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Mit zarten 46 Jahren kann's das doch noch nicht gewesen sein! Gerade war Eve Fletcher noch alleinerziehende Mutter. Jetzt probiert ihr Sohn Brendan am College aus, was es heißt, ein Mann zu sein, und auch, was es nicht heißt. Aber sind Mütter nicht auch nur Frauen? Also umsortieren, neu aufstellen, was wagen - aber wie? Während Eve und Brendan jeder für sich mal mehr, mal weniger glorreiche Abenteuer bestehen, steuern sie unbeirrbar auf eine schicksalhafte Novembernacht zu, die ihr ehemals so geordnetes Vorstadtleben aus den Angeln zu heben droht.

Produktbeschreibung
Mit zarten 46 Jahren kann's das doch noch nicht gewesen sein! Gerade war Eve Fletcher noch alleinerziehende Mutter. Jetzt probiert ihr Sohn Brendan am College aus, was es heißt, ein Mann zu sein, und auch, was es nicht heißt. Aber sind Mütter nicht auch nur Frauen? Also umsortieren, neu aufstellen, was wagen - aber wie? Während Eve und Brendan jeder für sich mal mehr, mal weniger glorreiche Abenteuer bestehen, steuern sie unbeirrbar auf eine schicksalhafte Novembernacht zu, die ihr ehemals so geordnetes Vorstadtleben aus den Angeln zu heben droht.

Autorenporträt
Perrotta, TomTom Perrotta wurde 1961 in Garwood, New Jersey geboren. Seine Romane (u.a. Little Children mit Kate Winslet in der Hauptrolle) werden regelmäßig fürs Kino verfilmt. Perrotta lebt in der Nähe von Boston.

Maass, Johann ChristophJohann Christoph Maass, geboren 1973, war Schlagzeuger bevor er Literaturwissenschaften studierte. Er arbeitet als freier Übersetzer in Berlin. Zu den von ihm übertragenen Autoren gehören u.a.: Jonathan Lethem, Barney Norris, Howard Jacobson, Chad Harbach und Ron Jonson.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.05.2019

Die Höllen des Mittelstands
Der Romanautor Tom Perrotta macht aus schweren Stoffen unterhaltsame Bücher - beim Fernsehen ist das gerade sehr gefragt

Tom Perrotta hat derzeit mächtig Stress. Er steckt mitten in der Umwandlung seines aktuellen, kürzlich auch bei uns erschienenen Romans "Mrs Fletcher" in Fernsehserienbilder.

"Ich mag die Arbeit des Showrunners", schreibt der Schriftsteller per Mail. "Doch als ich zusagte, den Job zu übernehmen, hatte ich keine Ahnung, auf was ich mich da einließ." Der New Yorker Bezahlsender HBO hat die Produktion bei ihm in Auftrag gegeben. Denn seit seiner Mitarbeit an Damon Lindelofs erfolgreicher Umsetzung seines Romans "The Leftovers", 2014, genießt der Mann mit den raspelkurzen silbergrauen Haaren und der schwarzen Designerbrille bei den Entscheidern von Time Warner, unter deren Dach "Home Box Office" produziert, einen exzellenten Ruf als Vorlagenlieferant für massenkompatibles Serienfernsehen.

"The Leftovers" brach mit seinem kühnen dystopischen Setting, demzufolge am 14. Oktober 2014 gleichzeitig zwei Prozent der Weltbevölkerung vom Erdboden verschwinden und damit den großen ratlosen Rest in eine kollektive Depression stürzen, seinerzeit erfolgreich in die Phalanx der Emmy-Seriensieger "Breaking Bad" und "Mad Men" ein, deren Great-American-Novel-hafte Langerzählungen das bis dato geltende Serienfernsehenverständnis pulverisiert hatten. Zudem verpasste "The Leftovers" dem Genre mit seinem glaubwürdigen Mix aus Untergangsgemälde und fragwürdigen, spekulativ-philosophisch hinterfragten Herrschaftsformen eine irritierend neue und darum faszinierende Note.

"Von Anfang an habe ich meine Romane fürs Fernsehen oder fürs Kino adaptiert", schreibt Perrotta. "Und wenn Alexander Payne meinen Roman ,Election' damals nicht verfilmt hätte, wäre er als Buch wahrscheinlich nie erschienen." Payne inszenierte Perrottas Roman über das überehrgeizige kleine Biest Tracy Flick, das kurz davor ist, über Leichen zu gehen, um das Amt der Schulsprecherin ihrer Schule in Omaha zu erringen, 1999 mit der jungen Reese Witherspoon in der Hauptrolle als rasante Campus-Komödie - und ebnete seinem Verfasser damit den Weg ins Fernsehgeschäft. Auf dem Weg dahin hatte Perrotta sich zuvor als Student des berühmten Iowa Writers Workshop - der amerikanischen Talentschmiede für angehende Schriftsteller - unter Anleitung seinerzeit noch lebender Legenden wie Raymond Carver und John Cheever den letzten Schliff geholt. "Ich war in Iowa, okay, habe mich im Vergleich zu den angesagten Autoren meiner Generation aber trotzdem immer als Außenseiter gefühlt, weil ich sie für große Stilisten hielt, während ich doch bloß an meinen Geschichten über Leute herumschrieb, die gern anders leben würden, als sie es tun", erinnert er sich. "Bis ich irgendwann begriff, dass ich in den falschen Kategorien dachte. Und auf einmal sah ich, dass Leute wie Jonathan Franzen oder David Foster Wallace eigentlich gar nicht so anders sind als ich in dem, was sie schreiben." Doch während Foster Wallace seine enigmatischen Formzertrümmerungsromane schrieb und zum Mythos wurde und Franzen mit seinen familien- und zivilisationskritischen Epen zu Amerikas Vorzeigeromancier avancierte, blieb Perrotta der Typ, der fürs Fernsehen schreibt. Also vor allem für Geld.

Tom Perrotta, 1961 in Garwood, New Jersey, geboren, hatte bereits Storys in renommierten Magazinen publiziert, ehe er die größere Romanform wählte. Darin gelang es ihm immer wieder überaus gekonnt, an sich schwerverdauliche Stoffe unterhaltsam aufzubereiten. Und genau betrachtet halten seine Bücher sehr wohl mit den Arbeiten seiner weitaus berühmteren Kollegen Jonathan Franzen und Jeffrey Eugenides mit. Regelmäßig stehen darin moderne Emma-Bovary-Gestalten im Zentrum, die sich irgendwann das zu nehmen und zu gestatten trauen, wovon sie jahrelang heimlich phantasiert haben. Einen Liebhaber. Eine neue sexuelle Ausrichtung. Oder gleich ein komplett anderes Leben. Es sind Frauen, die bereit sind, den Preis, den die Gesellschaft von ihnen dafür verlangt, zu bezahlen.

Dabei beackert Perrotta in seinen Büchern ähnliche Themenfelder wie Franzen oder Eugenides in ihren Romanen. Auch bei ihm sind es regelmäßig die familiären Mittelstandshöllen, die er von innen heraus beleuchtet: dysfunktionale Gebilde, deren innere Widersprüche diese - bis zur finalen Implosion - latent unterhöhlen. Dass er das Ganze aber regelmäßig mit Witz und Ironie bricht und legiert, macht ihn Fans sogenannter Hochliteratur suspekt. Dabei ist das, was dieser Autor in seinen Büchern praktiziert, Menschenstudium in Reinkultur, indem er uns zu mal staunenden, mal belustigten Beobachtern von Wesen macht, deren Träume sich lange und viel zu oft als unrealistisch und damit als mit offenen Augen erlebte Albträume erweisen. Oder als Farce. Bis sie endlich aufbegehren.

2004 nahm Perrotta in seinem Buch "Little Children" mit der Feministin Sarah - in Todd Fields schöner Verfilmung des Stoffs von 2006 mit Kate Winslet besetzt - eine Frau ins Visier, die an der Perfektion ihres eigenen Lebensentwurfs zugrunde zu gehen droht - und in der Affäre mit dem ziellosen Jurastudenten Todd eine Zeitlang Zuflucht vor der Leere des Erziehungsalltags und ihrer verlogenen Familienidylle findet. Nun - 14 Jahre später - ist es in seinem aktuellen Roman die Figur der sexuell frustrierten Eve Fletcher, mit deren exemplarischer Beschreibung er ganzen Armeen ähnlich denkender und fühlender amerikanischer Frauen ein Gesicht gibt. "Okay, ich bin ein Romanschreiber, der hin und wieder seine Bücher fürs Fernsehen oder fürs Kino adaptiert", beschreibt Tom Perrotta sich selbst in einem Satz. Und da ist wieder dieses einschränkende "Okay". So, als hafte seinen Büchern dadurch etwas Anrüchiges an. Doch wenn es wie im Fall von "The Leftovers" gelingt, beides schlüssig miteinander zu verschmelzen, dann ist das eine ziemlich gute Erfahrung, weil am Ende etwas Neues steht: Figuren aus Wörtern, die zu echten Menschen geworden sind. Und das in Zeiten, da sich ganze Armeen von Romanschreibern durch die neue Vorherrschaft des episch gewordenen Erzählfernsehens um ihre Vormachtstellung gebracht sehen.

In der im Herbst auf HBO anlaufenden "Mrs Fletcher"-Show, wie er das nennt, wird Kathryn Hahn, bekannt aus Sam Mendes 2008er Verfilmung des Richard Yates Romans "Revolutionary Road" oder der Komödie "Wir sind die Millers" (2013), der Figur der Eve menschliche Züge verleihen. Und man darf gespannt sein, wie Perrotta seine Romanfigur vor der Kamera agieren lässt. Denn ist man seiner umtriebigen Glückssucherin als Leser erst mal verfallen, so dürfte es schwer werden, das Ganze vorurteilslos zu abstrahieren.

Tatsächlich nämlich stellt man sich bei der Geschäftsführerin eines Seniorencenters, die infolge einer gescheiterten Ehe nach einer neuen weiblichen und, ja, sexuellen Identität sucht, nachdem sie ihren Sohn Brendan schweren Herzens aufs College verabschiedet hat, eine jener immer leicht melancholischen, vom zu häufigen Alleine-auf-der-Couch-vorm-Fernseher-Sitzen-und-Schokolade-Essen um die Hüften leicht füllig gewordene Frauenfiguren vor, wie sie insbesondere die Geschöpfe der letzten Romane der großartigen Meg Wolitzer verkörpern: Im mächtigen Tinder-Verdrängungswettbewerb abgeschlagene, sogenannte Best oder Golden Ager, die auf die 50 zusteuern - und nicht begreifen können, warum sie nicht mehr dazugehören sollen. So auch Eve, die eine Zeitlang hofft, ihr Glück bei Tinder zu finden. Bis sie eines Tages - anfangs zögerlich und von mächtigen Schamgefühlen begleitet, dann aber wildentschlossen - die Vorzüge der Internetpornographie für sich entdeckt. Fortan vergeht kaum mehr ein Abend, an dem sie nicht die Seiten von MILF-Porn besucht - und freimütig bekennt: "Ein paar Vorteile hatte die Sache definitiv. Sie hatte viel mehr Orgasmen als zuvor." So entrollt uns Perrottas Roman eine Art doppelter Coming-of-Age-Geschichte: auf der einen Seite Eves Persönlichkeitswandlung und sexuelle Befreiung - weg von der in konservativen Denkmustern gefangenen Frau, hin zu neuen Vorstellungsmodellen und damit verbundenen, bislang ungenutzten sexuellen Möglichkeiten. Auf der anderen Brendans College-Alltag, den der junge Mann - von Perrotta in bisweilen schreiend komischen Episoden illustriert - als nicht enden wollendes Desaster erlebt.

"Die Idee zu dem Buch kam mir, als unsere Kinder auszogen, um zu studieren", erzählt Perrotta in einer Mail. "Und welche Herausforderung damit ganz generell für Eltern einhergeht, sich neu erfinden zu müssen. Denn seien wir doch ehrlich: In vielen Ehen ist nach langen Jahren der Elternschaft manches eingeschlafen oder auf der Strecke geblieben, und damit meine ich den Sex." Und so kann Eve sich plötzlich - von den alten Denkfesseln befreit - so manches vorstellen: sogar eine Affäre mit ihrer Mitarbeiterin Amanda. Und dass sie Julian, dem ehemaligen Mitschüler ihres Sohnes, den sie in einem Abendschreibseminar zum Thema "Gender und Gesellschaft" kennenlernt, irgendwann Nacktfotos von sich schickt, gehört ab sofort ebenso zu ihrem neuen Selbstverständnis. "Denn plötzlich fühlte sich alles richtig und wahr an, genau so, wie sie es sich wünschte. Das bin ich, dachte sie."

Seit John Updikes Rabbit-Romanen wurden Amerikas Mittelschichtsprobleme nicht mehr derart schonungslos und zugleich humorvoll seziert. Die Lügen und Heimlichkeiten und die unterdrückten Sehnsüchte. So wird Tom Perrotta weiterschreiben über Amerikas Mittelstandstragödien - und die Serienmacher damit beglücken. "Die große Serienerzählung ist die wahrscheinlich kraftvollste Erzählform, die wir momentan haben", schreibt er. "Dickens würde vermutlich als Showrunner arbeiten, wenn er noch leben würde." Da ist er sich sicher. Und setzt als Zeichen seiner Überzeugung zum Schluss ein riesiges "Gereckter Daumen"-Emoji unten drunter.

PETER HENNING.

Tom Perrotta: "Mrs Fletcher". Roman. Aus dem amerikanischen Englisch von Johann Christoph Maass. dtv, 416 Seiten, 22 Euro

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Es ist ein fröhliches, amüsantes, nie anzügliches, an wenigen Stellen sogar ein bisschen melancholisches Buch darüber, was sein könnte, wenn man es nur richtig wollte. Christine Westermann WDR 20190627