Lars Mrosko ist Fußballer mit Haut und Haaren. Als ihn eine Knöchelverletzung zwingt, die eigene Karriere an den Nagel zu hängen, will er um keinen Preis seine Leidenschaft aufgeben. Er wird Jugendtrainer bei TeBe Berlin, dann Talentscout für St. Pauli, Wolfsburg und schließlich sogar den FC Bayern. Er weiß, dass viel Geld im Spiel ist, wenn es um Talente für eine der besten Ligen der Welt geht. Aber das ist ihm egal, er ist glücklich über einen Trainingsanzug in Vereinsfarben, über Anerkennung durch seine Vorgesetzten. Lars Mrosko kommt aus einfachen Verhältnissen, aufgewachsen in Neukölln schlägt er sich mit Ladendiebstählen durch, bis seine Fußballkenntnisse ihn an die richtige Stelle katapultieren - ins Büro von Felix Magath, der Mroskos Leidenschaft erkennt und ihm glaubt, dass Edin Dzeko der richtige Stürmer für Wolfsburg sein könnte ...
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.08.2015Das Leben ist ein Handy
Ronald Reng hat ein Buch über den Alltag eines Bundesliga-Scouts geschrieben. Wäre es Fiction, dann wäre es der Roman der Saison
Das Leben kann ein Roman sein oder eine Baustelle, auch mal ein langer, ruhiger Fluss. Es hält die Vergleiche und Metaphern mühelos aus, weil es sie virtuell sowieso alle in sich enthält, was neue Pointen nicht ausschließt. "Sein Leben war ein Handy", heißt es über Mrosko, den Fußballscout, der auf einmal Spielerberater wird. "Wenn er ein Buch über sein Leben als Spielerberater schreiben würde, wäre darin praktisch keine Szene, nur ein Geräusch: das Tuten des Handys." Mrosko setzt sich hin, um dieses Buch zu schreiben, nach ein paar Seiten gibt er auf, "die Kommasetzung nervte ihn. Das Handy klingelte wieder." Da er mit dem Schreiben nicht weiterkommt, wird halt über ihn geschrieben, sein Leben hat ja auch alles, was ein toller Roman braucht, und er selbst wäre ein so großartiger Protagonist, wie ihn die meisten deutschen Schriftsteller nie erfinden werden. Nicht bloß, weil ihre Romane oft so lebensfern, erfahrungsabstinent und schreibschulpoliert wirken, sondern weil dieser Lars Mrosko gar keine Fiktion ist, weil nichts erfunden werden, weil nur gründlich recherchiert und mit Begabung für Timing und Inszenierung geschrieben werden musste.
Dass "Mroskos Talente" sich liest wie einer der vitalsten deutschen Romane dieses Jahres, liegt natürlich am Autor. Ronald Reng, 45, ist Sportjournalist. Seine Biographie über Robert Enke war 2010 ein Bestseller. Zum fünfzigsten Jubiläum der Fußballbundesliga lieferte er nicht eines dieser tonnenschweren Coffee-Table-Bücher, sondern erzählte in "Spieltage" anhand der Karriere des Spielers und Trainers Heinz Höher von Glanz und Elend, Leiden und Leidenschaft im deutschen Profifußball.
Auf "Spieltage", dessen Erzählweise durch szenische Verdichtung, geschickt gesetzte Leitmotive und einen klaren, unprätentiösen Stil weniger an ein Sachbuch als an eine Prosaerzählung erinnerte, folgt nun in "Mroskos Talente" so etwas wie ein trauriger Schelmenroman, der zufällig wahr ist. Über einen Mann, der heute gerade mal 38 ist, dem manches gelungen und vieles danebengegangen ist; der sich selbst im Weg steht, der beliebt, gerade heraus und akribisch ist, aufbrausend und herzensgut, den Freunde einen "Getriebenen" nennen. Einen, und da muss man an den viel älteren, heute 77-jährigen Höher denken, der zu stur, zu leichtfertig, zu eigensinnig ist, um sich jemals wirklich anpassen zu können, in einer Institution, in Verhältnissen, die seinen Gerechtigkeitssinn empören.
Lars Mrosko also, eines von fünf Kindern aus Neukölln, aus Rudow genau gesagt; die Eltern Gerichtsbeamte im mittleren Dienst, ein kleinbürgerliches Milieu, West-Berlins Süden vor der Wende, als die Jungs noch an der Mauer entlangliefen und Milch und Eier beim Bauern holten. Mrosko, der nach einem Jahr wieder vom Canisius-Kolleg flog und dessen Zwillingsbruder heute katholischer Priester ist. Um zu verstehen, wie Mrosko tickt, muss man nur lesen, dass er zur ersten Predigt des Bruders den alten Neuköllner Pfarrer, den alten Religionslehrer, den alten Kindergärtner heimlich einlud und den Bruder damit zutiefst anrührte.
Er hat natürlich selber Fußball gespielt wie fast alle Jungs, er hat Lackbomben auf teure Autos geschmissen aus dem elften Stock, in der U-Bahn getaggt, später geklaut im Supermarkt mit anderen, meist Alkohol, um ihn weiterzuverkaufen und davon zu leben. Er hat drei Lehren abgebrochen, und einige Liebesbeziehungen und eine Ehe sind ihm zerbrochen. Ein Leben voller Knicks und scharfer Kurven.
Reng erzählt das nicht schlicht chronologisch. Er stellt uns Mrosko vor als Scout von Bayern München, der in Berlin Talente sichtet, der, leider, gerne Wolfgang Petry hört, aber auch Techno. Reng zeichnet nach, wie er zu den Bayern kam, schildert Mroskos Hingabe und Passion für das Spiel, wie er hingerissen ist von der Schönheit einer Bewegung auf dem Platz, begeistert von einem jungen Spieler, bereit, sich rückhaltlos für ihn einzusetzen; er erzählt, wie sein Weg ihn zum FC St. Pauli führt, zum VfL Wolfsburg, wie er Wertschätzung erlebt, wo er sie kaum erwartet hat, vom Meistertrainer und Spielerquäler Felix Magath.
Erst nach gut hundert Seiten setzt eine längere Rückblende ein: auf Jugend und Familie und Freunde, auf die Probleme der Mutter und den überforderten Vater, darauf, wie die Familie zerbricht. Das ist lässig und voller Empathie, aber nie ranschmeißerisch erzählt, mit einem sicheren Gespür für die richtigen Situationen. Als Mrosko mit zwanzig Jahren bei Tennis Borussia Berlin Jugendtrainer ist, fragt ihn der Jugendkoordinator, ob er Scout werden wolle. "Was ist das denn: Scout?", fragt Mrosko - und schon ist er es, mit kleinem Gehalt, ohne Reisegeld. Der Jugendkoordinator gibt ihm "seine EC-Karte, nannte ihm die Geheimzahl und sagte, Mrosko solle sich auf der Fahrt mit der Karte bitte auf jeden Fall auch etwas zu essen kaufen". Der Mann heißt Mirko Slomka und machte ein paar Jahre später Karriere als Bundesligatrainer.
Wenn man solche Passagen liest, wenn man der Montage der Szenen und dem Rhythmus der Geschichte folgt, müssen einem die Spieler- oder Trainernamen gar nichts sagen. Sie sind ein schöner Bonus für Fußballliebhaber, aber das Aufregendste an diesem Buch ist, wie anschaulich sich hier ein fremder Alltag auftut. Das Leben eines Scouts, das heißt: ständig unterwegs in ganz Europa, Kilometer fressen, die Datenbank füttern, oft mehr als zwei Spiele an einem Tag schauen, Intrigen aushalten, Netzwerke knüpfen, Vorgesetzte oder Spielereltern überzeugen, Konkurrenten wegbeißen. Durch den rastlosen Mrosko erschließt sich eine eigene Welt mit ihren Gesetzen und Ritualen, eine "Halbwelt", wie Ronald Reng sie nennt, "ein Leben, in dem viele mit kleinen Rollen, kargen Gehältern und vagen Aussichten über Jahre ausharren, um irgendwie, wenigstens halb, dazuzugehören".
In Mroskos Aufstieg spiegelt sich zugleich die Entwicklung einer Branche. Als er um das Jahr 2000 einsteigt, setzt der große Kommerzialisierungsschub im Fußball ein, der bis heute anhält. Mit der Vorgabe an die Bundesligaclubs, Jugendleistungszentren aufzubauen, werden Jugendliche zu Zielen systematischer Beobachtung und zu Spekulationsobjekten. Und weil Reng für sein Buch nicht nur mit Mrosko gesprochen hat, sondern mit dessen alten Freunden, mit bekannten und weniger bekannten Weggefährten, kommen natürlich auch die Sackgassen in den Blick, die Karrieren im Sinkflug, die zerrinnenden Hoffnungen auf eine Profikarriere, die lädierten Körper.
Mrosko selbst spielte Fußball, bis ihm sein Sprunggelenk zertrümmert wurde. Trotzdem versuchte er, weiterzuspielen. Ein Fersentumor musste später entfernt werden. Es folgten ein Bandscheibenvorfall, eine Magenoperation, zu viele Tabletten. Mroskos Gerissenheit, die große Klappe, die Unerschrockenheit, sie sind halt nicht alles; das Pikareske kippt irgendwann um, es kippt schon zwischendurch immer mal wieder weg. Man muss nicht immer gleich von Tragik reden, aber da ist dieses Gefühl, das Fußballer Abstiegsangst nennen, im Keller der Tabelle, kurz vor der Resignation.
Denn Mrosko, der nach Anerkennung giert, der keinem Konflikt aus dem Weg geht und Leute vor den Kopf stößt, der sich rührend um seine Freunde kümmert, der es ihnen aber auch nicht leichtmacht, weil er Probleme lieber mit sich selbst austrägt, Mrosko schmeißt eines Tages hin. Eher aus Verlegenheit als aus Überzeugung ist er noch Spielerberater geworden, einer von 481, die in Deutschland registriert sind, die um etwa 1400 Spieler in den drei Profiligen konkurrieren. Von den hundert Millionen Provision, welche die Vereine pro Jahr zahlen, profitieren jedoch nur wenige Berater.
Mrosko wird mürbe. Unglücklich mit der geballten Zurückweisung, die er erlebt, unfähig, sie auszuhalten, schreibt er eine SMS und schickt sie Ende 2013 an 300 Freunde und Bekannte. Darin steht dann ein Satz wie: "Das ist nicht mehr meine Welt." Das ist ein bisschen Pose und ganz schön viel Verzweiflung. Gerade mal 36, spricht der Schelm wie ein Veteran aus tausend Schlachten. Es bleibt die vage Hoffnung, dass Eintracht Frankfurt doch noch mal anruft - sie haben sich bis heute nicht gemeldet. Und es bleibt, weil dieses Buch eben kein Roman ist, eine große Ungewissheit: ob Mrosko noch mal die Kurve kriegt, ob die Fähigkeiten, die ihm alle neidlos bescheinigen, einen Ort finden werden, wo sie sich entfalten können.
Dass Reng keine Fiktion schreibt, heißt ja nicht, dass da nicht Szenen und Sätze wären mit einem fabelhaften Gespür für Emotion und Effekt. Und weil jedes noch so banale Fußballspiel seine eigene kleine Erzählung hervorbringt, muss dieses Buch auch mit einem Spiel enden, zwischen Melancholie und Rettung in letzter Sekunde: Mrosko und sein alter Freund Shergo, der es fast zum Profi brachte und jetzt Polizist ist, als Trainer der A-Jugend des TSV Rudow, fern von der Bundesliga, ganz nah am alten Kiez, wo sie aufgewachsen sind; ein feuchter Tag im November 2014, eine enge Kabine, eine feurige Ansprache: "Als sie hinausgehen, knirschen ihre Stollenschuhe auf den Steinplatten zum Fußballplatz, es ist eines der schönsten Geräusche des Fußballs, jeder Spieler erkennt es sofort. Das Knirschen der Stollen klingt nach Aufbruch, nach Erwartung und Hoffnung, nach: Jetzt geht es los."
PETER KÖRTE
Ronald Reng: "Mroskos Talente. Das erstaunliche Leben eines Bundesliga-Scouts". Piper, 408 Seiten, 20 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ronald Reng hat ein Buch über den Alltag eines Bundesliga-Scouts geschrieben. Wäre es Fiction, dann wäre es der Roman der Saison
Das Leben kann ein Roman sein oder eine Baustelle, auch mal ein langer, ruhiger Fluss. Es hält die Vergleiche und Metaphern mühelos aus, weil es sie virtuell sowieso alle in sich enthält, was neue Pointen nicht ausschließt. "Sein Leben war ein Handy", heißt es über Mrosko, den Fußballscout, der auf einmal Spielerberater wird. "Wenn er ein Buch über sein Leben als Spielerberater schreiben würde, wäre darin praktisch keine Szene, nur ein Geräusch: das Tuten des Handys." Mrosko setzt sich hin, um dieses Buch zu schreiben, nach ein paar Seiten gibt er auf, "die Kommasetzung nervte ihn. Das Handy klingelte wieder." Da er mit dem Schreiben nicht weiterkommt, wird halt über ihn geschrieben, sein Leben hat ja auch alles, was ein toller Roman braucht, und er selbst wäre ein so großartiger Protagonist, wie ihn die meisten deutschen Schriftsteller nie erfinden werden. Nicht bloß, weil ihre Romane oft so lebensfern, erfahrungsabstinent und schreibschulpoliert wirken, sondern weil dieser Lars Mrosko gar keine Fiktion ist, weil nichts erfunden werden, weil nur gründlich recherchiert und mit Begabung für Timing und Inszenierung geschrieben werden musste.
Dass "Mroskos Talente" sich liest wie einer der vitalsten deutschen Romane dieses Jahres, liegt natürlich am Autor. Ronald Reng, 45, ist Sportjournalist. Seine Biographie über Robert Enke war 2010 ein Bestseller. Zum fünfzigsten Jubiläum der Fußballbundesliga lieferte er nicht eines dieser tonnenschweren Coffee-Table-Bücher, sondern erzählte in "Spieltage" anhand der Karriere des Spielers und Trainers Heinz Höher von Glanz und Elend, Leiden und Leidenschaft im deutschen Profifußball.
Auf "Spieltage", dessen Erzählweise durch szenische Verdichtung, geschickt gesetzte Leitmotive und einen klaren, unprätentiösen Stil weniger an ein Sachbuch als an eine Prosaerzählung erinnerte, folgt nun in "Mroskos Talente" so etwas wie ein trauriger Schelmenroman, der zufällig wahr ist. Über einen Mann, der heute gerade mal 38 ist, dem manches gelungen und vieles danebengegangen ist; der sich selbst im Weg steht, der beliebt, gerade heraus und akribisch ist, aufbrausend und herzensgut, den Freunde einen "Getriebenen" nennen. Einen, und da muss man an den viel älteren, heute 77-jährigen Höher denken, der zu stur, zu leichtfertig, zu eigensinnig ist, um sich jemals wirklich anpassen zu können, in einer Institution, in Verhältnissen, die seinen Gerechtigkeitssinn empören.
Lars Mrosko also, eines von fünf Kindern aus Neukölln, aus Rudow genau gesagt; die Eltern Gerichtsbeamte im mittleren Dienst, ein kleinbürgerliches Milieu, West-Berlins Süden vor der Wende, als die Jungs noch an der Mauer entlangliefen und Milch und Eier beim Bauern holten. Mrosko, der nach einem Jahr wieder vom Canisius-Kolleg flog und dessen Zwillingsbruder heute katholischer Priester ist. Um zu verstehen, wie Mrosko tickt, muss man nur lesen, dass er zur ersten Predigt des Bruders den alten Neuköllner Pfarrer, den alten Religionslehrer, den alten Kindergärtner heimlich einlud und den Bruder damit zutiefst anrührte.
Er hat natürlich selber Fußball gespielt wie fast alle Jungs, er hat Lackbomben auf teure Autos geschmissen aus dem elften Stock, in der U-Bahn getaggt, später geklaut im Supermarkt mit anderen, meist Alkohol, um ihn weiterzuverkaufen und davon zu leben. Er hat drei Lehren abgebrochen, und einige Liebesbeziehungen und eine Ehe sind ihm zerbrochen. Ein Leben voller Knicks und scharfer Kurven.
Reng erzählt das nicht schlicht chronologisch. Er stellt uns Mrosko vor als Scout von Bayern München, der in Berlin Talente sichtet, der, leider, gerne Wolfgang Petry hört, aber auch Techno. Reng zeichnet nach, wie er zu den Bayern kam, schildert Mroskos Hingabe und Passion für das Spiel, wie er hingerissen ist von der Schönheit einer Bewegung auf dem Platz, begeistert von einem jungen Spieler, bereit, sich rückhaltlos für ihn einzusetzen; er erzählt, wie sein Weg ihn zum FC St. Pauli führt, zum VfL Wolfsburg, wie er Wertschätzung erlebt, wo er sie kaum erwartet hat, vom Meistertrainer und Spielerquäler Felix Magath.
Erst nach gut hundert Seiten setzt eine längere Rückblende ein: auf Jugend und Familie und Freunde, auf die Probleme der Mutter und den überforderten Vater, darauf, wie die Familie zerbricht. Das ist lässig und voller Empathie, aber nie ranschmeißerisch erzählt, mit einem sicheren Gespür für die richtigen Situationen. Als Mrosko mit zwanzig Jahren bei Tennis Borussia Berlin Jugendtrainer ist, fragt ihn der Jugendkoordinator, ob er Scout werden wolle. "Was ist das denn: Scout?", fragt Mrosko - und schon ist er es, mit kleinem Gehalt, ohne Reisegeld. Der Jugendkoordinator gibt ihm "seine EC-Karte, nannte ihm die Geheimzahl und sagte, Mrosko solle sich auf der Fahrt mit der Karte bitte auf jeden Fall auch etwas zu essen kaufen". Der Mann heißt Mirko Slomka und machte ein paar Jahre später Karriere als Bundesligatrainer.
Wenn man solche Passagen liest, wenn man der Montage der Szenen und dem Rhythmus der Geschichte folgt, müssen einem die Spieler- oder Trainernamen gar nichts sagen. Sie sind ein schöner Bonus für Fußballliebhaber, aber das Aufregendste an diesem Buch ist, wie anschaulich sich hier ein fremder Alltag auftut. Das Leben eines Scouts, das heißt: ständig unterwegs in ganz Europa, Kilometer fressen, die Datenbank füttern, oft mehr als zwei Spiele an einem Tag schauen, Intrigen aushalten, Netzwerke knüpfen, Vorgesetzte oder Spielereltern überzeugen, Konkurrenten wegbeißen. Durch den rastlosen Mrosko erschließt sich eine eigene Welt mit ihren Gesetzen und Ritualen, eine "Halbwelt", wie Ronald Reng sie nennt, "ein Leben, in dem viele mit kleinen Rollen, kargen Gehältern und vagen Aussichten über Jahre ausharren, um irgendwie, wenigstens halb, dazuzugehören".
In Mroskos Aufstieg spiegelt sich zugleich die Entwicklung einer Branche. Als er um das Jahr 2000 einsteigt, setzt der große Kommerzialisierungsschub im Fußball ein, der bis heute anhält. Mit der Vorgabe an die Bundesligaclubs, Jugendleistungszentren aufzubauen, werden Jugendliche zu Zielen systematischer Beobachtung und zu Spekulationsobjekten. Und weil Reng für sein Buch nicht nur mit Mrosko gesprochen hat, sondern mit dessen alten Freunden, mit bekannten und weniger bekannten Weggefährten, kommen natürlich auch die Sackgassen in den Blick, die Karrieren im Sinkflug, die zerrinnenden Hoffnungen auf eine Profikarriere, die lädierten Körper.
Mrosko selbst spielte Fußball, bis ihm sein Sprunggelenk zertrümmert wurde. Trotzdem versuchte er, weiterzuspielen. Ein Fersentumor musste später entfernt werden. Es folgten ein Bandscheibenvorfall, eine Magenoperation, zu viele Tabletten. Mroskos Gerissenheit, die große Klappe, die Unerschrockenheit, sie sind halt nicht alles; das Pikareske kippt irgendwann um, es kippt schon zwischendurch immer mal wieder weg. Man muss nicht immer gleich von Tragik reden, aber da ist dieses Gefühl, das Fußballer Abstiegsangst nennen, im Keller der Tabelle, kurz vor der Resignation.
Denn Mrosko, der nach Anerkennung giert, der keinem Konflikt aus dem Weg geht und Leute vor den Kopf stößt, der sich rührend um seine Freunde kümmert, der es ihnen aber auch nicht leichtmacht, weil er Probleme lieber mit sich selbst austrägt, Mrosko schmeißt eines Tages hin. Eher aus Verlegenheit als aus Überzeugung ist er noch Spielerberater geworden, einer von 481, die in Deutschland registriert sind, die um etwa 1400 Spieler in den drei Profiligen konkurrieren. Von den hundert Millionen Provision, welche die Vereine pro Jahr zahlen, profitieren jedoch nur wenige Berater.
Mrosko wird mürbe. Unglücklich mit der geballten Zurückweisung, die er erlebt, unfähig, sie auszuhalten, schreibt er eine SMS und schickt sie Ende 2013 an 300 Freunde und Bekannte. Darin steht dann ein Satz wie: "Das ist nicht mehr meine Welt." Das ist ein bisschen Pose und ganz schön viel Verzweiflung. Gerade mal 36, spricht der Schelm wie ein Veteran aus tausend Schlachten. Es bleibt die vage Hoffnung, dass Eintracht Frankfurt doch noch mal anruft - sie haben sich bis heute nicht gemeldet. Und es bleibt, weil dieses Buch eben kein Roman ist, eine große Ungewissheit: ob Mrosko noch mal die Kurve kriegt, ob die Fähigkeiten, die ihm alle neidlos bescheinigen, einen Ort finden werden, wo sie sich entfalten können.
Dass Reng keine Fiktion schreibt, heißt ja nicht, dass da nicht Szenen und Sätze wären mit einem fabelhaften Gespür für Emotion und Effekt. Und weil jedes noch so banale Fußballspiel seine eigene kleine Erzählung hervorbringt, muss dieses Buch auch mit einem Spiel enden, zwischen Melancholie und Rettung in letzter Sekunde: Mrosko und sein alter Freund Shergo, der es fast zum Profi brachte und jetzt Polizist ist, als Trainer der A-Jugend des TSV Rudow, fern von der Bundesliga, ganz nah am alten Kiez, wo sie aufgewachsen sind; ein feuchter Tag im November 2014, eine enge Kabine, eine feurige Ansprache: "Als sie hinausgehen, knirschen ihre Stollenschuhe auf den Steinplatten zum Fußballplatz, es ist eines der schönsten Geräusche des Fußballs, jeder Spieler erkennt es sofort. Das Knirschen der Stollen klingt nach Aufbruch, nach Erwartung und Hoffnung, nach: Jetzt geht es los."
PETER KÖRTE
Ronald Reng: "Mroskos Talente. Das erstaunliche Leben eines Bundesliga-Scouts". Piper, 408 Seiten, 20 Euro
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"Das beste Fußballbuch des Herbstes vom besten Sportautor der Republik.", Bild am Sonntag, 16.08.2015