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Produktdetails
  • ISBN-13: 9783150180273
  • ISBN-10: 3150180279
  • Artikelnr.: 08518665
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 01.07.2003

So neblig ist die Nahe
Römisches Reich, Spätlese: Ausonius, Beamter und Poet
Hunger droht – falls der Freund den betrügerischen Verwalter nicht augenblicklich zwingt, auf ein Gut seines früheren Herrn mehrere Schiffsladungen vom veruntreuten Getreide zu schaffen. Sonst, so schreibt dieser Herr in einem dringlichen Brief, „wird es jener ganzen Hausgemeinschaft eines literaturkundigen Menschen nicht nach der Getreiderede des Tullius, sondern nach dem Curculio des Plautus ergehen”. Selige Zeiten, wo die Bedrängnis noch mit purer Gelehrsamkeit abzuwenden war! Ciceros Getreiderede handelte von landverwüstender Verwaltung des Getreidewesens, schlimm genug; aber schlimmer noch soll es gehen, man denke, so schlimm wie Curculio, dem „Mehlwurm” und Schmarotzer, der in der Plautuskomödie vor Hunger fast umkommt!
Es hat schon seine Ordnung, wenn der literaturkundige Ausonius (ca. 310-395) noch im Moment der Not die großen Autoren im Munde führt. Er verwendet, imitiert und übersteigert sie wann immer möglich auch dort, wo er dichtet. Und das ist sein Ruhm. Als ihn Kaiser Valentinian um 365 nach Trier an seinen Hof zieht, erteilt er ihm etwa den Auftrag zu einem Hochzeitsgedicht, einem cento, das vollständig aus Versatzstücken von Vergil-Versen geklittert ist; Ausonius erledigt das in zwei Tagen. Auch sein berühmtestes Werk, die Mosella, beginnt zwar etwa mit einer kurzen Reise auf der heute deshalb so genannten „Straße des Ausonius”, von der Nahe über den Hunsrück an die Mosel, aber es wird keine Schilderung eigenen Wanderns daraus, sondern wiederholt mit sorgsamen Anspielungen den Gang von Vergils Aeneas in die Unterwelt: über den Acheron, jetzt die neblige Nahe – durch den Tartarus, jetzt den waldig- finsteren Hunsrück – ins Elysium, jetzt das lichte Moseltal.
Das zeigt Paul Dräger in einem Band der Sammlung Tusculum, der neben dem großen Fluss- und Kaiser-Lob in glücklicher Auswahl zwei weitere Werke des Ausonius enthält. Der Mann ist ja keine Künstler-Existenz – die gibt es zu seiner Zeit nicht –, sondern Rhetorikprofessor und vor allem Staatsbeamter bis hinauf zum Konsul. Deshalb verspricht der Redakteur kaiserlicher Edikte in der Mosella – neben einer noch größeren Mosella: Dichtung ist grundsätzlich zum Übersteigern da – beispielsweise auch ein Gedicht auf andere Juristen, auf Munizipalräte, Rhetorikprofessoren, Provinzstatthalter und nicht zuletzt Grundbesitzer.
Das 4. Jahrhundert zeigt sich einem Herrn wie Ausonius noch einmal als der ruhig-goldene Herbst eines Reiches, der den unmittelbar bevorstehenden Winter seines Untergangs unvorstellbar macht. Dass wieder einmal ein Gekrönter ermordet wird, ist harmloser Alltag, aber nicht umsonst sind die vervierfachten Kaiserhöfe, nach dem Hereinbrechen der Alemannen im Jahrhundert zuvor, an die Grenzen des Reiches verlegt worden. Vom Trierer Hof aus, an der Grenze gegen die Germanen, werden nun vereinzelt Kriegszüge über den Rhein unternommen, und von einem davon erhält Ausonius ein versklavtes Sueben- Mädchen geschenkt, blond und blauäugig. Der lang verwitwete Sechzigjährige macht daraus eine Sammlung Gedichte auf seine Bissula, die durchaus nicht verschweigen, worin die Freude mit ihr vor allem bestand; was erhalten ist, bricht allerdings sehr bald ab.
Aber nicht nur die Germanen, denen das Reich alsbald zum Opfer fallen wird, senden so ihre Vorboten in dieses geruhsame Beamtenleben, sondern ebenso die zweite Macht, die der Antike ein Ende bereitet, das Christentum. Das enthalten, ergreifend und bedrückend, eine Handvoll Briefe, die zwischen Ausonius und einem Schüler und engen Freund wechseln – dem Adressaten des Hilferufs um Getreide. Dieser hatte sich taufen lassen und eine Christin geheiratet. Ausonius will das lange Schweigen des Fernen erst einmal ganz auf die Frau schieben und wirbt auf vielerlei, wie immer höchst literarische Weise um ein Zeichen des Freundes.
Ein letztes Lebenszeichen
Doch als dieser schließlich antwortet, in anspruchsvollen Versen wie Ausonius selbst, ist er verwandelt, ein unerreichbar Fremder, einem neuen Kaiser verpflichtet und das strenger als der loyalste Beamte dem seinen: dem Christus. So hat Ausonius zuletzt über eine gebrochene Freundschaft zu klagen, nicht ohne Verweis auf sämtliche bekannten Freundespaare der Antike, und umso bitterer, je mehr er die Klage durch Gelehrsamkeit mildert. Der Brief ist sein letztes Lebenszeichen.
Die neue Übersetzung in Prosa, vorbildlich wie die übrige Einrichtung des Bandes, gibt den lateinischen Text mit äußerster Genauigkeit wieder und achtet zugleich auf flüssig lesbare Verständlichkeit des Übersetzten – bei solcher Dichtung keine Kleinigkeit. Dafür nimmt sie, wo nötig, auch eine Ausführlichkeit in Kauf, die den Versen hier und da ihren Reiz rauben muss. Umso fruchtbarer dann der Blick wieder auf die linke Seite, wo das Latein, wie gelehrt auch immer, seinen wunderbaren Elan bewahrt; Ausonius weiß, wo er gelernt hat.
ESKE BOCKELMANN
DECIMUS MAGNUS AUSONIUS: Mosella. Bissula. Briefwechsel mit Paulinus Nolanus. Herausgegeben und übersetzt von Paul Dräger. Verlag Artemis & Winkler, Düsseldorf und Zürich 2002. 320 Seiten, 29,80 Euro.
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Das Preisgedicht auf die Mosel, das der gallische Rhetorikprofessor und Statthalter Ausonius in der Mitte des 4. Jahrhunderts verfasst hat, glitzert mit Zitaten der Klassiker. Auch hier finden wir eine Schädelstätte, sie bezeichnet den Sieg der Römer über die Gallier vier Jahrhunderte früher. Dass die luxuriösen Uferstädte bald selbst untergehen könnten, davon will der Dichter nichts wissen. Ein kulturoptimistischer Kurzführer in die spätrömische Provinz. Die Zeit