"Mozart und ich"ist Maarten't Harts sehr persönliche Hommage an"den größten Komponisten der Musikgeschichte". Mit Mozarts"Türkischem Marsch", der für den jungen't Hart unbekümmert und doch getrieben dahinschnellte, begann die Faszination für den vollkommensten aller Komponisten. In allen musikalischen Gattungen, von der Oper über die Sinfonie und den Tanz bis zum Lied, hat er unsterbliche Musik geschrieben, die auf geniale Weise Leichtigkeit mit Komplexität miteinander vereint. Dies und Mozarts überragendes dramatisches Gespür haben den Erzähler und Musikliebhaber Maarten't Hart immer wieder aufs neue gerührt und erstaunt. Inzwischen gibt es nicht"einen einzigen Takt, den er nicht gehört hat". Inspiriert, selbstironisch und enthusiastisch erzählt er von Mozart und seiner lebenslangen Leidenschaft für das musikalische Genie. In funkelnder, beschwingter Prosa erzählt der niederländische Romancier Maarten't Hart von seiner Liebe für den großen Komponisten. Auf der im Buch enthaltenen CD sind seine Lieblingsstücke eingespielt.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.06.2006Das blöde Geblöke
In Mozarts Namen: Maarten 't Hart bläst der Unkultur den Marsch
Wer auf sich hält, tut gut daran, eine Beziehung zur Musik, welcher auch immer, zu bekunden. Denn eine veredelnde Wirkung soll von ihr ausgehen - auch wenn es genügend Unmenschen gegeben hat, die sich ausgerechnet von Beethoven affiziert fühlten. Die Affinität zwischen Musik und Literatur mag auf gemeinsame, quasi mythische Wurzeln verweisen: Orpheus als Urbild des Sängers, dessen Tonsprache selbst die krude Natur zu bewegen vermag und der als Dichter-Musiker Vorbild vieler oraler Traditionen ist.
Daß Musik eine Art anderer Sprache sei, gehört zu ihrem Pathos. Wenn Beethoven die D-Dur-Bagatelle op. 33,7 mit "Con una certa espressione parlante" (Mit einem gewissen sprechenden Ausdruck) überschrieb, dann findet dies seine Fortsetzung in Schumanns "Kinderszenen", in deren Schlußstück "der Dichter spricht". Musiksprache - Sprachmusik: das Quidproquo der Sphären hat beide bereichert, zumal in der Moderne. Literatur wie Musik werden geschrieben, als zweidimensionales Notat vermittelt, mal als semantischer Zusammenhang, mal als Zeichen-, Abbreviaturensystem. Editions-, Urtext- und Authentizitäts-Kalamitäten, das Ineins von Papier und Magie haben beide Gattungen gemeinsam. Vor allem aber sind Komponisten zu Projektionsidolen der Romanciers geworden, zu fiktiven Identifikationsgestalten.
Auch historisch konkrete Komponisten wurden zu Objekten anempfindender literarischer Begierden. Puschkins "Mozart und Salieri", Nukleus für "Amadeus" von Milos Forman, und Mörikes "Mozart auf der Reise nach Prag" bleiben Inbegriff romantisch verklärender Hommage, Franz Werfel und Klaus Mann haben Verdi und Tschaikowsky quasi zu Romanhelden gemacht. Und es ist keine geringe Qualität des Mozart-Buchs von Wolfgang Hildesheimer, daß es den Wonnen wie Rätseln Mozarts auf außerordentlichem sprachlichem Niveau nachspürt.
Unter den lebenden Schriftstellern freilich hat es besonders dem Niederländer Maarten 't Hart die Musik angetan. Ob man am Ende tatsächlich Sohn eines Totengäbers sein muß, um hinter allen auch schrecklichen Erscheinungen dieser tristen Welt die geheime "innere Stimme" (wie es bei Schumann heißt) zu vernehmen? Wie eine zweite Schicht, Botschaft aus einer anderen Welt, sind Verweise auf Werke besonders Bachs, aber auch anderer großer Komponisten schon dem autobiographisch getönten Roman "Das Wüten der ganzen Welt" unterlegt, ja dem Text ist eine Liste der angesprochenen Stücke als Brevier nach-, das Notenbeispiel einer Bachschen Choralpartita vorangestellt. Bach als nicht nur musikalischem Gravitationszentrum des Autors war denn auch eine bewegende Hommage gewidmet: "Bach und ich". Es gibt wenige Musik-Bücher, die dem auserwählten Idol mit solch animierender Mischung aus hochsubjektiver Begeisterung, ja Ergriffenheit und durchaus objektivierbarer kompositorischer Einschätzung begegnen. In der Einleitung, "Der große Unbekannte", macht t' Hart kein Hehl daraus, daß Bach und Mozart für ihn die überragenden Komponisten sind. So verwundert es nicht, daß nun "Mozart und ich" folgt. Wieder ist dem Band eine CD beigefügt, die in Tönen sprechend belegt, bei welchen Stücken sein Herz schneller schlägt. Doch der holländische Romancier und Musikschriftsteller fühlt sich zwischen seinen Göttern Bach und Mozart hin- und hergerissen, muß denn auch zu manchen Verrenkungen Zuflucht nehmen. So kommt er nicht umhin, seine Bach-Emphase zu relativieren: "Bach bewundere ich, Mozart liebe ich." Nun hatte das Bach-Buch den Vorteil, abseits des Jubiläumsrummels zu erscheinen, als fast singulär persönliche Zuwendung zu dem Komponisten. Der Mozart-Band indes gehört zur Flut einschlägiger Veröffentlichungen, denen es insgesamt an Emphase wahrlich nicht mangelt. 't Harts Bekenntnisse, Herzensergießungen fügen sich also eher in den hagiographischen Mainstream, und die Beteuerungen, wie beglückend Mozarts Musik, zahlreiche Werke zumal, auf ihn wirken, verlieren an subjektiver Dringlichkeit. Konnte man bei dem Bach-Buch immer wieder den schwärmerischen Bekundungen zu manchen Stücken nur zustimmen, so stellt sich nun der Eindruck des leicht Repetitiven ein, zumal innerhalb des gewaltig rotierenden Betriebs Mozarts OEuvre präsenter scheint als das Bachs. Natürlich nimmt diese Konfession in ihrer Ungeschütztheit gefangen. Und manche Thesen, Vorlieben und Abneigungen sind bedenkenswert. Mozarts Hang zu Marschmodellen muß man nicht immer goutieren, die Vorstellung, daß selbst Mozart letztlich nicht mehr als neun wirklich überwältigende Sinfonien geschrieben habe, wird jeden Mozartianer immerhin umtreiben. Warum Mozart so selten Tonarten mit vier oder gar mehr Vorzeichen verwendete, bleibt ein Rätsel.
Da, wo sehr subjektiv Fragen gestellt werden, Ergriffenheit durchbricht, da wirken diese Ausführungen sehr viel zwingender als manch leicht autoritätsgläubige Eloge. Denn auch Maarten 't Hart tut sich schwer damit, die Größe des Mozartschen Komponierens zu begründen. Liebe ist auch in der Kunst eine wahre Triebkraft, erkenntnisfördernd ist sie nicht immer. Und ohne Wenn und Aber glaubt er an die tiefe Symbiose von Vater und Sohn Mozart, der denn auch bald nach des Vaters Tod starb. Erfrischend wirken manche Formulierungen; so wenn er die Finalvarationen der Klavier-Violin-Sonate KV 481 mit "einer gewagten Kreation für den Catwalk einer Modenschau" vergleicht.
Natürlich ist von solch einem Buch keine objektive Sicht der Musikgeschichte zu erwarten. Daß ihm die Moderne wenig bedeutet, ist traurig, daß er manche Kleinmeister schätzt, skurril. Prekär indes ist mancher Abendländler-Ton: "das blöde Geblöke der Beatles, das pubertäre Geplärre von Elvis Presley und das rohe Geröchel der Rolling Stones, als stünden wir ganz am Anfang der Entwicklung und trommelten in der afrikanischen Savanne noch mit Knüppeln auf Baumstämme". Das gibt denn doch der Bach- wie Mozart-Euphorie einen fatalen Beigeschmack. Immerhin gehörte es zur Achtundsechziger-Utopie, die Grenzen zwischen "hoher" und "niederer" Kunst als keineswegs gottgegeben zu sehen. Die Mahler-, Ives-, Eisler-, Henze- und Berio-Rezeption lebte aus diesem Impuls. Die Rockmusik hat die Avantgarde angeregt, "Can" lernte von Stockhausen. Mozart als Keule wider die "Unkultur" kann auch zum Bumerang werden.
GERHARD R. KOCH
Maarten 't Hart: "Mozart und ich". Aus dem Niederländischen übersetzt von Gregor Seferens. Piper Verlag, München 2006. 192 S., geb., 19,90 [Euro].
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In Mozarts Namen: Maarten 't Hart bläst der Unkultur den Marsch
Wer auf sich hält, tut gut daran, eine Beziehung zur Musik, welcher auch immer, zu bekunden. Denn eine veredelnde Wirkung soll von ihr ausgehen - auch wenn es genügend Unmenschen gegeben hat, die sich ausgerechnet von Beethoven affiziert fühlten. Die Affinität zwischen Musik und Literatur mag auf gemeinsame, quasi mythische Wurzeln verweisen: Orpheus als Urbild des Sängers, dessen Tonsprache selbst die krude Natur zu bewegen vermag und der als Dichter-Musiker Vorbild vieler oraler Traditionen ist.
Daß Musik eine Art anderer Sprache sei, gehört zu ihrem Pathos. Wenn Beethoven die D-Dur-Bagatelle op. 33,7 mit "Con una certa espressione parlante" (Mit einem gewissen sprechenden Ausdruck) überschrieb, dann findet dies seine Fortsetzung in Schumanns "Kinderszenen", in deren Schlußstück "der Dichter spricht". Musiksprache - Sprachmusik: das Quidproquo der Sphären hat beide bereichert, zumal in der Moderne. Literatur wie Musik werden geschrieben, als zweidimensionales Notat vermittelt, mal als semantischer Zusammenhang, mal als Zeichen-, Abbreviaturensystem. Editions-, Urtext- und Authentizitäts-Kalamitäten, das Ineins von Papier und Magie haben beide Gattungen gemeinsam. Vor allem aber sind Komponisten zu Projektionsidolen der Romanciers geworden, zu fiktiven Identifikationsgestalten.
Auch historisch konkrete Komponisten wurden zu Objekten anempfindender literarischer Begierden. Puschkins "Mozart und Salieri", Nukleus für "Amadeus" von Milos Forman, und Mörikes "Mozart auf der Reise nach Prag" bleiben Inbegriff romantisch verklärender Hommage, Franz Werfel und Klaus Mann haben Verdi und Tschaikowsky quasi zu Romanhelden gemacht. Und es ist keine geringe Qualität des Mozart-Buchs von Wolfgang Hildesheimer, daß es den Wonnen wie Rätseln Mozarts auf außerordentlichem sprachlichem Niveau nachspürt.
Unter den lebenden Schriftstellern freilich hat es besonders dem Niederländer Maarten 't Hart die Musik angetan. Ob man am Ende tatsächlich Sohn eines Totengäbers sein muß, um hinter allen auch schrecklichen Erscheinungen dieser tristen Welt die geheime "innere Stimme" (wie es bei Schumann heißt) zu vernehmen? Wie eine zweite Schicht, Botschaft aus einer anderen Welt, sind Verweise auf Werke besonders Bachs, aber auch anderer großer Komponisten schon dem autobiographisch getönten Roman "Das Wüten der ganzen Welt" unterlegt, ja dem Text ist eine Liste der angesprochenen Stücke als Brevier nach-, das Notenbeispiel einer Bachschen Choralpartita vorangestellt. Bach als nicht nur musikalischem Gravitationszentrum des Autors war denn auch eine bewegende Hommage gewidmet: "Bach und ich". Es gibt wenige Musik-Bücher, die dem auserwählten Idol mit solch animierender Mischung aus hochsubjektiver Begeisterung, ja Ergriffenheit und durchaus objektivierbarer kompositorischer Einschätzung begegnen. In der Einleitung, "Der große Unbekannte", macht t' Hart kein Hehl daraus, daß Bach und Mozart für ihn die überragenden Komponisten sind. So verwundert es nicht, daß nun "Mozart und ich" folgt. Wieder ist dem Band eine CD beigefügt, die in Tönen sprechend belegt, bei welchen Stücken sein Herz schneller schlägt. Doch der holländische Romancier und Musikschriftsteller fühlt sich zwischen seinen Göttern Bach und Mozart hin- und hergerissen, muß denn auch zu manchen Verrenkungen Zuflucht nehmen. So kommt er nicht umhin, seine Bach-Emphase zu relativieren: "Bach bewundere ich, Mozart liebe ich." Nun hatte das Bach-Buch den Vorteil, abseits des Jubiläumsrummels zu erscheinen, als fast singulär persönliche Zuwendung zu dem Komponisten. Der Mozart-Band indes gehört zur Flut einschlägiger Veröffentlichungen, denen es insgesamt an Emphase wahrlich nicht mangelt. 't Harts Bekenntnisse, Herzensergießungen fügen sich also eher in den hagiographischen Mainstream, und die Beteuerungen, wie beglückend Mozarts Musik, zahlreiche Werke zumal, auf ihn wirken, verlieren an subjektiver Dringlichkeit. Konnte man bei dem Bach-Buch immer wieder den schwärmerischen Bekundungen zu manchen Stücken nur zustimmen, so stellt sich nun der Eindruck des leicht Repetitiven ein, zumal innerhalb des gewaltig rotierenden Betriebs Mozarts OEuvre präsenter scheint als das Bachs. Natürlich nimmt diese Konfession in ihrer Ungeschütztheit gefangen. Und manche Thesen, Vorlieben und Abneigungen sind bedenkenswert. Mozarts Hang zu Marschmodellen muß man nicht immer goutieren, die Vorstellung, daß selbst Mozart letztlich nicht mehr als neun wirklich überwältigende Sinfonien geschrieben habe, wird jeden Mozartianer immerhin umtreiben. Warum Mozart so selten Tonarten mit vier oder gar mehr Vorzeichen verwendete, bleibt ein Rätsel.
Da, wo sehr subjektiv Fragen gestellt werden, Ergriffenheit durchbricht, da wirken diese Ausführungen sehr viel zwingender als manch leicht autoritätsgläubige Eloge. Denn auch Maarten 't Hart tut sich schwer damit, die Größe des Mozartschen Komponierens zu begründen. Liebe ist auch in der Kunst eine wahre Triebkraft, erkenntnisfördernd ist sie nicht immer. Und ohne Wenn und Aber glaubt er an die tiefe Symbiose von Vater und Sohn Mozart, der denn auch bald nach des Vaters Tod starb. Erfrischend wirken manche Formulierungen; so wenn er die Finalvarationen der Klavier-Violin-Sonate KV 481 mit "einer gewagten Kreation für den Catwalk einer Modenschau" vergleicht.
Natürlich ist von solch einem Buch keine objektive Sicht der Musikgeschichte zu erwarten. Daß ihm die Moderne wenig bedeutet, ist traurig, daß er manche Kleinmeister schätzt, skurril. Prekär indes ist mancher Abendländler-Ton: "das blöde Geblöke der Beatles, das pubertäre Geplärre von Elvis Presley und das rohe Geröchel der Rolling Stones, als stünden wir ganz am Anfang der Entwicklung und trommelten in der afrikanischen Savanne noch mit Knüppeln auf Baumstämme". Das gibt denn doch der Bach- wie Mozart-Euphorie einen fatalen Beigeschmack. Immerhin gehörte es zur Achtundsechziger-Utopie, die Grenzen zwischen "hoher" und "niederer" Kunst als keineswegs gottgegeben zu sehen. Die Mahler-, Ives-, Eisler-, Henze- und Berio-Rezeption lebte aus diesem Impuls. Die Rockmusik hat die Avantgarde angeregt, "Can" lernte von Stockhausen. Mozart als Keule wider die "Unkultur" kann auch zum Bumerang werden.
GERHARD R. KOCH
Maarten 't Hart: "Mozart und ich". Aus dem Niederländischen übersetzt von Gregor Seferens. Piper Verlag, München 2006. 192 S., geb., 19,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Mit einer gehörigen Portion Sarkasmus verbucht Wolfram Goertz die "pünktlich" zum 250. Geburtstag erschienene "literarische Ehrenrettung" Wolfgang Amadeus Mozarts von Maarten 't Hart. Pikiert berichtet Goertz davon, wie der schlaflose Autor seine nächtlichen "Privatkonzerte" beschreibt, in denen er die Zahlen auf seinem Digitalwecker als Köchelverzeichnis deutet und die entsprechenden Werke selbst beim Toilettengang vor sich hin summt. Hart kenne in der Bewertung von Mozarts Können nur Schwarz oder Weiß, wobei letzteres offensichtlich überwiegt. Alles in allem ein "konventionelles" Mozart-Buch, voll von dem Rezensenten leidlich bekannten "Hokuspokus zu Mozarts Genialität".
© Perlentaucher Medien GmbH
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