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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.08.2000

Der Prophet ist über den Berg
Martin Lings sortiert die frühe Muhammad-Rezeption

Vor mehr als einem Jahrhundert klagte der damalige Schaich al-Azhar Mustafa al-Maraghi im Gespräch mit dem anglikanischen Bischof in Kairo darüber, daß das größte Ärgernis, das die Beziehungen zwischen Christen und Muslimen belaste, darin bestehe, daß es den Christen völlig an Verständnis für die Verehrung und Liebe fehle, die der Muslim dem Propheten Muhammad gegenüber empfinde. Dieser Ausspruch gilt bis heute. Seit dem Mittelalter war Muhammad in der christlichen Literatur als Erzschismatiker, als gerissener Politiker, als sinnlicher Genießer dargestellt worden, bis einige Aufklärungsphilosophen im frühen achtzehnten Jahrhundert versuchten, ihn als Vertreter einer vernunftgemäßen Religion zu zeichnen.

Als Gegenbewegung zu den von europäischen Orientalisten im neunzehnten Jahrhundert veröffentlichten kritischen Muhammad-Biographien wuchs gegen Ende jenes Saekulums eine umfangreiche "Leben-Muhammad-Literatur" zunächst in Indien, dann auch in anderen islamischen Ländern. Doch schon im achtzehnten Jahrhundert hatte sich in verschiedenen Sufi-Orden eine tar'qa muhammadiyya entwickelt, ein "Muhammad-Pfad", der sich die mystisch vertiefte Nachahmung des Propheten zum Ziel setzte. Im Westen aber entstanden seit Bekanntwerden der ältesten arabischen Quellen zahlreiche Biographien Muhammads - sehr kritisch-abwertende und ruhig sachliche; Untersuchungen zur Entwicklung der mystischen Verehrung für ihn, in der er zum "vollkommenen Menschen", zum Zweck und Ziel der Schöpfung wird, und andere, die die politische und soziale Komponente seiner Lehren betonen.

Es ist vor allem die Prophetenbiographie des Ibn Ishaq, die eine Grundlage für unsere Kenntnis des Lebens des Propheten bietet; eine Neuauflage der guten Übersetzung dieses Werkes durch Gernot Rotter ist kürzlich im Spohr-Verlag erschienen. Nun veröffentlicht derselbe Verlag die deutsche Übertragung eines Buches, dessen englisches Original seit 1983 Millionen von Muslimen entzückt hat und in Dutzende von Sprachen übersetzt worden ist - die Prophetenbiographie von Martin Lings. Der Verfasser, ein 1909 geborener britischer Muslim, ist den am Sufismus interessierten Lesern in erster Linie durch die schöne Biographie seines algerischen Meisters - "A Sufi Saint of the Twentieth Century" - bekannt, dem Bewunderer islamischer Kalligrafie durch sein großes Werk "The Quranic Art of Calligraphie and Illumination", das aus seiner langjährigen Tätigkeit im Britischen Museum hervorgegangen ist. Nun liegt seine Prophetenbiographie in einer recht guten deutschen Fassung vor, die freilich den poetischen Schwung des Originals nicht erreicht (es finden sich hin und wieder "moderne" Fehler wie "breche" statt "brich", "werfe" statt "wirf!" oder unglückliche Formulierungen wie ". . . das im Angesicht Gottes beinhaltet war"). Dennoch liest man das Buch mit Freude, ja geradezu mit Spannung, wenngleich ich fürchte, daß ein in arabischer Geschichte ungeschulter Leser Schwierigkeiten haben mag, die zahlreichen Eigennamen, Verwandtschaftsbezeichnungen und anderes zu behalten, obwohl eine Stammtafel und eine Landkarte die Lektüre erleichtern.

Lings beschreibt das Leben des Propheten von seinem Ursprung bis zu seinem Tode 632 aufgrund der ältesten Biographien, in erster Linie die des oben erwähnten Ibn Ishaq. Legitimerweise zieht er zahlreiche auf bestimmte Situationen im Leben Muhammads bezügliche Koranverse heran und benutzt auch weitgehend die Traditionsliteratur, wie sie sich im Laufe der ersten beiden Jahrhunderte nach dem Tode Muhammads entwickelte - interessant ist dabei die große Rolle, die den Träumen zukommt. Die Bibliographie, in der die große Zahl der Fußnoten aufgeschlüsselt wird, ist vor allem für den Islamkundler wichtig und nützlich.

Daß der kritische Islamwissenschaftler mancherlei Apokryphes in dem Buch entdecken wird, ist klar. Aber Lings' Biografie ist nicht für jene gedacht, die das Material nach historisch-kritischer Methode sezieren; es zeigt vielmehr, wie der gläubige Muslim das Leben seines geliebten und verehrten Propheten aus den frühesten erhaltenen Quellen versteht - des Propheten, der für ihn das "schöne Modell" (Sure 33, 21) darstellt, nach dessen Beispiel er sein Leben - wenn möglich bis zur kleinsten Bewegung - formen soll. Es ist eben dieser Aspekt des liebevoll und schön geschriebenen Buches, der es gerade für solche Leser interessant macht, denen es schwerfällt, die Wichtigkeit der Rolle des Propheten in der islamischen Tradition und im Leben der Muslime bis heute zu verstehen. Wir hoffen, daß es für den so nötigen christlich-muslimischen Dialog Nutzen bringt!

ANNEMARIE SCHIMMEL

Martin Lings: "Muhammad". Sein Leben nach den frühesten Quellen. Aus dem Englischen von Ulrike Full. Spohr-Verlag, Kandern 2000. 500 S., geb., 48,- DM.

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

In einer sehr kundigen, aber auch für Laien verständlichen Besprechung des Buchs schildert Rezensentin Annemarie Schimmel, selbst eine berühmte Orientalistin, kurz die unterschiedlichen Vorstellungen, die man sich in Europa von dem Propheten Mohammed machte: im Mittelalter galt er als "Erzschismatiker", "gerissener Politiker" und "sinnlicher Genießer". Die europäischen Aufklärer des 18. Jahrhunderts stellten Mohammed dagegen als Vertreter einer "vernunftgemäßen Religion" vor. In der islamischen Welt jedoch war man mit keiner dieser Darstellungen zufrieden, erklärt Schimmel. Die Moslems vermissten in den europäischen Beschreibungen `die Liebe und Verehrung`, die der Muslim für den Propheten Mohammed empfindet, zitiert Schimmel die Klage eines muslimischen Scheichs aus dem 19. Jahrhundert. Die Biografie von Martin Lings sollte in diesem Punkt allerdings auch skeptische Muslime zufrieden stellen - das lässt Schimmel in ihrer Rezension durchschimmern. Lings bezieht sich in seiner Darstellung vor allem auf Koranverse, arabische "Traditionsliteratur" und die ältesten Biografien der islamischen Welt, erklärt die Rezensentin. Gerade deshalb spiegele seine Biografie die - bislang in Europa unbeachtet gebliebene - Liebe der Muslime für ihren Propheten wieder. Schimmel erklärt, das Buch "mit Freude, ja geradezu mit Spannung" gelesen zu haben und beschreibt es als "liebevoll und schön geschrieben". Für eine Sezierung nach "historisch-kritischer Methode" sei es dagegen weniger geeignet.

© Perlentaucher Medien GmbH
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