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Lionel Essrog wächst in einem Waisenhaus in Brooklyn auf. Aber nicht nur das macht ihn zu einem Außenseiter: Lionel leidet am Tourette-Syndrom - einem Sturm in seinem Kopf, der nur zur Ruhe kommt, wenn er sinnlose Wortfetzen aus sich heraus schreit. Lionels Zukunft scheint durch seine Lebensumstände bereits vorgezeichnet, doch das ändert sich, als ihn der charismatische Kleinmafiosi Frank Minna für seine Geschäfte anheuert. Als Frank ermordet wird, macht es sich Lionel zurAufgabe, den Mörder zu stellen ... Ausgezeichnet mit dem National Book Critics Circle Award for Fiction, dem Gold Dagger sowie dem Salon Book Award.…mehr

Produktbeschreibung
Lionel Essrog wächst in einem Waisenhaus in Brooklyn auf. Aber nicht nur das macht ihn zu einem Außenseiter: Lionel leidet am Tourette-Syndrom - einem Sturm in seinem Kopf, der nur zur Ruhe kommt, wenn er sinnlose Wortfetzen aus sich heraus schreit. Lionels Zukunft scheint durch seine Lebensumstände bereits vorgezeichnet, doch das ändert sich, als ihn der charismatische Kleinmafiosi Frank Minna für seine Geschäfte anheuert. Als Frank ermordet wird, macht es sich Lionel zurAufgabe, den Mörder zu stellen ... Ausgezeichnet mit dem National Book Critics Circle Award for Fiction, dem Gold Dagger sowie dem Salon Book Award.
Autorenporträt
Jonathan Lethem was born in New York and attended Bennington College. He is the author of seven novels including Fortress of Solitude and Motherless Brooklyn, which was named Novel of the Year by Esquire and won the National Book Critics Circle Award and the Salon Book Award, as well as the Macallan Crime Writers Association Gold Dagger. He has also written two short story collections, a novella and a collection of essays, edited The Vintage Book of Amnesia, guest-edited The Year's Best Music Writing 2002, and was the founding fiction editor of Fence magazine. His writings have appeared in the New Yorker, Rolling Stone, McSweeney's and many other periodicals. He lives in Brooklyn, New York.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.12.2019

Zerrwelt im Klarspiegel
Edward Nortons ambitionierte Verfilmung des Romans "Motherless Brooklyn" ist eine detailreiche Zeitreise

Lionel Essrog hat eine Macke. Er hat Glas im Hirn, so bezeichnet er das Syndrom, dass er immer wieder unkontrolliert schräges Zeug äußert. Sinnlose Silben, die er auch mit viel Kaugummi nicht zurückhalten kann. Er klingt dann wie ein Spinner, dabei ist ansonsten mit seinem Kopf alles in Ordnung. Es ist halt so, als würde er mit einem Anarchisten zusammenleben, auch das ist eine seiner Formulierungen. Als Erzähler des Films "Motherless Brooklyn" aus dem Off klingt Lionel hingegen ganz normal, so, als hätte er immer schon den Überblick gehabt. Das gilt aber wohl erst vom Ende dieser großen und verschlungenen Geschichte her. Sie spielt in New York in den 1950er Jahren.

Lionel arbeitet für den Privatdetektiv Frank Minna (Bruce Willis), der gleich zu Beginn umgebracht wird. Vor vielen Jahren hat Frank den Waisenjungen Lionel, wegen seiner Macke auch "Freakshow" und wegen seiner Herkunft manchmal einfach "Brooklyn" genannt, unter seine Fittiche genommen. Ein fotografisches Gedächtnis ist eines der Talente, die Lionel zur Tätigkeit eines Detektivs befähigen. Mit dem Mord an Frank Minna nimmt ein Kriminalfall Konturen an, der tief in den korrupten Strukturen von New York verwurzelt zu sein scheint. Und Lionel macht sich tapsig daran, vielen Fäden nachzugehen. Er ist alles andere als einer dieser hartgesottenen Typen, wie sie Humphrey Bogart häufig spielte, nach Romanen von Raymond Chandler und Kollegen. Lionel ist eher ein Romantiker, der dann aber an der Aufgabe wächst, die er sich gestellt hat, als Nachfolger und Rächer seines Mentors. Er tut so, als wäre er Journalist, und deckt auch tatsächlich eine Menge auf. Der Stadtentwickler Moses Randolph (Alec Baldwin in einer prächtigen Schurkenrolle) geht mit seinen gigantomanen Plänen gelegentlich auch über Leichen, vor allem aber vernichtet er die Wohnungen vieler einfacher Menschen, darunter sehr viele schwarze New Yorker.

Bei der rassistischen "Slumbeseitigung" bezieht Norton sich auch auf eine historische Figur: Robert Moses wurde gelegentlich als "der Mann, der New York erfand", bezeichnet. In den Diskussionen über seine Konzeptionen ging es immer wieder auch darum, inwiefern die großflächigen Pläne diskriminierende oder segregierende Aspekte hatten. Norton geht mit der Figur von Moses Randolph deutlich über den historischen Robert Moses hinaus: Er zeichnet einen Mann mit einem Übermenschensyndrom, einen Technokraten, bei dem die Korruption in den Beziehungen zur Stadtverwaltung eher so etwas wie Kleinkram ist, etwas, womit man Bürokraten an Pläne gewöhnt, die ihre Befugnisse sowieso weit übersteigen.

Der tiefen Stadt mit ihren Netzwerken weißer Männer stehen die zahlreichen Figuren gegenüber, die in "Motherless Brooklyn" auf der anderen Seite stehen: eine resolute Bürgerrechtlerin (Gugu Mbatha-Raw), ein Jazztrompeter (Michael K. Williams, bekannt als Omar aus der Serie "The Wire") und dann auch noch Paul, der rechtschaffene Bruder von Moses Randolph (wieder einmal eine große, kleine Rolle für Willem Dafoe).

Für den Schauspieler Edward Norton war "Motherless Brooklyn" ein Herzensprojekt. Er ging dabei von dem gleichnamigem Roman von Jonathan Lethem aus, einem Autor, der, man denke auch an "The Fortress of Solitude", immer zugleich Stadthistoriker und Kulturmythologe ist. Schon 1999 sicherte Norton sich die Rechte, er war damals einer der aufstrebenden jungen Stars in Hollywood, er spielte neben Brad Pitt in "Fight Club", und er führte bei der Komödie "Keeping the Faith" auch schon einmal Regie. In den zwanzig Jahren, die seither vergangen sind, lief dann aber nicht immer alles rund für Norton, er hat inzwischen in der Branche eher das Image eines Schwierigen. Das dürfte sich nun, da es mit "Motherless Brooklyn" doch noch geklappt hat, wieder ändern.

Für seine Adaption hat Norton - neben vielen im Detail - eine entscheidende Veränderung gegenüber der Vorlage vorgenommen: er lässt die Geschichte in den späten 1950er Jahren spielen, während Lethem sie in seiner Erzählergegenwart, also vierzig Jahren später, situiert hatte. Damit bekommen die Schichtungen der kulturellen Überlieferung zusätzliches Gewicht. Der Roman lässt sich ohne Weiteres als Pastiche lesen, ein weißer Nerd spielt noch einmal mit den Formeln des "Hardboiled"-Genres und verleiht ihm mit einem Beiseite-Sprecher einen untypischen, gebrochenen Helden. Norton hingegen kehrt gleichsam an den Ursprung zurück, weiß aber natürlich, dass das nicht so einfach geht. So wird vor allem der Jazz der Schlüssel zu allen anderen Aspekten dieser Geschichte: Der "Trumpet Man" spielt die Nummer, zu der Lionel schließlich einen vorsichtigen Tanz wagen muss, ein Mann auf fremdem Terrain, ein ewig Einsamer, der plötzlich von einer schönen Afroamerikanerin zu sicheren Schritten geführt wird. Lionel, der "Mutterlose", verbindet in diesem Moment die Gegenkultur von Harlem mit der anderen Gegenkultur des historischen Brooklyn.

Norton schlägt allerdings eine musikalische Brücke in die Gegenwart. Er hat Daniel Pemberton für einen elegischen Soundtrack verpflichtet, und Thom Yorke von Radiohead steuert einen Song bei. Heute ist Brooklyn das größte Hipsterviertel von New York. Und die Vereinigten Staaten haben einen Präsidenten, der als Immobilienentwickler begann, sodass man bei der Figur von Moses Randolph unweigerlich auch an Donald Trump denken mag, oder eher noch an dessen Vater Fred C. Trump. Vor diesem Hintergrund erweist sich das, was man auch für Nortons Nostalgie halten könnte, als eine Idee von Gegenwartskritik: Er kreuzt eine Zeit, in der ein Mann mit einer Macke noch bis zu einem Tyrannen in die Sauna vordringen konnte, um mit ihm einen philosophierenden Dialog zu führen, mit einer Zeit, in der die Hybris der Macht in Amerika moralisch leer ist. Sie ist nicht einmal jenseits von Gut und Böse, sondern zeigt sich als eine Entstellung der Eigenschaft, die Lionel so richtig "mutterlos" macht: Sein Tourette-Syndrom, mit dem er scheinbar alles zerfallen lässt, macht ihn zum Mann, der alles zusammenführt und integriert. In dieser Figur produktiver Anarchie erweist sich "Motherless Brooklyn" am deutlichsten als historisierender Spiegel einer unfassbaren Gegenwart.

BERT REBHANDL

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Zerrwelt im Klarspiegel
Edward Nortons ambitionierte Verfilmung des Romans "Motherless Brooklyn" ist eine detailreiche Zeitreise

Lionel Essrog hat eine Macke. Er hat Glas im Hirn, so bezeichnet er das Syndrom, dass er immer wieder unkontrolliert schräges Zeug äußert. Sinnlose Silben, die er auch mit viel Kaugummi nicht zurückhalten kann. Er klingt dann wie ein Spinner, dabei ist ansonsten mit seinem Kopf alles in Ordnung. Es ist halt so, als würde er mit einem Anarchisten zusammenleben, auch das ist eine seiner Formulierungen. Als Erzähler des Films "Motherless Brooklyn" aus dem Off klingt Lionel hingegen ganz normal, so, als hätte er immer schon den Überblick gehabt. Das gilt aber wohl erst vom Ende dieser großen und verschlungenen Geschichte her. Sie spielt in New York in den 1950er Jahren.

Lionel arbeitet für den Privatdetektiv Frank Minna (Bruce Willis), der gleich zu Beginn umgebracht wird. Vor vielen Jahren hat Frank den Waisenjungen Lionel, wegen seiner Macke auch "Freakshow" und wegen seiner Herkunft manchmal einfach "Brooklyn" genannt, unter seine Fittiche genommen. Ein fotografisches Gedächtnis ist eines der Talente, die Lionel zur Tätigkeit eines Detektivs befähigen. Mit dem Mord an Frank Minna nimmt ein Kriminalfall Konturen an, der tief in den korrupten Strukturen von New York verwurzelt zu sein scheint. Und Lionel macht sich tapsig daran, vielen Fäden nachzugehen. Er ist alles andere als einer dieser hartgesottenen Typen, wie sie Humphrey Bogart häufig spielte, nach Romanen von Raymond Chandler und Kollegen. Lionel ist eher ein Romantiker, der dann aber an der Aufgabe wächst, die er sich gestellt hat, als Nachfolger und Rächer seines Mentors. Er tut so, als wäre er Journalist, und deckt auch tatsächlich eine Menge auf. Der Stadtentwickler Moses Randolph (Alec Baldwin in einer prächtigen Schurkenrolle) geht mit seinen gigantomanen Plänen gelegentlich auch über Leichen, vor allem aber vernichtet er die Wohnungen vieler einfacher Menschen, darunter sehr viele schwarze New Yorker.

Bei der rassistischen "Slumbeseitigung" bezieht Norton sich auch auf eine historische Figur: Robert Moses wurde gelegentlich als "der Mann, der New York erfand", bezeichnet. In den Diskussionen über seine Konzeptionen ging es immer wieder auch darum, inwiefern die großflächigen Pläne diskriminierende oder segregierende Aspekte hatten. Norton geht mit der Figur von Moses Randolph deutlich über den historischen Robert Moses hinaus: Er zeichnet einen Mann mit einem Übermenschensyndrom, einen Technokraten, bei dem die Korruption in den Beziehungen zur Stadtverwaltung eher so etwas wie Kleinkram ist, etwas, womit man Bürokraten an Pläne gewöhnt, die ihre Befugnisse sowieso weit übersteigen.

Der tiefen Stadt mit ihren Netzwerken weißer Männer stehen die zahlreichen Figuren gegenüber, die in "Motherless Brooklyn" auf der anderen Seite stehen: eine resolute Bürgerrechtlerin (Gugu Mbatha-Raw), ein Jazztrompeter (Michael K. Williams, bekannt als Omar aus der Serie "The Wire") und dann auch noch Paul, der rechtschaffene Bruder von Moses Randolph (wieder einmal eine große, kleine Rolle für Willem Dafoe).

Für den Schauspieler Edward Norton war "Motherless Brooklyn" ein Herzensprojekt. Er ging dabei von dem gleichnamigem Roman von Jonathan Lethem aus, einem Autor, der, man denke auch an "The Fortress of Solitude", immer zugleich Stadthistoriker und Kulturmythologe ist. Schon 1999 sicherte Norton sich die Rechte, er war damals einer der aufstrebenden jungen Stars in Hollywood, er spielte neben Brad Pitt in "Fight Club", und er führte bei der Komödie "Keeping the Faith" auch schon einmal Regie. In den zwanzig Jahren, die seither vergangen sind, lief dann aber nicht immer alles rund für Norton, er hat inzwischen in der Branche eher das Image eines Schwierigen. Das dürfte sich nun, da es mit "Motherless Brooklyn" doch noch geklappt hat, wieder ändern.

Für seine Adaption hat Norton - neben vielen im Detail - eine entscheidende Veränderung gegenüber der Vorlage vorgenommen: er lässt die Geschichte in den späten 1950er Jahren spielen, während Lethem sie in seiner Erzählergegenwart, also vierzig Jahren später, situiert hatte. Damit bekommen die Schichtungen der kulturellen Überlieferung zusätzliches Gewicht. Der Roman lässt sich ohne Weiteres als Pastiche lesen, ein weißer Nerd spielt noch einmal mit den Formeln des "Hardboiled"-Genres und verleiht ihm mit einem Beiseite-Sprecher einen untypischen, gebrochenen Helden. Norton hingegen kehrt gleichsam an den Ursprung zurück, weiß aber natürlich, dass das nicht so einfach geht. So wird vor allem der Jazz der Schlüssel zu allen anderen Aspekten dieser Geschichte: Der "Trumpet Man" spielt die Nummer, zu der Lionel schließlich einen vorsichtigen Tanz wagen muss, ein Mann auf fremdem Terrain, ein ewig Einsamer, der plötzlich von einer schönen Afroamerikanerin zu sicheren Schritten geführt wird. Lionel, der "Mutterlose", verbindet in diesem Moment die Gegenkultur von Harlem mit der anderen Gegenkultur des historischen Brooklyn.

Norton schlägt allerdings eine musikalische Brücke in die Gegenwart. Er hat Daniel Pemberton für einen elegischen Soundtrack verpflichtet, und Thom Yorke von Radiohead steuert einen Song bei. Heute ist Brooklyn das größte Hipsterviertel von New York. Und die Vereinigten Staaten haben einen Präsidenten, der als Immobilienentwickler begann, sodass man bei der Figur von Moses Randolph unweigerlich auch an Donald Trump denken mag, oder eher noch an dessen Vater Fred C. Trump. Vor diesem Hintergrund erweist sich das, was man auch für Nortons Nostalgie halten könnte, als eine Idee von Gegenwartskritik: Er kreuzt eine Zeit, in der ein Mann mit einer Macke noch bis zu einem Tyrannen in die Sauna vordringen konnte, um mit ihm einen philosophierenden Dialog zu führen, mit einer Zeit, in der die Hybris der Macht in Amerika moralisch leer ist. Sie ist nicht einmal jenseits von Gut und Böse, sondern zeigt sich als eine Entstellung der Eigenschaft, die Lionel so richtig "mutterlos" macht: Sein Tourette-Syndrom, mit dem er scheinbar alles zerfallen lässt, macht ihn zum Mann, der alles zusammenführt und integriert. In dieser Figur produktiver Anarchie erweist sich "Motherless Brooklyn" am deutlichsten als historisierender Spiegel einer unfassbaren Gegenwart.

BERT REBHANDL

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