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Thaddea, Anfang 30, sehr wohlhabend, hat ihr Leben unter Kontrolle. Sie besitzt zwei spektakuläre Häuser in Grünwald und Schwabing und setzt ihre ersten Schritte in ein Leben als freie Therapeutin. Doch als ihre beste Freundin Kata sie mit ihrem Freund Ben-Luca betrügt, stürzt sie in ein Gefühlschaos. Sie beschließt, sich von beiden zu trennen, und nähert sich stattdessen Pimpi an, Ben-Lucas bestem Freund. Sie besucht Empfänge und Events der Münchner Society: die Party eines Fernsehproduzenten, eine Ausstellungseröffnung auf Schloss Herrenchiemsee. Der Schmerz bleibt. Hochsensibel beginnt sie…mehr

Produktbeschreibung
Thaddea, Anfang 30, sehr wohlhabend, hat ihr Leben unter Kontrolle. Sie besitzt zwei spektakuläre Häuser in Grünwald und Schwabing und setzt ihre ersten Schritte in ein Leben als freie Therapeutin. Doch als ihre beste Freundin Kata sie mit ihrem Freund Ben-Luca betrügt, stürzt sie in ein Gefühlschaos. Sie beschließt, sich von beiden zu trennen, und nähert sich stattdessen Pimpi an, Ben-Lucas bestem Freund. Sie besucht Empfänge und Events der Münchner Society: die Party eines Fernsehproduzenten, eine Ausstellungseröffnung auf Schloss Herrenchiemsee. Der Schmerz bleibt. Hochsensibel beginnt sie zu erkunden, wo das eigene Ich die Welt berührt.

»Meine Romane sind Experimente. Wenn ich schon vorher wüsste, wie sie ausgehen, würde ich sie nicht schreiben.«
Ernst-Wilhelm Händler
Autorenporträt
Ernst-Wilhelm Händler, 1953 geboren, lebt in Regensburg und München. Er ist Autor der Romane »Das Geld spricht«, »München«, »Der Überlebende«, »Welt aus Glas«, »Die Frau des Schriftstellers«, »Wenn wir sterben«, »Sturm«, »Fall« und »Kongress« sowie des Erzählungsbandes »Stadt mit Häusern«. Mit »Versuch über den Roman als Erkenntnisinstrument« und »Die Produktion von Gesellschaft« hat Ernst-Wilhelm Händler eigene Kulturtheorien vorgelegt. Darüber hinaus schreibt er Essays über ökonomische, gesellschaftliche und künstlerische Themen. Für seine von der Kritik hochgelobten Romane erhielt er den Erik-Reger-Preis, den Preis der SWR-Bestenliste, den Kulturpreis der Stadt Regensburg und den Hans-Erich-Nossack-Preis.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Friedmar Apel hat sich viel mehr versprochen von diesem Münchner Gesellschaftsroman von Ernst-Wilhelm Händler. Dass der Autor in seinem Buch Psychotherapie, Mode und Snobiety zusammenbringt, findet er erst mal gut, ist dann aber doch eher enttäuscht von der Ausführung. Das Beobachten der Schuhe und Accessoires, meint er, gerät dem Autor allzu gründlich bis ins Abstruse. Quälend die Beschreibungen der Schickeria, findet Apel. Denn am Ende bieten sie nur das Klischee des Altbekannten in einem viel zu weiten Mantel.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.10.2016

Die Sandale ist eine alte Verräterin
Party und Struktur: Ernst-Wilhelm Händler beobachtet die Münchner Gesellschaft

Seit Charles Baudelaire ist die Literatur mit der Mode verschwistert, weil an ihr das Transitorische der Moderne, der sich stetig beschleunigende Übergang vom Alten ins Neue sichtbar wird. In der Mode zeigt sich auch besonders intensiv, was für soziale Systeme überhaupt gilt: dass jeder zugleich Beobachter und Beobachteter ist. Diese Dialektik des Beobachtens durchzieht Ernst-Wilhelm Händlers Gesellschaftsroman wie ein Leitmotiv, gleich am Anfang wird sie animistisch sogar in die umgebende Natur projiziert. "Der Wald dagegen ein Zauberwald, die Wünsche der Beobachterin erratend und schürend. Niemals würde sich der Wald damit zufrieden geben, betrachtet zu werden. Er wollte aufstacheln, doppelt auf Gedanken bringen. Wer beobachtete wen?"

Die Beobachterin ist Thaddea, eine reiche Erbin und Psychotherapeutin. Von ihrer einzigen Freundin Kata, einer international tätigen Architektin, hat sie sich eine Villa in Grünwald und ein Stadthaus in Schwabing bauen lassen, das sie als Praxis nutzen will, auch "die Struktur" genannt. Beide Bauten sind mit viel Glas auf die Spannung zwischen Einblick und Ausblick hin komponiert. Derart stehen sie für den ganzen Roman, Händler setzt seine Figuren gleichsam in eine gläserne Struktur, in der sie studiert werden.

Ins Geschehen eingeführt werden sie über die Beschreibung ihres Outfits und des Aussehens bis hinein in die Wahl des Lippenstifts. Dabei zeigt Händler gründliche Kenntnisse der Mode. Auch den Jargon der Branche scheut er nicht.

Gegenseitiges Beachten der Garderobe als eines Kommunikationsmediums erscheint als Hauptmerkmal der beschriebenen Gesellschaftsschicht. Gelegentlich wird das ins Abstruse getrieben, so bei der Beschreibung einer Aktion des Hauses der Kunst, bei der die Flucht aus der DDR lebensecht mit Hundegebell und Selbstschussanlage simuliert wird. "Die anderen potentiellen Republikflüchtigen fixierten neidvoll ihre sich in so zielgerichteter Bewegung befindlichen weißen Sneakers mit den roten Kappen, den roten Schnürsenkeln und dem Schriftzug von Prada." Entsprechend sind in "München" Kunstausstellungen vor allem Bühne für exquisite Kreationen. Die Beschreibungen der Partys und Empfänge, sei es im P1, am Pool eines RTL-Produzenten oder auf Herrenchiemsee, sind einschließlich der wiedergegebenen Gespräche trotz erhöhten Champagnerkonsums allerdings nicht immer dazu angetan, den Leser besonders neidisch zu machen. Nur gelegentlich geht es lustig zu: "Wir haben gestern einen Ultraschall bei Lumpi machen lassen. Gott sei Dank hat er nur Gallensteine."

Mit Kata wie mit ihrem Freund Ben-Luca, der für ein Auktionshaus arbeitet, hat Thaddea gebrochen, weil die beiden miteinander geschlafen haben, und zwar nachdem sie nach einer Party in der Neuen Pinakothek versehentlich über Nacht dort eingeschlossen wurden. So ist Thaddea noch isolierter als ohnehin schon. Ihre Praxis verschafft ihr zunächst wenig Ablenkung. Patienten bleiben aus oder kommen nach der ersten Sitzung nicht wieder. Allerdings hat sie ziemlich eigenartige Vorstellungen von ihrer Profession: "Irgendwo fand man immer bei jedem und jeder eine Mischung aus unguten Erinnerungen und einem nicht besonders gut funktionierenden Erinnerungsvermögen. Das nannte man dann Trauma, und anschließend bastelte man daran, die Erinnerungen in einen einigermaßen logischen Ablauf zu bringen und sie in einem freundlicheren Licht erscheinen zu lassen. Thaddea hatte niemals an Ursachen geglaubt und glaubte auch jetzt nicht daran." Auch lehnt sie es ab, Ziele zu haben.

Im Besonderen kann sie die angeblichen seelischen Probleme von Managern nicht ernst nehmen. Das wird bei der Behandlung einer Managerin deutlich, die sie "die Planerin" nennt. Die hat nur eine Angst, nämlich hereingelegt zu werden. "Diese Angst hatte nach Thaddeas Erfahrung praktisch jeder Manager. Nur Unternehmer leisteten es sich, Vertrauen zu haben." Da spricht wohl auch der Unternehmer Ernst-Wilhelm Händler aus ihr. Gegen CEOs hat er offensichtlich etwas. Im Münchner Kunstgetriebe tummeln sich dem Roman zufolge nur die Zweitklassigen oder Abgehalfterten. Händler hat mit offensichtlichem Spaß daran, sich unbeliebt zu machen, keine Scheu, sie von Berger über Breuer zu Reitzle mit Klarnamen zu benennen. Thaddeas therapeutischer Rat für die Planerin lautet schließlich, dass sie in den quälenden Meetings ihrer Firma, von denen sie in den Sitzungen berichtet hatte, etwas "maximal Peinliches" tun soll.

Dem Leser gibt zu denken, ob nicht Thaddeas überspannte Selbstbeobachtung und ihre Distanz auf ein Experiment zurückzuführen sind, das sie als Kind mit sich selbst veranstaltet hatte. Sie wollte nämlich wissen, wie es sich anfühlt, wenn einem der Reifen eines Lieferwagens über den Fuß rollt. In der Folge wurden ihr die Zehen amputiert. Diesen Makel versucht sie mit eiserner Selbstbeherrschung wie mit angemessen teurem Schuhwerk zu verbergen.

Obwohl sie sich als "menschenscheu und menschendämlich" sieht, besucht sie die Münchner Partys, vorzugsweise solche mit Menschen, die sie garantiert nicht ernst nehmen kann. Immerhin interessiert sie sich eine Weile für einen Schriftsteller, obwohl der ziemlich gespreiztes Zeug über Beobachten und Beschreiben von sich gibt. Allerdings gelegentlich auch amüsante Bonmots: "Die Familie ist ein Kollateralschaden des Lebens." Sie beschließt gleichwohl, selbst einen Roman zu schreiben, der mit ihrer Familie zu tun hat. Wovon der handelt, verrät sie dem Schriftsteller nicht.

Ein Video der Tochter der Planerin, der ausnahmsweise fiktiven Künstlerin Fleur Blankovic, auf dem die Managerin, vor dem Gebäude ihrer Firma weinend neben den teuren Schuhen eines vermutlichen Chefs auf die Knie fallend, "in den Kreis der Peinlichkeit" eintritt und "aus der Wüste der Empfindungslosigkeit" herausfindet, trifft sie wie ein Blitzstrahl. Sie betrachtet das als "triumphalen Erfolg" ihrer Therapie. Sie weiß nun, was sie in ihrem Roman beabsichtigte. "Sie wollte nicht beobachten und nicht beschreiben. Sie wollte einen perfekten, lückenlosen Metaphernbau konstruieren."

Die Hochstimmung hält aber nicht lange, und sie fällt aufs Beobachten zurück: "Während Thaddea beobachtete, wurde sie ihrerseits von ihrer Misslaune beobachtet." Wer leidet, muss beobachten. Endlich gesteht sie sich ein, dass sie unglücklich ist, und gerade das bringt sie zur Wirklichkeit. Im Prada Showroom erwägt sie sogar den Kauf von Open-toe-Schuhen. Das wäre dann die Offenbarung eines Defekts, den jeder interessante Geist irgendwo verbirgt. Sie beschließt dann aber plötzlich, den Roman nicht zu schreiben, stattdessen setzt sie sich ein Ziel im Leben, wenngleich ein recht banales.

Das freut den Leser für Thaddea, entschädigt aber nicht ganz für einige Qual bei der Lektüre. Neben den oft herrlichen Modepassagen gibt es zu viele und zu lange freudlos-abschätzige Beschreibungen der Münchner Society, in denen sich ein philisterhafter Snobismus des Uneitlen zeigt. Auch verfällt der Gesellschaftsroman trotz stilistischer Überanstrengung erstaunlich oft dem Klischee dessen, was der Leser von der Münchner Schickeria schon wusste. So steht der Erkenntnisgewinn der Gesellschaftsbeobachtung in einem Missverhältnis zum erzählerischen Aufwand.

FRIEDMAR APEL

Ernst-Wilhelm Händler: "München". Gesellschaftsroman.

Verlag S. Fischer, Frankfurt am Main 2016. 352 S., geb., 23,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Ein großer Roman. Christoph Schröder Journal Frankfurt 20160909