Gier, Angst und Schrecken? Und dann auch noch der Homo oeconomicus! Ist der Finanzkapitalismus vor allem da, um Nicht-Bescheidwisser das Fürchten zu lehren? Georg von Wallwitz unternimmt in seinem zweiten Buch den gewohnt augenzwinkernden Versuch, zu erklären, was wir für unerträglich kompliziert halten: Wie "unser" Kapitalismus entstand; wer ihn sich ausgedacht hat; wofür er gut ist und wofür er überhaupt nichts taugt; wie man sein Land ruiniert und wie man den Ruin vermeiden kann; wie man der Armut entgeht; warum man Steuern zahlen sollte; Gerechtigkeit und Verteilung; Krisen und Wachstum; Gier und Banken; Real- und Finanzwirtschaft; und: Spielt Geld überhaupt eine Rolle? Voilà - die gesamte Ökonomie auf kleinstem Raum und, wie immer bei diesem Autor, mit möglichst guter Laune.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.10.2013Auf Zivilisationspfeilern kann man nicht sitzen
Auf den Pfaden des Wohlstands zu höheren Sternen: Georg von Wallwitz schreibt eine amüsante Ideengeschichte des wirtschaftlichen Fortschritts.
Von Thomas Thiel
Wie die Wirtschaft hat auch die Wirtschaftsliteratur ihre Konjunkturen. Gaben während der Finanzkrise Bücher den Ton an, die das Wachstumsprinzip verabschiedeten, die Finanzwirtschaft zum reinen Konstrukt erklärten oder zum radikalen Schuldenerlass aufriefen, dominiert heute wieder eine versöhnlichere Literatur, die Krisen als vorübergehende Verzerrungen mit heilsamer Wirkung betrachtet, ohne das Ganze in Frage zu stellen. Zu ihr zählt das Buch über die Genese des Wohlstands von Georg von Wallwitz.
Der studierte Philosoph und Mathematiker, der heute als Vermögensverwalter arbeitet, erzählt eine sehr amüsante Ideengeschichte des wirtschaftlichen Fortschritts, ausgeschmückt mit zahlreichen literarischen und kulturgeschichtlichen Verweisen. Wallwitz verlässt sich konzeptuell ganz auf große Denker und erklärt die Entstehung weltbewegender ökonomischer Ideen auch aus biographischen Erfahrungen und Spleens heraus, ohne sie überzubewerten. Sicher sind Schumpeters Frauengeschichten und Voltaires Spekulationserfolge reizvoller als Theorien von Wachstumspfaden. Wallwitz muss dafür aber in Kauf nehmen, dass seine Tour d'horizon abbricht, wo ihm die prominenten Denkerfiguren ausgehen, in diesem Fall recht früh mit Schumpeter. Die Exkurse ins aktuelle Wirtschaftsgeschehen hängen dadurch etwas in der Luft. Als leichter und anschaulicher Einstieg in die Wirtschaftsgeschichte ist das Buch aber zu empfehlen.
Den Durchbruch zur Wachstums- und Wohlstandsdynamik lässt der Autor spät beginnen, nicht in den spätmittelalterlichen italienischen Stadtrepubliken, sondern im aufklärerischen Frankreich. Er begründet es damit, dass sich der wirtschaftliche Fortschritt in dieser Epoche mit Industrialisierung und bürgerlicher Revolution erst richtig Bahn bricht und der aufklärerische Maßstab der Wachstumsdynamik erstmals prägnant formuliert wird: Das irdische Paradies ist zu erobern, nicht das jenseitige abzuwarten.
Zwei Traditionsmächte standen im Weg: die Privilegien des Adels und die Ökonomiefeindlichkeit der Religion. Auch die Emanzipation der Handelstugenden lässt Wallwitz spät einsetzen, nicht mit Mandevilles Bienenfabel oder religiösen Verdiesseitigungstendenzen, sondern mit Voltaires "Philosophischen Briefen". Der Aufklärer hob die Ökonomie darin in die Sphäre der Politik, nachdem er im englischen Exil erkannt hatte, wie die frühindustrialisierte Welt das Diesseits mit immer größerem Erfolg bearbeitete. Die Erlaubnis dafür hatte sie sich aber sicher nicht erst bei dem französischen Philosophen geholt.
Mit der Garantie von Handelsfreiheit, Eigentumsrecht und der Abschaffung alter Privilegien ebnete die Revolution dem Wachstumsprinzip schließlich den Weg in die Praxis. Gewinnstreben wurde zum legitimen Ziel. Danach folgt das Buch dem klassischen Weg der Wirtschaftsgeschichte über Adam Smith' Idee des guten Eigennutzes, Ricardos Freihandelslehre, die klassenkämpferischen Ideen von Frühsozialisten und Anarchisten bis zum sozial gestimmten Liberalismus John Stuart Mills. Poppers liberale Einwände gegen die geschichtsphilosophischen Fermente der Planwirtschaft kommen zur Sprache, auch Keynes' gefühlsbegabte Version des Homo oeconomicus und seine antizyklische Konjunkturtheorie. Nichts davon ist neu; man hat es nur selten so pointiert gelesen.
Das besondere Talent von Wallwitz liegt in der Kombination von ökonomischen Ideen mit Charakteranlagen und historischen Lebenswirklichkeiten. Voltaire, der es als skrupelloser Spekulant zu großem Reichtum brachte, fiel die Anerkennung von Gewinninteressen gewiss leichter als dem kleinbürgerlichen Moralisten Rousseau. Mit großer Sensibilität für kulturelle Faktoren ökonomischer Ideenbildung beschreibt Wallwitz den Einfluss, den der New Deal und das akademische Milieu von Cambridge auf die Ideen von Keynes' nahmen, wie hinter der Staatsfeindschaft der österreichischen Liberalen um Ludwig von Mises und Friedrich von Hayek auch die Furcht vor der kafkaesken Riesenbürokratie stand oder die nietzscheanischen Kräfte, die in Schumpeters Prinzip der kreativen Zerstörung schlummerten.
Im Urteil setzt Wallwitz auf Ausgleich. Wachstums- und Marktprinzip ist er wohlgesonnen, tadelt aber den Exzess, etwa wenn Milton Friedman in seiner Staatsverachtung auch über die staatliche Zulassung von Medikamenten herzieht. Wohlstand erscheint ihm nicht als Zweck an sich, eher als Zivilisationspfeiler, auf dem sich edlere Kräfte erheben können. Das macht ihn aber nicht zum Anhänger von Mills Leitbild einer stationären Wirtschaft, in der sich eine materiell befriedigte Gesellschaft höheren Dingen widmet. Wallwitz hält es mit Schumpeters Prinzip der kreativen Zerstörung. Eine zentral gelenkte stationäre Wirtschaft produziert in seinen Augen nur Stillstand und Frustration. Krisen sind dagegen eine Auslese der Schwachen, sie bringen die Wirtschaft voran. Schade, dass die vergangene Krise nicht auch eine Auslese schlechter Sitten in der Finanzwirtschaft gebracht hat.
Über Kehrseiten des Wachstums von ökologischen Nebenfolgen bis zum kognitiven Kapitalismus ist in diesem Buch wenig bis nichts zu erfahren. Einseitig gerät auch das von Schumpeter inspirierte Lob des Unternehmers, das kaum Worte für die Bedeutung des Forschers und Erfinders findet, auf deren Schultern der Unternehmergeist ruht. Ein Begriff von geistigem Wachstum, der von äußerer Bewegung unabhängig ist, scheint dem Autor hier fremd. Andererseits ist ihm der ökonomische Materialismus am Ende etwas schnöde. Höheres muss her. "Der Wohlstand ist eine regulative Idee, die das Wollen, Sehnen und Meinen der Menschen in einen großen Zusammenhang ordnet, ohne selbst je in Erscheinung zu treten." Da zielt die Gesinnung doch sehr weit über den Begriff hinaus.
Georg von Wallwitz: "Mr. Smith und das Paradies". Die Erfindung des Wohlstands.
Berenberg Verlag, Berlin 2013. 200 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Auf den Pfaden des Wohlstands zu höheren Sternen: Georg von Wallwitz schreibt eine amüsante Ideengeschichte des wirtschaftlichen Fortschritts.
Von Thomas Thiel
Wie die Wirtschaft hat auch die Wirtschaftsliteratur ihre Konjunkturen. Gaben während der Finanzkrise Bücher den Ton an, die das Wachstumsprinzip verabschiedeten, die Finanzwirtschaft zum reinen Konstrukt erklärten oder zum radikalen Schuldenerlass aufriefen, dominiert heute wieder eine versöhnlichere Literatur, die Krisen als vorübergehende Verzerrungen mit heilsamer Wirkung betrachtet, ohne das Ganze in Frage zu stellen. Zu ihr zählt das Buch über die Genese des Wohlstands von Georg von Wallwitz.
Der studierte Philosoph und Mathematiker, der heute als Vermögensverwalter arbeitet, erzählt eine sehr amüsante Ideengeschichte des wirtschaftlichen Fortschritts, ausgeschmückt mit zahlreichen literarischen und kulturgeschichtlichen Verweisen. Wallwitz verlässt sich konzeptuell ganz auf große Denker und erklärt die Entstehung weltbewegender ökonomischer Ideen auch aus biographischen Erfahrungen und Spleens heraus, ohne sie überzubewerten. Sicher sind Schumpeters Frauengeschichten und Voltaires Spekulationserfolge reizvoller als Theorien von Wachstumspfaden. Wallwitz muss dafür aber in Kauf nehmen, dass seine Tour d'horizon abbricht, wo ihm die prominenten Denkerfiguren ausgehen, in diesem Fall recht früh mit Schumpeter. Die Exkurse ins aktuelle Wirtschaftsgeschehen hängen dadurch etwas in der Luft. Als leichter und anschaulicher Einstieg in die Wirtschaftsgeschichte ist das Buch aber zu empfehlen.
Den Durchbruch zur Wachstums- und Wohlstandsdynamik lässt der Autor spät beginnen, nicht in den spätmittelalterlichen italienischen Stadtrepubliken, sondern im aufklärerischen Frankreich. Er begründet es damit, dass sich der wirtschaftliche Fortschritt in dieser Epoche mit Industrialisierung und bürgerlicher Revolution erst richtig Bahn bricht und der aufklärerische Maßstab der Wachstumsdynamik erstmals prägnant formuliert wird: Das irdische Paradies ist zu erobern, nicht das jenseitige abzuwarten.
Zwei Traditionsmächte standen im Weg: die Privilegien des Adels und die Ökonomiefeindlichkeit der Religion. Auch die Emanzipation der Handelstugenden lässt Wallwitz spät einsetzen, nicht mit Mandevilles Bienenfabel oder religiösen Verdiesseitigungstendenzen, sondern mit Voltaires "Philosophischen Briefen". Der Aufklärer hob die Ökonomie darin in die Sphäre der Politik, nachdem er im englischen Exil erkannt hatte, wie die frühindustrialisierte Welt das Diesseits mit immer größerem Erfolg bearbeitete. Die Erlaubnis dafür hatte sie sich aber sicher nicht erst bei dem französischen Philosophen geholt.
Mit der Garantie von Handelsfreiheit, Eigentumsrecht und der Abschaffung alter Privilegien ebnete die Revolution dem Wachstumsprinzip schließlich den Weg in die Praxis. Gewinnstreben wurde zum legitimen Ziel. Danach folgt das Buch dem klassischen Weg der Wirtschaftsgeschichte über Adam Smith' Idee des guten Eigennutzes, Ricardos Freihandelslehre, die klassenkämpferischen Ideen von Frühsozialisten und Anarchisten bis zum sozial gestimmten Liberalismus John Stuart Mills. Poppers liberale Einwände gegen die geschichtsphilosophischen Fermente der Planwirtschaft kommen zur Sprache, auch Keynes' gefühlsbegabte Version des Homo oeconomicus und seine antizyklische Konjunkturtheorie. Nichts davon ist neu; man hat es nur selten so pointiert gelesen.
Das besondere Talent von Wallwitz liegt in der Kombination von ökonomischen Ideen mit Charakteranlagen und historischen Lebenswirklichkeiten. Voltaire, der es als skrupelloser Spekulant zu großem Reichtum brachte, fiel die Anerkennung von Gewinninteressen gewiss leichter als dem kleinbürgerlichen Moralisten Rousseau. Mit großer Sensibilität für kulturelle Faktoren ökonomischer Ideenbildung beschreibt Wallwitz den Einfluss, den der New Deal und das akademische Milieu von Cambridge auf die Ideen von Keynes' nahmen, wie hinter der Staatsfeindschaft der österreichischen Liberalen um Ludwig von Mises und Friedrich von Hayek auch die Furcht vor der kafkaesken Riesenbürokratie stand oder die nietzscheanischen Kräfte, die in Schumpeters Prinzip der kreativen Zerstörung schlummerten.
Im Urteil setzt Wallwitz auf Ausgleich. Wachstums- und Marktprinzip ist er wohlgesonnen, tadelt aber den Exzess, etwa wenn Milton Friedman in seiner Staatsverachtung auch über die staatliche Zulassung von Medikamenten herzieht. Wohlstand erscheint ihm nicht als Zweck an sich, eher als Zivilisationspfeiler, auf dem sich edlere Kräfte erheben können. Das macht ihn aber nicht zum Anhänger von Mills Leitbild einer stationären Wirtschaft, in der sich eine materiell befriedigte Gesellschaft höheren Dingen widmet. Wallwitz hält es mit Schumpeters Prinzip der kreativen Zerstörung. Eine zentral gelenkte stationäre Wirtschaft produziert in seinen Augen nur Stillstand und Frustration. Krisen sind dagegen eine Auslese der Schwachen, sie bringen die Wirtschaft voran. Schade, dass die vergangene Krise nicht auch eine Auslese schlechter Sitten in der Finanzwirtschaft gebracht hat.
Über Kehrseiten des Wachstums von ökologischen Nebenfolgen bis zum kognitiven Kapitalismus ist in diesem Buch wenig bis nichts zu erfahren. Einseitig gerät auch das von Schumpeter inspirierte Lob des Unternehmers, das kaum Worte für die Bedeutung des Forschers und Erfinders findet, auf deren Schultern der Unternehmergeist ruht. Ein Begriff von geistigem Wachstum, der von äußerer Bewegung unabhängig ist, scheint dem Autor hier fremd. Andererseits ist ihm der ökonomische Materialismus am Ende etwas schnöde. Höheres muss her. "Der Wohlstand ist eine regulative Idee, die das Wollen, Sehnen und Meinen der Menschen in einen großen Zusammenhang ordnet, ohne selbst je in Erscheinung zu treten." Da zielt die Gesinnung doch sehr weit über den Begriff hinaus.
Georg von Wallwitz: "Mr. Smith und das Paradies". Die Erfindung des Wohlstands.
Berenberg Verlag, Berlin 2013. 200 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Nikolaus Piper findet Georg von Wallwitz' Buch über die "Erfindung des Wohlstands" ganz wunderbar. Dem Mathematiker, Philosoph und Vermögensverwalter ist zu seiner Freude eine lebendige, erhellende und auch witzige Dogmengeschichte der Ökonomie gelungen. Piper attestiert dem Autor, den verengten Blick vieler Ökonomen zu weiten, etwa wenn Beharrungsvermögen alter Strukturen am Beispiel von Tschechows "Kirschgarten" erläutert oder Schumpeters heroischem Unternehmer mit Nietzsche verständlich gemacht werden. Allerdings kommt der Rezensent nicht umhin, dem Autor einige Ungenauigkeiten vor zu halten, die dieser bisweilen "um der guten Story willen" hinnehme. Diese scheinen ihm überwiegend nebensächlich. Nur einmal, wo es um Keynes' Begriff der "animal spirits" geht, liegt der Autor seines Erachtens ernstlich daneben. Doch fällt dies für Piper nicht allzu negativ ins Gewicht, zumal das Buch "so schön geschrieben" sei, dass man ihm nicht wirklich böse sein könne.
© Perlentaucher Medien GmbH
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