"Das Billardspiel liebte er leidenschaftlich..." schrieb die Witwe Mozarts, Constanze, 1828 über das frühverstorbene Genie. Mozart war aber nicht nur ein passionierter Billardspieler, sondern er versuchte sein Glück ebenso leidenschaftlich bei unzähligen Kartenspielen, bei Lotto und Lotterien, bei Gesellschafts- und Pfänderspielen, beim Salzburger Bölzelschießen und auf zahlreichen Maskenbällen und Redouten. Begonnen hat diese Leidenschaft mit den frühen Kinder- und Reisespielen, mit den harmlosen Familienspielen und den witzigen Sprach- und Wortspielen in den übermütigen Italienbriefen.
Hunderte Textstellen beweisen Mozarts lebenslanges Vergnügen an allen Arten spielerischer Unterhaltungen seiner Zeit, werfen ein klares Licht auf diese Seite der mozartischen Alltagskultur und schaffen ein überraschendes und spannendes Bild seiner Lieblingsbeschäftigungen vor und nach der anstrengenden Kompositions- und Konzerttätigkeit. Dieses Mozartbuch beschäftigt sich gleichzeitig mit den Spielmoden des 18. Jahrhunderts, den Mitspielern und -spielerinnen, den Spielmitteln und nicht zuletzt mit der finanziellen Seite dieser aufwändigen Liebhaberei.
Konnte sich das Genie diese Zeit- und Geldverschwendung überhaupt leisten? Hingen seine "Bettelbriefe" mit seiner Spielleidenschaft zusammen? Hatte er auch manchmal Glück im Spiel? Auf 400 Seiten bringt der Autor Licht ins Dunkel dieser bisher vernachlässigten Seite der Mozartforschung. Knapp 70 Bilddokumente illustrieren die blühende Spielkultur der Mozartzeit. Die Jahre und Monate in Salzburg, München, Mannheim, Paris, Prag und Wien erscheinen damit in einem neuen Licht. Die Wechselwirkung zwischen der faszinierenden Welt der Spiele und seinen musikalischen Werken wird plötzlich klar, vom "Kegelstatt-Trio" über die Verstecken-Spiele in "Figaros Hochzeit", von den Kinderliedern über die frechen Kanons bis hin zur Tanzmusik seiner späten Wiener Jahre.
Hunderte Textstellen beweisen Mozarts lebenslanges Vergnügen an allen Arten spielerischer Unterhaltungen seiner Zeit, werfen ein klares Licht auf diese Seite der mozartischen Alltagskultur und schaffen ein überraschendes und spannendes Bild seiner Lieblingsbeschäftigungen vor und nach der anstrengenden Kompositions- und Konzerttätigkeit. Dieses Mozartbuch beschäftigt sich gleichzeitig mit den Spielmoden des 18. Jahrhunderts, den Mitspielern und -spielerinnen, den Spielmitteln und nicht zuletzt mit der finanziellen Seite dieser aufwändigen Liebhaberei.
Konnte sich das Genie diese Zeit- und Geldverschwendung überhaupt leisten? Hingen seine "Bettelbriefe" mit seiner Spielleidenschaft zusammen? Hatte er auch manchmal Glück im Spiel? Auf 400 Seiten bringt der Autor Licht ins Dunkel dieser bisher vernachlässigten Seite der Mozartforschung. Knapp 70 Bilddokumente illustrieren die blühende Spielkultur der Mozartzeit. Die Jahre und Monate in Salzburg, München, Mannheim, Paris, Prag und Wien erscheinen damit in einem neuen Licht. Die Wechselwirkung zwischen der faszinierenden Welt der Spiele und seinen musikalischen Werken wird plötzlich klar, vom "Kegelstatt-Trio" über die Verstecken-Spiele in "Figaros Hochzeit", von den Kinderliedern über die frechen Kanons bis hin zur Tanzmusik seiner späten Wiener Jahre.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.04.2004Beste Noten für gute Karten
Der Spielforscher Günther Bauer über die Spielernatur Mozarts
Wer war Mozart "wirklich"? Letztlich wissen wir nicht allzuviel Genaueres. Eines immerhin läßt sich, zumal im Vergleich mit Beethoven, sagen: Ein konsistentes, auf klare ästhetisch-moralische Maximen gegründetes Weltbild hatte er kaum; in seinen Meinungen, Urteilen, Vorlieben und Abneigungen schien er eher emotional, sprunghaft, auch widersprüchlich. Für eine "gesetzte" Persönlichkeit wurde er nicht alt genug. Den Ideen von Aufklärung, Josephinischen Reformen, selbst Französischer Revolution gegenüber aufgeschlossen, frohlockte er gleichwohl über den Tod Voltaires. Und während Beethoven mit gutem Grund Muzio Clementi schätzte, aktivierte der Komponist unvergleichlicher italienischer Opern gegen ihn Ressentiments wider "welsches" Virtuosentum. Und in genau dem Ausmaß, in dem Beethoven, der "Titan", zur hehrsten Werte-Instanz des deutschen Bildungsbürgertums stilisiert wurde, sah man in Mozart den ewig jugendlich tändelnden Götterliebling. Daß der tiefe Ernst von Mozarts Musik und eine mitunter eher leichtfertig-verspielte Persönlichkeit sich nicht ausschließen müssen, gehört zum Charakterbild des in mancher Hinsicht so Frühreifen wie kindlich Gebliebenen.
Daß Mozart spielerische Züge besaß, ist oft hervorgehoben worden - sei es in der fingertrommelnden Dauernervosität nicht zuletzt des Pianisten, in den frivolen Sprachscherzen der "Bäsle"-Briefe wie auch im Hang zu Gesellschaftsspielen aller Art. Dem vor allem ist der Salzburger Mozart- wie Spielforscher Günther G. Bauer nachgegangen, akribisch den Vergnügungen des Komponisten auf der Spur: Billard, Kegel, Karten- und Brettspiele, "Bölzlschießen", selbst erotisch verfängliche Pfänderspiele, Lotto und bisweilen derbe oder auch verrätselte Sprach-, Satz- und Wortverdrehungen werden hier sowohl biographisch tüftelig als auch zeit- und sittengeschichtlich weit gefächert dargestellt.
Die Salzburger, Mailänder, Mannheimer und Wiener Zeitvertreibe des auch nach Ablenkungen aller Art suchenden Künstlers werden in ein reiches historisches Panorama gestellt: Über Mozart wie über die hauptsächliche österreichische Gesellschaft der Jahre 1763 bis 1791 erfährt man allerlei Wissenswertes und Neues. Doch die Fülle des Materials täuscht ein wenig über die allzu vereinheitlichende Sicht auf die Vergnügungswelt des Rokoko hinweg; und sosehr beim homo ludens Glück und Geschicklichkeit zusammengehören, so klar sind die strukturellen Unterschiede, vor allem, was die Zufallskomponenten betrifft. Bauer reduziert Mozart auf die vielfältige Spielernatur, überbewertet ein wenig uniform eine Seite.
Gerade solch penibel kenntnisreiche Fokussierung auf ein Thema läßt Defizite zutage treten. Man erfährt zwar über dieses und jenes mancherlei Aufschlußreiches; doch ausgerechnet die Frage, ob und wie weit Mozart um Geld gespielt hat, seine Finanzmisere aus Spielschulden resultierte, muß Bauer offenlassen, seine an sich sympathische Reserve gegenüber Spekulationen führt in die Enge. Die psychologische, gar psychoanalytische Sonde setzt er entsprechend gleich gar nicht an. Was trieb Mozart, der auch mit "Trazom" unterschrieb, zu seinen Wortspielen und Sinnverkehrungen, abstrus-absurden Sprachoperationen im quasi musikalisierten Briefstil? War dies nur spätpubertäre Lust an der Verwirrung, am semantisch-phonetischen Vexierbild? Hatte die Spielleidenschaft nicht auch ihre dämonisch gefährdenden Züge? Und steckt im Jonglieren mit mobilen Strukturen innerhalb eines eher festen Rahmens nicht auch ein neues, alte Ordo-Prinzipien konsequent negierendes Moment?
Denn unschwer läßt sich die unberechenbare Dramaturgie des Opernkomponisten auch als Krisenreflex deuten, zumindest als rationalistisch-skeptischer Einspruch wider die These von der ein für allemal denkbar besten aller Welten. Daß da Ponte und Mozart auf "Così fan tutte" verfielen, ist symptomatisch, konterkariert die fatale Liebeswette doch alle Schwüre auf stabil-hohe Beziehungen, bei denen die Paare, ganz wie Karten, immer wieder neu gemischt werden können. Wenn Mozart einem Theaterautor nahe ist, dann Marivaux und dessen "Spiel von Liebe und Zufall". Steckt in "Così" nicht der Keim für Pirandellos "Sechs Personen suchen einen Autor"?
Wie authentisch Mozarts Entwürfe, mittels Würfelspiel baukastenartig kleine Stücke zu erstellen, tatsächlich sind, bleibe dahingestellt. Edwin Ortmann hat, der Anleitung folgend, "Nie wieder Mozart - Ein Spielroman" verfaßt. Falls Mozart derlei Zufallsoperationen ernst genommen hat, dann könnte dies ein Schlaglicht aufs eigene Komponieren werfen: Bei manchen Menuetten etwa kann der Eindruck des quasi aus Fertigteilen Zusammengesetzten entstehen. Denkbar immerhin wäre sogar eine etwas andere Reihenfolge der Einzelteile. Zumindest im Vergleich mit Beethovens meist eher hypotaktischem Komponieren wirken die Mozarts nicht selten parataktisch nebeneinandergereiht.
Ob in der F-Dur-Klaviersonate KV 332 oder im Patchwork der "Zauberflöte": Der Eindruck des "So und nicht anders muß es ein für allemal sein" des Gesamtablaufs ist keineswegs immer absolut evident. Damit soll Mozart nicht zum Vorläufer des Aleatorikers John Cage gemacht werden. Doch über musikalischen Zusammenhang, unterschiedliche Dichtegrade zu sinnieren gehört zur Herausforderung großer Musik.
GERHARD R. KOCH.
Günther G. Bauer: "Mozart". Glück, Spiel und Leidenschaft. Verlag Karl Heinrich Bock, Bad Honnef 2003. 400 S., 69 Abb., geb., 28,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der Spielforscher Günther Bauer über die Spielernatur Mozarts
Wer war Mozart "wirklich"? Letztlich wissen wir nicht allzuviel Genaueres. Eines immerhin läßt sich, zumal im Vergleich mit Beethoven, sagen: Ein konsistentes, auf klare ästhetisch-moralische Maximen gegründetes Weltbild hatte er kaum; in seinen Meinungen, Urteilen, Vorlieben und Abneigungen schien er eher emotional, sprunghaft, auch widersprüchlich. Für eine "gesetzte" Persönlichkeit wurde er nicht alt genug. Den Ideen von Aufklärung, Josephinischen Reformen, selbst Französischer Revolution gegenüber aufgeschlossen, frohlockte er gleichwohl über den Tod Voltaires. Und während Beethoven mit gutem Grund Muzio Clementi schätzte, aktivierte der Komponist unvergleichlicher italienischer Opern gegen ihn Ressentiments wider "welsches" Virtuosentum. Und in genau dem Ausmaß, in dem Beethoven, der "Titan", zur hehrsten Werte-Instanz des deutschen Bildungsbürgertums stilisiert wurde, sah man in Mozart den ewig jugendlich tändelnden Götterliebling. Daß der tiefe Ernst von Mozarts Musik und eine mitunter eher leichtfertig-verspielte Persönlichkeit sich nicht ausschließen müssen, gehört zum Charakterbild des in mancher Hinsicht so Frühreifen wie kindlich Gebliebenen.
Daß Mozart spielerische Züge besaß, ist oft hervorgehoben worden - sei es in der fingertrommelnden Dauernervosität nicht zuletzt des Pianisten, in den frivolen Sprachscherzen der "Bäsle"-Briefe wie auch im Hang zu Gesellschaftsspielen aller Art. Dem vor allem ist der Salzburger Mozart- wie Spielforscher Günther G. Bauer nachgegangen, akribisch den Vergnügungen des Komponisten auf der Spur: Billard, Kegel, Karten- und Brettspiele, "Bölzlschießen", selbst erotisch verfängliche Pfänderspiele, Lotto und bisweilen derbe oder auch verrätselte Sprach-, Satz- und Wortverdrehungen werden hier sowohl biographisch tüftelig als auch zeit- und sittengeschichtlich weit gefächert dargestellt.
Die Salzburger, Mailänder, Mannheimer und Wiener Zeitvertreibe des auch nach Ablenkungen aller Art suchenden Künstlers werden in ein reiches historisches Panorama gestellt: Über Mozart wie über die hauptsächliche österreichische Gesellschaft der Jahre 1763 bis 1791 erfährt man allerlei Wissenswertes und Neues. Doch die Fülle des Materials täuscht ein wenig über die allzu vereinheitlichende Sicht auf die Vergnügungswelt des Rokoko hinweg; und sosehr beim homo ludens Glück und Geschicklichkeit zusammengehören, so klar sind die strukturellen Unterschiede, vor allem, was die Zufallskomponenten betrifft. Bauer reduziert Mozart auf die vielfältige Spielernatur, überbewertet ein wenig uniform eine Seite.
Gerade solch penibel kenntnisreiche Fokussierung auf ein Thema läßt Defizite zutage treten. Man erfährt zwar über dieses und jenes mancherlei Aufschlußreiches; doch ausgerechnet die Frage, ob und wie weit Mozart um Geld gespielt hat, seine Finanzmisere aus Spielschulden resultierte, muß Bauer offenlassen, seine an sich sympathische Reserve gegenüber Spekulationen führt in die Enge. Die psychologische, gar psychoanalytische Sonde setzt er entsprechend gleich gar nicht an. Was trieb Mozart, der auch mit "Trazom" unterschrieb, zu seinen Wortspielen und Sinnverkehrungen, abstrus-absurden Sprachoperationen im quasi musikalisierten Briefstil? War dies nur spätpubertäre Lust an der Verwirrung, am semantisch-phonetischen Vexierbild? Hatte die Spielleidenschaft nicht auch ihre dämonisch gefährdenden Züge? Und steckt im Jonglieren mit mobilen Strukturen innerhalb eines eher festen Rahmens nicht auch ein neues, alte Ordo-Prinzipien konsequent negierendes Moment?
Denn unschwer läßt sich die unberechenbare Dramaturgie des Opernkomponisten auch als Krisenreflex deuten, zumindest als rationalistisch-skeptischer Einspruch wider die These von der ein für allemal denkbar besten aller Welten. Daß da Ponte und Mozart auf "Così fan tutte" verfielen, ist symptomatisch, konterkariert die fatale Liebeswette doch alle Schwüre auf stabil-hohe Beziehungen, bei denen die Paare, ganz wie Karten, immer wieder neu gemischt werden können. Wenn Mozart einem Theaterautor nahe ist, dann Marivaux und dessen "Spiel von Liebe und Zufall". Steckt in "Così" nicht der Keim für Pirandellos "Sechs Personen suchen einen Autor"?
Wie authentisch Mozarts Entwürfe, mittels Würfelspiel baukastenartig kleine Stücke zu erstellen, tatsächlich sind, bleibe dahingestellt. Edwin Ortmann hat, der Anleitung folgend, "Nie wieder Mozart - Ein Spielroman" verfaßt. Falls Mozart derlei Zufallsoperationen ernst genommen hat, dann könnte dies ein Schlaglicht aufs eigene Komponieren werfen: Bei manchen Menuetten etwa kann der Eindruck des quasi aus Fertigteilen Zusammengesetzten entstehen. Denkbar immerhin wäre sogar eine etwas andere Reihenfolge der Einzelteile. Zumindest im Vergleich mit Beethovens meist eher hypotaktischem Komponieren wirken die Mozarts nicht selten parataktisch nebeneinandergereiht.
Ob in der F-Dur-Klaviersonate KV 332 oder im Patchwork der "Zauberflöte": Der Eindruck des "So und nicht anders muß es ein für allemal sein" des Gesamtablaufs ist keineswegs immer absolut evident. Damit soll Mozart nicht zum Vorläufer des Aleatorikers John Cage gemacht werden. Doch über musikalischen Zusammenhang, unterschiedliche Dichtegrade zu sinnieren gehört zur Herausforderung großer Musik.
GERHARD R. KOCH.
Günther G. Bauer: "Mozart". Glück, Spiel und Leidenschaft. Verlag Karl Heinrich Bock, Bad Honnef 2003. 400 S., 69 Abb., geb., 28,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Mozarts Hang zu Scherzen und Gesellschaftsspielen ist legendär, der Salzburger Günther G. Bauer hat sich die Mühe gemacht, Mozarts Vergnügungen -Billard, Kegeln, Kartenspiele, frivole Sprach- und erotische Pfänderspiele - auf die Spur zu kommen, und zwar, wie Rezensent Gerhard R. Koch, schreibt, "sowohl biografisch tüftelig als auch zeitgeschichtlich weit gefächert". Dabei hat Koch "allerlei Wissenswertes und Neues" erfahren. Einige Antworten ist ihm Bauer aber schuldig geblieben. Zum Beispiel auf die Frage, ob Mozarts prekäre Finanzlage auf Spielschulden zurückzuführen sei, oder ob es sich bei seiner Spielleidenschaft um einen Krisenreflex handelte.
© Perlentaucher Medien GmbH
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