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Berlin - Moskau: Seit Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts sind diese Metropolen wichtige Fixpunkte im deutsch-russischen Geistesleben. Politische Umbrüche spiegelten sich hier im öffentlichen wie im privaten Leben wider. Unter dem Eindruck der bolschewistischen Revolution emigrierten russische Schriftsteller, Künstler und Intellektuelle nach Berlin; unter der Diktatur der Nationalsozialisten setzte eine Gegenbewegung ein. Heute spielen diese beiden Städte angesichts der Neuordnung des weltpolitischen Machtgefüges und der Grenzaufhebung bzw. -verschiebung zwischen den kulturellen Blöcken…mehr

Produktbeschreibung
Berlin - Moskau: Seit Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts sind diese Metropolen wichtige Fixpunkte im deutsch-russischen Geistesleben. Politische Umbrüche spiegelten sich hier im öffentlichen wie im privaten Leben wider. Unter dem Eindruck der bolschewistischen Revolution emigrierten russische Schriftsteller, Künstler und Intellektuelle nach Berlin; unter der Diktatur der Nationalsozialisten setzte eine Gegenbewegung ein. Heute spielen diese beiden Städte angesichts der Neuordnung des weltpolitischen Machtgefüges und der Grenzaufhebung bzw. -verschiebung zwischen den kulturellen Blöcken Europas wieder entscheidende Rollen.
Mit dramatischer Geschwindigkeit verändern Moskau und Berlin ihr Gesicht, und doch muss man sich fragen, ob das, "was im Werden ist, schon war", wie es Haralampi G. Oroschakoff, einer der Autoren dieses Bandes, als These formuliert. Elf sehr unterschiedliche Schriftsteller spüren diesen Veränderungen nach, um die Erfahrung dieser beiden hässlich-schönen urbanen Gebi lde, die Chaos und Ordnung zugleich in sich bergen, einander gegenüberzustellen. Kenntnisreich und doch mit eigenwilligem, unverstelltem Blick, geben sie sich den Stadterfahrungen hin, finden dafür unterschiedliche Sprachen und Bilder, kommen zu widersprüchlichen, sich jedoch nicht widerlegenden Schlüssen. Eine literarische Entdeckungsreise in altes Gebiet, das es neu zu erschließen gilt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.07.2001

Morgens Zartheit, abends Glut
Elf Schriftsteller besuchen Moskau und Berlin

An irgendeinem Wochentag, sagen wir an einem Dienstag, packt der Drang in Berlin die Koffer. Ohne einen Besuch in Moskau ist das weitere Leben sinnlos. Drei Flüge kann man nehmen: um 9 Uhr (Ankunft 13 Uhr 35), um 9 Uhr 25 (Ankunft 14 Uhr) und um 17 Uhr 35 (Ankunft 22 Uhr 05). Man fliegt rund drei Stunden. Die Zeitverschiebung liegt bei zwei Stunden. Man kann auch den Zug (es fährt nur ein einziger am Tag) nehmen. Das empfiehlt sich aber nicht. Denn man fährt endlos, neunundzwanzig Stunden lang. In Berlin Lichterfelde ginge es um 16 Uhr 06 los und in Moskau käme man, wenn es mit den anderen Fahrgästen gut läuft, einen ganzen Tag später um 22 Uhr völlig fertig mit den Nerven an. Mehr Verbindungen von Berlin nach Moskau gibt es nicht. Und umgekehrt (von Moskau nach Berlin) sieht es nicht schlechter aus.

Es könnte aber besser sein. Da taten sich eines Tages im vergangenen Jahr sechs russische und fünf deutsche Schriftsteller zusammen. Elf Schriftsteller also gingen auf Reisen. Sechs russische Schriftsteller fuhren nach Berlin und trafen dort die fünf deutschen Kollegen. Die russische Delegation bestand aus Andrej Bitow, Haralampi G. Oroschakoff, Jewgeni Popow, Lew Rubinstein, Michail Ryklin und Tatjana Schtscherbina. Darauf drehte man den Spieß um. Die fünf deutschen Schriftsteller fuhren nach Moskau und besuchten dort die sechs russischen Kollegen. Die deutsche Delegation achtete dabei mehr auf die Parität der Geschlechter, konnte sie aber nicht ganz erreichen. Zur Gruppe vereint reisten Katja Lange-Müller, Bernd Papenfuß, Elke Schmitter, Tilman Spengler und Hanns Zischler. Die Stimmung sowohl bei den Deutschen als auch bei den Russen einerseits, bei den Deutschen zusammen mit den Russen andererseits wird in diesen Tagen und Nächten gut gewesen sein, und notwendig ergaben sich daraus nun auch andere Verbindungen zwischen Berlin und Moskau.

Schriftstellern entgeht kaum etwas. Sie sind noch empfänglich für Atmosphären. Auch die Überfülle des russischen Scheins schreckt sie nicht. "Es war beinah dunkel in der Bar. Die Wände waren in jenem zurückhaltenden Fraise tapeziert, das alles war und nichts - am Tag eine ganz unbestimmte Zartheit, für einen Damentee geeignet, und abends eine fast erloschene Glut." Dichter denken glücklicherweise auch mit. So auch hier. Deswegen sind fast alle einundzwanzig Essays lesenswert, die den Schriftstellern aus der Feder flossen, als sie sowohl über das Berliner als auch über das Moskauer öffentliche Lärmen und private Leuchten nachdachten.

Nur ein einziger, der Herausgeber Tilman Spengler, dem ein beschwingtes Vorwort mit teuflisch lockerer Hand gelungen ist, das allen Vorwörtern dieser Welt zum Vorbild angedient sei, nur er also traute seinen Berlinund seinen Moskau-Eindrücken nicht jene Originalität zu, die ihn bewogen hätte, aufzuschreiben, was ihn damals bewegt hatte: "Ich bin am nächsten Morgen in das Moskauer Wassermuseum gefahren. Was ich gesehen habe, möchte ich hier nicht beschreiben. Vielleicht waren die anderen schon vor mir hier." Andere waren schon vor den besagten zehn anderen da und dort gewesen. Von ihnen ist natürlich ebenfalls die Rede, vom Russen in Berlin, Vladimir Nabokov, dem es nicht peinlich war, daß er kein Wort Deutsch sprach, und von dem Berliner in Moskau, Walter Benjamin, dem es bei aller Liebe nicht gelang, Russisch zu lernen.

Wer nicht das Flugzeug (zu teuer) und nicht den Zug (dauert zu lang) nach Moskau nehmen möchte, der fahre abends zwei, drei Stunden U-Bahn in Berlin und blättere dabei in dem hellsinnigen und erfreulich erfrischenden Buch über die zwei Bären (der russische und der Berliner), mit denen es die Schriftsteller aufnehmen mußten. Man wird nicht alle Beiträge wirklich ganz lesen müssen, aber die meisten. Auch bei den Seitenansichten, Anekdoten und Einsichten über die "Grenzstädte" (Andrej Bitow) Moskau und Berlin sollte man die Faustregel der Betriebsküche beherzigen: Es kann nicht immer Kaviar geben.

EBERHARD RATHGEB.

"Moskau - Berlin". Stereogramme. Herausgegeben von Tilman Spengler. Berlin Verlag, Berlin 2001. 271 S., geb., 36,- DM.

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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Auch wenn über die historischen und kulturellen Beziehungen zwischen Moskau und Berlin bereits viel geschrieben wurde, die Geschichte ist im Fluss, bemerkt Ilma Rakusa, und so ergeben sich immer wieder neue Aspekte und Perspektiven. Von dieser Prämisse ausgehend, stellt die Rezensentin die von Tilman Spengler edierte Anthologie "Moskau-Berlin" vor, die, wie sie begeistert versichert, "nicht nur Metropolenfreaks, sondern jeden Literaturliebhaber beglücken muss". Auch wenn man in diesen "psychologischen Städteskizzen" häufig mehr über ihre Verfasser als über den Gegenstand selbst zu erfahren scheint, enthalten die Texte viele Anregungen zum Nachdenken, findet Rakusa, "über Ost und West, über historische Kontinuität und Diskontinuität, über jenes Menschlich-Allzumenschliche, das keine Grenzen kennt". Auf keinen Fall finde man hier normale Reisetexte vor, sondern poetische Stereogramme mit nicht zu unterschätzendem Informationswert, lobt die Rezensentin.

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