Vorsprung. Brunnen plätschern aus knallbunten Fischen, auf Hauswänden ranken Blumen oder schweben Familien in die Höhe. Die Natur ist schön und nutzbar, Getreideähren und Vögel stimmen hoffnungsvoll. Steinerner, farbiger Optimismus leuchtet über den Plätzen.
Je länger man blättert, umso mehr kommt man ins Staunen über die schiere Fülle der Möglichkeiten: Selbst impressionistisch verwischter, spätantik anmutender Pointillismus – offenbar bei seiner Entstehung schon überraschend – haucht den Betrachter zart von einer kirgisischen Forschungsinstitutsfassade (in Bischkek) an: entstanden 1978.
Neben solchen Höchstleistungen wirkt die schlichte Handwerkerkunst ebenso bewegend, die auf den flachen Giebelwänden von landwirtschaftlichen Lagerhallen ein paar Tiere und Hirten hinterließ oder am Spielplatzrand hüpfende Kinder. Nicht nur ein Hauch von derber Volkskunst erscheint da.
Die Utopie, die in den Großformen gewaltsam aufscheint, zeigt sich im Kleinen als rührend naive Hoffnung auf ein gutes Leben, auf etwas Schmuck im Grau des Alltags, auf Gemeinschaft in der Masse. Die Monumentalität in Bahnhöfen und Kulturpalästen sollte unverkennbar auch etwas Erhebendes zeigen, den Einzelnen als Teil von etwas Größerem zeigen. Wie bedrückend war das? Das können nur die sagen, die jahrzehntelang mit dieser Kunst leben mussten.
Heute altert sie unübersehbar, nicht nur weil die Utopie, für die sie stand, verweht ist, sondern weil die Mosaiken bröckeln und das scheinbar dauerhafte Medium seine Fragilität beweist. Oft sind die Umgebungen der zunehmend verschollenen Kunstwerke verwahrlost, die Wände schmutzig, das Bodenpflaster von Gras überwuchert. Der Buntheit tut dies kaum einen Abbruch, doch der umgebende Beton wird immer schwärzlicher.
Diese Vergänglichkeit versöhnt auch mit der Überwältigungsästhetik, die hier oft wirken soll – man erfährt die Gebrechlichkeit der menschlichen Projekte, und es bleibt die Freude an Erfindungsgeist, Witz, Geschmack, und ja, auch an den Hoffnungen, die hier aus der Vergangenheit zurückglühen wie aus byzantinischen Kirchen.
Der wundervolle Band ist auch ein Appell, das drohende Verschwinden vieler Kunstwerke aufzuhalten. Man sollte sie bewahren, die Namen ihrer Urheber sichern, ihre Stile erforschen und den Menschen, die heute mit ihnen leben und sie besuchen, ihren Wert bewusst machen.
Katja Koch und Aram Galstyan: Mosaiki. Bruchstücke einer Utopie: Mosaiken im postsowjetischen Raum. Zweisprachig deutsch-englisch. Lukas-Verlag, Berlin 2019. 288 Seiten, zahlreiche Abbildungen, 39,80 Euro.
Eine Bushaltestelle an der Saljan-Neftschahala-Fernstraße in Aserbaidschan (links). Das Mosaik „Mädchen mit Souvenir“ aus dem Jahr 1970 (rechts) wurde renoviert und an einem anderen Ort in Almaty, Kasachstan, neu installiert.
Foto: ©Lukas Verlag
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Der wundervolle Band „Mosaiki“ erschließt den Kosmos öffentlicher Bildkunst im sowjetischen Raum.
Er ist auch ein Appell, die bröckelnden Werke zu bewahren
VON GUSTAV SEIBT
Der Westen hatte Werbung, der Osten Propaganda: So sortierte sich die Gestaltung des öffentlichen Raums in der Weltkarte bis 1989. Werbung ist flüchtig und wechselhaft, Propaganda muss dauern und sich wiederholen. In der Werbung agieren Markt und Gesellschaft, bei der Propaganda sprechen der Staat und die Kollektive. Werbung setzt auf Reize, Propaganda verkündet Botschaften. Sie beerbt dabei auch religiöse Kunst, sie hat einen Zug ins Monumentale, denn sie richtet sich nicht an Zielgruppen, sondern an die Gesellschaft insgesamt. Daher ist ihr Fach eher das Pathos, der hohe Ton, nicht die spielerische Pointe oder gar Ironie.
Der Bildband „Mosaiki“ von Katja Koch und Aram Galstyan erinnert an den verbröckelnden Kosmos öffentlicher Bildkunst im weiten sowjetischen Raum. Bilder wurden hier nicht nur gemalt, sondern mehr noch in Steine gelegt, als Mosaiken mit farbigem Glas, als Intarsien aus gebrochenen oder geschnittenen Steinen, auf Platten, aber auch in wulstartigen Reliefformen, in riesigen Ornamenten, in Mischformen mit Kacheln, bunt oder zweifarbig, geometrisch-stilisiert oder klassizistisch-realistisch.
Eine Welt von sinnverwirrender Stilfülle tut sich auf. Nicht nur wandeln sich die offiziellen Formen – in den Sechzigerjahren herrscht schwungvoll gezeichnete, nur halbrealistische Geometrie, während davor muskulöser Klassizismus zu sehen war –, dazu greifen die öffentlichen Kunstwerke den lokalen, folkloristischen Formenschatz vor allem der sowjetischen Peripherie auf.
Bushaltestellen in Aserbaidschan gleichen orientalischen Teehäuschen oder Zelten, gar kleinen Burgen, die kleinteilige Teppichmuster den steppenartigen Riesenweiten entgegensetzen, in denen man sehr lange auf die Busse warten muss: Ach, wer da Wasserpfeifen und Märchen in Gepäck hat!
Der sowjetische Kunstraum feierte Arbeit, Wissenschaft, Sport, er lobte die Berufe, er kam Kindern auf Spielplätzen und in Puppentheatern entgegen. Eine Weberei hat also die von Stoffbahnen umwallte Allegorie der Webkunst über dem Eingang schweben, ein Sportpalast lässt einen strammen Hockeyspieler mit elegantem Schwung seine Trophäe emporhalten. Wissenschaftler arbeiten mit Zackenstrahlen am Atom oder vernichten den Krebs. Raumfahrt in Helmanzügen bekundet Stolz auf den erreichten Fortschritt und Vorsprung. Brunnen plätschern aus knallbunten Fischen, auf Hauswänden ranken Blumen oder schweben Familien in die Höhe. Die Natur ist schön und nutzbar, Getreideähren und Vögel stimmen hoffnungsvoll. Steinerner, farbiger Optimismus leuchtet über den Plätzen.
Je länger man blättert, umso mehr kommt man ins Staunen über die schiere Fülle der Möglichkeiten: Selbst impressionistisch verwischter, spätantik anmutender Pointillismus – offenbar bei seiner Entstehung schon überraschend – haucht den Betrachter zart von einer kirgisischen Forschungsinstitutsfassade (in Bischkek) an: entstanden 1978.
Neben solchen Höchstleistungen wirkt die schlichte Handwerkerkunst ebenso bewegend, die auf den flachen Giebelwänden von landwirtschaftlichen Lagerhallen ein paar Tiere und Hirten hinterließ oder am Spielplatzrand hüpfende Kinder. Nicht nur ein Hauch von derber Volkskunst erscheint da.
Die Utopie, die in den Großformen gewaltsam aufscheint, zeigt sich im Kleinen als rührend naive Hoffnung auf ein gutes Leben, auf etwas Schmuck im Grau des Alltags, auf Gemeinschaft in der Masse. Die Monumentalität in Bahnhöfen und Kulturpalästen sollte unverkennbar auch etwas Erhebendes zeigen, den Einzelnen als Teil von etwas Größerem zeigen. Wie bedrückend war das? Das können nur die sagen, die jahrzehntelang mit dieser Kunst leben mussten.
Heute altert sie unübersehbar, nicht nur weil die Utopie, für die sie stand, verweht ist, sondern weil die Mosaiken bröckeln und das scheinbar dauerhafte Medium seine Fragilität beweist. Oft sind die Umgebungen der zunehmend verschollenen Kunstwerke verwahrlost, die Wände schmutzig, das Bodenpflaster von Gras überwuchert. Der Buntheit tut dies kaum einen Abbruch, doch der umgebende Beton wird immer schwärzlicher.
Diese Vergänglichkeit versöhnt auch mit der Überwältigungsästhetik, die hier oft wirken soll – man erfährt die Gebrechlichkeit der menschlichen Projekte, und es bleibt die Freude an Erfindungsgeist, Witz, Geschmack, und ja, auch an den Hoffnungen, die hier aus der Vergangenheit zurückglühen wie aus byzantinischen Kirchen.
Der wundervolle Band ist auch ein Appell, das drohende Verschwinden vieler Kunstwerke aufzuhalten. Man sollte sie bewahren, die Namen ihrer Urheber sichern, ihre Stile erforschen und den Menschen, die heute mit ihnen leben und sie besuchen, ihren Wert bewusst machen.
Katja Koch und Aram Galstyan: Mosaiki. Bruchstücke einer Utopie: Mosaiken im postsowjetischen Raum. Zweisprachig deutsch-englisch. Lukas-Verlag, Berlin 2019. 288 Seiten, zahlreiche Abbildungen, 39,80 Euro.
Eine Bushaltestelle an der Saljan-Neftschahala-Fernstraße in Aserbaidschan (links). Das Mosaik „Mädchen mit Souvenir“ aus dem Jahr 1970 (rechts) wurde renoviert und an einem anderen Ort in Almaty, Kasachstan, neu installiert.
Foto: ©Lukas Verlag
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.02.2020Splitter der Utopie
Zukunftsvision mit Ewigkeitshoffnung: Ein Bildband über Mosaike in Ländern der ehemaligen Sowjetunion
Von Kerstin Holm
Dass die Sowjetunion einen neuen, fortschrittsfrohen Menschen heranziehen wollte und das in gewissem Maß auch geschafft hat, vergegenwärtigen die großformatigen Mosaiken, die man bis heute an öffentlichen Gebäuden im postsowjetischen Raum von Kiew bis Almaty, von Tbilissi bis Taschkent und Duschanbe bewundern kann. Diese didaktische Kunst am Bau, die statt der im Sozialismus nahezu inexistenten Werbung den Heroismus der Arbeit, den Wert von Bildung und die Errungenschaften sowjetischer Technologie verherrlicht, erlebte in den dreißiger Jahren ihre erste Blüte in Russland, zumal in Moskaus Metrostationen, und breitete sich nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in die anderen Republiken aus. Die Rostocker Pädagogikdozentin Katja Koch und der aus Armenien stammende Kunstdozent Aram Galstyan haben Mosaike, die unter der Sowjetmacht während der sechziger bis achtziger Jahre in den nichtrussischen Republiken entstanden sind, in einer schönen und instruktiven Publikation zusammengetragen. Das Buch bringt die Ernte ausgedehnter Reisen durch die Ukraine und Weißrussland, den Transkaukasus und Zentralasien ein. Die aus farbigen Stein- oder Keramikfragmenten zusammengesetzten Bildwerke reanimieren eine Technik, die in der römischen Antike wurzelt und in Byzanz eine sakrale Aura erwarb, um nun damit die Verheißungen des Sowjetsozialismus anschaulich zu machen. Das wird insbesondere am beliebten Sujet sowjetischer Kosmonauten deutlich, die wie lächelnde Engelwesen des technischen Zeitalters ein Kino in Bischkek, einen Verlag in Jerewan, ein Wohnhaus in Duschanbe, eine Metrostation in Minsk schmücken. Bändigung der Natur durch Wissenschaft war der neue Glaube. Ihn verkündet die halbplastische, eine steinerne Flamme vor sich hertragende Prometheusfigur am Kulturhaus der westukrainischen Industriestadt Burschtyn, aber auch der weißgewandete Gelehrte am Kiewer Krebsinstitut, der erzengelgleich einen Drachen erlegt, sowie der Feuerwehrmann an der Feuerwache von Tbilissi, der wie Superman schlangenförmige, vielköpfige Flammen mit bloßen Händen bezwingt. Darstellungen fleißiger Schüler an einem Kindergarten in Almaty sowie junger Techniker an einem Filmtheater und einer Druckerei in Duschanbe weisen den Weg aus der Rückständigkeit. Die Mosaikkünstler griffen, etwa bei Sportdarstellungen, gern auf eine antikisierende Formsprache zurück, daneben aber immer auch auf die regionale Folklore. Das verankerte die Monumentalpropaganda lokal, machte zugleich aber die nationalen Identitäten sichtbar, an denen das Völkermosaik der Sowjetunion am Ende zerbrach.
"Mosaiki. Bruchstücke einer Utopie: Mosaiken im postsowjetischen Raum". Lukas Verlag, Berlin 2019. 288 Seiten, 510 Abbildungen. Gebunden, 39,80 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Zukunftsvision mit Ewigkeitshoffnung: Ein Bildband über Mosaike in Ländern der ehemaligen Sowjetunion
Von Kerstin Holm
Dass die Sowjetunion einen neuen, fortschrittsfrohen Menschen heranziehen wollte und das in gewissem Maß auch geschafft hat, vergegenwärtigen die großformatigen Mosaiken, die man bis heute an öffentlichen Gebäuden im postsowjetischen Raum von Kiew bis Almaty, von Tbilissi bis Taschkent und Duschanbe bewundern kann. Diese didaktische Kunst am Bau, die statt der im Sozialismus nahezu inexistenten Werbung den Heroismus der Arbeit, den Wert von Bildung und die Errungenschaften sowjetischer Technologie verherrlicht, erlebte in den dreißiger Jahren ihre erste Blüte in Russland, zumal in Moskaus Metrostationen, und breitete sich nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in die anderen Republiken aus. Die Rostocker Pädagogikdozentin Katja Koch und der aus Armenien stammende Kunstdozent Aram Galstyan haben Mosaike, die unter der Sowjetmacht während der sechziger bis achtziger Jahre in den nichtrussischen Republiken entstanden sind, in einer schönen und instruktiven Publikation zusammengetragen. Das Buch bringt die Ernte ausgedehnter Reisen durch die Ukraine und Weißrussland, den Transkaukasus und Zentralasien ein. Die aus farbigen Stein- oder Keramikfragmenten zusammengesetzten Bildwerke reanimieren eine Technik, die in der römischen Antike wurzelt und in Byzanz eine sakrale Aura erwarb, um nun damit die Verheißungen des Sowjetsozialismus anschaulich zu machen. Das wird insbesondere am beliebten Sujet sowjetischer Kosmonauten deutlich, die wie lächelnde Engelwesen des technischen Zeitalters ein Kino in Bischkek, einen Verlag in Jerewan, ein Wohnhaus in Duschanbe, eine Metrostation in Minsk schmücken. Bändigung der Natur durch Wissenschaft war der neue Glaube. Ihn verkündet die halbplastische, eine steinerne Flamme vor sich hertragende Prometheusfigur am Kulturhaus der westukrainischen Industriestadt Burschtyn, aber auch der weißgewandete Gelehrte am Kiewer Krebsinstitut, der erzengelgleich einen Drachen erlegt, sowie der Feuerwehrmann an der Feuerwache von Tbilissi, der wie Superman schlangenförmige, vielköpfige Flammen mit bloßen Händen bezwingt. Darstellungen fleißiger Schüler an einem Kindergarten in Almaty sowie junger Techniker an einem Filmtheater und einer Druckerei in Duschanbe weisen den Weg aus der Rückständigkeit. Die Mosaikkünstler griffen, etwa bei Sportdarstellungen, gern auf eine antikisierende Formsprache zurück, daneben aber immer auch auf die regionale Folklore. Das verankerte die Monumentalpropaganda lokal, machte zugleich aber die nationalen Identitäten sichtbar, an denen das Völkermosaik der Sowjetunion am Ende zerbrach.
"Mosaiki. Bruchstücke einer Utopie: Mosaiken im postsowjetischen Raum". Lukas Verlag, Berlin 2019. 288 Seiten, 510 Abbildungen. Gebunden, 39,80 Euro.
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